
«Shared decision making» in der Therapie des Mammakarzinoms
Autoren:
Dr. med. Ziad Atassi
Prof. Dr. med. Andreas Trojan
Brustzentrum Zürichsee
Horgen/Zürich
Korrespondenz:
E-Mail: ziad.atassi@hin.ch
«Shared decision making» oder partizipative Entscheidungsfindung hat sich mittlerweile im deutschsprachigem Raum in weiten Teilen als wichtiger Qualitätsindikator für gute Medizin etabliert.
Keypoints
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«Shared decision making» ist ein wichtiger Qualitätsindikator für patient:innenzentrierte Medizin, bei der wichtige Therapieentscheidungen gemeinsam mit den Patient:innen getroffen werden sollten.
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Besonders in Brustzentren ist diese Methode ein hilfreiches Instrument, um die Betroffenen besser in die Entscheidungsprozesse einzubinden.
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Die Langzeiteffekte nach Anwendung einer Therapie, die unter SDM-Voraussetzungen beschlossen wurde, sind mehr Patient:innenzufriedenheit durch höhere Qualität, bessere Compliance und auf lange Sicht Entlastung des ärztlichen Personals sowie dadurch geringere Behandlungskosten.
Shared decision making» (SDM) beschreibt ein Modell der Entscheidungsfindung, bei dem Arzt/Ärztin und Patient:in gemeinsam und partnerschaftlich eine Entscheidung herbeiführen. Dies geschieht unter Austausch von Informationen und Abwägung verschiedener Behandlungsoptionen. Es wird als wichtiger Paradigmenwechsel verstanden, vom paternalistischen Arzt-Patienten-Verhältnis hin zum weniger autoritären patient:innenzentrierten Verhältnis.
Auch in der Politik besteht ein grosses Interesse, diese Methode in der Medizin zu etablieren. So hat das BAG in den gesundheitspolitischen Prioritäten des Bundesrates im Jahr 2013 festgelegt, dass Patient:innen künftig eine gleichberechtigte und selbstbestimmte Rolle in der Beziehung zu Gesundheitsfachpersonen haben sollen. Staatliche Förderprojekte wie das «Share to Care»-Projekt, zum Beispiel an der Universitätsklinik Schleswig-Holstein, sollen zur Vollimplementierung des SDM im klinischen Alltag führen.
Das klinische Modell des SDM beruht im Wesentlichen darauf, dass mindestens zwei therapeutische Optionen inklusive Abwarten zur Auswahl stehen, die auf der Grundlage evidenzbasierter Medizin stehen. Die Vorgehensweise des SDM beinhaltet einen Interaktionsprozess zwischen Arzt/Ärztin und Patient:in, bei dem gleichberechtigt eine gemeinsame Übereinkunft betreffend eine Behandlung herbeigeführt wird. Dabei sollten bestimmte Merkmale berücksichtigt werden. Der SDM-Prozess kann nur zwischen zwei und mehr Personen erfolgen. Neben Arzt/Ärztin und Patient:in können weitere Personen hinzugezogen werden. So können sowohl Angehörige Anteil am SDM-Prozess haben als auch, wie in weiterentwickelten Konzepten wie dem Share-to-Care-Konzept, institutionell eingebundene nicht ärztliche Fachpersonen als «decision coaches» beteiligt werden.1 Alle involvierten Personen nehmen aktiv am Entscheidungsprozess teil. Dies beinhaltet einen Informationsaustausch, bei dem die Ärzt:innen die Rolle der fachlichen Expert:innen und die Patient:innen die Rolle der «Ich-Expert:innen» innehaben.
Der Prozess des SDM befindet sich somit in einem Spannungsfeld zwischen dem früher überwiegend vorherrschenden paternalistischen Entscheidungsmodell, bei dem die Ärzt:innen allein entscheiden, und dem informierten Entscheidungsmodell, bei dem die Patient:innen allein die Entscheidung treffen und die Ärzt:innen dem lediglich zustimmen. Neben dem paternalistischen Modell, dem SDM und dem informierten Modell besteht zudem auch das interpretative Modell. Dabei werden zwar die Präferenzen der Patient:innen erfragt, aber die Therapieentscheidung wird, ähnlich wie beim paternalistischen Modell, einseitig von den Ärzt:innen getroffen. Die vier Modelle im klinischen Kontext sind in Tabelle 1 angeführt.
SDM in der operativen Therapie desMammakarzinoms
Das SDM ist bei der Entscheidungsfindung betreffend die Art der Operation von besonderer Bedeutung. So ist die Entscheidung zwischen einer Mastektomie und einer brusterhaltenden Therapie ein klassischer Anwendungsbereich des SDM. Von Patient:innen mit Brustkrebsdiagnose wird wiederholt das Gefühl geäussert, dass sie mit einer radikalen Mastektomie eine sicherere Operation erhalten würden. Dem steht ein Qualitätsindikator für zertifizierte Brustkrebszentren gegenüber, welcher eine brusterhaltende Operation als die gegenüber einer Mastektomie zu bevorzugende Methode fordert, um die Mastektomierate möglichst niedrig zu halten. Somit liegt nahe, dass bei der Beratung betreffend die operativen Möglichkeiten die brusterhaltende Operation empfohlen wird und die Patient:innen überwiegend dieser Empfehlung folgen. Eine Studie zum Thema hat gezeigt, dass Patient:innen in solchen Situationen sehr grossen Wert auf die persönliche Einschätzung der behandelnden Ärzt:innen legen.3 In der Folge führt dies dazu, dass die Empfehlung einer brusterhaltenden Therapie von den Patient:innen eher angenommen wird. Patient:innen, die sich auf eigenen Wunsch – trotz Empfehlung einer brusterhaltenden Therapie – für eine Mastektomie entscheiden, gewichten ihre eigenen Präferenzen höher als die der Ärzt:innen.4 Zu einer ähnlichen Erkenntnis kommt eine Studie, welche in einer ähnlichen Fragestellung den Einfluss validierter Informationsquellen («decision aids») auf die Entscheidung zwischen einer brusterhaltenden Operation und einer Mastektomie untersuchte. Hierzu wurden acht Studien zum Thema in einem Review systematisch ausgewertet. In vier von acht Studien zeigte sich trotz der Verbesserung der Aufklärungsqualität eine Verschiebung der Entscheidung hin zur Mastektomie und zur subkutanen Mastektomie, obwohl zuvor eine brusterhaltende Therapie angeboten worden war.5 Somit kann beim Thema Optionen der Brustchirurgie der besondere Bedarf an einem SDM-Prozess herausgestellt werden, weil es sich überwiegend um Patient:innen mit einer guten Langzeitprognose handelt und die getroffene Therapieentscheidung sich erheblich auf ihre Lebensqualität im Langzeitverlauf auswirken kann.6
Anwendung des SDM im klinischen Kontext
In der Regel wird der Prozess des SDM in vier Schritten umgesetzt: Einführung, Informationsaustauch, Abwägung und Entscheidung.7 Bei der Einführung werden das medizinische Problem und die Therapieoptionen erklärt. Auch der SDM-Prozess an sich wird erläutert. Es wird eine Atmosphäre des Austauschs auf Augenhöhe zwischen Patient:in und Arzt/Ärztin hergestellt. Beim Informationsaustausch erfährt der Arzt/die Ärztin von dem Patienten/der Patientin die persönlichen Präferenzen und erklärt die verfügbaren Therapieoptionen unter Einsatz von validierten Informationsquellen, den «decision aids». In der operativen Brustkrebstherapie könnten dies die Broschüren der Krebsliga Schweiz sein. In der Abwägungsphase werden die Vor- und Nachteile einer Therapieempfehlung gegeneinander abgewogen und mit den zuvor eingeholten Informationen in Einklang gebracht. Besonders hervorzuheben ist, dass beim SDM genug Zeit für eine Entscheidungsfindung vorhanden sein soll. Das an der Universitätsklinik Schleswig-Holstein praktizierte und gelehrte «Share to Care» (S2C) beinhaltet zudem noch besondere Instrumente zur Befähigung von Patient:innen, indem diese speziell auf Entscheidungsprozesse vorbereitet werden. Darüber hinaus werden nichtärztliche Fachpersonen wie die Breast Care Nurse an Brustzentren als «decision coaches» in den SDM-Prozess eingebunden.
Literatur:
1 Danner M et al.: Making shared decision-making (SDM) a reality: protocol of a large-scale long-term SDM implementation programme at a Northern German University Hospital. BMJ Open 2020; 10(10): e037575 2 Gerber M et al.: Shared Decision Making. Arzt und Patient entscheiden zusammen. SAEZ 2014; 95: 50 3 Molenaar S et al.: Predictors of patient choices for breast conserving therapy or mastectomy. A prospective study. Br J Cancer 2004; 90(11): 2123-30 4 Manning AT et al.: Conservative mastectomies from breast cancer and risk-reducing surgery: the MSKC experience. Gland Surgery 2016; 5(1): 55 5 Si J et al.: Decision aids on breast conserving surgery for early stage breast cancer patients: a systematic review. BMC Med Inform Decis Mak 2020; 20(1): 275 6 Chatterjee A: Long term effects of modern breast breast cancer surgery. Gland Surgery 2018; 7(21): 366 7 Elwyn G et al.: Shared Decision Making. A model for clinical practice. JGen Intern Med 2012; 27(10): 1361-7 8 Whitney S: A new model of medical decisions: exploring the limits of shared decision making. Med Decis Making 2003; 23(4): 275-80
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