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Praxisrelevante Neuigkeiten beim Ovarialkarzinom
Jatros
Autor:
OA Dr. Christian Schauer
Abteilung für Gynäkologie<br>KH der Barmherzigen Brüder, Graz<br>E-Mail: christian.schauer@bbgraz.at
30
Min. Lesezeit
23.11.2017
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<p class="article-intro">Das ASCO Annual Meeting 2017 war insofern ein besonderer Kongress, als lang erwartete akademische Studien im Bereich Ovarialkarzinom vorgestellt wurden. Die Endergebnisse der Studien LION und DESKTOP III wurden in den Präsentationen der deutschen AGO im Rahmen des Kongresses mit großem Interesse aufgenommen. Eine weitere praxisrelevante Phase-II-Studie wurde durch die spanische Gruppe GEICO vorgestellt. Sie behandelte den neoadjuvanten Einsatz von Bevacizumab beim fortgeschrittenen Ovarialkarzinom. Im folgenden Beitrag werde ich diese drei Studien präsentieren.</p>
<hr />
<p class="article-content"><h2>LION-Studie</h2> <p>Studienhintergrund: Das Ziel der Behandlung ist eine komplette makroskopisch tumorfreie Resektion beim primär fortgeschrittenen Ovarialkarzinom. Eine randomisierte Studie<sup>1</sup> zeigte bereits einen signifikanten Vorteil im progressionsfreien Überleben (PFS) bei Patientinnen mit Ovarialkarzinom und kompletter systematischer pelviner und paraaortaler Lymphadenektomie, die makroskopisch tumorfrei oder bis 10mm operiert wurden, jedoch keinen Vorteil im Gesamtüberleben (OS).<br />Retrospektive Analysen der AGO Deutschland haben auf einen möglichen Überlebensvorteil bei Patientinnen mit klinisch unauffälligen Lymphknoten (LK) und systemischer Lymphadenektomie (LAE) beim fortgeschrittenen Ovarialkarzinom hingewiesen.<sup>2</sup> Somit wurde eine breit angelegte randomisierte Phase-III-Studie<sup>3</sup> ausgearbeitet, mit dem Ziel, zu zeigen, ob eine systemische Lymphadenektomie einen Überlebensvorteil bringen könnte. Im Dezember 2008 konnte die erste Patientin eingeschlossen werden. <br />Methodik: An der Studie konnten nur qualifizierte ausgewählte Zentren teilnehmen. 12 OP-Berichte aus den letzten 12 Monaten mussten als Qualifikation vorgelegt werden, die LK-Entfernung wurde durch ein einheitliches LK-Mapping abgearbeitet und die Mindestzahl für pelvine Lymphknoten lag bei 20, für die paraaortalen LK bei 10.<br />640 Patientinnen im Stadium IIb bis IIIc wurden benötigt, um eine HR von 0,7 zu erreichen oder einen Überlebensvorteil in 3 Jahren von 76 % auf 82,5 % zu steigern. Die Patientinnen mussten zwischen 18 und 75 Jahre alt und bei guter Kondition (ECOG 0–1) sein, sowohl klinisch als auch radiologisch durften keine suspekten LK nachweisbar sein und die Patientinnen durften keine vorrangegangene Chemotherapie erhalten haben.<br />Interessant ist, dass 1895 Patientinnen regristriert werden mussten, um 650 randomisieren zu können, denn 650 hatten eine andere Histologie oder ein falsches Stadium, bei 473 konnte keine komplette Resektion erreicht werden und bei weiteren 360 wurden intraoperativ „bulky nodes“ entdeckt.<br />Zu beachten ist hierbei, dass in 56 % der Fälle trotz klinisch negativer Lymphknoten mikroskopische Lymphknotenmetastasen zu finden waren.<br />Ergebnisse: Die Patientinnen wiesen ein PFS von 25,5 Monaten und ein medianes OS von 67,2 Monaten auf. Das 5-Jahres-Überleben lag bei 55,9 % .<br />Im PFS gibt es zwischen den beiden Gruppen LAE vs. keine LAE keinen Unterschied (25,5 Monate). Auch im OS gab es keinen signifikanten Unterschied (LAE: 65,5 Monate vs. keine LAE: 69,2 Monate).<sup>4</sup><br />Zusammenfassung der Resultate und Schlussfolgerung: Patientinnen, die in einem qualifizierten Zentrum primär makroskopisch tumorfrei operiert werden, haben eine gute Prognose (PFS: 25,5 Monate, OS: 67,2 Monate).<br />Systematisch pelvin und paraaortal lymphadenektomierte Patientinnen mit fortgeschrittenem Ovarialkarzinom haben mit intraabdomineller kompletter Resektion und klinisch unauffälligen Lymphknoten keinen Vorteil im Gesamtüberleben oder im progressionsfreien Intervall, trotz 56 % gefundener Metastasen in der lymphadenektomierten Gruppe.<br />Die Daten dieser Studie deuten darauf hin, dass eine systematische Lymphadenektomie bei klinisch unauffälligen Lymphknoten bei Patientinnen mit fortgeschrittenem Ovarialkarzinom vermieden werden sollte.<br />Über eine neue Klassifikation des Ovarialkarzinoms und dementsprechende State-of-the-Art-Behandlungsstrategien wird man offen sprechen müssen.</p> <h2>DESKTOP-III-Studie</h2> <p>DESKTOP III ist eine randomisierte Phase-III-Studie, die initiiert wurde, um den Einfluss einer zytoreduktiven Zweitoperation beim rezidivierenden Ovarialkarzinom zu beobachten. Am diesjährigen ASCO Meeting wurde nun eine Interimsanalyse vorgestellt.<br />Hintergrund: Chirurgie und Chemotherapie sind die Hauptbehandlungsstrategien beim Ovarialkarzinom. Wie weit ein weiterer zytoreduktiver Eingriff beim rezidivierenden Ovarialkarzinom bei einer bestimmten Patientengruppe einen Vorteil bringt, ist bis dato noch nicht geklärt. DESKTOP I hat die Hypothese eines möglichen positiven Vorhersagewertes, den sogenannten AGO-Score, bei Patientinnen mit Rezidivoperation und Komplettresektion entwickelt.<sup>5</sup> DESKTOP II hat diesen Score in einer prospektiven Multizentrumstudie bestätigt. Mehr als 2 von 3 Patientinnen konnten neuerlich tumorfrei operiert werden.<sup>6</sup><br />AGO-Score: Der in der DESKTOP-I-Studie retrospektiv definierte AGO-Score besteht aus folgenden Faktoren:</p> <ol> <li>ECOG Performance Status = 0</li> <li>tumorfrei nach der Erstoperation</li> <li>Aszites <500ml</li> </ol> <p>Studiendesign: In die Studie wurden Ovarialkarzinompatientinnen mit einem ersten Rezidiv und einem positiven AGO-Score eingeschlossen. Die Patientinnen wurden randomisiert und erhielten entweder eine Platinum-basierte Chemotherapie oder eine zytoreduktive Operation mit darauffolgender Platinum-basierter Chemotherapie. Primärer Endpunkt der Studie war das Gesamtüberleben, sekundäre Endpunkte waren das progressionsfreie Überleben, die Resektionsrate sowie Nebenwirkungen. Die Patientencharakteristik war in beiden Gruppen ausgeglichen, die postoperative bzw. die Second-Line-Chemotherapien waren mit Platin-basierten Therapien ausgeglichen. Die durchschnittliche OP-Dauer im Chirurgiearm wurde mit 220 Minuten bemessen. Der durchschnittliche Blutverlust wurde mit 250ml angegeben, die Relaparotomierate war mit 3,2 % nicht auffällig.<br />Ergebnisse: Für den primären Endpunkt wurden die notwendigen Ereignisse noch nicht erreicht, und daher kann bis dato noch keine Aussage getroffen werden. Eine Beobachtung der geblindeten Daten, bis die notwendigen 244 Ereignisse stattgefunden haben, wurde empfohlen. Das PFS nach chirurgischem Ergebnis ist in Abbildung 1 dargestellt.<sup>7</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Onko_1706_Weblinks_s84.jpg" alt="" width="1454" height="1041" /><br />Zusammenfassende Beurteilung: Ein zweiter chirurgischer Eingriff brachte bei Patientinnen mit Platin-sensitivem rezidivierendem Ovarialkarzinom und positivem AGO-Score eine Verlängerung des PFS um 5,6 Monate und eine Verlängerung der TSFT (Drittlinientherapie) von 7,1 Monaten (Abb. 2). Ein Vorteil des chirurgischen Eingriffes war ausschließlich bei den komplett resezierten Patientinnen zu sehen. Die Arbeitsgruppe unter der Leitung von Prof. Andreas du Bois hofft sehr, die Daten für das Gesamtüberleben am nächsten ASCO-Meeting präsentieren zu können, und glaubt, hiermit eine praxisrelevante Studie durchgeführt zu haben, die auch auf das Gesamtüberleben einen positiven Einfluss haben wird.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Onko_1706_Weblinks_s84_2.jpg" alt="" width="1454" height="834" /></p> <h2>NOVA-Studie</h2> <p>Hintergrund: Die Standardtherapie beim fortgeschrittenen Ovarialkarzinom ist die primäre Chirurgie, gefolgt von einer Platin-hältigen Chemotherapie mit/ohne Bevacizumab.<sup>8</sup> Neoadjuvante Chemotherapie (NACT), gefolgt von „interval debulking surgery“ (IDS), zeigt ähnliche Ergebnisse wie „primary debulking surgery“ (PDS), gefolgt von Chemotherapie, wenn eine komplette Resektion nicht möglich erscheint. Die Zugabe von Bevacizumab verlängert das PFS signifikant.<sup>9</sup> Die Rolle von Bevacizumab im neoadjuvanten Gebrauch ist nicht gut untersucht und soll in dieser Phase-II-Studie erläutert werden.<br />Studiendesign: Die Patienten wurden randomisiert in 4 Zyklen NACT, einmal mit und einmal ohne Bevacizumab, wobei in der Bevacizumab-Gruppe nur die ersten 3 Zyklen Bevacizumab verabreicht wurden und der letzte Zyklus vor der IDS ausgelassen wurde. Primäres Ziel war die Beobachtung der kompletten makroskopischen Ansprechrate bei IDS, sekundäres Ziel die Beobachtung der Sicherheit der Anwendung von Bevacizumab, die Anzahl der kompletten Resektionen und das PFS.<br />Ergebnisse: Beide Gruppen waren ausgewogen und folgende Ergebnisse sind zu berichten: Der primäre Endpunkt, die komplette makroskopische Remission, lag für beide Gruppen unter 10 % und hatte somit eine statistische Signifikanz verfehlt. Auch die PFS-Rate konnte keine statistische Signifikanz erreichen (Abb. 3). In der Bevacizumab-Gruppe konnten jedoch signifikant mehr Patientinnen operiert werden (22 [69 % ] vs. 31 [89 % ]).<sup>10</sup> Die Nebenwirkungen ≥Grad 3 sind in Tabelle 1 zusammengefasst.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Onko_1706_Weblinks_s84_3.jpg" alt="" width="1457" height="819" /><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Onko_1706_Weblinks_s84_4.jpg" alt="" width="1419" height="430" /><br />Zusammenfassung: Die zusätzliche Gabe von Bevacizumab bei Patientinnen mit Verdacht auf nicht komplett resektables Ovarialkarzinom hat die komplette makroskopische Ansprechrate zum Zeitpunkt der IDS nicht erhöht. Trotz vermehrt operativen Zugängen in der Bevacizumab-Gruppe konnte weder die komplette Resektionsrate verbessert noch das PFS verlängert werden. Die Zugabe von Bevacizumab ergab keine vermehrten Nebenwirkungen oder vermehrte Komplikationen.<br />Die Autoren vermerken, dass eine Zugabe von Bevacizumab bei gut ausgewählten Hochrisikopatientinnen in Erwägung zu ziehen ist. In einer österreichischen Fachdiskussion wurden die Ergebnisse nochmals diskutiert. Der Grundtenor war, dass diese Ergebnisse hauptsächlich im Rahmen der Beobachtung der Nebenwirkungen sinnvoll waren, um so gerade bei palliativen Patientinnen sichergehen zu können, dass sie durch die Zugabe von Bevacizumab ohne Operation keine erhöhten Nebenwirkungen zu erwarten haben. Somit hat auch diese Studie eine starke praxisrelevante Komponente.</p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Panici PB et al.: Systematic aortic and pelvic lymphadenectomy versus resection of bulky nodes only in optimally debulked advanced ovarian cancer: a randomized clinical trial. J Natl Cancer Inst 2005; 97(8): 560-6 <strong>2</strong> du Bois A et al.: Potential role of lymphadenectomy in advanced ovarian cancer: a combined exploratory analysis of three prospectively randomized phase III multicenter trials. J Clin Oncol 2010; 28(10): 1733-9 <strong>3</strong> Harter P et al.: Pattern and clinical predictors of lymph node metastases in epithelial ovarian cancer. Int J Gynecol Cancer 2007; 17(6): 1238-44 <strong>4</strong> Harter P et al.: LION: lymphadenectomy in ovarian neoplasms – a prospective randomized AGO study group led gynecologic cancer intergroup trial. J Clin Oncol 2017; 35(15 Suppl); Abstr. 5500 <strong>5</strong> Harter P et al.: Surgery in recurrent ovarian cancer: the Arbeitsgemeinschaft Gynaekologische Onkologie (AGO) DESKTOP OVAR trial. Ann Surg Oncol 2006; 13(12): 1702-10 <strong>6</strong> Harter P et al.: Prospective validation study of a predictive score for operability of recurrent ovarian cancer: the multicenter intergroup study DESKTOP II. A project of the AGO Kommission OVAR, AGO Study Group, NOGGO, AGO-Austria, and MITO. Int J Gynecol Cancer 2011; 21(2): 289-95 <strong>7</strong> du Bois A et al.: Randomized controlled phase III study evaluating the impact of secondary cytoreductive surgery in recurrent ovarian cancer: AGO DESKTOP III/ENGOT ov20. ASCO 2017. J Clin Oncol 2017; 35: Abstr. 5501 <strong>8</strong> Karam A et al.: Fifth Ovarian Cancer Consensus Conference of the Gynecologic Cancer InterGroup: first-line interventions. Ann Oncol 2017; 28(4): 711-7 <strong>9</strong> Burger RA et al.: Incorporation of bevacizumab in the primary treatment of ovarian cancer. N Engl J Med 2011; 365(26): 2473-83 <strong>10</strong> Garcia G et al.: Phase II randomized trial of neoadjuvant chemotherapy with or without bevacizumab in advanced ovarian cancer (GEICO 1205/NOVA trial). J Clin Oncol 2017; 35(15 Suppl); Abstr. 5508</p>
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