
Plastisch-rekonstruktive Tumorchirurgie: Was kann sie leisten?
Autoren:
OA Dr. Martin Kaltseis
Priv.-Doz. Dr. Georgios Koulaxouzidis, MBA
Abteilung Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie, Ordensklinikum Linz GmbH, Barmherzige Schwestern
Korrespondenz:
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Die plastisch-rekonstruktive Tumorchirurgie hat eine enorme Entwicklung erfahren. Aufgrund u.a. der routinierten Anwendung komplexer rekonstruktiver Verfahren und ihrer zunehmenden Weiterentwicklung ist die Morbiditätsrate bei dieser Art von Chirurgie gesunken. Hierdurch ist die Akzeptanz bei Patienten, aber auch dieinterdisziplinäre Anerkennung gestiegen. In diversen onkochirurgischen Bereichen (z.B. bei Brustkrebs, Sarkomchirurgie etc.) sind diese Verfahren eine zentrale Säule der Behandlung, der Komplikationsvermeidung bzw. des Komplikationsmanagements geworden.
Keypoints
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Die moderne Tumorbehandlung hat neben dem Primärziel, das Überleben zu sichern und Progression zu verhindern, weitere anspruchsvolle Ziele.
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Die moderne plastisch-rekonstruktive Tumorchirurgie ist mit ihren vielseitigen Methoden ein potenter und zentraler Partner im interdisziplinären und multimodalen Therapiekonzept maligner Erkrankungen.
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Die Komplikations- und Morbiditätsrate komplexer mikrochirurgischer Verfahren ist aufgrund der mittlerweile routinemäßigen Anwendung in den Fachzentren gering und die Akzeptanz groß, wodurch therapeutische Grenzen verschoben werden konnten.
Die rekonstruktive Chirurgie hat als Gegenstand die Wiederherstellung von Form und Funktion nach Unfällen, Infektionen, bei angeborenen Fehlbildungen und im Rahmen der Behandlung von Tumoren.
Ziel einer kurativen Therapie maligner Tumoren ist es primär, unter Vermeidung von Lokalrezidiven bzw. Fernmetastasen das Überleben zu sichern. Darüber hinaus werden im Rahmen eines modernen Therapieansatzes drei weitere anspruchsvolle sekundäre Ziele verfolgt:
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Die weitestgehend mögliche Funktionserhaltung oder Rekonstruktion der Funktion ohne Kompromisse bei der onkologischen Sicherheit und der Resektionsradikalität. Voraussetzung hierfür ist u.a. eine geringe Komplikationsrate rekonstruktiver Verfahren. Dadurch kann im Kontext einer interdisziplinären, multimodalen und leitliniengerechten Therapie eine Verzögerung adjuvanter Maßnahmen vermieden werden.
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Eine zeitnahe Rekonvaleszenz und Rehabilitation begünstigt die zeitliche Abfolge der Therapiemodalitäten. Sie ermöglicht auch eine rasche soziale Wiedereingliederung der Patienten.
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Ein ästhetisches Ergebnis einer Rekonstruktion unterstützt ebenfalls letztgenanntes Ziel.
Nicht zuletzt die zunehmende Wertigkeit von „patient-reported outcome measures“ (PROM), welche u.a. relevante subjektive Ergebnisbewertungen zum Gegenstand haben, spiegeln die Relevanz der o.g. Ziele einer modernen onkologischen Therapie wider.
Beitrag zur modernen Tumorchirurgie
Die rekonstruktive Chirurgie hat in den letzten Jahrzehnten eine enorme Entwicklung erfahren. Im Vordergrund stehen technische Innovationen. Die Entwicklung sowohl von leistungsfähiger Mikroskope als auch von entsprechend feinen Instrumente eröffnete das Feld der Mikrochirurgie.
Wachsende Kenntnisse auf dem Gebiet der Anatomie und Physiologie der Mikrozirkulation (z.B. das Angiosomen-Konzept nach Ian Taylor)1 haben zu einer enormen Diversität der rekonstruktiven Möglichkeiten geführt. Ein Beispiel wäre hier die Eigengewebsrekonstruktion mittels Lappenplastiken. Hierdurch können auch Gewebe mit komplex zusammengesetzten Defekten, welche z.B. aus einer radikalen Tumorresektion resultieren, optimal rekonstruiert werden. Exemplarisch seien die Extremitäten-erhaltenden Behandlungen von Weichteilsarkomen oder die Brustrekonstruktion nach einer Mastektomie erwähnt.
Aufgrund der bestehenden Erfahrung in der routinemäßigen Anwendung komplexer mikrochirurgischer Verfahren findet die rekonstruktive Stufenleiter nunmehr Anwendung in Form eines rekonstruktiven Uhrwerks. Dieses Vorgehen hat zu einer enormen Reduktion der Komplikations- und Morbiditätsrate dieser Verfahren auf niedrige einstellige Prozentwerte an entsprechenden Zentren geführt und damit ihre interdisziplinäre, aber auch patientenbezogene Akzeptanz ermöglicht.
Durch die erweiterten rekonstruktiven Möglichkeiten werden kooperierende onkologisch-chirurgisch tätige Disziplinen in die Lage versetzt, die Grenzen des operativ behandelbaren onkologischen Spektrums zu erweitern. Darüber hinaus leistet die rekonstruktive Chirurgie einen suffizienten Beitrag im Komplikationsmanagement nach chirurgischer, radiotherapeutischer oder medikamentöser Intervention im Rahmen onkologischer Behandlungen, wobei diese Indikationen aufgrund der mittlerweile modernen und komplikationsarmen Verfahren eher seltener vorkommen.
Zu diesen zählen Wundheilungsstörungen, komplizierte Wunden nach intensiver Radiotherapie oder im Rahmen von Paravasaten zytotoxischer Substanzen. Exemplarisch wird im Weiteren auf relevante Tätigkeitsfelder der plastisch-rekonstruktiven Tumorchirurgie eingegangen.
Brustrekonstruktion
Brustkrebs ist die häufigste maligne Erkrankung der Frau. Die 5-Jahres-Überlebensrate zeigt eine steigende Tendenz, das mittlere Erkrankungsalter nimmt tendenziell ab. Jede zehnte Betroffene ist jünger als 45 Jahre.2 Die zukünftige Brustkrebspatientin wird jünger sein und mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Kuration oder eine lange stabile Krankheitssituation erfahren. Die Erwartungen im Sinne einer hochwertigen Wiederherstellung der präoperativen somatischen und psychischen Situation werden entsprechend steigen.3
Abb. 1: Eigengewebsrekonstruktion der linken Brust nach hautsparender Mastektomie und NAC-Rekonstruktion links zweizeitig mit angleichender Bruststraffung rechts. A: präoperativ. B: erster Schritt der Rekonstruktion links. C: angleichende Straffung und NAC-Rekonstruktion links
Die Evolution der resektiven brustchirurgischen Verfahren (brusterhaltende Therapie [BET], Mastektomie, hautsparend oder Haut- und Nippel-/Areolen-erhaltend) haben einen erheblichen Wandel durchlaufen. Sie tragen heutzutage z.B. durch den Erhalt des Brusthautmantels und des Nippel-Areolen-Komplexes wesentlich zu einer optimierten Rekonstruktion bei.
Die Anwendung onkoplastischer Verfahren hat eine erhebliche Indikationsausweitung und Reduktion der Komplikationsrate ermöglicht und auch zur Steigerung der onkologischen Sicherheit einer BET beigetragen.4 Die Rekonstruktion nach Mastektomie kann implantatbasiert (alloplastisch), autolog (Eigengewebe) oder kombiniert erfolgen. Freie autologe Verfahren setzen mikrochirurgische Expertise voraus.
Chirurgie von Weichteilsarkomen
Der Begriff „Weichteilsarkome“ bezeichnet eine heterogene Gruppe maligner Tumoren mesenchymalen Ursprungs (1% der malignen Erkrankungen des Erwachsenen). Zentrales Element einer leitliniengerechten Therapie ist die vollständige chirurgische Tumorresektion mit adäquatem Sicherheitsabstand, eingebettet in ein interdisziplinäres multimodales Therapiekonzept.
War die Amputation für mehrere Dekaden das Standardvorgehen, so ist heutzutage die extremitätenerhaltende Therapie in mehr als 90% der Fälle möglich.5 Wachsende Kenntnisse über die Biologie von Sarkomen (Grenzschichten-Konzept) haben einen entscheidenden Beitrag geleistet. Studien konnten in der Vergangenheit belegen, dass eine extremitätenerhaltende Resektion gemeinsam mit einer Strahlentherapie in Bezug auf die onkologische Sicherheit einer Amputation gleichwertig ist.6
Abb. 2: A: Synovialsarkom des Fußrückens (pT1a, N0, M0, G2) nach inkompletter Exzision B: Fußrücken nach weiterer Nachexzision und Sehnenrekonstruktion C: präparierter fasziokutaner Oberschenkelhautlappen vor freier mikrochirurgischer Transplantation. D: endgültiges Rekonstruktionsergebnis
Der Erhalt einer funktionell möglichst uneingeschränkten Extremität unter Beachtung zuvor genannter Therapieziele steht im Vordergrund. Hierbei ist die Wahrscheinlichkeit für die Notwendigkeit mikrochirurgischer Rekonstruktionsverfahren, wie einer freien Lappenplastik, an der distalen Hälfte der Extremitäten ebenso wie an der oberen Extremität am höchsten.7
Freie Gewebetransplantate können große Volumina an gut perfundiertem Gewebe liefern und damit Toträume vermeiden. Andererseits sind sie aufgrund ihrer Vaskularität widerstandsfähig, z.B. im Kontext einer geplanten Strahlentherapie. Das potente disziplinübergreifende Armamentarium der rekonstruktiven Verfahren bietet vielseitige Möglichkeiten, um die Ziele einer sinnvollen Extremitätenrekonstruktion zu erreichen. Auch bei einer unvermeidlichen Amputation lässt sich durch rekonstruktive Verfahren eine Optimierung des Amputationsstumpfes („Spare-Part-Surgery“) erreichen.8,9
Lymphchirurgie
Die Möglichkeiten der Lymphchirurgie ergänzen das Portfolio der plastisch-rekonstruktiven Tumorchirurgie. Exemplarisch liegt die kumulative 5-Jahres-Inzidenzrate für ein brustkrebsassoziiertes Lymphödem (BCRL) je nach Behandlungsmodalität bei bis zu 30,1%.10
Die Mikrochirurgie ermöglicht im Rahmen einer Eigengewebsrekonstruktion nach Mastektomie die zeitgleiche Transplantation von Lymphknoten. Supramikrochirurgische Verfahren können Lymphbahnen an benachbarte Venolen anastomosieren und damit einen blockierten lymphatischen Abfluss wiederherstellen. Alternativ besteht die Möglichkeit der Transplantation von Lymphknoten.
Weitere häufige Anwendungsgebiete
Fortgeschrittene Zungen- bzw. Pharynxkarzinome, perineale Defekte (Enddarmmalignome bzw. gynäkologische Malignome) als auch ausgedehnte, teils knocheninfiltrierende Hauttumoren (z.B. der haartragenden Kopfhaut) stellen eine therapeutische Herausforderung dar.
Im Falle einer notwendigen Resektion kann durch Gewebetransplantate eine nachhaltige Rekonstruktion des Zustandes vor Entstehen des Defektes erreicht werden. Hierbei wurde vielfach nachgewiesen, dass auch bei Patienten höheren Alters mit entsprechender Begleitmorbidität das perioperative Risiko gesenkt werden kann. Das ist möglich aufgrund der mittlerweile sehr leistungsfähigen anästhesiologischen Verfahren und der optimalen perioperativen Steuerung, aber auch der routinemäßigen Anwendung rekonstruktiver Verfahren.
Zusammenfassung
Die plastisch-rekonstruktive Tumorchirurgie ist ein zentrales Element im Kanon der modernen interdisziplinären Tumortherapie. Sie erweitert die Möglichkeiten anderer resezierender chirurgischer Disziplinen und trägt wesentlich sowohl zur Komplikationsvermeidung als auch zum Komplikationsmanagement bei. Sie kann somit nachhaltige Lösungen auch für komplizierte Behandlungsanforderungen bieten.
Literatur:
1 Taylor GI et al.: The functional angiosome: clinical implications of the anatomical concept. Plast Reconstr Surg 2017; 140(4): 721-33 2 Krebsprognose AS. Online unter https://www.statistik.at/web_de/statistiken/menschen_und_gesellschaft/gesundheit/krebserkrankungen/prognose_der_krebspraevalenz/index.html . Abgerufen am 20.11.2021 3 Wilkins EG et al.: Prospective analysis of psychosocial outcomes in breast reconstruction: one-year postoperative results from the Michigan Breast Reconstruction Outcome Study. Plast Reconstr Surg 2000; 106(5): 1014-25 4 De La Cruz L et al.: Outcomes after oncoplastic breast-conserving surgery in breast cancer patients: asystematic literature review. Ann Surg Oncol 2016; 23(10): 3247-58 5 Parikh RP, Sacks JM: Lower extremity reconstruction after soft tissue sarcoma resection. Clin Plast Surg 2001; 48(2): 307-19 6 Rosenberg SA et al.: The treatment of soft-tissue sarcomas of the extremities: prospective randomized evaluations of (1) limb-sparing surgery plus radiation therapy compared with amputation and (2) the role of adjuvant chemotherapy. Ann Surg 1982; 196(3): 305-15 7 Hussain ON et al.: Complex microsurgical reconstruction after tumor resection in the trunk and extremities. Clin Plast Surg 2020; 47(4): 547-59 8 Koulaxouzidis G et al.: Shoulder silhouette and axilla reconstruction with free composite elbow tissue transfer following interscapulothoracic amputation. J Plast Reconstr Aesthet Surg 2014; 67(1): 81-6 9 Koulaxouzidis G et al.: Soft tissue sarcomas of the arm - oncosurgical and reconstructive principles within a multimodal, interdisciplinary setting. Front Surg 2016; 3:12 10 Duma MN: Lymphedema risk in breast cancer patients: surgery versus radiation oncology. Strahlenther Onkol 2021; 197(6): 562-4
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