Organerhalt im Fokus
Bericht:
Dr. Corina Ringsell
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Beim Cancer Update zum Rektumkarzinom ging es um die spannende Frage, ob die chirurgische Entfernung des Tumors stets die Therapie der Wahl ist oder ob es andere Optionen gibt und ein Organerhalt möglich ist. Durch den Abend führte Univ.-Prof. Dr. Michael Bergmann, Universitätsklinik für Allgemeinchirurgie, MedUni Wien/AKH Wien.
Das Kolorektalkarzinom ist das dritthäufigste Karzinom und die zweithäufigste Krebstodesursache weltweit.1 In Österreich erkranken pro Jahr etwa 4500 Menschen daran; die Sterberate liegt bei 30 bis 40%.2 In vielen Fällen ist die totale mesorektale Exzision (TME) die Therapie der Wahl, doch neue neoadjuvante Strategien könnten die Zahl der Operationen senken.3
Weniger Chirurgie mit totaler neoadjuvanter Therapie
Ass. Prof. Dr. Irene Kührer, Universitätsklinik für Allgemeinchirurgie, Klinische Abteilung für Viszeralchirurgie, MedUni Wien/AKH Wien, erläuterte, dass mit einer totalen neoadjuvanten Therapie (TNT) Rektumkarzinome nicht in jedem Fall operiert werden müssen und in bestimmten Fällen ein Organerhalt möglich ist. Die Voraussetzung dafür sei eine exakte Diagnostik, betonte die internistische Onkologin. So seien eine Magnetresonanztomografie (MRT) und eine Rektoskopie unerlässlich, um die Höhe und Ausdehnung des Tumors zu erkennen. Anschließend müsse im Tumorboard die optimale Therapieabfolge besprochen werden.3 Die Entscheidung, welche Therapie gewählt wird, hängt vom Tumorstadium und vom Therapieziel (Organerhalt) ab.
Neoadjuvante Konzepte beim Rektumkarzinom
Kührer stellte mehrere Studien zu TNT-Konzepten vor, die in bestimmten Fällen einen Vorteil gegenüber der Standard-Chemoradiatio zeigen konnten. So hatte die PRODIGE-23-Studie den Therapiestandard (Chemoradiatio, gefolgt von TME und adjuvanter Chemotherapie) mit einem neoadjuvanten FOLFOXIRI-Regime plus Chemoradiatio, gefolgt von einer TME und adjuvanter Chemotherapie verglichen. Zu den Endpunkten gehörten unter anderem krankheitsfreies Überleben (DFS), metastasenfreies Überleben (MFS) und Gesamtüberleben (OS) sowie die Toxizität. Im Vergleich zur Standardtherapie verlängerte die intensivierte neoadjuvante Therapie die Überlebensparameter signifikant – bei gleichzeitig geringerer Neurotoxizität.4,5
V.l.n.r.: PD Dr. Christopher Dawoud, Assoc. Prof. PD Dr. Martina Scharitzer, Univ.-Prof. Dr. Michael Bergmann, Helga Thurnher, Ass. Prof. Dr. Irene Kührer, Dr. Johannes Knoth
Ein Therapieziel der RAPIDO-Studie war das Verhindern von Fernmetastasen, die in 20–25% der Fälle auftreten. Verglichen wurde eine neoadjuvante Standard-Langzeitradiatio mit einer neoadjuvanten Kurzzeitbestrahlung (5x5Gy über max. 8 Tage) und anschließender Chemotherapie über 18 Wochen. Primärer Endpunkt war das Therapieversagen (DrTF), definiert unter anderem durch das Auftreten von lokoregionären oder Fernmetastasen.6 Inzwischen liegen die 5-Jahres-Daten vor und zeigen einen Vorteil der kürzeren Bestrahlung: Die Wahrscheinlichkeit für ein DrTF betrug unter TNT 27,8% (vs. 34%; p=0,048), die Wahrscheinlichkeit für Fernmetastasen 23% (vs. 30,4%; p=0,011).7
Organerhalt angestrebt
Der Organerhalt beim Rektumkarzinom hat große Bedeutung für die Lebensqualität der Betroffenen, wie die Referentin betonte. Bei der OPRA-Studie war der Organerhalt nach TNT das primäre Therapieziel. Eingeschlossen waren Patient:innen mit Rektumkarzinom Stadium II/III. Sie erhielten entweder zuerst eine Chemotherapie, gefolgt von einer Chemoradiatio (INCT-CRT), oder zuerst die Chemoradiatio und dann die Chemotherapie (CRT-CNCT). Patient:innen, die eine Komplettremission (CR) oder fast komplette Remission (nCR) erreichten, wurde eine engmaschige Nachsorge („watch and wait“) angeboten. Eine TME wurde Patient:innen mit unvollständiger klinischer Remission empfohlen. Primärer Endpunkt war das DFS, sekundärer Endpunkt das TME-freie Überleben.8
Die 5-Jahres-DFS-Raten betrugen 71% für INCT-CRT und 69% für CRT-CNCT (p=0,68). Das TME-freie Überleben lag bei 39% in der INCT-CRT-Gruppe und 54% in der CRT-CNCT-Gruppe (p=0,012). Bei 81 Patient:innen kam es zum erneuten Tumorwachstum („local regrowth“); dies trat bei 94% innerhalb der ersten zwei Jahre nach der Therapie auf. Es gab jedoch keinen Unterschied hinsichtlich des DFS bei Patient:innen, die sich sofort einer TME unterzogen hatten, und jenen mit einer TME nach Regrowth. Insgesamt war der Organerhalt bei mehr als 50% der Patient:innen möglich.8
Eine gepoolte Analyse von Daten aus den Studien OPRA und CAO/ARO/AIO-12 verglich das Überleben von Patient:innen mit lokal fortgeschrittenem Rektumkarzinom mit/ohne TME nach TNT. Während bei OPRA unter bestimmten Voraussetzungen „watch and wait“ erlaubt war, wurden in der anderen Studie alle Teilnehmenden nach TNT unabhängig vom Remissionsstatus operiert. Bei Patient:innen, die unter der TNT eine CR oder nCR erreicht hatten, gab es hinsichtlich DFS, OS und Regrowth keine Unterschiede zwischen der Gruppe mit und jener ohne TME.9 Die präoperative TNT, wie sie in der OPRA-Studie untersucht wurde, ist mit einer erhöhten Neurotoxizität assoziiert. Zudem zeigen aktuelle Daten, dass das tiefe anteriore Resektionssyndrom (LARS), welches üblicherweise postoperativ auftritt, in der TNT-Gruppe signifikant häufiger beobachtet wird.
Offene Fragen
Trotz der vielversprechenden Studienergebnisse blieben Fragen offen, sagte Kührer. So könne es in manchen Fällen zu einer Übertherapie kommen, zum Beispiel wenn Patient:innen, die nie Fernmetastasen entwickelt hätten, dennoch die volle Systemtherapie erhielten oder wenn bei einem lokalisierten, biologisch weniger aggressiven Tumor Oxaliplatin-haltige Schemata eingesetzt würden, die mit langfristigen Nebenwirkungen wie Neuropathien einhergehen können. Die Zusatztoxizität der vollständigen systemischen Chemotherapie betreffe auch Patient:innen, die eventuell bereits durch die Operation oder eine alleinige Chemoradiatio kurativ behandelt worden seien. Daher brauche es weitere Studien zu prognostischen Markern, um die geeigneten Patient:innen für eine TNT zu ermitteln und Übertherapie zu vermeiden, so Kührer.
Weitere Aspekte aus Chirurgie, Strahlentherapie und Bildgebung
Als weiterer Referent berichtete PD Dr. Christopher Dawoud, Universitätsklinik für Allgemeinchirurgie, Klinische Abteilung für Viszeralchirurgie, Wien, über moderne chirurgische Techniken zur intra- und postoperativen Versorgung. Mit der Kontakttherapie stellte Dr. Johannes Knoth, Universitätsklinik für Strahlentherapie, Wien, ein neues strahlentherapeutisches Konzept vor. Und zur Fragestellung, wie die Bildgebung über die Wahl der Therapie entscheidet, sprach Assoc. Prof. PD Dr. Martina Scharitzer, Universitätsklinik für Radiologie und Nuklearmedizin, Wien.
Sehr eindringlich war auch der Vortrag von Helga Thurnher, Präsidentin der Selbsthilfe Darmkrebs. Unter dem Titel „Darmkrebs – warum?“ gab sie einen persönlichen Einblick in das Thema und rief dazu auf, die Darmkrebs-Früherkennungsuntersuchungen wahrzunehmen.
Literatur:
1 Sung H et al.: CA Cancer J Clin 2021; 71: 209-49 2 Statistik Austria: Krebserkrankungen in Österreich 2025 3Hofheinz RD et al.: Ann Oncol 2025; 36(9): 1007-24 4 Conroy T et al.: Lancet Oncol 2021; 22(5): 702-15 5 Conroy T et al.: JClin Oncol 2023; 41(Suppl 17): Abstr. # LBA3504 6 Bahadoer RR et al.: Lancet Oncol 2021; 22(1): 29-42 7 Dijkstra EA et al.: Ann Surg 2023; 278(4): e766-72 8 Verheij FS et al.: J Clin Oncol 2024; 42: 500-6 9 Williams H et al.: Ann Oncol 2025; 36(5): 543-7
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