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Das pflegetherapeutische Gespräch

Nicht bloß eine Luxusleistung

Das pflegetherapeutische Gespräch ist ein wesentlicher Bestandteil einer multimodalen Schmerztherapie. Ein zielgerichtetes und konzeptgeleitetes Gespräch nach klaren Vorgaben kann die Schmerzsituation von Patient*innen verbessern.

Um zu verstehen, dass das pflegetherapeutische Gespräch nicht bloß eine Luxusleistung ist, auf die verzichtet werden kann, sobald es an Zeit und/oder Personal fehlt, muss den Pflegepersonen zum einen bewusst werden, was Schmerz ist, und zum anderen müssen sie sich über die Bedeutung ihrer Rolle als therapeutische Berufsgruppe im Klaren sein.

Was ist Schmerz?

Die Internationale Gesellschaft zum Studium des Schmerzes (IASP) hat 1979/1986 Schmerz wie folgt definiert: „Schmerz ist ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, das mit tatsächlicher oder potentieller Schädigung verknüpft ist oder mit Begriffen einer solchen Schädigung beschrieben wird.“ 2020 wurde eine neue Definition formuliert: „Schmerz ist eine unangenehme sensorische und emotionale Erfahrung, die mit tatsächlichem oder drohendem Gewebsschaden verbunden ist, oder dieser ähnelt.“1

In beiden Definitionen wird Schmerz als ein „Erlebnis“ beziehungsweise als eine „Erfahrung“ bezeichnet. Der zweite Teil der Definition, in dem ein drohender oder tatsächlicher Gewebeschaden definiert wird, ist Gegenstand von Kritik. Denn dadurch könnte es zu einer Fokussierung auf eine körperliche Empfindung kommen. Erst im Begleitvermerk der IASP werde klar, dass Schmerz ein biopsychosoziales Geschehen ist, und Nozizeption wird von Schmerz deutlicher unterschieden.

Wall und McMahon haben 1986 den Unterschied zwischen Nozizeption und Schmerz formuliert: „The word ‚nociceptor‘ is a purely physiological term meaning a nerve fibre that responds to stimuli that damage tissue or would damage tissue if they were prolonged. The word pain is a purely psychological term defined as ‚an unpleasant sensory and emotional experience associated with actual or potential tissue damage or described in terms of such damage‘.“2

Bereits 1911 findet sich folgende Ausführung: „Dieser kahle und traditionelle Kontrast zwischen Schmerzen ‚psychischen‘ Ursprungs und solchen, deren Ursache ‚organisch‘ ist, ist ein Relikt einer weniger informierten Zeit und sollte aufgegeben werden.“3 Nilges schreibt 2021 in seinem Artikel kurz und prägnant: „Nozizeption ist kein Schmerz.“4

Trotz dieser vielen – bis weit in das letzte Jahrhundert reichenden – Erkenntnisse wird auch heute noch vielfach gesagt: „Der Schmerz der Patientin/des Patienten ist ja psychosomatisch.“

In der Abbildung 1 werden die vielen Faktoren, die Schmerz beeinflussen, dargestellt. Nur die Nozizeption kann medikamentös behandelt werden. Deshalb ist die medikamentöse Schmerztherapie nur ein kleiner Teil einer multimodalen Schmerztherapie.5 Multimodal bedeutet, dass viele verschiedene therapeutische Maßnahmen aller therapeutischen Berufsgruppen gleichzeitig (simultan) durchgeführt werden. Die pflegetherapeutischen Maßnahmen sind hierbei ein wesentlicher Bestandteil (Abb. 2).6, 7

Abb. 1: Dimensionen des Schmerzes. Modifiziert nach Geyrhofer S5 (S. 40)

Abb. 2: Pfeiler einer multimodalen Schmerztherapie. Modifiziert nach GeSGuK7

„Was machen Sie, wenn Patient*innen Schmerzen angeben?“

Wird den Diplomierten Gesundheits- und Krankenpfleger*innen (DGKP) die Frage gestellt, wie sie vorgehen, wenn ihnen Patient*innen sagen, dass sie Schmerzen haben, so wird oft spontan geantwortet: „Ich frage die Ärzteschaft, ob und was die Patientin/der Patient haben darf.“ Dies entspricht nicht der eigentlich korrekten Vorgehensweise. Genau genommen ist die Konsultation der Ärzteschaft erst der vierte Schritt im pflegerischen Handeln.

Die ersten drei Schritte bestehen aus dem Pflegeassessment, der körperlichen Untersuchung und dem Anbieten von pflegetherapeutischen Maßnahmen.

Schritt 1: Pflegeassessment

In einem Screening wird nach der Schmerzintensität, Schmerzqualität und Lokalisation gefragt. Dadurch wird auch bereits zwischen akuter und chronischer Schmerzsituation unterschieden.

<< Angst kann Schmerzsituationen verstärken.>>
Zitatquelle mit Foto
Schritt 2: körperliche Untersuchung

In der pflegerischen klinischen Untersuchung wird die körperliche Funktionalität überprüft, dies geschieht mit Fragen wie „Können Sie aus dem Bett aufstehen, können Sie sich umdrehen, haben Sie Schmerzen in Ruhe oder bei Bewegung?“. Es wird die Beweglichkeit überprüft, eine potenzielle Schonhaltung beobachtet und Gangunsicherheit ausgeschlossen oder diagnostiziert.

Schritt 3: Anbieten von pflegerischen Maßnahmen

Erste Sofortmaßnahmen zur Schmerzlinderung werden eingeleitet. Die wichtigsten pflegetherapeutischen Maßnahmen dabei sind die Positionierungen, Kälte-/Wärmeanwendungen, Aromapflege, Wickel und Kompressen, Einreibungen und Streichungen sowie die zielgerichtete und konzeptgeleitete Gesprächsführung. Werden Patient*innen als gleichberechtigte Partner*innen gesehen, dann können sie auch gefragt werden, was sie sich in ihrer Schmerzsituation wünschen, welche Behandlungen sie gerne hätten.

Zur Förderung der Selbstmanagementkompetenzen wird ein beratendes Gespräch über die Möglichkeiten der nicht medikamentösen Maßnahmen durchgeführt. Je nach Art des Schmerzes und der Situation können ein pflegetherapeutisches Gespräch und die Anwendung der pflegetherapeutischen Maßnahmen bereits zu einer Schmerzlinderung führen, dies sollte sich auch in der Pflegedokumentation wiederfinden: „Die pflegetherapeutischen Maßnahmen haben den Schmerz gelindert.“ Und: „Das pflegetherapeutische Gespräch führte zu einer Verringerung des Schmerzwertes.“ Das ist umso wichtiger, als es aufzeigt, dass Schmerz nicht ein rein körperliches Geschehen ist und die DGKP eine therapeutische Berufsgruppe sind.

Fallbeispiel: „Muss ich jetzt nicht sterben?“

Herr L., 74 Jahre alt, informiert seine Tochter telefonisch, dass er im Spital sei und „einen Tumor“ habe. Die Tochter ist DGKP und fragt ihren Vater, welchen Tumor er denn habe. Herr L. sagt: „Das weiß ich nicht“. Herr L. zeigt der Tochter einen Untersuchungsbefund mit der Diagnose „Lymphom, DD: Lungen-Karzinom“. Da sowohl die Diagnose als auch die Prognose dieser beiden malignen Erkrankungen sich deutlich unterscheiden, verlangt die Tochter ein Arztgespräch.

Der Arzt teilt der Tochter im Beisein ihres Vaters mit, dass ihr Vater ein kurativ behandelbares Lymphom hat. Die Tochter wiederholt gegenüber ihrem Vater die Diagnose: „Du hast ein Lymphom.“ Herr L. beginnt daraufhin zu weinen und fragt: „Muss ich jetzt nicht sterben?“ Im weiteren Gespräch zwischen Tochter und Vater wird klar, dass Herr L. bei der Diagnose „Tumor“ sofort der Meinung war, er sei sterbenskrank und werde nicht mehr lange leben. Weder das Pflege- noch das ärztliche Team haben sich bei Herrn L. vergewissert, ob er denn die Diagnose verstanden habe und wie es ihm emotional gehe.

Die Tochter bittet Pflegekolleg*innen, mit Herrn L. ein Beratungsgespräch zu führen. Herr L. erhält eine Beratung und eine Informationsmappe zu seiner Erkrankung. Dies ist offenbar für Herrn L. emotional sehr entlastend, denn auch ein halbes Jahr nach der Beratung sagt er seiner Tochter bei jedem Wiedersehen: „Dein Kollege war bei mir!“

Dieses Fallbeispiel zeigt sehr gut auf, wie wichtig pflegerische Beratung gerade in emotionalen Situationen – wie sie onkologische Patient*innen immer wieder erleben – ist und dass auf diese keineswegs aufgrund von Zeit- und/oder Personalmangel verzichtet werden kann. Angst kann Schmerzsituationen verstärken und deshalb sollte Angst mit therapeutischen Gesprächen immer mitbehandelt werden.

Ein therapeutisches Gespräch aus Zeit-/Personal- und/oder Strukturmangel einfach nicht durchzuführen, zeigt, wie wenig bekannt ist, dass Schmerz nicht ausschließlich medikamentös behandelt werden kann. Das Gespräch ist für adäquates Schmerzmanagement sehr wichtig, wird jedoch selten so wahrgenommen. Erst wenn das Gespräch als Therapie gesehen wird, wird es eine hohen Stellenwert einnehmen.

1 Heitkamp H: Fragliche Revision der IASP-Schmerz-Definition. Der Schmerzpatient 2021; 4: 5-6 2 McMahon SB, Wall PD: The relationship of perceived pain to afferent nerve impulses. Trends Neurosci 1986; 9: 254-5 3 Prince M: The Journal of Abnormal Psychology. London: Forgottenbooks, 1911-1912 4 Nilges P: „Koryphäen“ und „Koryphäenkiller“: Diagnosen als Selbstschutz bei professioneller Verunsicherung. Dtsch Zahnärztl Z 2021; 76: 32-9 5 Geyrhofer S: Pflegetherapie im Schmerzmanagement.Wien: Facultas Verlag, 2022 6 Geyrhofer S: Multimodale Schmerztherapie – ohne Pflege geht das nicht. Schmerznachrichten 2021; 1: 58-9 7 Gesellschaft für Schmerzmanagement der Gesundheits- und Krankenpflege (GeSGuK): Positionspapier Pain Nurse. 2022

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