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Nicht chirurgische kurative Therapieoptionen beim Rektumkarzinom
Jatros
Autor:
OA Dr. Rainer Schmid
Univ.-Klinik für Strahlentherapie<br/> Medizinische Universität Wien<br/> E-Mail: r.schmid@meduniwien.ac.at<br/> Quelle: 9. Internationaler Kongress der EFR (European Federation for coloRectal Cancer), 9.–11. April 2015, Wien
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24.09.2015
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<p class="article-intro">Das zentrale Element der kurativen Therapie des Rektumkarzinoms ist die radikale Resektion mittels totaler mesorektaler Exzision. Wenn die chirurgische Standardtherapie aufgrund von fortgeschrittenem Patientenalter, schwerwiegenden Komorbiditäten oder mit Rücksicht auf den Patientenwunsch nach einem Organerhalt nicht durchgeführt werden kann, stellt sich die Frage nach alternativen Therapieoptionen. </p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Mit der Einführung des Konzepts der präoperativen Radiochemotherapie in die Behandlung des nicht metastasierten Rektumkarzinoms konnte ein Anteil von 10–20 % der Patienten mit pathologisch kompletter Remission erzielt werden. In Studien wurde evaluiert, ob bei Patienten mit einer kompletten Response auf eine nachfolgende Resektion gefahrlos verzichtet werden kann.</p> <div id="rot"> <p>"Wenn auch noch keine Langzeitergebnisse zur französischen Studie GRECCAR 2 vorliegen, kann als frühe Konklusion festgehalten werden, dass bei guten Respondern nach einer lokalen Tumorexzision (LE) kein Risiko für zurückbleibende positive Lymphknoten besteht. Zeigte sich in der ­Gruppe mit LE auch pathologisch ein gutes Ansprechen (ypT01, R0), folgte eine ­Observanz ohne weitere Therapie." - R. Schmid, Wien</p> </div> <h2>„Watch and wait“</h2> <p>Eine Studie von Habr-Gama aus dem Jahr 2006<sup>1</sup> beobachtete bei 99 Patienten mit einer anhaltenden klinisch kompletten Remission 12 Monate nach Beendigung der Standard-Radiochemotherapie einen sehr guten Verlauf mit lediglich 5 % Lokalrezidiven und einem 5-Jahres-Gesamtüberleben (OS) von 93 % nach einer mittleren Beobachtungszeit von 59 Monaten. In den Niederlanden wurde in einer prospektiven Kohortenstudie<sup>2</sup> die „Watch and Wait“-Strategie in einem Kollektiv von lokal weit fortgeschrittenen Rektumkarzinomen (T3 mit involvierter mesorektaler Faszie, T4/N2 oder Lymphknoten(LK)-positive, tief sitzende Karzinome) untersucht. In dieser Gruppe mit ungünstiger Prognose fanden sich 6–8 Wochen nach Radiochemotherapie 11 % mit klinisch kompletter Response, die ohne Rektumresektion weiter beobachtet wurden. Die komplette Remission wurde mittels MRT, Palpation, Endoskopie und Biopsie verifiziert. Nach einem mittleren Follow-up (FU) von 25 Monaten zeigten sich ein krankheitsfreies 2-Jahres-Überleben (DFS) von 89 % und ein 2-Jahres-OS von 100 % . In einem Vergleichskollektiv mit pathologisch kompletter Remission nach Radiochemotherapie und totaler mesorektaler Exzision (TME) fand sich kein signifikanter Unterschied im 2-Jahres-DFS und 2-Jahres-OS.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2015_Jatros_Onko_1504_Weblinks_Seite183.jpg" alt="" width="627" height="542" /></p> <h2>Radiochemotherapie und lokale ­Tumorexzision (Vollwandexzision)</h2> <p>In der US-amerikanischen Studie ACOSOG Z6041 wurden Rektumkarzinome bis zu einer Höhe von 8cm und einem Ultraschallstadium T2N0 zunächst mit einer Radiochemotherapie, gefolgt von einer lokalen Tumorexzision (LE), behandelt. Bei Nachweis einer guten pathologischen Remission (ypT0–pT2, R0) erfolgte eine Observanz ohne weitere Therapie, bei Non-Respondern (ypT3, R1) wurde eine TME angeschlossen. Nach einem mittleren FU von 4,2 Jahren bei 72 Patienten hatten nach alleiniger LE nur 3 % ein Lokalrezidiv und 7 % Fernmetastasen entwickelt. Das 3-Jahres-DFS betrug 87 % (Garcia-Aguilar et al 2014). In den 3 prospektiven Observationsstudien CONTEM (CONtact and Transanal Endoscopic Microsurgery) 1–3 wurden bisher im Vereinigten Königreich (UK) und in Frankreich 400 Patienten rekrutiert. Resultate sind noch ausständig. CONTEM 1 untersucht bei Rektumkarzinompatienten im Stadium T1 die lokale Exzision, gefolgt von einer 50kV-Röntgen-Kontakttherapie, CONTEM 2 bei größeren T1/T2-Tumoren mit einem Durchmesser von 3–5cm die 50kV-Röntgen-Kontakttherapie, gefolgt von einer Standard-Radio­chemotherapie +/– einer anschließenden lokalen Exzision. CONTEM 3 inkludiert Patienten mit Rektumkarzinom in den Stadien T1/T2/T3a, die aufgrund von Faktoren wie Alter, Komorbiditäten oder Ablehnung eines Stomas für eine Tumorresektion nicht geeignet sind, und behandelt mit einer Standard-Radiochemotherapie, gefolgt von einer 50kV-Röntgen-Kontakttherapie. Die Ein- und Ausschlusskriterien für eine Röntgen-Kontakttherapie sind in Tab. 1 aufgelistet.<br /> In der französischen multizentrischen Phase-III-Studie GRECCAR 2 wurden Rektumkarzinome in den Stadien T2/T3 bis zu einer Höhe von 8cm und einer Größe bis 4cm untersucht. Bei ­gutem Ansprechen auf Standard-Radiochemotherapie (Resttumor <2cm) erfolgte eine Randomisierung zu einer LE oder einer TME. Zeigte sich in der Gruppe mit LE auch pathologisch ein gutes Ansprechen (ypT0–1, R0), folgte eine Observanz ohne weitere Therapie, bei mäßigem Ansprechen (ypT2–3) oder einer R1-Resektion wurde eine TME angeschlossen. Als frühes Ergebnis fanden sich hohe Raten mit gutem Ansprechen (61 % ypT0–1), sodass bei 65 % ein Organerhalt erzielt werden konnte. Darüber hinaus lag die Rate an positiven LK bei guten Respondern bei 0 % , während sie bei schlechten Respondern auf 15 % stieg. Langzeitergebnisse sind noch nicht verfügbar, als frühe Konklusion wird festgehalten, dass bei guten Respondern kein Risiko für zurückbleibende positive LK besteht.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2015_Jatros_Onko_1504_Weblinks_Seite182.jpg" alt="" width="898" height="417" /></p> <h2>Erhöhte tumorwirksame Strahlentherapiedosis durch Röntgen-Kontakttherapie</h2> <p>Während bei der präoperativen Standard-Radiochemotherapie des Rektumkarzinoms eine Dosis von 45–50Gy am Tumor appliziert wird, werden in kurativen Behandlungskonzepten anderer Tumorarten weit höhere Dosen eingesetzt (Analkarzinom: 60Gy, HNO-Tumoren: 72Gy, Prostatakarzinom: 78Gy, Zervixkarzinom: 85Gy). Appelt et al<sup>3</sup> untersuchten in einem Kollektiv von 222 Patienten mit lokal fortgeschrittenem Rektumkarzinom ein Dosis-Wirkungs-Modell bei einer Behandlung mit Radiochemotherapie und endorektaler Brachytherapie mit nachfolgender Tumorresektion. Dabei konnte eine hoch signifikante Dosis-Wirkungs-Beziehung festgestellt werden: Für ein komplettes Ansprechen (Tumor-Regressionsgrad; TRG1) wurde der Dosis-Response-Parameter mit 92Gy bestimmt (D50; TRG1).<br /> Um diese hohe Dosis am Rektumkarzinom zu erreichen, muss die Standard-Radiochemotherapie um ein Kontakt-Strahlentherapieverfahren ergänzt werden. Hierfür eignet sich die 50kV-Röntgentherapie oder die endorektale Brachytherapie. Ergebnisse mehrerer Serien zur Kontakttherapie bei T1/2-Rektumkarzinomen zeigen eine hohe lokale Kontrolle (80–97 % ) sowie ein langes Überleben (67–90 % ) (Papillon et al 1991, Sischy et al 1991, Myerson et al 2007, Myint et al 2007, Gerard et al 2012). Erste Berichte zur 50kV-Kontakt-Radiotherapie wurden bereits 1936 und 1953 publiziert. Ab Mitte der 1970er-Jahre waren die entsprechenden Therapiemaschinen nicht mehr erhältlich. Mit der Erzeugung eines neuen Geräts im Jahr 2009 kam es zu einer Renaissance dieser Therapieform. Aktuell sind 10 Zentren in Europa in der Lage, eine 50kV-Kontakttherapie bei Rektumkarzinom anzubieten (UK, Frankreich, Dänemark, Schweiz). Für die gute Durchführbarkeit dieser Methode sprechen die hohe erzielbare Dosisrate und die geringe Gewebepenetration.<br /> Innerhalb von 2 Minuten kann die benötigte Oberflächendosis von 30Gy appliziert werden. Die geringe Eindringtiefe bewirkt, dass das angrenzende Gewebe de facto unbelastet bleibt. In einer Abfolge von 3 konsekutiven Behandlungen im 14-Tage-Intervall wird der exophytische Tumor Schicht für Schicht abgetragen. <br /> In der Phase-III-Studie Lyon 96-02<sup>4</sup> wurde der Effekt einer zusätzlichen Röntgen-Kontakttherapie nach einer präoperativen Radiotherapie des ­tiefen Rektumkarzinoms auf den Sphinktererhalt untersucht. In den Langzeitergebnissen wurden mit der Kontakttherapie im Vergleich zur Standardtherapie eine höhere Rate in Bezug auf den Sphinktererhalt (76 % vs. 44 % ) sowie ein verlängertes kolostomiefreies 10-Jahres-Überleben (61 % vs. 29 % ) bei gleich hoher Rate an Lokalrezidiven und gleich langem OS erzielt.<sup>5</sup> Im Jahr 2015 wurde die europäische multizentrische Phase-III-Studie OPERA (Organ Preservation Early Rectal Adenocarcinoma) initiiert. Geprüft wird der Stellenwert einer Röntgen-Kontakttherapie zusätzlich zu einer Standard-Radiochemotherapie auf den Rektumerhalt. Eingeschlossen werden Patienten mit einem resektablen Rektumkarzinom des unteren und mittleren Drittels in den Stadien T2/3a/b N0 und einer Ausdehnung <5cm. Im experimentellen Arm erfolgt eine Röntgen-Kontakttherapie mit einer kumulativen Verabreichung von 90Gy nach einer Standard-Radiochemotherapie, im Kontrollarm eine präoperative Radiochemotherapie als Monotherapie. In Woche 14 erfolgt die Responsebeurteilung. Bei partiellem Ansprechen wird eine TME durchgeführt, bei klinisch kompletter Response wahlweise eine lokale Exzision oder „Watch and wait“-Strategie praktiziert. Als primärer Endpunkt wurde der Organerhalt definiert. <br /> Die Abbildung 1b zeigt eine klinisch komplette Remission nach Radiochemotherapie und 50kV-Röntgen-Kontakttherapie (Zustand vor Therapie: Abb. 1a).</p> <h2>Zusammenfassung</h2> <p>Die „Watch and wait“-Strategie nach Radiochemotherapie ist derzeit nicht als Standard in der kurativen Therapie des Rektumkarzinoms etabliert. Diese Option bietet sich nur für eine kleine Patientengruppe und erfordert eine sorgfältige Selektion. <br /> In Anbetracht der zunehmenden Alterung der Bevölkerung, die mit einer hohen Prävalenz an Begleiterkrankungen einhergeht, zeichnet sich ein erhöhter Bedarf an nicht bzw. minimal invasiven Therapien ab.<br /> Die Behandlung mit einer hohen fokalen Dosis geht mit einer deutlich höheren Rate an klinisch komplettem Ansprechen einher (70–80 % für Tumoren <3cm).<br /> Derzeit bieten weltweit nur wenige Zentren die Ausstattung und Erfahrung für eine individualisierte nicht chirurgische kurative Therapie des Rektumkarzinoms an (50kV-Kontakt-Röntgentherapie, endorektale Brachytherapie). Gegenwärtig laufende Phase-III-Studien untersuchen die Option des Organ­erhalts in der Behandlung des Rektumkarzinoms.</p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: Univ.-Klinik für Strahlentherapie<br/>
Medizinische Universität Wien<br/>
E-Mail: r.schmid@meduniwien.ac.at<br/>
Quelle: 9. Internationaler Kongress der EFR
(European Federation for coloRectal Cancer),
9.–11. April 2015, Wien
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<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Habr-Gama A et al: J Gastrointest Surg 2006; 10: 1319-1328<br /><strong>2</strong> Maas M et al: J Clin Oncol 2011; 29: 4633-4640<br /><strong>3</strong> Appelt AL et al: Int J Radiat Oncol Biol Phys 2013; 85: 74-80<br /><strong>4</strong> Gerard JP et al: J Clin Oncol 2004; 22: 2404-2409<br /><strong>5</strong> Ortholan C et al: Int J Radiat Oncol Biol Phys 2012; 83: e165-171</p> <p>Weitere Literatur beim Verfasser</p>
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