
Eine Fülle an neuen Daten beim frühen und fortgeschrittenen Mammakarzinom
Unser Gesprächspartner:
Univ.-Prof. Dr. Christian Singer, MPH
Leiter Brustgesundheitszentrum
Klinische Abteilung für Gynäkologie und Gynäkologische Onkologie
Universitätsfrauenklinik Wien
Medizinische Universität Wien
E-Mail: christian.singer@meduniwien.ac.at
Das Interview führte
Dr. Nicole Leitner
Vielen Dank für Ihr Interesse!
Einige Inhalte sind aufgrund rechtlicher Bestimmungen nur für registrierte Nutzer bzw. medizinisches Fachpersonal zugänglich.
Sie sind bereits registriert?
Loggen Sie sich mit Ihrem Universimed-Benutzerkonto ein:
Sie sind noch nicht registriert?
Registrieren Sie sich jetzt kostenlos auf universimed.com und erhalten Sie Zugang zu allen Artikeln, bewerten Sie Inhalte und speichern Sie interessante Beiträge in Ihrem persönlichen Bereich
zum späteren Lesen. Ihre Registrierung ist für alle Unversimed-Portale gültig. (inkl. allgemeineplus.at & med-Diplom.at)
Der diesjährige ESMO-Kongress bot viele neue und spannende Daten zum Mammakarzinom. Viele der präsentierten Studienergebnisse sind klinisch relevant und werden hoffentlich bald in die Praxis umgesetzt. Im Interview spricht Univ.-Prof. Dr. Christian Singer, Medizinische Universität Wien, über die aus seiner Sicht wichtigsten Daten vom ESMO-Kongress.
Wie war für Sie der virtuelle ESMO-Kongress 2021?
C. Singer: Der heurige ESMO-Kongress war in Bezug auf das Mammakarzinom sehr spannend, weil hier eine Reihe von in der Klinik rasch anwendbaren und einzusetzenden Studienergebnissen präsentiert worden ist. Die sicherlich bedeutendste und für mich beeindruckendste Studienpräsentation war die der DESTINY-Breast03-Studie1. Diese Phase-III-Studie untersucht beim HER2-positiven fortgeschrittenen oder metastasierten Mammakarzinom nach dem Versagen von Trastuzumab-basierter Therapie den Einsatz des bisherigen Standards Trastuzumab-Emtansin (T-DM1) im Vergleich zum neuen Trastuzumab-Deruxtecan (T-DXd). In die Studie wurden 524 Patientinnen eingeschlossen. Der primäre Studienendpunkt war das progressionsfreie Überleben (PFS) gemäß unabhängigem Prüfkomitee (BICR). Das mediane 12-Monats-PFS betrug unter T-DXd 75,8% im Vergleich zu 34,1% unter T-DM1, bei einer beeindruckenden Hazard-Ratio von 0,28. Auch die Daten zum Gesamtüberleben (OS) wurden am ESMO-Kongress präsentiert: die 12-Monats-OS-Rate war im T-DXd-Arm 94,1% im Vergleich zu 85,9% (HR: 0,56; 95% CI: 0,36–0,87) (Abb. 1).
Die klinische Benefitrate belief sich über alle Subgruppen hinweg auf 96,6% unter T-DXd versus 76,8% unter T-DM1 – das sind Daten, die wir eigentlich vom HER2-positiven Mammakarzinom so bisher nicht kennen. Besonders bemerkenswert sind diese Ergebnisse im Hinblick auf die Tatsache, dass es sich hier um eine Patientinnenpopulation mit einer sehr ungünstigen Prognose handelt: Etwa 25% der Patientinnen wiesen eine zentrale Metastasierung auf, 70% eine viszerale Metastasierung und die Mehrzahl der Patientinnen hatte mehr als zwei gegen HER2gerichtete Vortherapien.
Also insgesamt ein sehr beeindruckendes Ergebnis und wir können nur hoffen, dass es zu einer raschen Zulassung und zum Einsatz von Trastuzumab-Deruxtecan auch in Österreich kommen wird.
Beim HER2-negativen, hormonrezeptornegativen Mammakarzinom wurden die finalen Ergebnisse der KEYNOTE-355-Studie präsentiert. Wie schätzen Sie die Ergebnisse ein?
C. Singer: Die Phase-III-Studie KEYNOTE-3552 verglich bei Patientinnen mit metastasiertem tripelnegativem Mammakarzinom (TNBC) in der Erstlinie die Zugabe von Pembrolizumab oder Placebo zur Chemotherapie (Gemcitabin/Carboplatin, Paclitaxel oder nab-Paclitaxel). Die Studie hat gezeigt, dass der größte Benefit von Pembrolizumab plus Chemotherapie bei jenen Patientinnen liegt, deren intratumorale PD-L1-Positivität bei einem CPS (Combined Positive Score) von 10 oder mehr liegt. Das mediane Gesamtüberleben nach einem relativ langen Follow-up von etwa 44 Monaten war in dieser Patientinnengruppe mit Pembrolizumab deutlich der Placebogruppe überlegen, mit einer Hazard-Ratio von 0,73 (95% CI: 0,55–0,95) (Abb. 2). Das mediane Gesamtüberleben betrug in der Pembrolizumab-Gruppe 23,0 Monate versus 16,1 Monate unter Placebo. Wichtig ist, dass bei einer PD-L1-Positivität mit einem Cut-off 1 (CPS ≥1) dieser Benefit nicht zu existieren scheint. Es gibt also eine Subgruppe von Patienten mit CPS ≥10 – das werden so um die 40% der tripelnegativen Mammakarzinome sein –, bei denen die Zugabe von Pembrolizumab tatsächlich einen Überlebensvorteil zeigt. Ich glaube, das sind durchaus beeindruckende Daten.
Beim TNBC gab es auch die BrighTNess-Studie, was wurde hier am ESMO-Kongress präsentiert?
C. Singer: Die BrighTNess-Studie3 untersuchte bei TNBC im Frühstadium die Zugabe von Carboplatin zur Standard-Chemotherapie im neoadjuvanten Setting. Am ESMO-Kongress wurden die Daten nach einem medianen Follow-up von 4,5 Jahren präsentiert. Das mediane ereignisfreie Überleben (EFS) wurde durch die zusätzliche Therapie mit Carboplatin deutlich verlängert, mit einer Hazard-Ratio von 0,57. Auch der Trend im Gesamtüberleben geht zugunsten der zusätzlichen Therapie mit Carboplatin, wobei das hier in dieser Analyse noch nicht definitiv gezeigt werden konnte. Interessanterweise scheint die Zugabe des PARP-Inhibitors Veliparib in einem weiteren Arm der Studie keinen zusätzlichen Benefit zu generieren.
Zusammengefasst haben wir beim TNBC nach dem ESMO-Kongress auf der einen Seite die BrighTNess-Daten, die zeigen, dass sich das EFS durch die Zugabe von Carboplatin signifikant verlängert. Auf der anderen Seite haben wir mit KEYNOTE-355 in der Erstlinie beim metastasierten TNBC Daten, die zeigen, dass es einen echten Überlebensvorteil gibt, wenn Pembrolizumab bei Patientinnen mit einem CPS von ≥10 eingesetzt wird.
Welche Neuigkeiten gab es zum luminalen Mammakarzinom?
C. Singer: Beim luminalen Mammakarzinom sind mir zwei Studien besonders ins Auge gestochen. Das sind zum einen die lange erwarteten Gesamtüberlebensdaten der MONALEESA-2-Studie4. Diese prospektive, randomisierte Phase-III-Studie untersucht bei postmenopausalen Frauen mit hormonrezeptorpositivem, HER2-negativem fortgeschrittenem Mammakarzinom in der Erstlinie die Therapie mit einem Aromatasehemmer (Letrozol) und dem CDK4/6-Inhibitor Ribociclib versus alleinige Aromatasehemmer-Therapie. Nach einem medianen Follow-up von 80 Monaten wurde die finale Auswertung von 668 Patientinnen präsentiert. Es gab einen signifikanten und beeindruckenden Vorteil im Gesamtüberleben in der Gruppe von Patientinnen, die zusätzlich Ribociclib erhielten. Das mediane Gesamtüberleben betrug 63,9 Monate versus 51,4 Monate unter alleiniger Aromatasehemmer-Therapie (HR: 0,76; 95% CI: 0,63–0,93). Ganz interessant ist, dass dieser Überlebensvorteil über die Jahre zunimmt: Nach 4 Jahren war der Überlebensvorteil 5,7%, nach 5 Jahren 8,4% und nach 6 Jahren 12,2%. Ein wichtiger Punkt ist auch, dass die Zeit bis zum Einsatz der Chemotherapie um etwa ein Jahr verlängert wurde: durch die Zugabe von Ribociclib von 38,9 auf 50,6 Monate (HR: 0,74; 95% CI: 0,61–0,91). Insgesamt sind die Ergebnisse der MONALEESA-2-Studie sehr beeindruckend und zeigen zusammen mit den Studien MONALEESA 3 und MONALEESA 7, dass Ribociclib in Phase-III-Studien bei prä- und postmenopausalen Patientinnen zu Überlebensvorteilen führt.
Abb. 3: Gesamtüberleben nach 4, 5 und 6 Jahren in der MONALEESA-2-Studie (mod. nach Hortobagyi GN et al.)4
Gab es am ESMO-Kongress noch weitere Daten, die Sie besonders spannend fanden?
C. Singer: Zur endokrinen Therapie wurde eine sehr interessante Studie vorgestellt. Hier steht neben den Aromatasehemmern der selektive Östrogen-Rezeptor-Downregulator (SERD) Fulvestrant zur Verfügung. Die Tatsache, dass Fulvestrant durch intramuskuläre Injektion verabreicht werden muss, hat zu Überlegungen geführt, diesen SERD auch oral verfügbar zu machen. Dieser Ansatz scheint relativ schwierig gewesen zu sein, aber es gibt jetzt eine Reihe von oralen SERD, die sich in unterschiedlichen Phasen der klinischen Entwicklung befinden. Beim ESMO-Kongress wurde eine Phase-II-Studie mit einem SERD namens Giredestrant vorgestellt, der für mich eine ganz neue Tür für eine therapeutische Option öffnet. Die coopERA-Studie5 hat bei Patientinnen mit östrogenrezeptorpositivem, HER2-negativem Mammakarzinom den neoadjuvanten Einsatz von Giredestrant in Kombination mit Palbociclib im Vergleich mit einem Aromatasehemmer (Anastrozol) untersucht. Es wurde eine klassische postmenopausale endokrine Therapie mit einem Aromatasehemmer mit dem oralen SERD Giredestrant verglichen. Der primäre Endpunkt der Studie war eine Reduktion des Proliferationswerts Ki67 nach 2 Wochen. Es handelt sich um eine kleine Phase-II-Studie, 83 Patientinnen wurden eingeschlossen. Die Reduktion von Ki67 in der Kohorte mit einem klassischen Aromatasehemmer und Palbociclib betrug 67% und war in der Gruppe mit Giredestrant und Palbociclib mit 80% deutlich stärker ausgeprägt. Ein Zellzyklusarrest konnte im Giredestrant-Palbociclib-Arm bei 25% der Tumoren erreicht werden im Vergleich zu 5% im Aromatasehemmer-Palbociclib-Arm. Das Nebenwirkungsprofil war günstig, mit endokrinen Nebenwirkungen im Aromatasehemmer-Arm bei 38% versus 28% im oralen SERD-Arm. Insgesamt ist Giredestrant also eine gut verträgliche hocheffektive Therapie.
Wir sind in Österreich gerade auch dabei, eine neoadjuvante Studie mit einem oralen SERD zu konzipieren. Wir hoffen, dass wir die Wirksamkeit dieser Art von Substanzen in Zukunft evaluieren können und vielleicht bald auch nicht nur in einer späteren Phase einsetzen können. So könnte es in Zukunft vielleicht auch in der frühen Phase eine interessante Alternative zur intramuskulären Injektion bzw. zu den aktuell zugelassenen Aromatasehemmern geben.
Literatur:
1 Cortés J et al.: Trastuzumab deruxtecan (T-DXd) vs trastuzumab emtansine (T-DM1) in patients (Pts) with HER2+ metastatic breast cancer (mBC): results of the randomized phase III DESTINY-Breast03 study. ESMO 2021, Abstr. #LBA1 2 Rugo H et al.: KEYNOTE-355: Final results from a randomized, double-blind phase III study of first-line pembrolizumab + chemotherapy vs placebo + chemotherapy for metastatic TNBC. ESMO 2021, Abstr. #LBA16 3 Loibl S et al.: Event-free survival (EFS), overall survival (OS), and safety of adding veliparib (V) plus carboplatin (Cb) or carboplatin alone to neoadjuvant chemotherapy in triple-negative breast cancer (TNBC) after ≥4 years of follow-up: BrighTNess, a randomized phase III trial. ESMO 2021, Abstr. #119O 4 Hortobagyi GN et al.: LBA17_PR - overall survival (OS) results from the phase III MONALEESA-2 (ML-2) trial of postmenopausal patients (pts) with hormone receptor positive/human epidermal growth factor receptor 2 negative (HR+/HER2−) advanced breast cancer (ABC) treated with endocrine therapy (ET) ± ribociclib (RIB). ESMO 2021, Abstr. #LBA17 5 Hurvitz S et al.: Neoadjuvant giredestrant (GDC-9545) + palbociclib (palbo) vs anastrozole (A) + palbo in post-menopausal women with oestrogen receptor-positive, HER2-negative, untreated early breast cancer (ER+/HER2– eBC): interim analysis of the randomised, open-label, phase II coopERA BC study. ESMO 2021, Abstr. #LBA14
Das könnte Sie auch interessieren:
Highlights zu Lymphomen
Assoc.Prof. Dr. Thomas Melchardt, PhD zu diesjährigen Highlights des ASCO und EHA im Bereich der Lymphome, darunter die Ergebnisse der Studien SHINE und ECHELON-1
ASH 2020 – Highlights zu den aggressiven Lymphomen
Highlight-Themen der virtuellen ASH-Jahrestagung im Dezember 2020 waren an erster Stelle die Immunonkologika in all ihren Variationen, aber auch Beispiele für innovative Sequenztherapien ...
Aktualisierte Ergebnisse für Blinatumomab bei neu diagnostizierten Patienten
Die Ergebnisse der D-ALBA-Studie bestätigen die Chemotherapie-freie Induktions- und Konsolidierungsstrategie bei erwachsenen Patienten mit Ph+ ALL. Mit einer 3-jährigen ...