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AGO-Jahrestagung 2023

Neoadjuvante Therapiekonzepte beim Zervixkarzinom

Die Datenlage ist teilweise uneindeutig, doch die neoadjuvante Therapie sollte beim Zervixkarzinom immer diskutiert werden: Im Folgenden lesen Sie, welche Empfehlungen auf der wissenschaftlichen Tagung der Arbeitsgemeinschaft für onkologische Gynäkologie ausgesprochen wurden.

Es gibt derzeit drei Indikationen zur Durchführung einer neoadjuvanten Chemotherapie beim Zervixkarzinom:

  1. Vor einer Operation zur Erreichung oder Verbesserung der Operabilität statt einer alleinigen Operation und statt einer Radiochemotherapie.

  2. Vor einer Radiochemotherapie zur Reduktion des Tumorvolumens und Verbesserung der Effektivität der Therapie.

  3. Bei bestehendem Kinderwunsch mit dem Ziel des Erhalts des Uterus und in graviditate mit dem Ziel der Prolongation der Schwangerschaft.

Neoadjuvante Chemotherapie vor Operation

Die Durchführung einer neoadjuvanten Chemotherapie vor einer geplanten Operation ist prinzipiell bei den folgenden Indikationen vorgesehen: einer Masse mit einer Tumorgröße über 4cm, falls bildgebend bereits der V.a. positive Lymphknoten besteht, und bei histologisch definierten Risikofaktoren, die bereits die Notwendigkeit einer adjuvanten Chemotherapie indizieren. Es liegen umfangreiche Studien und Metaanalysen zur Effektivität einer neoadjuvanten Chemotherapie vor Operation vor.

Basierend auf diesen Studien gelten die folgenden Daten als gesichert:

  • Es können bei Durchführung einer neoadjuvanten Chemotherapie vor Operation mehr Frauen auf R0 operiert werden (HR: 1,55; CI: 0,96–2,5; p=0,07).

  • Es findet sich nach einer neoadjuvanten Chemotherapie seltener ein Befall von Lymphknoten (OR: 0,45; 95% CI: 0,29–0,70) und seltener eine Infiltration der Parametrien (QR: 0,48; 95% CI: 0,25–0,92).

Die Daten zum Einfluss einer neoadjuvanten Chemotherapie vor Operation auf den klinischen Erkrankungsverlauf sind allerdings widersprüchlich. In einer Metaanalyse aus dem Jahr 2009 mit 18 klinischen Studien und 2074 Patient*innen konnte ein signifikant reduziertes Sterberisiko dokumentiert werden (HR: 0,65; 95% CI: 0,53–0,80).

In einer weiteren Metaanalyse aus dem Jahr 2015 fand sich allerdings kein Einfluss einer neoadjuvanten Chemotherapie vor Operation auf das erkrankungsfreie und Gesamtüberleben. Dies wurde auch in einer weiteren Metaanalyse aus dem Jahr 2020 bestätigt, auch hier fand sich kein Einfluss einer neoadjuvanten Chemotherapie auf das 5-Jahres-Überleben.

Die Probleme bei der Durchführung einer neoadjuvanten Chemotherapie vor Operation bestehen darin, dass 25–30% aller Patient*innen auch nach neoadjuvanter Chemotherapie noch als inoperabel eingestuft werden müssen. 25–30% aller Patient*innen benötigen nach der Operation aufgrund von persistierenden Risikofaktoren eine adjuvante Radiochemotherapie. Dies widerspricht dem Prinzip der unimodalen Therapie beim Zervixkarzinom und führt zu einer deutlich gesteigerten Morbidität. Ein weiteres Problem besteht darin, dass die Daten zur klinischen Effektivität und zum Einfluss auf das Überleben weiterhin widersprüchlich sind.

Auch die klinischen Daten zum Vergleich einer neoadjuvanten Chemotherapie in Kombination mit Operation vs. eine primäre Radiochemotherapie sind widersprüchlich. In einer älteren Metaanalyse konnte ein verlängertes Überleben durch eine neoadjuvante Chemotherapie in Kombination mit Operation im Vergleich zu einer primären Radiotherapie dokumentiert werden. Das Problem dieser Studien bestand jedoch darin, dass hier nur eine Radiotherapie, aber keine Radiochemotherapie erfolgte. Weiterhin war die Durchführung einer Radiotherapie häufig suboptimal.

In neueren Metaanalysen ist das klinische Ergebnis häufig widersprüchlich. In einer Metaanalyse aus dem Jahr 2020 fand sich ein verlängertes Gesamt- und erkrankungsfreies Überleben bei Durchführung einer kombinierten Chemotherapie plus Operation im Vergleich zu einer primären Radiochemotherapie. In einer weiteren Metaanalyse fand sich allerdings kein Unterschied. In einer 2019 publizierten EORTC-Studie war eine neoadjuvante Chemotherapie in Kombination mit einer Operation einer Radiochemotherapie sogar unterlegen.

Zusammengefasst ist also weiterhin unklar, welcher Ansatz beim Zervixkarzinom besser ist: eine neoadjuvante Chemotherapie in Kombination mit einer Operation oder eine primäre Radiochemotherapie.

Neoadjuvante Chemotherapie vor Radiochemotherapie

Die Durchführung einer neoadjuvanten Chemotherapie vor einer anschließenden Radiochemotherapie zeigt eine hohe Ansprechrate von bis zu 90%. Das Ansprechen ist von prognostischer Bedeutung, wobei die Patient*innen mit einem Ansprechen ein signifikant verlängertes erkrankungsfreies und Gesamtüberleben haben. Insgesamt gibt es allerdings keine Daten, inwieweit durch eine neoadjuvante Chemotherapie vor Radiochemotherapie der klinische Erkrankungsverlauf positiv beeinflusst werden kann. Die Daten der derzeit laufenden Phase-III-Studie INTERLACE müssen noch abgewartet werden.

Neoadjuvante Chemotherapie vor fertilitätserhaltender Operation und in graviditate

Die Durchführung einer neoadjuvanten Chemotherapie bei einem Zervixkarzinom mit einer Größe von über 2cm gestattet eine fertilitätserhaltende Operation. Es liegen zwei Metaanalysen vor, in denen 23 Studien mit 205 Patient*innen und 80 Studien mit 249 Patient*innen zusammengefasst wurden. Es handelt sich um ausschließlich retrospektive Studien.

Die durchgeführte operative Therapie bestand in einer radikalen vaginalen und abdominalen Trachelektomie, einer Konisation und einer einfachen Trachelektomie. Die Rezidivrate betrug zwischen 6,1 und 12,8%, die Sterberate zwischen 1,8 und 2,8%. Die Schwangerschaftsrate betrug 76–84%. Auch bei einem Zervixkarzinom mit einer Größe von über 4cm ist durch eine neoadjuvante Chemotherapie ein fertilitätserhaltende Operation möglich. In einer Metaanalyse von elf Studien mit 40 Patient*innen im Stadium IB2 fanden sich ein erkrankungsfreies Überleben nach 4,5 Jahren von 92,3% und ein Gesamtüberleben von 100%. Die Schwangerschaftsrate betrug 67%.

Eine neoadjuvante Chemotherapie ist auch in graviditate möglich. Das Zervixkarzinom ist das dritthäufigste Karzinom in der Schwangerschaft. Ziel einer neoadjuvanten Chemotherapie in der Schwangerschaft sind die Therapie des Karzinoms und der Erhalt der Schwangerschaft, bis das Kind überlebensfähig ist. Es liegen in der Literatur ausschließlich Fallberichte vor. Danach ist durch eine neoadjuvante Chemotherapie in graviditate prinzipiell eine signifikante Verlängerung der Schwangerschaft möglich.

Fazit

In der zusammenfassenden Beurteilung ist weiterhin unklar, welchen Einfluss eine neoadjuvante Chemotherapie auf den klinischen Erkrankungsverlauf hat. Gesichert ist nur, dass ein Nichtansprechen auf eine neoadjuvante Chemotherapie von hoher prognostischer Bedeutung ist. Problematisch ist, dass bislang alle Studien zur neoadjuvanten Chemotherapie ohne einen Ansatz einer zielgerichteten Therapie mit Bevacizumab oder Pembrolizumab erfolgten, einem therapeutischen Ansatz, der in der palliativen Behandlung des Zervixkarzinoms einer alleinigen Chemotherapie deutlich überlegen war.

Gesichert ist, dass durch eine neoadjuvante Chemotherapie vor Operation die Operabilität verbessert und die Notwendigkeit einer adjuvanten Radiochemotherapie reduziert werden kann. Unklar bleibt weiterhin, ob dies einen Einfluss auf das Überleben hat. Gesichert ist weiters, dass bei Kinderwunsch durch eine neoadjuvante Chemotherapie auch bei größeren Zervixkarzinomen ein uteruserhaltendes Vorgehen möglich ist, damit die Option einer späteren Schwangerschaft besteht. Gesichert ist ebenso, dass der Einsatz einer neoadjuvanten Chemotherapie in graviditate in Einzelfällen eine Prolongation der Schwangerschaft ermöglicht.

Die weiterhin unklare Datenlage begründet die evidenzbasierte „Kann“-Empfehlung in der aktuellen S3-Leitlinie zur Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Zervixkarzinoms: Eine medikamentöse neoadjuvante Therapie kann bei ausgewählten Risikopatient*innen durchgeführt werden.

beim Verfasser

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