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Myelodysplasie, MDS – Feintuning, aber kein Durchbruch
Leading Opinions
Autor:
Dr. med. Boris Eugen Schleiffenbaum
30
Min. Lesezeit
23.02.2017
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<p class="article-intro">Auch dieses Jahr konnte am ASH-Kongress über keinen wirklich wesentlichen Fortschritt in der Behandlung dieser stillen, aber tödlichen Erkrankungen berichtet werden. In dieser Situation versucht man nun die bisherigen Therapien durch eine klar definierte Koordination und Sequenzierung zu optimieren.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Trotz aller Fortschritte, die die Mutationsanalyse mittels Gesamtgenomsequenzierung ganzer Kohorten von MDSPatienten für das Verständnis der Biologie und Pathogenese dieser Erkrankungen bedeutet, werden somatische Mutationen gemäss der 2016 erfolgten Teilrevision der 4. WHO-Klassifikation der myelodysplastischen Syndrome nicht zu den Krankheits- definierenden Kriterien zählen (Blood 2016; 127: 2391; R. Hasserjian, MDS Foundation Symposium, 2016). Während MDS-spezifische Aberrationen allein in Patienten mit einer Zytopenie genügen (konventionelle Zytogenetik, nicht FISH), um die Diagnose MDS zu stellen (MDS-U), gilt dies für die Mutationsanalytik noch nicht, auch wenn mithilfe der Mutationsanalytik eine Gruppe von Patienten mit einer «clonal cytopenia of unknown significance » (CCUS) definiert werden kann, die mit hoher Wahrscheinlichkeit in ein MDS übergehen wird (#298).<br /> Von wesentlicher klinischer Bedeutung für das weitere Management des Patienten, insbesondere auch im Hinblick auf eine mögliche Stammzelltransplantation, sind jedoch die «Germline»-Mutationen, die zu einem MDS prädisponieren können (GATA2, Fanconi-Anämie, Telomer- assoziierte Erkrankungen mit nicht hämatologischen Manifestationen; RUNX1, ETV6 oft nur durch eine Thrombopenie manifest; #300). Diese Gruppe von Patienten wird auch in der Revision der WHO-Klassifikation 2016 eigens klassifiziert.</p> <h2>Low-Risk-MDS</h2> <p>In der Mehrzahl der Fälle (89 % ) stellt eine Anämie die Erstmanifestation eines MDS dar, was von grosser Bedeutung ist, da das MDS schon aufgrund seiner Pathogenese eine Alterserkrankung ist und im Alter auch leichte Anämien Ursache sind für eine erhöhte Mortalität und Morbidität (V. Santini, Education Session). Für die Behandlung der Anämie in der Gruppe der Low-Risk-MDS «with isolated del(5q)» (+/– 1 weitere Chromosomenaberration, mit Ausnahme einer Monosomie 7) ist Lenalidomid (10mg/d p.o. besser als 5mg/d, 21/28d: «hematological improvement», HI, 61 % vs. 49 % ) Therapie der Wahl. Das Vorliegen einer TP53-Mutation beeinflusst die Ansprechrate bezüglich Anämie zwar nicht, wohl aber die Häufigkeit einer Progression zur AML bzw. das Gesamtüberleben (V. Santini, Education Session).<br /> Die Behandlung der del(5q)-negativen Patienten sollte zunächst mit einem «erythropoiesis- stimulating agent» (ESA) beginnen. Inzwischen liegen auch prospektive Studien vor, welche die Wirksamkeit dieser Therapie in Abhängigkeit vom Erythropoetin-Spiegel belegen und die damit die Zulassung in Europa und den USA ermöglichen sollten (Erythropoetin, Haematologica 2016; 101: S1, abs 248; Darbepoetin, Haematologica 2016; 101: S1, abs 128). Der Ziel-Hb sollte bei 120g/L liegen, bessere Ergebnisse werden erzielt, wenn man mit der Therapie beginnt, bevor der Patient transfusionsabhängig wird. Bei einem sekundären Therapieversagen, mit dem nach ca. 20–24 Monaten zu rechnen ist, sollten vor dem Beginn einer neuen Therapie (s.u.) eine sekundär aufgetretene andere Ursache für eine Anämie, insbesondere ein Substratmangel, und eine Progression (Knochenmarkspunktion!) ausgeschlossen werden (V. Santini, Education Session).<br /> In zweiter Linie kommt dann auch für die del(q5)-negativen Low-Risk-MDS-Patienten Lenalidomid (10mg/d p.o., 21/28d) zum Zuge (HI-Hb 33 % ; #224). Inzwischen ist zudem klar, dass 5-Azacytidine (75mg/m2 s.c., 7/28d oder auch 5/28d) bzw. Decitabine (20mg/m2 i.v., 5d/28d) auch bei Low-Risk-MDS-Patienten – und nicht nur bei High-Risk-MDS-Patienten – wirksam sind und daher in den USA im Gegensatz zur Schweiz in dieser Indikation auch zugelassen sind (5-Azacytidine HI-Hb 39,4 % ; V. Santini, Education Session). Dem Alltag besser angepasste verkürzte Behandlungsschemata scheinen hier auch noch erfolgreich zu sein (5-Azacytidine 75mg/m2 s.c., 3d/28d, Decitabine 20mg/m2 i.v., 3d/28d: CR 38 % vs. 29 % ; #226). Daten zum «overall survival» (OS), vor allem im Vergleich zu nach «best supportive care» behandelten Patienten, liegen leider noch nicht vor, entsprechende Studien rekrutieren schon.<br /> Nach einem Therapieversagen der «hypomethylating agents» (HMA) ist die Prognose jedoch ähnlich, wenn auch nicht ganz so ausgeprägt, wie bei den High- Risk-MDS-Patienten auch bei den Low- Risk-MDS-Patienten schlecht (OS 17 Monate; V. Santini, Education Session).<br /> Bei einem Therapieversagen können sowohl Lenalidomid als auch 5-Azacytidine/ Decitabine mit ESA erfolgreich kombiniert werden (HI-Hb 35,1 % bzw. 34,7 % ; V. Santini, Education Session, #223), was von grosser praktischer Bedeutung sein kann. Die Kombination mit anderen epigenetischen Therapien (HDAC), Immunmodulatoren (Lenalidomid) oder Kinaseinhibitoren (Rigosertib) hingegen hat bisher vor allem zu mehr Toxizität, nicht aber zu mehr Wirksamkeit geführt (H. Carraway, Education Session).<br /> Neue Ziele der Therapie könnte die Stammzellnische des Knochenmarks sein (Abexinostat, Oxi4503) oder eine Immunmodulation durch Checkpoint-Inhibitoren (Pembrolizumab, Nivolumab, Ipilimumab), u.U. in Kombination mit HMA, da im MDS PD-L1 und PD-L2 aufreguliert sind (H. Carraway, Education Session).<br /> Es ist wahrscheinlich, dass neue, Stoffwechsel- spezifische Inhibitoren, deren Ziele durch im NGS identifizierte Mutationen vorgegeben werden (TET2 -> HMA; IDH1/2 -> AG-120, AG-221/Enasidenib; #343) oder BCL-2 Inhibitoren (EVI1 -> BET-Inhibitoren), nur dann erfolgreich sein werden, wenn sie zum einen kombiniert verabreicht werden und man zum anderen die klonale Architektur versteht und damit auf die eigentlichen Driver- Mutationen zielen kann.<br /> Mit der Inhibition der TGF-a-Aktivation durch Luspatercept (modifizierter Activin- Rezeptor IIb = Inhibition von SMD2/3 via GDF11; Transfusions-Unabhängigkeit 43 % , HI-Hb 76/81 % ; V. Santini, Education Session; 1,0/1,75mg/kg s.c., 1/21d, 5x; #5551; #3168; #1990) bzw. Galunisertib («Activin-like kinase»-Inhibitor; HI-Hb 26 % ; V. Santini, Education Session) begeht man einen ganz neuen Weg in der Behandlung der MDS-assoziierten Anämie. In eine ähnliche Richtung zielt die Behandlung mit OPN-305 (5/10mg/kg i.v., 1/28d, 9x), einem humanisierten «Toll-like receptor 2»-IgG4-Antikörper (HI-Hb 50 % ; #227).<br /> APG101 (100mg i.v./Wo., 12 Wo.), ein CD95-Fc-Fusionsprotein und CD95-Ligandeninhibitor, wirkt andererseits dem proapoptotischen Zellstoffwechsel der Low- Risk-MDS-Patienten entgegen (HI-Hb 33 % ; #228).<br /> Ähnlich den ESA in der Anämie sind die Thrombopoetin(TPO)-Agonisten Romiplostim (500/750µg/Wo. s.c.) und Eltrombopag (50–300mg/d p.o.) in der Behandlung der MDS-Thrombopenie abhängig vom TPO-Spiegel bzw. der Thrombozyten- Transfusionsbedürftigkeit wirksam, wobei man auch heute noch eine gewisse Vorsicht in der Behandlung von High-Risk- MDS-Patienten walten lassen sollte (Gefahr einer möglichen Akzeleration).</p> <h2>High-Risk-MDS</h2> <p>Diese Gruppe von Patienten wird in der Schweiz klassischerweise mit 5-Azacytidine therapiert und, wenn möglich, transplantiert. Auf dem diesjährigen ASH-Kongress wurde eine Phase-II-Studie aus dem MD Anderson Cancer Center vorgestellt, in der Guadecitabine (SGI-110, Dinukleotid Decitabine-Deoxyguanosine, 60mg/m<sup>2</sup> s.c., 5d/28d, min. 6x) auch bei Patienten mit schlechtem Risikoprofil (komplexer Karyotyp, TP53-Mutation, t-MDS) zu einem überraschend guten Ansprechen führte (ORR 61 % , Cri 23 % , OS 15,2 Monate; #346). Eine ebenfalls am ASH-Kongress gezeigte multizentrische Phase-IIStudie kam leider zu ganz anderen Ergebnissen (ORR 16 % , CR 5 % , OS 6,7 Monate).</p> <h2>HMA-Therapieversagen</h2> <p>Die Prognose für MDS-Patienten nach einem Versagen einer HMA- oder Lenalidomid- Therapie ist schlecht (Low-Risk- MDS: 17 Monate; High-Risk-MDS: 5,6 Monate; H. Carraway, Education Session). Kommt eine Stammzelltransplantation nicht infrage (s.u.), so haben in dieser Situation Patienten, die in eine Studie eingeschlossen werden, die beste Prognose. Eine Therapie mit dem PD-1-Inhibitor Pembrolizumab zeigte eine ORR von nur 4 % (#345), der CTLA-4-Inhibitor Ipilimumab immerhin eine ORR von 22 % (#344).<br /> Für High-Risk-MDS-Patienten, die für eine Transplantation infrage kommen, bietet sich allenfalls eine intensive Chemotherapie als Überbrückungsmassnahme an, insbesondere wenn kein prognostisch schlechter Karyotyp vorliegt und die Patienten bisher noch keine intensive Chemotherapie erhalten haben (#348).<br /> Bis heute bleibt die Stammzelltransplantation der einzige Weg zur Heilung. Mit den heutigen Möglichkeiten (HLAidentische Verwandtenspende, HLA-matched Fremdspender, haploidentische Spende [höhere TRM], Nabelschnurspende [höhere Rezidivrate]) steht diese Therapie heute prinzipiell fast allen Patienten zur Verfügung, die fit genug sind. Das Alter selbst stellt dabei keine Kontraindikation dar (CIBMTR; M. Horowitz, Education Session), wohl aber Komorbiditäten (HCT-CI/Sorror Score) und der Allgemeinzustand des Patienten (Performance- Status; «Lawton’s instrumental activities of daily living», IADL; Geriatrie-Score (?), CIBMTR; M. Horowitz, Education Session).<br /> Nichtsdestotrotz bleiben die TRM (ca. 30 % ) und die Rezidivrate (ca. 30 % ) relativ hoch, was in einem 3-Jahres-OS von ca. 40 % resultiert. Um die individuelle Prognose nach einer Transplantation besser abschätzen zu können, wurden TPLScores entwickelt: CIBMTR: Alter (18– 29=0; 30–49=1; >50=2), Karnofsky PS (90–100 % =0; <90 % =1), Karyotyp (sehr gut/gut/«intermediate» = 0; schlecht/sehr schlecht = 1; Monosomie = 2), Blastenanteil (=3 % =0; >3 % =1), Thrombozyten (>50G/L=0; </=50=1); «low» 0–1; «intermediate » 2–3; «high» 4–5; «very high» 6–7. Dieser Score differenziert die 4 verschiedenen Risikogruppen gut (HR: «low» 1; «intermediate» 1,76; «high» 2,87; «very high» 7,03; 3y-OS «low» ca. 70 % , «very high» ca. 20 % ; M. Horowitz, Education Session). Andere integrierten die Ergebnisse der Mutationsanalytik nach NGS in ihre Scores (#53).<br /> Die Indikation zur Transplantation für High-Risk-MDS-Patienten bei Diagnose ergibt sich dann aus der Prognose aufgrund des IPSS-R ohne Transplantation und der Prognose des Patienten nach einem Transplantations-Score, wie z.B. dem CIBMTR-Score, mit Transplantation (weitere Risikofaktoren jenseits des IPSS-R: Knochenmarkfibrose, Transfusionsbedarf, Ferritin, t-MDS, Mutationen – TP53, EZH2, ETV6, RUNX1, ASXL1).<br /> Schwieriger ist es für den behandelnden Arzt, im Verlauf der Behandlung eines Low-Risk-MDS den richtigen Zeitpunkt für eine Transplantation abzuschätzen, bevor es zur eigentlichen Akzeleration bzw. der Entwicklung einer AML kommt. Der IPSSR ist hier nur von bedingtem Nutzen, da es sich nicht um einen dynamischen Score handelt (M. Horowitz, Education Session). Hier könnte neben der klinischen Beurteilung durch den Arzt in Zukunft der Nachweis neu akquirierter Mutationen helfen, die Patienten zu identifizieren, die von einer Transplantation profitieren würden (#297).</p></p>
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