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Minimale Resterkrankung (MRD)

MRD-Diagnostik beim Myelom: reif für die klinische Routine?

Die Diagnostik der minimalen Resterkrankung (MRD) beim Myelom hat in den letzten Jahren einen zunehmenden Stellenwert gewonnen, zumindest in der Studienlandschaft und den Diskussionsforen. Esgibt zahlreiche Bemühungen, die eingesetzten Techniken in der klinischen Routine zu verankern.

Zwei Faktoren haben zum Bedeutungsgewinn der MRD-Diagnostik beim Myelom beigetragen: Erstens ist durch moderne Induktionsregime mittlerweile bei der Mehrzahl der Patienten in der Erstlinientherapie eine komplette Remission zu erreichen, die lange Zeit als Parameter für maximales Ansprechen und anzustrebendes Therapieziel gegolten hat. Mit den Techniken zur MRD-Detektion konnte hier eine weitere Differenzierung getroffen werden, da bei einem guten Prozentsatz der Patienten in kompletter Remission noch eine minimale Resterkrankung nachzuweisen ist (MRD-Positivität).

Zweitens hat sich der MRD-Status nach Induktionstherapie als prognostisch höchst bedeutsam erwiesen. Die Aussagekraft bzgl. progressionsfreien Überlebens und Gesamtüberlebens übertrifft wesentlich diejenige von kompletter Remission (CR) und stringenter kompletter Remission (sCR).1 Mittlerweile liegen zwei Metaanalysen vor, die die prognostische Relevanz des MRD-Status bestätigen.2,3

Vor allem zwei Techniken zur MRD-Detektion haben sich etabliert, die Multiparameter-Flowzytometrie und die Polymerasekettenreaktion(PRC)-basierte Technik des Next-Generation-Sequencing (NGS). Für die Flow-Techniken konnte der Euro Flow (Next-Generation-Flow, NGF) als neuer Standard definiert werden, für das NGS stehen kommerzielle Plattformen zur Verfügung. Generell wurde beim direkten Vergleich der beiden Techniken in ihrer modernen Ausprägung eine gute Konkordanz gesehen, wobei von einer Sensitivität von 1:105 bis 1:106 ausgegangen werden kann. Mittlerweile sind Empfehlungen zur MRD-Diagnostik publiziert.4,5 Eine wichtige Notiz für den Kliniker: Immer den „first pull“ (erstes Aspirat) einschicken. Hervorzuheben ist auch, dass bei der Publikation von MRD-Ergebnissen die eingesetzte Technik und die erzielte Sensitivität anzuführen sind, um die Ergebnisse besser vergleichbar zu machen.

Obwohl die prognostische Relevanz des MRD-Status gut etabliert ist, stellt sich in der klinischen Routine die Frage nach einer therapeutischen Relevanz. Soll das Ergebnis der MRD-Untersuchung Einfluss auf die Therapieentscheidung haben? Vorauszuschicken wäre hier, dass Studien zur MRD-gesteuerten Therapie zwar initiiert und im Laufen sind, harte Daten, die ein solches Vorgehen unterstützen würden, liegen allerdings noch nicht vor. So ist man in dieser Frage auf Indizien angewiesen, die sich aus der vorliegenden Literatur extrahieren lassen.

Klärung der therapeutischen Relevanz der MRD-Diagnostik

Die Frage zur therapeutischen Relevanz der MRD-Diagnostik lässt sich in zwei Fragen aufteilen, die aus meiner Sicht separat betrachtet werden müssen.

Ist bei MRD-Positivität nach einer definierten Therapiesequenz eine Therapieintensivierung/Konsolidierung sinnvoll?

Die Indizien sprechen dafür, dass besonders bei Patienten mit Hochrisikozytogenetik bzw. hohem R-ISS-Stadium („revised multiple myeloma international staging system“) die MRD-Negativität ein anzustrebendes Therapieziel darstellen könnte. Schon früh wurde gezeigt, dass durch konventionelle Konsolidierungstherapie nach Hochdosistherapie mit autologer Transplantation der Anteil von Patienten mit MRD-Negativität erhöht werden kann und bei einzelnen Patienten der Transkriptlevel (PCRklonale Signatur) reduziert wird.6 Die spanische Studiengruppe konnte zeigen, dass Patienten mit hohem Risiko baseline (R-ISS-Stadium III oder Hochrisikozytogenetik) bei Erreichen einer MRD-Negativität (Flow, 10-6) dasselbe Outcome hinsichtlich progressionsfreien und auch Gesamtüberlebens haben wie Patienten mit Standardrisiko (R-ISS I und II bzw. Standardrisikozytogenetik).7,8 Das Erreichen einer MRD-Negativität gleicht gewissermaßen die schlechte Prognose (R-ISS III, Hochrisikozytogenetik) dieser Patienten aus. Aktuell sind Studien am Laufen, die etwa den Einsatz einer Antikörper-basierten Konsolidierungstherapie bei Patienten prüfen, die nach Induktion inkl. Hochdosistherapie mit autologer Transplantation MRD-positiv geblieben sind. In Erwartung der Ergebnisse dieser Studien empfiehlt sich schon heute in der Routine ein Blick auf den MRD-Status zur Entscheidung, ob und in welcher Form eine Konsolidierungstherapie vorgenommen werden soll, speziell bei Patienten mit hohem Risiko anhand der Baseline-Faktoren.

Ist bei MRD-Negativität eine Deeskalation der Therapie oder ein vorzeitiger Therapieabbruch gefahrlos möglich?

Auch für die zweite Frage lassen sich Indizien aus der Literatur gewinnen. In der DFCI/IFM-2009-Studie zum Vergleich Hochdosistherapie frontline ja/nein konnte gezeigt werden,9 dass sich die Kurven von Patienten, die nach Induktionstherapie MRD-negativ (NGS, 10-6) sind, separieren, je nachdem ob eine Hochdosistherapie vorgenommen wurde oder nicht. MRD-negative Patienten, die ausschließlich konventionell behandelt wurden, haben ein etwas kürzeres progressionsfreies Überleben als MRD-negative Patienten, bei denen eine Hochdosistherapie mit autologer Transplantation zum Einsatz gebracht wurde. MRD-Negativität scheint somit kein verlässlicher Indikator für eine gefahrlose Therapiedeeskalation.

Auch aus der FORTE-Studie wird ein ähnlicher Eindruck gewonnen, auch hier haben speziell Patienten mit Hochrisikozytogenetik im Studienarm ohne Hochdosistherapie mit autologer Transplantation selbst bei Erreichen einer MRD-Negativität (Flow, 10-5) eine höhere Rezidivneigung als Patienten, die MRD-negativ sind nach intensiver Therapie.10 Die englische Studiengruppe konnte in der Myeloma-XI-Studie zeigen,11 dass MRD-negative Patienten (Flow, 10-4) von einer Lenalidomid-Erhaltungstherapie profitieren. MRD-negative Patienten ohne Lenalidomid-Erhaltungstherapie hatten ein kürzeres progressionsfreies Überleben als MRD-negative Patienten mit Lenalidomid-Erhaltungstherapie. Unabhängig von der zur Frage stehenden Therapiemodalität scheint daher eine Deeskalation oder ein vorzeitiger Therapieabbruch aufgrund des MRD-Status nicht empfehlenswert.

Aktuell sind Studien am Laufen, die analog zur chronisch myeloischen Leukämie die Frage stellen, ob eine protrahierte MRD-Negativität (etwa über einen Zeitraum von 2 Jahren nach Abschluss der Induktionstherapie; mehrere MRD-Untersuchungen im Verlauf; „sustained MRD negativity“) ein Indikator für ein sicheres Absetzen einer Erhaltungstherapie sein kann. Die MRD-Diagnostik aus dem Knochenmark sollte durch eine Bildgebung mittels PET-CT ergänzt werden, um mögliche residuelle Myelomherde zu detektieren, die der routinemäßigen Knochenmarkspunktion am Beckenkamm nicht zugänglich sind.

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Für eine adäquate MRD-Detektion ist es essenziell, immer den „first pull“, also das erste Aspirat, zur Diagnostik zu verwenden.

Ganz besonders scheint dies bei Patienten sinnvoll, die MRD-Negativität im Zuge einer Rezidivtherapie erreichen, da bei relapsierten Patienten die Myelomzellinfiltrate im Knochenmark besonders häufig kein diffuses, sondern ein fokales Verteilungsmuster zeigen, außerdem sind extramedulläre Manifestationen nicht selten. Die Wertigkeit der Bildgebung (PET-CT [Positronen-Emissionstomografie-Computertomografie] bzw. „diffusion-weighted“ Magnetresonanz, wenn verfügbar) als Ergänzung der MRD-Diagnostik aus dem Knochenmark ist in der Literatur dargelegt.12 Zukunftsträchtig scheinen neue Methoden zur MRD-Diagnostik aus dem Peripherblut, wobei Massenspektrometrie zur Detektion des klonalen Proteins in minimaler Menge eingesetzt wird. Auch mit diesen Methoden könnte künftig (sobald etabliert), wie bei Ergänzung der Bildgebung zur Knochenmarksdiagnostik, der sogenannte „sampling error“ (siehe oben) ausgeschaltet bzw. kompensiert werden.

Fazit

Die Relevanz der MRD-Diagnostik liegtbeim Myelom

  1. in der Prognostizierung,

  2. in der Inkorporierung der MRD-Negativität als Endpunkt in klinische Studien,

  3. noch nicht etabliert in der Entscheidungsfindung zu Konsolidierungsmaßnahmen bei MRD-positiven Patienten.

Aus heutiger Sicht sollte MRD-Negativität nach konventioneller Induktionstherapie nicht als Indikator herangezogen werden, auf eine Hochdosistherapie mit autologer Transplanation frontline bei geeigneten Kandidaten zu verzichten, ebenso wenig als Rechtfertigung für den Verzicht auf eine Erhaltungstherapie.

1 Lahuerta JJ et al.: Depth of response in multiple myeloma: a pooled analysis of three PETHEMA/GEM clinical trials. J Clin Oncol 2017; 35(25): 2900-10 2 Munshi NC et al.: Association of minimal residual disease with superior survival outcomes in patients with multiple myeloma: ameta-analysis. JAMA Oncol 2017; 3(1): 28-35 3 Landgren O et al.: Role of MRD status in relation to clinical outcomes in newly diagnosed multiple myeloma patients: a meta-analysis. Bone Marrow Transplant 2016; 51(12): 1565-8 4 Kumar S et al.: International Myeloma Working Group consensus criteria for response and minimal residual disease assessment in multiple myeloma Lancet Oncol 2016; 17(8): e328-46 5 Costa LJ et al.: International harmonization in performing and reporting minimal residual disease assessment in multiple myeloma trials. Leukemia 2020; Online ahead of print 6 Ladetto M et al.: Major tumor shrinking and persistent molecular remissions after consolidation with bortezomib, thalidomide, and dexamethasone in patients with autografted myeloma. J Clin Oncol 2010; 28(12): 2077-84 7 Paiva B et al.: Measurable residual disease by next-generation flow cytometry in multiple myeloma. J Clin Oncol 2020; 38(8): 784-92 8 Goicoechea I et al.: Deep MRD profiling defines outcome and unveils different modes of treatment resistance in standard and high risk myeloma. Blood 2020; Online ahead of print 9 Perrot A et al.: Minimal residual disease negativity using deep sequencing is a major prognostic factor in multiple myeloma. Blood 2018; 132(23): 2456-64 10 Perrot A et al.: Integrative analysis of baseline prognostic features and achievement of minimal residual disease negativity as predictors of early relapse in transplant-eligible multiple myeloma patient. Blood 2019: 134(Supplement_1): 605 11 Graham H Jackson et al.: Lenalidomide is a highly effective maintenance therapy in myeloma patients of all ages; results of the phase III Myeloma XI study. Blood 2016; 128(22): 1143 12 Cavo M et al.: Role of (18)F-FDG PET/CT in the diagnosis and management of multiple myeloma and other plasma cell disorders: a consensus statement by the International Myeloma Working Group. Lancet Oncol 2017; 18(4): e206-17

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