
Morgendämmerung in einer neuen immunologischen Therapielandschaft
Autor:
Priv.-Doz. Dr. Niklas Zojer
1. Medizinische Abteilung
Zentrum für Onkologie und Hämatologie & Palliativmedizin
Klinik Ottakring, Wien
Mit der Entwicklung der bispezifischen Antikörper und „Chimeric antigen receptor“(CAR-T)-Zellen zeichnen sich nunmehr auch in der Myelomtherapie große Umbrüche ab. Die genannten Therapien führen bei Patienten nach multiplen Vortherapien zu Ansprechraten von bis zu über 90%. Die Remissionen sind in dieser fortgeschrittenen Krankheitssituation zwar vielfach nicht dauerhaft, aber es lässt sich das Potenzial dieser Substanzen in früheren Therapielinien erahnen. Die heute in der Erstlinie gebräuchlichen Substanzen (etwa Bortezomib, Lenalidomid) erzielten in den maßgebenden Studien bei ähnlich fortgeschrittener Myelomerkrankung Remissionsraten um 30%. An die neuen Therapieformen knüpfen sich somit große Hoffnungen mit Aussicht auf definitiv-kurative Behandlungskonzepte in erster Therapielinie.
Keypoints
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Bispezifische Antikörper und CAR-T-Zellen erzielen hohe Ansprechraten bei stark vorbehandelten Patienten mit Myelom.
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Die Remissionen können anhaltend sein, ein Plateau in den PFS-Kurven wurde aber nicht beobachtet.
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Der Einsatz früher im Krankheitsverlauf lässt bessere Effizienz vor allem hinsichtlich der Überlebensdaten erhoffen.
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Sowohl bei bispezifischen Antikörpern als auch bei CAR-T-Zellen ist ein umfassendes multidisziplinäres und präemptives Management von potenziellen Nebenwirkungen erforderlich, um die Therapien sicher zu gestalten.
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Als Zukunftsperspektive scheinen durch weitere Optimierungen der CAR-T-Zell-Produkte und die Kombination verschiedener immunologischer Therapieansätze eine langfristige Krankheitskontrolle und ein kuratives Behandlungsziel für die meisten Myelompatienten denkbar.
Mit der Entwicklung und Zulassung von Daratumumab, Elotuzumab sowie Isatuximab eröffnete sich das Feld Antikörper-basierter Therapien beim Myelom. Kürzlich wurde auch das erste Antikörper-Wirkstoff-Konjugat für die Myelomtherapie zugelassen (Belantamab-Mafodotin). Nunmehr sind die ersten vielversprechenden Daten zu bispezifischen Antikörpern verfügbar, wobei verschiedene Konstrukte in Entwicklung sind. Allen gemeinsam ist ein dualer Bindungspunkt, erstens an einem Myelomzellantigen (bei den meisten in Entwicklung befindlichen Antikörpern das B-Zellreifungsantigen BCMA), zweitens an CD3 von T-Lymphozyten. Die Antimyelomwirkung kommt durch die Effektorfunktionen der T-Lymphozyten zustande, die mittels des bispezifischen Antikörpers in räumliche Nähe der Myelomzellen gebracht werden.
Für den bispezifischen Antikörper Teclistamab wurden Daten der Phase-I-Studie MajesTEC-1 bei den Meetings der American Society of Clinical Oncology und European Hematology Association 2021 präsentiert und mittlerweile auch im „Lancet“ publiziert.1 Die empfohlene Dosierung für die Phase II wurde mit 1500µg/kg Körpergewicht (KG) in subkutaner Applikation in wöchentlichen Intervallen festgelegt. Bei den 40 Patienten, die mit dieser Dosis behandelt wurden, zeigten sich eine Gesamtansprechrate von 65% und ein Ansprechen ≥ „very good partial remission“ (VGPR) von 58%. Die Überlebensdaten sind aufgrund der bis jetzt kurzen Nachbeobachtungszeit noch nicht verfügbar, es wurde allerdings über dauerhafte Remission von über einem Jahr berichtet. An Nebenwirkungen sind vor allem das Zytokinfreisetzungssyndrom (70%, typischerweise Grad 1 und 2), Zytopenien sowie Infektionen zu beachten. Eine Neurotoxizität wurde selten beobachtet (1%). Vier weitere ausgewählte bispezifische Antikörper in Entwicklung sind in Tabelle 1 angeführt.
Tab. 1: Ausgewählte bispezifische Antikörper in Entwicklung für die Myelomtherapie. BiTE, „bi-specific T-cell engagers“; FcRH5, „Fc receptor-homolog 5“; GPRC5D, „G-protein coupled receptor family C group 5 member D“
Zwei CAR-T-Zell-Therapeutika für das Myelom in Kürze verfügbar
Bzgl. der CAR-T-Zell-Therapie sind zwei Produkte in fortgeschrittener Entwicklung, und zwar Idecabtagen Vicleucel (Ide-cel), das in den KarMMa-Studien untersucht wurde und wird und in den USA und durch die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) bereits zugelassen ist, sowie Ciltacabtagen Autoleucel (Cilta-cel), für das Daten aus der CARTITUDE-1-Studie vorliegen.
Es handelt sich hierbei um zelluläre Therapien, bei der autologe T-Zellen in vitro so modifiziert werden, dass sie ein B-Zellrezeptor-ähnliches Molekül mit Spezifität für ein Myelomzellantigen exprimieren. Die meisten in Entwicklung befindlichen Produkte, so auch Ide-cel und Cilta-cel, nutzen BCMA als Target. Für Cilta-cel wäre auf die Besonderheit hinzuweisen, dass der Rezeptor zwei BCMA-bindende Domänen aufweist. Vermutlich ist dies der Grund dafür, dass im Vergleich zu Cilta-cel die idealerweise zu verabreichende Dosis modifizierter Zellen („target dose“) niedriger liegt als bei Ide-cel, nämlich bei 0,75x106 T-Zellen pro kg KG (60x106 absolut bei einem 80kg schweren Menschen) im Vergleich zu 300–450x106 gesamt (hier ist die „target dose“ nicht Körpergewicht-bezogen), also zumindest etwa um den Faktor 5 niedriger.
Im Gegensatz zu den bispezifischen Antikörpern werden CAR-T-Zellen einmalig appliziert (Einmaltherapie), wobei zunächst mittels Leukapherese autologe T-Zellen vom Patienten gewonnen werden. Für die In-vitro-Modifikation ist ein Zeitraum von zumindest 2 Wochen zu veranschlagen, was in manchen Fällen von progressiver Erkrankung eine Therapie zur Überbrückung („bridging therapy“) notwendig macht. Jedenfalls ist vor Rückführung des chimären autologen Produktes auch eine konditionierende Chemotherapie mit Fludarabin und Cyclophosphamid vorgesehen, um ein „Angehen“ der modifizierten T-Zellen zu ermöglichen (Verhinderung einer Abstoßungsreaktion durch das Immunsystem des Empfängers). Im intrazellulären Teil des Rezeptorkonstruktes findet sich die CD3ζ-Signaldomäne mit einer kostimulatorischen Domäne (entweder CD28 oder 4-1BB; im Fall von Ide-cel und Cilta-cel 4-1BB).
Hohe Ansprechraten bei extensiver Vortherapie
In der KarMMa-Studie (128 Patienten, median 6 Vortherapien, mediane Zeit von Erstdiagnose 6 Jahre) wurde mit Ide-cel ein Ansprechen bei 73% der Patienten gesehen (Vollremission [CR] ≥33%).2 Das mediane progressionsfreie Überleben (PFS) lag bei 8,8 Monaten. Mit der höheren „target dose“ (450x106) lag das Ansprechen bei 81% der Patienten und das mediane PFS bei 12,2 Monaten. Ein Zytokinfreisetzungssyndrom wurde bei 84% der Patienten beobachtet (5% ≥Grad 3), neurologische Toxizität („immune effector cell mediated neurotoxicity syndrome“, ICANS) bei 18% (3% davon Grad 3). Weiters zu erwähnen ist die hohe Frequenz des Auftretens von Zytopenien (Dauer median 2 Monate). Aktuell wird Ide-cel unter anderem in der KarMMa-3-Studie nach 2–4 Vortherapien versus Standardtherapie geprüft und in der KarMMa-4-Studie in der ersten Linie bei Hochrisikomyelom.
In der CARTITUDE-1-Studie wurden 97 ebenfalls extensiv vortherapierte Patienten (median 6 Vortherapien) behandelt.3 Die Ansprechrate lag bei 98%, die Rate an „stringent“ CR bei 80% und die 18-Monate-PFS-Rate bei 66% der Patienten. Die Ergebnisse scheinen somit etwas besser zu liegen als mit Ide-cel, wobei ein Vergleich zwischen den Studien, noch dazu bei insgesamt limitierter Patientenzahl, nicht gut legitimiert ist. An Nebenwirkungen waren in CARTITUDE-1 bei den meisten Patienten ein Zytokinfreisetzungssyndrom zu beobachten (95%), allerdings überwiegend vom Grad 1–2, sowie auch das ICANS bei 16% (bei 2%≥Grad 3). Im Vergleich zu Ide-cel trat das Zytokinfreisetzungssyndrom später auf (median 7 Tage versus 1 Tag nach CAR-T-Zell-Infusion) und die Zytopenien waren weniger lang anhaltend (2–4 Wochen versus 2 Monate), was vermutlich auf die niedrigere „target dose“ von Cilta-cel zurückzuführen sein dürfte (und die niedrigere „target dose“ von Cilta-cel dürfte durch die doppelte BCMA-Bindungsstelle des Rezeptors ermöglicht sein). Zum Nebenwirkungsmanagement sei auf die Literatur im Anhang verwiesen.4
Aktuell wird Cilta-cel in der CARTITUDE-2-Studie in Kohorte A nach 1–3 Vortherapien geprüft sowie in der CARTITUDE-4-Studie im randomisierten Setting nach 1–3 Vortherapien versus D-Pd (Daratumumab, Pomalidomid, Dexamethason) oder V-Pd (Bortezomib, Pomalidomid, Dexamethason).
Nicht das Ende der Fahnenstange
Die Faszination der CAR-T-Zell-Therapien ergibt sich nicht nur aus den ungewöhnlich hohen Ansprechraten bei extensiv vorbehandelten Patienten, sondern auch aus dem Umstand, dass durch weitere biotechnologische Modifikationen die Effizienz und Sicherheit der Methode verbessert werden kann und bereits wird.4,5 Hinsichtlich der Steuerbarkeit des Produktes wird an Inklusion von „suicide genes“ in den Vektor geforscht. Was die Effizienz betrifft, ist vor allem die Erzielung eines Plateaus in den PFS-Kurven ein vorrangiges Ziel. Ein Verlust des Targets (BCMA) scheint für die Entwicklung einer Therapieresistenz eher selten verantwortlich zu sein, hingegen wird bei den CAR-T-Zell-Produkten für das Myelom eine limitierte Persistenz des chimären Produktes in der Zirkulation beobachtet (im Gegensatz zur CD19-gerichteten CAR-T-Zell-Therapie beim Lymphom). Möglicherweise ist dies auf intrinsische T-Zell-Defekte zurückzuführen, verursacht durch die lange vorbestehende Myelomerkrankung und Toxizität der Vortherapien. Auf die T-Zell-Fitness wird daher zukünftig ein besonderes Augenmerk gelegt werden. Eine Verbesserung der Funktionsfähigkeit der autologen T-Zellen wäre etwa durch Sammlung (Pherese) früh im Krankheitsverlauf denkbar. Auch wird an der Entwicklung von allogenen CAR-T-Zell-Produkten („off the shelf“) gearbeitet, wobei dazu T-Zellen von gesunden Spendern gewonnen werden. Die Herausforderungen hierbei sind Verhinderung einerseits einer Graft-versus-Host-Reaktion (durch Ausschaltung des T-Zell-Rezeptors im Produkt) und andererseits einer Abstoßung des allogenen Produktes (durch Ausschaltung der Expression von MHC[„major histocompatibility complex“]-Klasse-I-Molekülen im Produkt).
Weitere Strategien der CAR-T-Zell-Plattform inkludieren etwa die Optimierung der CD4/CD8-Ratio im Produkt, die Anreicherung von chimären Zellen mit „memory-like phenotype“ (etwa durch Kultivierung in Präsenz eines Phosphatidyl-Inositol-3-Kinase[PI3K]-Inhibitors). Weiters wird an Modifikationen der „signaling domain“ gearbeitet, an der Herstellung von vollhumanen CAR-Konstrukten, um Empfänger-Abwehrreaktionen zu vermeiden, sowie an der Herstellung von „Dual target“-CAR-T-Zellen, um bessere Effizienz bei heterogener Targetexpression zu erzielen. Angedacht wird auch die Kombination einer CAR-T-Zell-Therapie mit Checkpoint-Inhibitoren oder mit Anti-CD38-Antikörpern, mit dem Ziel durch Letztere CD38-positive regulatorische T- und B-Zellen (mit immunsuppressiver Wirksamkeit) auszuschalten; weiters angedacht wird die Kombination mit immunomodulatorischen Substanzen (IMiDs) zur Aktivierung etwa von T-Helfer-Zellen.
Literatur:
1 Usmani SZ et al.: Teclistamab, a B-cell maturation antigen×CD3 bispecific antibody, in patients with relapsed or refractory multiple myeloma (MajesTEC-1): a multicentre, open-label, single-arm, phase 1 study. Lancet 2021; 398(10301): 665-74 2 Munshi NC et al.: Idecabtagene Vicleucel in relapsed and refractory multiple myeloma. NEngl J Med 2021; 384(8): 705-16 3 Berdeja JG et al.: Ciltacabtagene autoleucel, a B-cell maturation antigen-directed chimeric antigen receptor T-cell therapy in patients with relapsed or refractory multiple myeloma (CARTITUDE-1): a phase 1b/2 open-label study. Lancet 2021; 398(10297): 314-24 4 Van de Donk NWCJ et al.: CAR T-cell therapy for multiple myeloma: state of the art and prospects. Lancet Haematol 2021; 8(6): e446-61 5 Van de Donk NWCJ et al.: Determinants of response and mechanisms of resistance of CAR T-cell therapy in multiple myeloma. Blood Cancer Discov 2021; 2(4): 302-18
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