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Molekulargenetik und deren Therapiekonsequenzen
Jatros
Autor:
Prim. Dr. Ernst Ulsperger
Interne Abteilung<br> Landesklinikum Horn<br> ernst.ulsperger@horn.lknoe.at
30
Min. Lesezeit
06.04.2017
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<p class="article-intro">Myeloproliferative Neoplasien (MPN) zählen neben den akuten Leukämien (AML), den myelodysplastischen Syndromen (MDS), den myelodysplastischen/myeloproliferativen Neoplasien (MDS/MPN) und den myeloischen/lymphatischen Neoplasien mit Eosinophilie (MLN-eo) zu der großen Gruppe der myeloischen Neoplasien (MN). Seit der entsprechenden Einteilung der WHO 2008 gab es eine Vielzahl neuer Erkenntnisse mit neuen diagnostischen Kriterien und daraus resultierender prognostischer Relevanz. Die neue WHO-Klassifikation der MN wurde 2016 publiziert.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>William Dameshek beschrieb im Jahr 1951 die Trias Thrombose, Hämorrhagie und leukämische Transformation und leitete daraus die Diagnosen essentielle Thrombozytose (ET), Polycythaemia vera (PV) und Myelofibrose (PMF) ab. Über 30 Jahre später wurde die Translokation t(9;22) mit dem Fusionsprotein BCR-ABL identifiziert und die chronische myeloische Leukämie (CML) als eigene Krankheit genetisch klassifiziert. Bis 2008 wurden weitere molekulare Marker identifiziert (JAK2, MPL, TET2, FIP1L1-PDGFRA etc.), die besser eingrenzbare Diagnosen schufen.<br /> Die im Mai 2016 publizierte neue WHO-Klassifikation hat sich gegenüber 2008 nicht signifikant verändert, aber die Entdeckung neuer Mutationen und klinische Erkenntnisse führen zu einigen Umgruppierungen (Abb. 1). In der Gruppe der MDS/MPN konnten die Fälle der BCRABL- negativen CML (aCML) exakter herausgearbeitet werden, insbesondere können sie leichter von der chronischen Neutrophilen- Leukämie (CNL) unterschieden werden. Die für die CNL typische Mutation CSF3R findet sich ausgesprochen selten in Fällen der aCML, dafür sind in mehr als der Hälfte der Fälle SETBP1- bzw. ETNK1-Mutationen vorhanden. Die typischen Driver-Mutationen der MPN (JAK2, CALR, MPL) liegen bei einer aCML nicht vor. Die diagnostische Charakteristik der CNL und die Bedeutung der CSF3R-Mutation sind in Tabelle 1 abgebildet.<br /> Neu aufgenommen in die Gruppe der MDS/MPN wurde die Kategorie der myelodysplastischen/myeloproliferativen Neoplasie mit Ringsideroblasten und Thrombozytose (MDS/MPN+RS+T), morphologisch charakterisiert durch die typischen MDS-Kriterien im Sinne einer refraktären Anämie, Dyserythropoese und Ringsideroblasten, kombiniert mit einer Megakaryozytopoese, die für eine MPN typisch ist. Sehr häufig ist diese Morphologie mit einer Mutation im Spliceosom SF3B1 vergesellschaftet (oft sichtbar beim Vorliegen von Ringsideroblasten), in Kombination mit JAK2, MPL, und CALR.<br /> Die Mastozytose (MC) zählt nicht mehr zu der Gruppe der MPN, sondern stellt eine eigene Entität im Rahmen der MN dar. Diese Änderung wurde erforderlich aufgrund der Varianz von einer indolenten Hauterkrankung bis zu einer aggressiven Systemerkrankung (kutane, systemische Mastozytose, Mastzellleukämie, Mastzellsarkom).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Onko_1702_Weblinks_s40_abb1.jpg" alt="" width="1454" height="1020" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Onko_1702_Weblinks_s40_tab1.jpg" alt="" width="1419" height="1118" /></p> <h2>CML</h2> <p>Verfolgt man die Lebenserwartung von Patienten mit CML, offenbart sich eine Erfolgsgeschichte in der Hämatologie. Lag 1983 die 10-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit (SVR) mit Hydroxyurea und Busulfan unter 10 % , konnte sie durch den Einsatz von Interferon und Stammzelltransplantation bis zum Jahrtausendwechsel auf 60 % gehoben werden. Mit der Einführung der Tyrosinkinaseinhibitoren (TKI) stieg die SVR auf 90 % (CML-IVStudie) und Daniel Arber spricht 2016 von einer „fast normalen Lebenserwartung“. Die laufende Therapie der CML wird durch ein exaktes Monitoring der BCRABL- Transkripte begleitet, um einen Wirkungsverlust der TKI frühzeitig zu erkennen. Dadurch gelingt es, die Häufigkeit des Auftretens einer Akzelerationsphase zu vermindern. Diese wurde ebenfalls neu definiert (Tab. 2). Vor allem die Entwicklung einer Resistenz gegen TKI-Therapie und die zusätzlichen klonalen Änderungen in Ph+-Zellen werden neben den bekannten hämatologischen und morphologischen Parametern miteinbezogen.</p> <p> <img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Onko_1702_Weblinks_s40_tab2.jpg" alt="" width="1419" height="606" /></p> <h2>PV, ET und PMF</h2> <p>Klinisch können diese drei Krankheitsbilder mit dem Auftreten in der zweiten Lebenshälfte und thromboembolischen Komplikationen charakterisiert werden. Sie unterscheiden sich jedoch deutlich in der Lebenserwartung. Während die ET praktisch nie in eine sekundäre AML transformiert, tritt dies bei der PV gar nicht selten auf und endet bei der PMF mit dem terminalen Blastenschub. Die mediane Lebenserwartung beträgt knapp 1,3 Jahre bis zu einer „fast normalen“ Lebensspanne (Tab. 3). Diagnostisch ist bei allen drei Entitäten eine Beckenkammpunktion zur Abgrenzung eines präfibrotischen Stadiums einer PMF durchzuführen.<br /> Die WHO-Kriterien für das Vorliegen einer ET umfassen neben den bekannten morphologischen Charakteristika vor allem den Nachweis einer JAK2- (bei 50– 60 % der Patienten), CALR- (30–35 % ) oder MPL-Mutation (3 % ). Derzeit werden 10– 12 % der Patienten als „tripelnegativ“ gewertet. Die Therapieindikation richtet sich nach dem Vorliegen von Risikofaktoren. Dazu zählen thromboembolische Komplikationen, Alter über 65 und eine Thrombozytenzahl >1,5 Millionen. Bei niedrigem Risiko ist nur „watch and wait“ angezeigt, während bei einem rein vaskulären Risiko eine Aspirinprophylaxe indiziert ist. Erst beim Erreichen einer Hochrisikosituation ist die Therapie mit Hydroxyurea, IFN, Anagrelid oder einem JAK2-Inhibitor (Ruxolitinib) angezeigt. Für den Therapieverlauf ist anzumerken, dass Thrombozytenzahlen unter 1,5 Millionen zu Thrombosen und Mikrozirkulationsstörungen führen, bei darüber liegenden Werten jedoch die Blutungsneigung zunimmt.<br /> Die PV ist charakterisiert durch Hämoglobin >16g/dl, einen Hämatokrit >48 % , mit einer im Knochenmark trilinearen Hyperzellularität mit pleomorphen Megakaryozyten. Molekularbiologisch kann die PV fast zu 100 % nachgewiesen werden. 95 % der Patienten weisen eine JAK2<sup>V617F</sup>-Mutation auf und weitere 3 % eine JAK2- Mutation im Exon12. Tritt im Verlauf der Krankheit eine Leukozytose auf, ist dies, aufgrund des Risikos der leukämischen Transformation, mit einer schlechteren Prognose verbunden. Kurativ kann die PV nur durch eine allogene Stammzelltransplantation behandelt werden. Die Primärtherapie besteht aus regelmäßigen Aderlässen und Acetylsalicylsäure, bei Progression bietet sich Hydroxyurea und Interferon an. Treten Resistenzen auf, sind auch bei der PV JAK2-Inhibitoren zugelassen.<br /> Die primäre Myelofibrose wird seit letztem Jahr in präfibrotisch (prePMF) und klassisch (overtPMF) unterteilt, die sich im Wesentlichen im Grad der Retikulinfibrose (0 oder 1 beziehungsweise 2 oder 3) unterscheiden. Die weiteren Hauptkriterien umfassen in beiden Gruppen die bekannten morphologischen Kriterien und auf molekularer Ebene das Vorliegen von JAK2, CALR oder MPL oder bei deren Fehlen andere klonale Marker, z.B. ASXL1, EZH2, TET2, IDH1/IDH2, SRSF2, SF3B1. Die therapeutischen Optionen sind je nach Risikoscore zu steuern und reichen von „watch and wait“ über supportive Therapie (Epo-Gabe, Erythrozytenkonzentrate), Hydroxyurea oder eventuell Interferon bis zur Behandlung mit JAK2-Inhibitoren.<br /> Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die neue Klassifikation sowohl in diagnostischer als auch therapeutischer Hinsicht den Kliniker im Alltag unterstützt.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Onko_1702_Weblinks_s40_tab3.jpg" alt="" width="1419" height="757" /></p></p>
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<p>beim Verfasser</p>
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