
„Wir agieren schon auf sehr hohem Niveau“
Unser Gesprächspartner:
Univ.-Prof. Dr. Michael Gnant
Comprehensive Cancer Center
Medizinische Universität Wien
E-Mail: michael.gnant@meduniwien.ac.at
Das Interview führte Dr. Nicole Leitner
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Beim diesjährigen virtuellen Meeting der American Society of Clinical Oncology (ASCO) wurde wieder eine Reihe spannender Daten zum Mammakarzinom präsentiert. Wir sprachen mit Univ.-Prof. Dr. Michael Gnant über seine ganz persönlichen Highlights und Hoffnungen für die optimale Betreuung von Mammakarzinompatientinnen in den nächsten Jahren, aber auch über Daten, welche er kritisch betrachtet.
In der Plenary Session wurde die ECOG-ACRIN-2108-Studie präsentiert. Was waren die Ergebnisse?
M. Gnant: Dr. Seema A. Khan hat diese Studie für die ECOG-ACRIN („Eastern Cooperative Oncology Group“-„American College of Radiology Imaging Network“) vorgestellt. Im Wesentlichen wurde in der Studie der Frage nachgegangen, welchen Stellenwert der lokoregionalen Therapie (LRT), also Operation und Radiotherapie, bei primär metastasiertem Brustkrebs einzuräumen ist. Die Studie wurde sauber durchgeführt und hatte ein klares Design: Alle Patientinnen wurden zunächst 4–8 Monate systemisch behandelt und danach in zwei Arme randomisiert: entweder nur Systemtherapie oder Systemtherapie plus operative Entfernung des Primärtumors und entsprechende Strahlentherapie.
Beim primär metastasierten Brustkrebs handelt es sich um eine sehr seltene Erkrankung – weniger als 5% aller Mammakarzinome in Österreich gehören zu diesem Subtyp. Selbst so eine gute Studiengruppe wie die ECOG-ACRIN konnte schlussendlich nur 256 Patientinnen randomisieren. Die Daten zeigen, dass die LRT keinen Überlebensvorteil bietet. Besser war natürlich die lokale Progression, sie konnte mit 25% vs. 10% mehr als halbiert werden. Trotzdem war die Lebensqualität (QoL), die auch gemessen wurde, im Wesentlichen gleich.
Beim tripelnegativen Mammakarzinom wurde das Überleben sogar tendenziell verkürzt, die Zahlen sind in dieser Hinsicht allerdings nicht belastbar. Möglicherweise macht sich hier die Unterbrechung der Systemtherapie bei dem bekanntermaßen aggressivsten Subtyp des Mammakarzinoms bemerkbar.
Obwohl diese Studie eine sehr wichtige Thematik behandelt und durchaus ihre Berechtigung hat, war ich doch etwas verwundert, dass sie in der Plenary Session diskutiert wurde. Es gibt bereits einige gute Studien zu dieser Fragestellung, u.a. die ABCSG 28/POSYTIVE, welche von Univ.-Prof. Dr. Florian Fitzal et al. publiziert worden ist. Schon in dieser konnte kein nennenswerter Mehrwert einer operativen Therapie festgestellt werden. Nichtsdestotrotz wurde unser bisheriges Wissen durch die ECOG-ACRIN 2108 auf jeden Fall verfestigt und es bestätigt die allgemein anerkannte Meinung, dass eine lokoregionale Therapie zusätzlich zur Systemtherapie beim primär metastasierten Brustkrebs in den meisten Fällen nicht notwendig/sinnvoll ist.
Beim metastasierten tripelnegativen Mammakarzinom sind die Ergebnisse der KEYNOTE-355-Studie vorgestellt worden. Wie schätzen Sie diese ein?
M. Gnant: Einleitend muss dazu gesagt werden, dass die Immuntherapie mit Checkpoint-Inhibitoren (CPI) in den letzten Jahren bei vielen Tumorentitäten revolutionäre Ergebnisse gezeigt hat. Wir Brustkrebsforschende blieben dabei zunächst außen vor, weil das Mammakarzinom insgesamt offenbar nicht sehr immunogen ist.
Wenn es jedoch einen Subtyp des Mammakarzinoms gibt, der für die Immuntherapie geeignet ist, dann handelt es sich dabei um den tripelnegativen, bei welchem wiederum zwischen basalzelligem und nicht basalzelligem Subtyp unterschieden werden muss. Wie in der KEYNOTE-355-Studie gezeigt wurde, spielt die Expression von „programmed death-ligand 1“ (PD-L1) wieder eine entscheidende Rolle.
Pembrolizumab wurde zusätzlich zur Chemotherapie in der Erstlinie des tripelnegativen Mammakarzinoms geprüft. Aus Daten zur neoadjuvanten Therapie (auch mit Atezolizumab) ist schon bekannt, dass mit CPI gute Ergebnisse erzielt werden können. Dr. Javier Cortez konnte für seine Studie 827 Patientinnen mit metastasiertem tripelnegativem Mammakarzinom rekrutieren.
Bei einem Combined Positive Score (CPS) ≥10 konnte unter Pembrolizumab ein um ein Drittel signifikant verlängertes progressionsfreies Überleben (PFS) festgestellt werden. Bei einem CPS ≥1 wurde das PFS um ein Viertel verlängert, jedoch nicht auf signifikante Weise. Das Fazit ist also: Patientinnen mit tripelnegativem Mammakarzinom können von der Immuntherapie mit dem CPI Pembrolizumab profitieren, jedoch nur eine recht kleine, genau definierte Subgruppe. Es ist aber wichtig, im Hinterkopf zu behalten, dass es sich keinesfalls um eine nebenwirkungsfreie Therapie handelt, sondern beträchtliche Nebenwirkungen wie Hyperthyreose, Pneumonitis und Kolitis auftreten können. Die Therapie sollte also nicht leichtfertig eingesetzt werden, sondern nur bei Patientinnen, die einen hohen CPS haben. Diese Ergebnisse entsprechen unseren Erfahrungen zur neoadjuvanten Therapie, wo ähnliche Daten erhoben wurden.
Beim HER2+ metastasierten Mammakarzinom gab es neue Daten zu zwei unterschiedlichen Wirkstoffen: Pyrotinib und Tucatinib. Was ist von diesen Substanzen zu erwarten?
M. Gnant: Pyrotinib, ein neuer irreversibler Pan-ErbB-Inhibitor, der den „epidermal growth factor receptor“ (EGFR), den „human epidermal growth factor receptor 2“ (HER2) und HER4 zu inhibieren vermag, wurde in der Phase-III-Studie PHOEBEbei 267 HER2+-Patientinnen in der Zweitlinientherapie mit Lapatinib verglichen. Das Ergebnis war mit einer Hazard-Ratio (HR) von 0,39 für das progressionsfreie Intervall eindrucksvoll (Abb. 1). Sogar beim Gesamtüberleben (OS) zeigte sich klar ein positiver, wenn auch (noch) nicht signifikanter Trend. Pyrotinib könnte sich also gut in die Vielzahl von Behandlungsoptionen einfügen. Mir scheint, dass die Studienergebnisse derzeit noch etwas skeptisch beäugt werden, da die PHOEBE-Studie in China durchgeführt worden ist. Ich bin aber fest davon überzeugt, dass Pyrotinib seinen Platz als neuer Tyrosinkinaseinhibitor (TKI) beim HER2+ metastasierten Mammakarzinom finden wird.
Abb. 1: Progressionsfreies Überleben in der Phase-III-Studie PHOEBE (nach Binghe X et al.: ASCO 2020, Abstr. #1003)
Zu Tucatinib gab es eine spezielle Auswertung der HER2CLIMB-Studie mit Patientinnen mit Hirnmetastasen, welche spektakuläre Ergebnisse zeigte. Die HER2CLIMB-Studie untersuchte den Effekt von Tucatinib vs. Placebo zusätzlich zur Standardtherapie und wurde schon in San Antonio präsentiert. Es gilt den Autoren für ihren Mut zu danken, diese sehr schwierige Patientinnengruppe, welche oft nicht ausreichend abgebildet wird, in ihre Hauptstudie mitaufzunehmen. Es zeigte sich eine 1-Jahres-PFS-Rate von 42% in der Tucatinib-Gruppe vgl. mit 0% in der Kontrollgruppe. Die Ergebnisse fügen sich in unsere bisherigen Erfahrungen ein. Es bleibt zu hoffen, dass Tucatinib bald bei uns verfügbar sein wird. Meiner Meinung nach wird der Wirkstoff einen festen Platz im Therapiealgorithmus des HER2+ metastasierten Mammakarzinoms finden.
Gab es beim Hormonrezeptor(HR)+, HER2– metastasierten Mammakarzinom Studienergebnisse, die Sie für besonders relevant halten?
M. Gnant: Es gab zahlreiche interessante Präsentationen zum HR+, HER2– metastasierten Mammakarzinom, drei davon möchte ich jedoch besonders hervorheben.
Eine Analyse der PADA-1-Studie stellte dar, dass bei entsprechender Anwendung von Inhibitoren der „cyclin-dependent kinases“ 4/6 (CDKi) Mutationen des Östrogenrezeptors 1 (ESR1) tatsächlich wieder verschwinden können. Das heißt nichts anderes, als dass Mutationen der endokrinen Resistenz zu eliminieren sind. Das ist ein sehr mutmachendes Ergebnis. Es wäre wunderbar, wenn wir das Mammakarzinom mehr und mehr als chronisch-entzündliche Erkrankung betrachten könnten, deren Resistenzmechanismen wir nicht nur durch immer neue Medikamente in Schach halten, sondern eventuell sogar umkehren können.
Die zweite Studie, über die ich sprechen möchte, war die Phase-II-Studie PARSIFAL, welche von Dr. Antonio Llombart-Cussac präsentiert wurde. In ihr wurde der Fragestellung nachgegangen, welche endokrine Therapie die optimale Ergänzung zu CDKi darstellt. Alle Patientinnen erhielten Palbociclib und entweder eine Basistherapie mit Aromataseinhibitoren, Fulvestrant oder einer Kombination aus beiden. Die Daten zeigten keine signifikanten Unterschiede in den Überlebensraten. Dies ist durchaus erfreulich, da sich daraus schließen lässt, dass die Wahl der endokrinen Therapie recht frei und je nach individuellen Nebenwirkungen bei den Patientinnen erfolgen kann.
In der BYLieve-Studie wurde der Kinasehemmer Alpelisib, dessen Wirkung auf der Hemmung der mutierten α-Untereinheit der Phosphatidylinositol-3-Kinase (PI3Kα) beruht, in der Zweitlinie nach CDKi oder Aromataseinhibitoren untersucht. Sie zeigte im Wesentlichen die gleichen Ergebnisse wie die Zulassungsstudie SOLAR-1, in welcher aber vor allem Patentinnen miteingeschlossen worden waren, die in der Erstlinie Aromataseinhibitoren oder eine einfache endokrine Therapie erhalten hatten. Nur zwei Dutzend Patientinnen wurden in der Erstlinie mit CDKi therapiert, da diese zum damaligen Zeitpunkt noch nicht als vollends etabliert galten. Aus diesem Grund erteilte die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) Alpelisib die Zulassungsempfehlung nur nach einer entsprechenden Erstlinientherapie mit Aromataseinhibitoren. Da heutzutage fast alle Patientinnen in der ersten Linie mit CDKi therapiert werden, ist dieses rigorose Zulassungskriterium meines Erachtens jedoch überholt. Allen geeigneten Patientinnen sollte auf jeden Fall der Zugang zur sehr wirksamen Alpelisib-Therapie ermöglicht werden. Darin liegt für mich auch die Wichtigkeit der BYLieve-Studie: Sie hat bestätigt, dass Alpelisib für alle Patientinnen mit PI3K-Mutation gut geeignet ist, unabhängig von deren Erstlinientherapie. Ich hoffe, dass diese soliden Daten einen Beitrag dazu leisten, dass der Einsatz von Alpelisib bald auch nach einer CDKi-Therapie in der Erstlinie als selbstverständlich erachtet wird.
Zur Therapieoptimierung beim frühen Mammakarzinom wurden einige Studien beim ASCO-Meeting präsentiert. Was waren aus Ihrer Sicht die wichtigsten und wie schätzen Sie diese Ergebnisse ein?
M. Gnant: Da wir bei der Therapie des frühen Mammakarzinoms schon auf sehr hohem Niveau agieren, waren keine bahnbrechenden Ergebnisse zu erwarten. Nichtsdestoweniger wurden zahlreiche interessante Ergebnisse präsentiert.
Prof. Nadia Harbeck aus München hat in der KAITLIN-Studie an 1800 Patientinnen untersucht, ob in der adjuvanten Therapie des HER2+ Mammakarzinoms eine klassische Chemotherapie mit Taxanen plus eine Kombination aus Trastuzumab und Pertuzumab durch Trastuzumab-Emtansin (T-DM1) plus Pertuzumab ersetzt werden kann. Im 3-Jahres-„invasive disease-free survival“ konnte kein Unterschied festgestellt werden. Einzig die QoL wurde ohne die Taxan-Gabe erhöht, was jedoch keine allzu große Überraschung darstellt. Aus Sicht von Prof. Harbeck bestätigt dies die traditionelle Herangehensweise. Ich persönlich würde aber vielmehr behaupten, dass man nun Patientinnen, welche aus bestimmten Gründen keine Chemotherapie machen können oder möchten, eine gleichwertige Alternative anbieten kann. Für die österreichischen Onkologen ist die Fragestellung ohnehin nahezu irrelevant, da die allermeisten HER2+Patientinnen mit einer Tumorgröße von >1cm neoadjuvant behandelt werden.
Die holländische TRAIN-2-Studie ging der Frage nach, ob beim HER2+ Mammakarzinom Anthrazykline aufgrund potenzieller Kardiotoxizitäten vermieden werden sollen. Schon im 3-Jahres-Follow-up zeigte sich, dass Anthrazykline die Wirksamkeit der neoadjuvanten Chemotherapie nicht erhöhen und eine klinisch relevante Toxizität beobachtet werden kann. Trotzdem werden sich die Anhänger von Anthrazyklinen wahrscheinlich dadurch nicht überzeugen lassen, während die Anhänger der anthrazyklinfreien Therapie sich durch diese Studie in ihrer Ansicht bestätigt fühlen werden.
Zwei bemerkenswerte Studien, welche zur neoadjuvanten Therapie präsentiert wurden, waren die ALTERNATE- und die FELINE-Studie. In ALTERNATE wurde geprüft, ob die Therapie mit Fulvestrant oder mit Fulvestrant plus dem Aromataseinhibitor Anastrozol im Vergleich zur Therapie mit nur Anastrozol ein besseres Ansprechen erzielt. Es konnte kein signifikanter Unterschied festgestellt werden. In der FELINE-Studie wurde die Zugabe des CDKi Ribociclib zum Aromataseinhibitor Letrozol untersucht, und auch hier wurde kein entscheidender Unterschied beobachtet. Das mag einerseits enttäuschend sein, andererseits ist es ein klares Zeichen für die Wirksamkeit von Aromataseinhibitoren. Den Patientinnen bleiben zusätzliche, potenziell belastende Therapien erspart.
In der Phase-III-Studie SYSUCC-001 einer südchinesischen Gruppe wurde bei 400 Patientinnen mit tripelnegativem Mammakarzinom niedrigdosiertes, sog. metronomisches Capecitabin in Form einer adjuvanten Therapie zur Standardchemotherapie über ein Jahr geprüft, im Vergleich zu keiner zusätzlichen Therapieform. Es konnte gezeigt werden, dass die metronome Capecitabin-Therapie mit einer 5-Jahres-„disease-free survival“-Rate von 83% vs. 73% deutlich bessere Ergebnisse zeigte als bisherige Anwendungsschemata. Die typische Nebenwirkung war das Hand-Fuß-Syndrom, an welchem 40% der Teilnehmenden in irgendeiner Weise litten. Es lässt sich also durchaus darüber diskutieren, ob diese Art der Therapie bei der Hochrisikogruppe der Patientinnen mit tripelnegativem Mammakarzinom nicht zu einem neuen Standard werden könnte.
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