
Fortgeschrittenes Hodgkin-Lymphom: Therapieoptionen 2024
Autorin:
Dr. Barbara Lehner
3. Med. Abteilung, Mein Hanusch-Krankenhaus, Wien
E-Mail: barbara.lehner@oegk.at
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In den letzten Jahrzehnten haben sich die Heilungsraten für das Hodgkin-Lymphom durch Fortschritte in Chemotherapie und Bestrahlung, den Einsatz einer an das Ansprechen angepassten Behandlung und die Einbeziehung „neuer Substanzen“ in die Therapie kontinuierlich verbessert. Einer hochwirksamen Therapie stehen jedoch auch – zum Teil erhebliche – Langzeitkomplikationen wie kardiopulmonale Komplikationen, Sekundärmalignome, Fertilitätsstörungen und eine Einschränkung der Lebensqualität gegenüber, dementsprechend relevant sind neben der kontinuierlichen Zunahme in Effektivität auch Fortschritte in Tolerabilität.
Keypoints
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Die PET-geführte Therapie mit BrECADD ist dem bisherigen Standard esk. BEACOPP überlegen hinsichtlich Effektivität und Tolerabilität.
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BrECADD ist die neue GHSG-Standard-Erstlinientherapie für fitte Patient:innen <60 Jahren mit fortgeschrittenem klassischem Hodgkin-Lymphom.
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Bei noch kurzem Follow-up erscheint Nivo-AVD bei fortgeschrittenem Hodgkin-Lymphom BV-AVD überlegen.
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Nivo-AVD erscheint bei guter Verträglichkeit und Effektivität auch für ältere Patient:innen (>60 Jahre) eine vielversprechende Therapieoption für das fortgeschrittene klassische Hodgkin-Lymphom zu sein.
Im folgenden Übersichtsartikel werden zwei große, (potenziell) praxisverändernde randomisierte Studien zusammengefasst, die im Jahr 2023/2024 präsentiert wurden: die HD21-Studie der GHSG (German Hodgkin Study Group) und die S1826-Studie der SWOG Cancer Research Network Group.
HD21-Studie (GHSG): BrECADD vs. esk. BEACOPP
Diese Studie schloss neu diagnostizierte, erwachsene Patient:innen (18–60 Jahre) mit fortgeschrittenem Hodgkin-Lymphom ein und verglich den „Standard of Care“ (SOC), das eskalierte (esk.) BEACOPP-Schema, mit dem neueren BrECADD-Schema in einem PET-gesteuerten Ansatz.
Patient:innen mit einem negativen Interims-PET (Deauville-Score 1–3) nach zwei Zyklen (iPET2) erhielten insgesamt vier Zyklen Chemotherapie; iPET2-positive Patient:innen (Deauville-Score 4/5) insgesamt sechs Zyklen. Bei PET-positiven Läsionen >2,5cm im „End-of-treatment“(EOT)-PET wurde eine „Involved site“-Radiatio (ISRT) mit 30Gy durchgeführt.
Beide Schemata enthalten eine Chemotherapie-Grundlage aus Cyclophosphamid, Etoposid und Doxorubicin (mit geringfügigen Unterschieden in der Dosierung von Etoposid und Doxorubicin). BrECADD enthält zudem das CD30-Antikörper-Wirkstoff-Konjugat Brentuximab-Vedotin und kein Vincristin und Bleomycin. Die Steroidkomponente besteht anstatt aus Prednisolon (40mg/m2, d1–14 in esk. BEACOPP) aus Dexamethason (40mg „flat dose“, d1–4); weiters wurde das orale Procarbazin (d1–7 in esk. BEACOPP) gegen intravenöses Dacarbazin (d2–3) getauscht.
Die Studie untersuchte zwei koprimäre Endpunkte: PFS (in einem Nichtunterlegenheits-Design) und therapiebezogene Morbidität (TRMB, in einem Überlegenheits-Design). 1500 Patient:innen wurden randomisiert; die ITT-Population für den Endpunkt progressionsfreies Überleben (PFS) umfasste 732 (esk. BEACOPP)- und 738 (BrECADD)-Patient:innen; für den TRM-Endpunkt 740 bzw. 742 Patient:innen.
Tolerabilität und TRMB
TRMB wurde definiert als Organtoxizität CTCAE °III–IV und Hämatotoxizität CTCAE °IV. Daten zur TRMB wurden erstmals am ISHL-Kongress 2022 und am ASH-Kongress 2022 präsentiert.
Ein hämatologisches TRMB-Ereignis (d.h. Anämie, Thrombozytopenie oder Infektion CTCAE °IV) wurde bei 52% der Patient:innen im esk. BEACOPP-Arm und bei 31% im BrECADD-Arm dokumentiert.1
Folglich benötigten die Patient:innen im BrECADD-Arm in den nachfolgenden Zyklen seltener Dosisreduktionen: Bei Zyklus 4 erhielten noch 77,8% der Patient:innen unter BrECADD eine volldosierte Therapie im Vergleich zu 58,5% der Patient:innen unter esk. BEACOPP; bei Zyklus 6 war die Differenz mit 67,3% vs. 42,5% noch deutlicher. Patient:innen im BrECADD-Arm konnten somit höhere kumulative Dosen der Chemotherapie verabreicht werden.2
Zusätzlich zu der verbesserten Verabreichbarkeit war die Anzahl der notwendigen Transfusionen im BrECADD-Arm geringer (Erythrozytentransfusion bei 24% vs. 53% der Patient:innen, Thrombozytentransfusionen bei 17% vs. 34%). Die geringere Hämatotoxizität und die daraus resultierende bessere Verabreichbarkeit höherer kumulativer Chemotherapiedosen könnten die außergewöhnlich hohe Wirksamkeit des BrECADD-Schemas miterklären (siehe unten).
Im esk. BEACOPP-Arm wurden drei Fälle von therapiebezogener Mortalität (TRM) dokumentiert (keiner im BrECADD-Arm) sowie ein Todesfall bei allogener Stammzelltransplantation und ein Todesfall aufgrund eines Sekundärmalignoms (ebenfalls beide im esk. BEACOPP-Arm).2
Aufgrund der guten Verträglichkeit wurde im Verlauf auch eine „Elderly“-Kohorte (61–75 Jahre) für BrECADD eröffnet (ohne Vergleichsarm) – Ergebnisse zu diesem Patient:innenkollektiv werden mit Spannung für 2024 erwartet.
Effektivität
Der primäre PFS-Endpunkt (Nichtunterlegenheit) wurde bereits 2023 erreicht,mit dem erweiterten Follow-up ist nun auch die Überlegenheit von BrECADD hinsichtlich PFS gezeigt worden.3
Eine relevante Reduktion der frühen PFS-Ereignisse (primäre Progression oder Rezidiv innerhalb von zwölf Monaten) in der BrECADD-Gruppe führte zu einer hervorragenden 4-Jahres-PFS-Rate von 94,3% im Vergleich zu 90,9% im esk. BEACOPP-Arm (HR: 0,66, p=0,035). Ungefähr 60% aller Patient:innen in beiden Armen waren PET2-negativ.
PET2-negative Patient:innen erreichten unter BrECADD eine ausgezeichnete 4-Jahres-PFS-Rate von 96,6% (Abb. 1); das Outcome der iPET2-positiven Patient:innen war mit einer 4-Jahres-PFS-Rate von 90,3% immer noch bemerkenswert. Eine konsolidierende Radiatio bei positivem EOT-PET wurde jeweils 17% der Patient:innen empfohlen (und bei 14% bzw. 15% durchgeführt).4
Abb. 1: HD21-Studie (GHSG): Ergebnisse zum progressionsfreien Überleben (modifiziert nach Borchmann P et al.)4
Fertilität
Aufgrund der hohen Relevanz des Themas für das junge Patient:innenkollektiv wurden in der HD21-Studie auch Daten zur Fertilität erhoben.
Die FSH-Erholung, gemessen nach einem Follow-up von mindestens zwölf Monaten, war sowohl bei männlichen als auch bei weiblichen Patient:innen nach BrECADD-Therapie höher, was zu höheren Schwangerschaftsraten bei weiblichen BrECADD-Patient:innen bzw. bei Partner:innen männlicher BrECADD-Patient:innen im Vergleich zum esk. BEACOPP-Arm führte.
Fertilitäts- und Geburtenraten nach BrECADD sind vergleichbar mit den für ABVD veröffentlichten Daten und ähneln denen der Normalbevölkerung bereits nach zwei Jahren Nachbeobachtung. Bei Frauen <30 Jahren kam es universell zu einer Erholung der FSH-Werte bereits kurz nach Therapieende.5
S1826-Studie (SWOG): Nivo-AVD vs. BV-AVD
Die Phase-III-Studie SWOG S1826 randomisierte neu diagnostizierte Hodgkin-Lymphom-Patient:innen ≥12 Jahre in sechs Zyklen BV-AVD vs. sechs Zyklen Nivo-AVD. Die Patient:innen wurden nach Alter (12–17 Jahre, 18-60 Jahre, >60 Jahre), IPS und EOT-Strahlentherapie (bei PET-positiven Restläsionen) stratifiziert. G-CSF-Gabe war im BV-AVD-Arm verpflichtend, im Nivo-AVD-Arm optional. Insgesamt wurden 976 Patient:innen randomisiert, von denen etwa 10% in beiden Armen über 60 Jahre alt waren. Der primäre Endpunkt war das PFS, die ersten Daten wurden auf den Konferenzen von ASCO, ICML und ASH 2023 vorgestellt.
Effektivität
Bei einer noch kurzen Nachbeobachtungszeit von 12,1 Monaten betrug die 1-Jahres-PFS-Rate für Nivo-AVD 94,1% im Vergleich zu 86% für BV-AVD. Der Nutzen für Nivo-AVD wurde in allen Subgruppen beobachtet, war jedoch bei >60-jährigen Patient:innen besonders ausgeprägt.
Bei Patient:innen >60 Jahre betrug die 1-Jahres-PFS-Rate 93% für Nivo-AVD gegenüber 64% für BV-AVD.
Tolerabilität (Patient:innen >60 Jahre)
19/49 (39%) Patient:innen im BV-AVD-Arm brachen die Behandlung aufgrund von Toxizitäten ab (drei davon nur BV), während ein Behandlungsabbruch im Nivo-AVD-Arm bei 7/48 (15%) erforderlich war (zwei davon nur Nivo).
Im Nivo-AVD-Arm wurde öfter Neutropenie beobachtet; mehr Infektionen, febrile Neutropenie oder Sepsis kamen jedoch im BV-AVD-Arm vor (Infektionen 19% vs. 34%, febrile Neutropenie 13% vs. 19%, Sepsis 6% vs. 21%). Im BV-AVD-Arm wurden sieben Fälle von TRM aufgrund von Sepsis oder Infektion beobachtet (TRM: 14%) im Vergleich zu zwei im Nivo-AVD-Arm (TRM: 4%).
Diese deutlichen Unterschiede in der Wirksamkeit und Verträglichkeit in der älteren Patient:innenpopulation spiegelten sich auch in den Überlebensraten wider: Die 1-Jahres-OS-Rate betrug 95% für Nivo-AVD-Patient:innen im Gegensatz zu 84% für BV-AVD (Abb. 2).6
Konkomitantes BV-AVD in der älteren Patient:innengruppe birgt das Risiko von vermehrter Toxizität; ein PFS-Benefit von BV-AVD gegenüber ABVD bei Patient:innen >60 Jahre konnte auch in der Studie ECHELON-1 mit mittlerweile über fünf Jahren Follow-up nicht gezeigt werden.7 Nivo-AVD scheint auch für ältere Patient:innen eine effektive und tolerable Therapie zu sein; ob die positiven ersten Daten hierzu auch bei einem längeren Follow-up einen beständigen Vorteil zeigen, muss noch abgewartet werden.
Literatur:
1 Borchmann P et al.: Treatment related morbidity in patients with classical Hodgkin lymphoma: results of the ongoing, randomized phase III HD21 trial by the German Hodgkin Study Group. Blood 2022; 140(Suppl. 1): 771-3 2 Borchmann P et al.: Comprehensive analysis of treatment related morbidity and progression-free survival in the GHSG phase III HD21 trial. ASH 2023; Abstr. #3057 3 Borchmann P et al.: BrECADD is non-inferior to e-BEACOPP in patients with advanced stage classical Hodgkin lymphoma: efficacy results of the GHSG phase III HD21 trial. Hematol Oncol 2023; 41(S2): 881-2 4 Borchmann P et al.: Assessing the efficacy and tolerability of PET-guided BrECADD versus eBEACOPP in advanced-stage, classical Hodgkin lymphoma (HD21): a randomised, multicentre, parallel, open-label, phase 3 trial. Lancet 2024 (im Druck) 5 Ferdinandus J et al.: Pregnancies and childbirth following advanced-stage Hodgkin lymphoma treatment with Brecadd or Beacopp in the randomized phase III GHSG HD21 trial. Blood 2023; 142(Suppl. 1): 4437 6 Herrera AF et al.: SWOG S1826, a randomized study of nivolumab(N)-AVD versus brentuximab vedotin(BV)-AVD in advanced stage (AS) classic Hodgkin lymphoma (HL). JClin Oncol 2023; 41(Suppl. 17): LBA4 7 Straus DJ et al.: Brentuximab vedotin with chemotherapy for stage III or IV classical Hodgkin lymphoma (ECHELON-1): 5-year update of an international, open-label, randomised, phase 3 trial. Lancet Haematol 2021; 8(6): e410-21
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