Was die GBD-2023-Analyse für uns bedeutet
Autor:
Univ.-Prof DDr. (h.c. mult.) Shahrokh F. Shariat
Leiter der Universitätsklinik für Urologie
Comprehensive Cancer Center (CCC) Vienna Medizinische Universität Wien/AKH Wien
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Die aktuelle Analyse der Global Burden of Disease Study 2023 (GBD 2023 Cancer Collaborators, The Lancet, 2025) liefert die bislang umfassendste und methodisch präziseste Einschätzung zur globalen Entwicklung von Krebserkrankungen zwischen 1990 und 2023 – inklusive Prognosen bis 2050. Sie umfasst Daten aus 204 Ländern und 47 Tumorentitäten über mehr als drei Jahrzehnte. Krebs ist weltweit die zweithäufigste Todesursache und hat in großen Teilen Europas bereits Herz-Kreislauf-Erkrankungen als führende Todesursache abgelöst. Die Studie unterstreicht eindringlich, dass der Kampf gegen Krebs eine der zentralen gesundheitspolitischen und gesellschaftlichen Aufgaben des 21. Jahrhunderts bleibt – auch und gerade in Europa mit seinem hohen medizinischen Standard.
Zentrale Ergebnisse
Im Jahr 2023 wurden weltweit (ohne nichtmelanozytäre Hauttumoren) 18,5 Mio neue Krebserkrankungen und 10,4 Mio Krebstodesfälle registriert. Krebs war nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen die zweithäufigste Todesursache.
Obwohl die altersstandardisierte Sterblichkeit in vielen Regionen Europas stagniert oder leicht rückläufig ist, nimmt die absolute Zahl der Erkrankungen und Todesfälle infolge von Bevölkerungswachstum und Alterung deutlich zu.
Bis 2050 wird ein globaler Anstieg der Inzidenz und Mortalität um 60–70% erwartet. Für Europa fällt dieser relative Zuwachs geringer aus, doch die absolute Belastung bleibt hoch – eine wachsende strukturelle und finanzielle Herausforderung für die onkologische Versorgung.
Europa im Fokus
Europa stellt rund 10% der Weltbevölkerung, trägt aber etwa ein Viertel der globalen Krebstodesfälle. Charakteristisch für die europäische Situation sind:
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hohe Inzidenz aufgrund längerer Lebenserwartung, Lebensstilfaktoren (Rauchen, Alkohol, Adipositas) und besserer Diagnostik.
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sinkende Mortalität pro Fall dank Früherkennung, moderner Therapien und interdisziplinärer Versorgung.
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deutliche Ost-West-Disparitäten: höhere Überlebensraten in West- und Nordeuropa, signifikant höhere Mortalitätsraten in Ost- und Südeuropa.
Diese Unterschiede zeigen, dass Europa zwar über Wissen, Expertise und Technologie verfügt, aber keinen gleichwertigen Zugang zu Prävention, Diagnostik und Therapie bietet. Eine stärker koordinierte, europäisch integrierte Krebsstrategie ist daher unabdingbar.
Implikationen für Gesundheitspolitik und Praxis
Die GBD-2023-Analyse ist ein Weckruf – nicht nur für Länder mit begrenzten Ressourcen, sondern auch für wohlhabende Gesundheitssysteme Europas.
Trotz großer Fortschritte ist das Ziel der UN Sustainable Development Goals (SDG 3.4) – die vorzeitige Sterblichkeit durch nichtübertragbare Krankheiten bis 2030 um ein Drittel zu senken – in der aktuellen Geschwindigkeit nicht erreichbar. Hier setzen die EU Mission on Cancer und der Europe’s Beating Cancer Plan an, die durch die GBD-Daten wissenschaftlich gestützt werden. Sie bieten den strategischen Rahmen, um Prävention, Früherkennung und Versorgung in Europa systematisch und gerecht zu gestalten.
Zentrale Handlungsfelder für Europa
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Primärprävention stärken: Tabakkontrolle, Alkoholreduktion, gesunde Ernährung, Bewegung und Adipositasprävention sind die wirksamsten Hebel zur Senkung der Krebsinzidenz. Der Europe’s Beating Cancer Plan strebt an, die Raucherquote in der EU bis 2040 auf unter 5% zu senken – ein ehrgeiziges, aber erreichbares Ziel, das politisch konsequent unterstützt werden muss
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Organisierte, risikoadaptierte Früherkennung ausbauen: Strukturierte Screening-Programme für Brust-, Darm- und Prostatakrebs senken nachweislich die Mortalität. Die EU Mission on Cancer fordert den Ausbau smarter, personalisierter Screening-Strategien auf Basis genetischer, bildgebender und digitaler Risikoprofile.
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Chancengleichheit sichern: Alle europäischen Bürger:innen sollten Zugang zu Diagnostik und Therapie nach einheitlich hohen Qualitätsstandards haben. Nationale Krebspläne müssen daher stärker an gemeinsame europäische Benchmarks und Evaluationssysteme gekoppelt werden.
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Forschung, Daten und Innovation vernetzen: Die GBD-Studie betont die Bedeutung robuster, interoperabler Registerdaten. Europäische Initiativen wie das European Cancer Information System (ECIS) oder Cancer Mission Europe müssen weiter gestärkt werden, um translational vernetzte Datenstrukturen und KI-gestützte Analysen zu ermöglichen.
Ausblick
Europa steht vor einer doppelten Aufgabe: die steigende Zahl älterer Krebspatient:innen adäquat zu versorgen – und gleichzeitig durch Forschung, Prävention und Bildung die nächste Generation zu schützen. Die GBD-2023-Daten machen deutlich: Krebs ist kein unausweichliches Schicksal, sondern in weiten Teilen vermeidbar und behandelbar, wenn wir entschlossen, integriert und evidenzbasiert handeln.
Die konsequente Umsetzung der europäischen Initiativen – von der EU Mission on Cancer bis zum Europe’s Beating Cancer Plan – bietet dafür den geeigneten Rahmen: von der Prävention über Präzisionsdiagnostik bis hin zu innovativen Therapien, Survivorship- und Re-Integrationsstrategien.
Nur durch ein gemeinsames europäisches Handeln können wir das Ziel erreichen, Krebs als führende Todesursache in Europa nachhaltig zurückzudrängent.
Literatur:
GBD 2023 Cancer Collaborators. The global, regional, and national burden of cancer, 1990–2023, with forecasts to 2050: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2023. The Lancet. 2025; published online 26 Sept 2025. doi:10.1016/S0140-6736(25)01000-X
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