
Erste österreichische Studie zu Effizienz und Prozessoptimierung
Bericht:
Jasmin Gerstmayr, MSc
Tumorboards spielen eine wichtige Rolle in der Versorgung von Krebspatienten. Um dies auch wissenschaftlich zu beleuchten und Handlungsfelder für die Optimierung der Boards zu definieren, gab die internationale Krebs-Initiative All.Can eine Studie in Auftrag. Untersucht wurden vom Karl Landsteiner Institut für Krankenhausorganisation sechs ausgewählte Tumorboards am Comprehensive Cancer Center (CCC) Wien.
Am Allgemeinen Krankenhaus (AKH) Wien wurde vor zehn Jahren die Institution des Tumorboards etabliert. Mittlerweile werden am Comprehensive Cancer Center (CCC), einer gemeinsamen Einrichtung des AKH Wien und der Medizinischen Universität Wien, jährlich in ca. 900 Sitzungen rund 6500 Patienten in Tumorboards besprochen.
Um die Effizienz von Tumorboards aus wissenschaftlicher Sicht zu beleuchten und Prozessoptimierung bei diesen Konferenzen zu ermöglichen, ließ die All.Can die österreichweit erste Studie zum Thema Tumorboards in Auftrag geben. Bei All.Can handelt es sich um eine internationale Non-Profit-Organisation (NPO), welche es sich zum Ziel gesetzt hat, die Patientenorientierung in der Krebsversorgung zu stärken und die öffentliche Aufmerksamkeit für dieses Thema zu erhöhen. Die Initiative All.Can ist seit 2019 auch in Österreich aktiv und trat im Rahmen einer Pressekonferenz zur Tumorboard-Studie Anfang November an die Öffentlichkeit.
Beauftragt zur Studiendurchführung wurde das Karl Landsteiner Institut für Krankenhausorganisation, Studienautor ist Prof. Dr. Guido Offermanns. Die Studie wurde in drei Stufen durchgeführt.
Erstens wurde bereits die Literatur zu über 1000 Studien zum Thema Tumorboard, welche zwischen 2011 und 2021 publiziert worden war, systematisch analysiert. In einem zweiten Schritt wurde eine qualitativ-empirische Erhebung in den Tumorboards des CCC Vienna durchgeführt und zwar anhand von 30 Online-Befragungen zu je 60 Minuten. Interviewt wurden Tumorboard-Manager und -Teilnehmende unterschiedlicher Disziplinen (Radiologie, Pathologie, Organfach bzw. Chirurgie, Onkologie, Strahlentherapie, Klinische Psychologie und Pflege) aus sechs ausgewählten Tumorboards zu ihrer Arbeit und den Abläufen im Board. In einem dritten Schritt wurden potenzielle Handlungsfelder zur Prozessoptimierung abgeleitet und es wurde ein Selbstbewertungsinstrument entwickelt, welches zukünftig jedem Tumorboard einen Blick in den Spiegel erlauben soll.
Hohes Verantwortungsbewusstsein – herausfordernde Bedingungen
Als qualitatives Fazit nennt Prof. Offermanns ein hohes Verantwortungsbewusstsein der Beteiligten mit klarem Fokus auf dem Patientenwohl im weitesten Sinne – von der Steigerung der Lebensqualität bis zur Erhöhung der Überlebensrate. Die Tumorboards erbrächten Spitzenmedizin unter herausfordernden Rahmenbedingungen einer sich schnell ändernden Therapielandschaft (Stichwort Präzisionsmedizin) und beschränkter Ressourcen. Deutlich erkennbar sei der Wille, neue Wege zu suchen, mit diesen Herausforderungen umzugehen. Im Folgenden seien einige Äußerungen wiedergegeben, welche im Rahmen der Befragungen gefallen sind:
„Man versucht jeden Fall von allen Seiten zu beleuchten, man schaut sich die Bilder an, ganz pragmatisch, ja, das ist sinnvoll oder das nicht, und dann wird im Team empfohlen.“
„In 95% der Fälle gibt es einen Konsens. Es gab schon Fälle, wo es unterschiedliche Meinungen gab, dann haben wir das so dokumentiert. Diese Alternativen werden dann mit dem Patienten besprochen und gemeinsam wird eine Entscheidung getroffen.“
„Bei der Tumorboard-Empfehlung wird der Patientenwunsch berücksichtigt und nach dem Board mit dem Patienten besprochen sowie Vor- und Nachteile der Therapien.“
„Wir sind ein Team und aus diesem Teamwork entsteht die bestmögliche Therapie und die effizienteste Therapie für den Patienten. Das sind ja maßgeschneiderte Therapien zum Teil. Aber das ist, glaube ich, das Wichtigste für ein Tumorboard. Das ist natürlich auch ein Kennzeichen für einen gewissen Level der Gesundheitskultur. Weil wenn natürlich gewisse Ressourcen gar nicht vorhanden sind, dann kann ich auch zum Beispiel nicht individuell entscheiden, weil ich gar nicht die Möglichkeiten habe.“
Fünf Handlungsfelder zur Optimierung von Tumorboards
Auf Basis der Literaturstudie und der qualitativ-empirischen Erhebung wurden fünf Handlungsfelder zur Optimierung von Tumorboards abgeleitet:
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Handlungsfeld 1: Struktur und Organisation. Wie sind die Organisation und das Management eines Boards geregelt? Wie sind die Aufgaben und Verantwortlichkeiten verteilt, wer ist für welchen Bereich zuständig? Wie erfolgt die Abstimmung der weiteren Behandlung des Patienten; wie werden Termine vereinbart, beispielsweise mit der radiologischen Abteilung?
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Handlungsfeld 2: Einbeziehung der Patientenperspektive. Wie kann strukturiert vorgegangen werden, um Patientenpräferenzen zu erheben? Wie wird über Lebensqualität und Überlebensrate reflektiert?
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Handlungsfeld 3: Kommunikation und Kulturaspekte. Wie ist die Fallpräsentation strukturiert? Werden Kommunikationstechniken, wie z.B. Checklisten, genutzt? Wie erfolgt das Zeitmanagement (wichtig aufgrund der großen Zahl an Patienten, die in der Regel besprochen werden)?
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Handlungsfeld 4: Rolle der Moderation/Anwesenheiten. Wie wird moderiert? Findet aktives Teammanagement statt? Wie wird mit möglichen Fehlerquellen umgegangen?
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Handlungsfeld 5: Schlüsselprozesse. Welche Qualität hat der Entscheidungsprozess im Board? Ist die Dokumentation transparent? Werden Faktoren der aktiven Teamarbeit beachtet?
Tool zur Selbstbewertung
Im Rahmen der Studie wurde, basierend auf diesen fünf Handlungsfeldern, ein Selbstbewertungs-Tool für Tumorboards entwickelt. Es bietet vier Schritte an (Abb.1). Der erste Schritt behandelt die Strukturen und Prozesse, die angestrebt werden. Wichtig dabei ist eine klare Zieldefinition – tendenziell wird im Projektmanagement zu früh mit der Umsetzung der angestrebten Maßnahmen begonnen. Im zweiten Schritt wird die Umsetzung der Maßnahmen geplant: Wichtig sind ein klarer, gut strukturierter Plan und solides Projektmanagement. Im dritten Schritt erfolgt dann die Umsetzung – beispielhaft etwa die Einführung einer Checkliste zur Vorstellung von Patienten mit mehreren Rezidiven. Zuletzt – Schritt 4 – werden das Vorgehen und die Ergebnisse evaluiert: Sind Verbesserungen erzielt worden, für die Arbeit im Tumorboard und die Patienten? Im Zuge einer Adjustierung kann erneut bei Schritt 1 begonnen werden.
Abb. 1: Selbstbewertungs-Tool für Tumorboards, entwickelt von Prof. Dr. Guido Offermanns und MMag. Andrea Schweiger, Karl Landsteiner Institut für Krankenhausorganisation
Fazit und Blick in die Zukunft
Prof. Offermanns resümierte aufgrund der bisherigen Resultate der im Auftrag von All.Can durchgeführten Studie, dass Tumorboards ein Trumpf im Kampf gegen Tumorerkrankungen seien, „in Zukunft möglicherweise sogar das entscheidende Ass“. Die Pilotphase des Selbstbewertungs-Tools ist nun am Laufen, dieses wird derzeit am AKH Wien getestet. Weitere Projekte, an denen All.Can arbeitet, sind u.a. eine Patientenbefragung zur Lebensrealität von Krebspatienten in Österreich.
Quelle:
All.Can Pressekonferenz & Presseaussendung, Wien, 3. November 2021
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