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Einsatzmöglichkeiten der IOERT bei fortgeschrittenen Tumoren an der vorderen Schädelbasis
Jatros
Autor:
1. OA Dr. Michael Kopp
Universitätsklinik für Radiotherapie und Radio-Onkologie<br> Paracelsus Medizinische Privatuniversität<br> Landeskrankenhaus Salzburg
30
Min. Lesezeit
21.09.2017
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<p class="article-intro">Seit 16 Jahren werden an der Universitätsklinik für Radiotherapie und Radio-Onkologie in Salzburg Patienten mit fortgeschrittenen Tumorerkrankungen an der vorderen Schädelbasis mittels IORT behandelt. Mit dieser Methode kann bei einem Drittel der Patienten eine Langzeittumorkontrolle bei hoher Lebensqualität erreicht werden.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Wir sehen die Tafel beim Zugang zum Operationstrakt der Universitätsklinik für Radiotherapie und Radio-Onkologie. Für heute, einen Donnerstag im April 2017, ist die Resektion eines mehrere Zentimeter großen Rezidivtumors im Bereich der linken Schädelbasis durch ein Chirurgenteam unter der Leitung von Univ.-Prof. DDr. Alexander Gaggl, dem Vorstand der Universitätsklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, vorgemerkt. Die Operation wird 17 Stunden dauern; wie schon bei 47 anderen Patienten seit dem Jahre 2001 ist auch bei der 72-jährigen Patientin während der Operation nach Resektion des Rezidivs eine intraoperative Radiotherapie im Tumorbett vorgesehen. Nach sechsstündiger Operation kann der Tumor knapp R0 entfernt werden, ein 6cm-Rundtubus aus Plexiglas wird im Bereich der Schädelbasis durch Operateur und Radioonkologen fixiert, die Lafette mit dem Patienten wird zum Linearbeschleuniger geschoben, der Rundtubus wird mit mechanischen und lichtoptischen Verfahren millimetergenau am Bestrahlungskopf angedockt.<br /> Nur der Patient bleibt im Operationssaal, die Überwachung der Narkose erfolgt über Monitore, ebenso wie die Steuerung der Bestrahlung. Die Operation verlängert sich durch die intraoperative Radiotherapie mit 10Gy um circa eine halbe Stunde, in der das Chirurgenteam kurz etwas rasten kann. Anschließend wird der Gewebsdefekt über mehrere Stunden mit einem mikrovaskulären Fibulatransplantat überbrückt und das Gesicht plastisch-chirurgisch wiederhergestellt.<br /> Die Vorbereitungen für einen solchen Eingriff sind vielfältig. Da die Operationszeit viele Stunden beträgt, muss über die Narkosetauglichkeit sorgfältig entschieden werden; nach Besprechung im Tumorboard mit aktueller Klinik und Bildgebung und nachfolgender Empfehlung für eine IORT erfolgt ein Gespräch mit dem Patienten. Die Operationen an der Schädelbasis erfolgen interdisziplinär, unter der Leitung eines Chirurgen der Fachrichtung Die Vorbereitungen für einen solchen Eingriff sind vielfältig. Da die Operationszeit viele Stunden beträgt, muss über die Narkosetauglichkeit sorgfältig entschieden werden; nach Besprechung im Tumorboard mit aktueller Klinik und Bildgebung und nachfolgender Empfehlung für eine IORT erfolgt ein Gespräch mit dem Patienten. Die Operationen an der Schädelbasis erfolgen interdisziplinär, unter der Leitung eines Chirurgen der Fachrichtung Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde oder Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, weitere Spezialisten aus den Fächern Neurochirurgie, plastische Chirurgie, Augenheilkunde und Gefäßchirurgie sind häufig an den Operationen beteiligt, mittels Telepathologie können während des Eingriffs die Resektionsränder beurteilt werden. Für Nachresektionen im Bereich der Schädelbasis steht ein Operationsmikroskop bereit (Abb. 1).<br /> An der Universitätsklinik für Radiotherapie wurden für die IORT eine Möglichkeit zur Abschirmung sensibler Strukturen, wie zum Beispiel des Sehnervs, und eine Methode zur Tiefendosismessung bei unregelmäßigen Oberflächen, wie sie an der Schädelbasis vorkommen, entwickelt (Abb. 2). Während der Bestrahlung kann das vom Elektronentubus erfasste Areal über eine Kamerabildgebung eingesehen werden, um z.B. das Auftreten einer Blutung sofort zu erkennen oder bei einer Lageverschiebung des Tubus durch Atembewegungen die Bestrahlung unterbrechen zu können.<br /> Bei fortgeschrittenen Schädelbasistumoren liegt das Hauptproblem im Auftreten von nicht beherrschbaren Lokalrezidiven. Durch die IOERT kann im Bereich des höchsten Risikos für ein Rezidivgeschehen eine Dosiseskalation bei Schonung der umliegenden anatomischen Strukturen erfolgen. Die verabreichte Dosis entspricht biologisch in etwa der Behandlungsdosis, welche sonst in eineinhalb Wochen postoperativ gegeben wird, der Hauptvorteil liegt jedoch in der genauen Lokalisierung des Tumorbetts durch die operierenden Chirurgen und Radioonkologen und in der Wahl des Bestrahlungszeitpunkts, nämlich unmittelbar nach Resektion des Tumors und damit zum Zeitpunkt der geringstmöglichen Zahl an verbliebenen Tumorzellen.<br /> In den 16 Jahren seit der ersten Durchführung einer IORT an der vorderen Schädelbasis in Salzburg wurde diese Bestrahlungsmodalität bei 47 Patienten durchgeführt, alle Patienten hatten fortgeschrittene Tumorerkrankungen (Abb. 3), 29 Mal lag ein Primärtumor vor, 18 Mal ein oft mehrfaches Rezidivgeschehen. Die häufigste Tumorlokalisation waren die Nasennebenhöhlen, 26 Mal mit Primär-, 5 Mal mit Rezidivtumor. Die anderen Lokalisationen betrafen Nasenhöhle (6), Nasopharynx (2), Wangenschleimhautrezidiv (2), Oropharynx (2), Augenhöhle (2) Parotisrezidiv (1) und Rezidiv eines CUP-Syndroms (1). Das Alter der Patienten lag zwischen 35 und 73 Jahren, 36 männliche und 11 weibliche Patienten wurden behandelt.<br /> Die intraoperative Dosis betrug zumeist 10Gy, 33 Patienten erhielten auch eine postoperative Radiotherapie, davon 15 der 18 tumorfrei überlebenden Patienten. Es kam zu keinen mit der intraoperativen Radiotherapie in Zusammenhang stehenden Komplikationen.<br /> Von den Patienten mit Nasennebenhöhlentumoren sind nach einem medianen Follow-up von 6,28 Jahren (Range 16/0,1) 10 der 26 Patienten mit Primärtumor- und 2 der 5 Patienten mit Rezidivtumorbehandlung zwischen 193 und 21 Monaten nach der IOERT lokal tumorfrei am Leben.<br /> Bezogen auf alle 47 intraoperativ bestrahlten Patienten sind 12 von 29 Patienten mit großem Primärtumor und 6 von 18 der Patienten mit Rezidivtumoren (zumindest T3, häufig T4 mit Schädelbasis/ Orbitabeteiligung) nach einer mittleren Nachbeobachtungszeit von 5,5 Jahren am Leben, davon 14 Patienten mit einer Überlebenszeit von 100 Monaten oder 8,5 Jahren (Abb. 4). Alle 14 Patienten mit dieser Überlebenszeit sind bisher lokal tumorkontrolliert, die am längsten überlebende Patientin 16 Jahre nach IORT anlässlich der OP eines dritten Rezidivs eines Oberkieferkarzinoms.<br /> Bezogen auf histologische Subtypen sind 8 von 17 Patienten mit Plattenepithelkarzinomen (5 Primärtumoren und 3x Rezidiv) sowie 10 von 30 Patienten (8 Primärtumoren und 2x Rezidiv) mit Nicht- Pleca-Histologie in lokaler Tumorkontrolle und mit Ausnahme eines Patienten (Verdacht auf eine Lungenmetastase) tumorfrei. Bezogen auf die gesamte Kohorte der 47 Patienten sind 29 gestorben, davon 9 am neuerlichen Lokalrezidiv. Bei 7 dieser Patienten waren zum Zeitpunkt der IORT bereits Mehrfachrezidive aufgetreten (bis zu 5). 10 Patienten starben an Fernmetastasen, jeweils 5 Patienten an Zweittumoren bzw. an nicht onkologischen Erkrankungen.<br /> Die in Salzburg an der Schädelbasis intraoperativ bestrahlten Patienten stellen die größte in der Literatur berichtete Patientengruppe mit dieser anatomischen Lokalisation mit Langzeitergebnissen dar.<br /> Im Jahr 2002 berichteten Pinheiro AD et al. von der Mayo Clinic in Rochester in der bisher umfangreichsten Studie über die IORT bei 34 Patienten mit Primär-, Rezidiv-/ Plattenepithel- und Nicht-Pleca- Karzinomen an der Schädelbasis. Das 2-Jahres-Gesamtüberleben und das rezidivfreie Überleben bei Patienten mit Plattenepithelkarzinom betrug 32 bzw 21 % , bei Nicht-Pleca-Patienten 50 bzw 40 % .<br /> Die Salzburger Kohorte verfügt nun über deutlich solidere Langzeitdaten, mit denen gezeigt werden konnte, dass durch die Dosisaugmentation einer IOERT auch bei lokal fortgeschrittenen Primär- und Rezidivtumoren an der Schädelbasis in einem Drittel der Fälle eine Langzeittumorkontrolle erzielt werden kann, bei subjektiv und objektiv hoher Lebensqualität.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Onko_1705_Weblinks_jatros_onko_1705_s88_abb1+2.jpg" alt="" width="1417" height="997" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Onko_1705_Weblinks_jatros_onko_1705_s89_abb3.jpg" alt="" width="1415" height="718" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Onko_1705_Weblinks_jatros_onko_1705_s90_abb4.jpg" alt="" width="1417" height="771" /></p></p>
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<p><strong>1</strong> Pinheiro AD et al.: Intraoperative radiotherapy for head and neck and skull base cancer. Head Neck 2003; 25(3): 217-26</p>
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