
Der Einfluss der Pandemie auf die Krebsbehandlung in Niederösterreich
Autoren:
Prof. Univ.-Doz. Dr. Peter Lechner1
Mag. Sandra Gottsauner-Wolf2
Dr. Michael Weber3
Dr. Albert Schaffner4
Laura Giani5
1 Universitätsklinikum Tulln
2 Abteilung Strategie und Medizin der NÖ Landesgesundheitsagentur
3 Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften
4 Fa. Devoteam
5 Fa. S-Team
Korrespondenz:
E-Mail: Peter.Lechner@tulln.lknoe.at
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Zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Diagnose und Behandlung von Krebserkrankungen gibt es nur wenige gesicherte Fakten. Wir haben die möglichen Folgen auf Brust- und Darmkrebserkrankungen in Niederösterreich untersucht und dafür 7691 Krankenakten analysiert. Die Daten stammen aus dem Onkologischen Informationssystem (OIS), das inzwischen Diagnosen und Krankheitsverläufe von über 70000 Fällen enthält.
Methoden
Wir führten generische Auswertungen der OIS-Daten durch, die grafische Aufbereitung und Darstellung erfolgten durch Balken- und Liniendiagramme. Die verwendeten statistischen Verfahren sind: Kreuztabellen und Chi-Quadrat-Test, Mann-Whitney-U-Test und der Kruskal-Wallis-Test.
Verglichen wurden zuerst die Neuerkrankungen und Tumorstadien in zwei Zeiträumen mit annähernd gleichen Fallzahlen, nämlich vor (01.06.2018–05.03.2020) und während der Pandemie (16.03.2020–31.12.2021). Da sich zwischen diesen Zeiträumen keine nennenswerten Unterschiede zeigten, schlossen wir eine monatsweise Analyse mit Fokus auf dem ersten strikten Lockdown an.
Ergebnisse
Schon auf den ersten Blick war auffällig, dass im Pandemiejahr 2020 gegenüber 2019 eine Übersterblichkeit von 9% bestand. 2021 lag die Übersterblichkeit bei ca. 7%. Das bestätigt, dass Krebspatient*innen in Bezug auf Corona eine vulnerable Gruppe darstellen (Abb. 1).
Brustkrebs
Bei den Mammakarzinomen lag die Zahl der jährlichen Neuerkrankungen vor, während und nach dem ersten Lockdown innerhalb einer geringen Schwankungsbreite und erreichte zu Ende der untersuchten Jahre nahezu identische Werte (Abb. 2). Diese Beobachtung verleitete zur voreiligen Schlussfolgerung, dass die pandemiebedingten Limitationen in Diagnostik und Behandlung ohne Konsequenzen geblieben sind.
Die monatsweise Analyse zeigte jedoch eine um ca. 20% geringere Zahl von Krebsdiagnosen der Brust während des ersten Lockdowns, also von März bis Juni 2020. Diese Zahlen glichen sich bis zum Ende des Jahres bis auf 6% wieder aus.Die Stadienverteilung zeigt im Vergleich der Jahre 2028–2021 erwartungsgemäß keine nennenswerten Abweichungen über das Gesamtjahr (Abb. 3), sehr wohl aber zwischen den Monaten des ersten Lockdowns. In diesen waren die Stadien I und II unterrepräsentiert, während insbesondere das Stadium III häufiger diagnostiziert wurde (Abb. 4). Diese Tatsache wird zu diskutieren sein.
Dick- und Mastdarmkrebs
Auch bei den Kolon- und Rektumkarzinomen fand sich ein ähnliches Bild, jedoch ist die „Delle“ in der Grafik während des ersten Lockdowns wesentlich flacher ausgebildet: Die Reduktion betrug zwischen 3,7% und 9,8% für die Monate April bis Juli und wurde bis zum Jahresende 2020 vollständig aufgeholt. Eine 9% geringere Zahl an Diagnosen im Jahr 2021 ist durch die Pandemie nicht unmittelbar zu erklären (Abb. 5).
Abb. 5: Gesamtanzahl Neuerkrankungen Kolon- und Rektumtumoren 2019 – September 2022 im Jahresverlauf
Die Verteilung der in den Jahren 2018–2021 diagnostizierten Tumorstadien ergibt jedoch ein differenzierteres Bild (Abb. 6). Im Jahr 2020, also während des ersten Lockdowns, wurden deutlich weniger Tumoren im frühen Stadium I diagnostiziert als in den Vergleichsjahren, dafür deutlich mehr im Stadium III.
Diskussion und Interpretation
Brustkrebs
Es zeigt sich in dieser monatsweisen Auswertung von März bis Juni 2020, dass nicht nur die Fallzahlen beim Mammakarzinom insgesamt sanken, sondern vor allem jene in frühen Stadien.
Wir führen dies darauf zurück, dass in dieser Zeit Vorsorgemöglichkeiten besonders im niedergelassenen Bereich vermindert in Anspruch genommen wurden und sich somit die asymptomatischen Fälle, die typischerweise bei den Screening-Untersuchungen gefunden werden, der Frühdiagnostik entzogen und nicht in den Kliniken vorstellig wurden.
Sehr wohl konstant über das gesamte Jahr 2020 ist aber der Anteil an der Diagnose höherer Stadien (III, IV). Die symptomatischen Fälle kamen offenbar auch während der Pandemie weiterhin zur Abklärung und Behandlung.
Dick- und Mastdarmkrebs
Die Fallzahlen im gesamten Covid-Jahr 2020 sanken nur geringfügig und innerhalb der einzelnen Monate. Im Jahr 2020 zeigen sich keine Stadienunterschiede.
Im Jahresvergleich zeigt sich das Stadium I deutlich vermindert, das Stadium III entsprechend vermehrt. Wir interpretieren dies als Folge nicht durchgeführter Vorsorge-Koloskopien, sodass überproportional viele Patient*innen mit Symptomen (Blut im Stuhl etc.) in den Kliniken vorstellig wurden.
Die Jahresvergleiche zeigen bei beiden Tumorentitäten, dass die Karzinome in den niederösterreichischen Kliniken ohne Aufschub behandelt worden sind.
Schlussfolgerung
Die Fragestellung „Hatte die Pandemie Einfluss auf Diagnostik und Therapie von Patient*innen mit Brust- und Darmkrebs in Niederösterreich?“ ist eindeutig mit „Ja“ zu beantworten.
Durch verminderte Inanspruchnahme der Vorsorgeuntersuchungen (Mammografie, Koloskopie) sind deutlich weniger Tumoren früh diagnostiziert und erst in weiter fortgeschrittenen Stadien einer Behandlung zugeführt worden. Was dies prognostisch für die Betroffenen bedeuten mag, muss nachfolgenden Untersuchungen zur Klärung überlassen bleiben.
Im Falle weiterer und vergleichbarer Krankheitswellen wird jedenfalls Sorge zu tragen sein, dass nicht nur die Behandlungseinrichtungen (Kliniken), sondern auch die Institutionen der Vorsorge und der Frühdiagnostik ihren Betrieb aufrechterhalten. Notfalls müssen diese Leistungen temporär von den Krankenanstalten übernommen werden.
Quelle:
Grafiken modifiziert nach NÖ Landesgesundheitsagentur
Literatur:
beim Verfasser
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