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Ein Jahr Covid-19: Lage in der Onkologie

Die American Association for Cancer Research (AACR) veranstaltete von 3. bis 5. Februar 2021 eine virtuelle Tagung zum Thema „Covid-19 and Cancer“. Präsentiert wurden Studienergebnisse aus verschiedenen Ländern mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Hierdurch hatten Onkologen weltweit die Chance, von den Erfahrungen ihrer internationalen Kollegen mit der neuartigen Erkrankung zu profitieren und sie in den eigenen klinischen Entscheidungsprozess miteinzubeziehen.

Immunantwort auf SARS-CoV-2

Die Covid-19-Pandemie wirkt sich unverhältnismäßig auf onkologische Patienten aus: Sie haben ein erhöhtes Risiko für schwere bzw. letale Verläufe. Um Strategien zur Risikoreduktion etablieren zu können und das Outcome zu verbessern, besteht ein dringender Bedarf, Art, Ausmaß und Dauer der Immunantwort auf SARS-CoV-2 bei Krebspatienten zu untersuchen.

CAPTURE ist eine prospektive, longitudinale Kohortenstudie, die die Immunantwort von Krebspatienten und Gesundheitspersonal („health care workers“; HCW) am Royal Marsden Hospital in London untersucht. Für die im Mai 2020 begonnene Studie sind ein 24-monatiges Rekruitment sowie ein 5-jähriges Follow-up geplant. In die präsentierten Interimsanalyse nach sechs Monaten waren 144 Krebspatienten und 73 HCW eingeschlossen. 43 der 144 Krebspatienten waren mit Covid-19 infiziert.

Bei Patienten mit soliden Tumoren und bei HCW konnten weitgehend stabile Antikörpertiter sowie T-Zell-Antworten auch fünf Monate nach der Infektion nachgewiesen werden, wobei die S1-Antikörpertiter im Zeitverlauf eine schwache Abnahme verzeichneten (Abb. 1). Insgesamt korrelierte die Höhe der Antikörpertiter mit der Schwere der Covid-Erkrankung sowie dem Patientenalter und nicht mit krebsspezifischen Charakteristika wie Tumorstadium oder Therapie. Eine Ausnahme stellten Patienten mit malignen hämatologischen Erkrankungen dar, die eine im Vergleich zwar beeinträchtigte, aber partiell kompensierte Immunantwort aufwiesen.

Abb. 1: Antikörpertiter onkologischer Patienten nach Erkrankung an Covid-19 (nach Au et al.)1

Die Ergebnisse dieser Studie wirken sich nicht nur auf das Verständnis individueller Risiken aus, sondern auch auf die Annahmen zur Wirksamkeit von SARS-CoV-2-Impfungen in dieser Population: Da Krebspatienten nicht in die Impfstudien eingeschlossen waren, ist die Datenlage bezüglich der Immunantwort auf die Impfung und ihre Dauer derzeit unklar.1

Case Fatality Rate 5–39%

Da sich die Datenmengen zum Coronavirus explosionsartig vervielfachen, ist die Auswertung eine Herausforderung. Im Rahmen des „Reboot: COVID-Cancer Project“ werden veröffentlichte klinische Studien zu den Outcomes von Covid-19 bei onkologischen Patienten zusammengetragen. Die Technologie hinter Reboot erlaubt Nutzern über ein Dashboard einen überschaubaren Zugang zu den für sie relevanten Bestandteilen großer Datenmengen. Es ist unter www.rebootrx.org/covid-cancer ohne Zugriffsbeschränkungen abrufbar.

In einem Meta-Review der über das Reboot-Projekt verfügbaren Daten konntenDel Vecchio Fitz et al. die „Case Fatality Rates“ (CFR) für 22 Krebsarten aus 83 Publikationen ermitteln, betreffend 24144 Patienten. Eine höhere CFR fand sich in den Studien mit höherem Durchschnittsalter, mehr männlichen Patienten oder einem größeren Anteil hospitalisierter Patienten. Für die Verabreichung einer Chemotherapie konnte hingegen kein erhöhtes Risiko gezeigt werden.

Bei der Analyse von sieben Studien, die einen Risikovergleich zwischen onkologischen und nicht onkologischen Patienten aufstellten, zeigte sich für Krebspatienten ein signifikant erhöhtes Risiko zu sterben: Die Odds-Ratio belief sich auf 1,874 (95% CI: 1,48–2,36; p<0,0001). Die CFR für onkologische Patienten über alle eingeschlossenen Studien betrug 25%.

Für solide Tumoren beliefsich die CFR auf 23%, während sie für maligne hämatologische Erkrankungen mit 30% noch höher lag. In der Metaanalyse von sechs Studien, die einen direkten Vergleich zwischen soliden Tumoren und malignen hämatologischen Erkrankungen aufstellten, betrug die Odds-Ratio des Sterberisikos bei hämatologischen Krebsarten 1,47 (CI: 1,24–1,73; p<0,0001).

Innerhalb der Gruppe der soliden Tumoren lagen die CFR am höchsten bei Lungen- (32%) und Prostatakarzinomen (30%) sowie bei Tumoren des zentralen Nervensystems (27%). Patienten mit Brustkrebs (10%) oder Schilddrüsenkrebs (5%) wiesen die niedrigsten CFR auf. Bei den malignen hämatologischen Erkrankungen hatten Patienten mit chronischer myeloischer Leukämie die niedrigste CFR mit 10%, während Patienten mit akuter myeloischer Leukämie eine CFR von 39% aufwiesen.

Die beobachtete Heterogenität der CFR zwischen den unterschiedlichen Tumorentitäten wies signifikante Unterschiede auf. Die genauen Gründe dafür sind zwar noch unbekannt, dennoch könnte sie zumindest teilweise Unterschiede in der Demografie, der Behandlungsart oder dem Erkrankungsstatus widerspiegeln.2

Risikofaktoren für frühe Mortalität

Eine am britischen Guy’s Cancer Centre durchgeführte Studie hatte bereits das Risiko von Krebspatienten, an Covid-19 zu sterben, mit einem medianen Follow-up von 134 Tagen untersucht. Als Risikofaktoren konnten dabei männliches Geschlecht, Alter >60 Jahre, asiatische Ethnizität, hämatologische Krebserkrankung, eine seit >2,5 Jahren bestehende Krebsdiagnose, Vorstellung mit Fieber oder Atemnot sowie hohe Level der Akute-Phase-Proteine Ferritin und C-reaktives Protein (CRP) identifiziert werden.

Die Forschungsgruppe untersuchte in der nun vorgestellten Observationsstudie, welche klinischen Faktoren mit einem frühen Tod, definiert als Tod innerhalb von sieben Tagen nach Covid-19-Diagnose, assoziiert waren. Von Februar bis Juli 2020 wurden 306 Krebspatienten mit bestätigter Covid-19 Diagnose eingeschlossen. 72 (24%) von ihnen starben an Covid-19, 35 (50%) davon innerhalb von sieben Tagen. Eine Assoziation mit früher Mortalität bestand für hämatologische Krebsarten (HR: 2,74; 95% CI: 1,21–6,22) oder eine seit 2 bis 5 Jahren (HR: 4,81; 95% CI: 1,47–15,69) bzw. seit >5 Jahren bestehende Diagnose (HR: 4,41; 95% CI: 1,38–14,06). Darüber hinaus bestand ein erhöhtes Risiko für Patienten, die mit Atemnot vorstellig wurden (HR: 5,25; 95% CI: 2,14–12,89). Auch sehr hohe CRP-Werte zum Zeitpunkt der Covid-19-Diagnose (146–528mg/L) stellten ein erhöhtes Risiko im Vergleich zu niedrigen Werten (1–50 mg/L) dar.3

Einfluss systemischer Therapien

Das Guy’s Cancer Centre führte außerdem eine retrospektive Analyse mit 457 Patienten mit urogenitalen Tumoren durch, die von März bis Mai 2020 eine systemische Krebstherapie (Hormontherapie, Chemotherapie, Immuntherapie oder zielgerichtete Therapie) erhielten. Die Inzidenz von SARS-CoV-2-Fällen in dieser Population lag bei 5 Patienten bzw. 1%. Alle fünf betroffenen Patienten mussten stationär aufgenommen werden, wobei einer von ihnen an Covid-19 starb und zwei weitere an der zugrunde liegenden Krebserkrankung. Die Mortalitätsrate bei den Covid-negativen Patienten betrug in diesem Zeitraum 3,3%. Die geringe Rate an Covid-19-Fällen in der Studienpopulation suggeriert, dass die Weiterverabreichung von systemischen Krebstherapien das Risiko zu erkranken nicht erhöht. Eine Entscheidung gegen eine systemische Therapie oder über die Therapieintensität sollte daher mit Bedacht getroffen werden.4

Auch in einer retrospektiven Kohortenstudie aus New York waren Patienten unter aktiver Krebstherapie nicht einem höheren Risiko, an Covid-19 zu erkranken, ausgesetzt. Von 1174 onkologischen Patienten, die zwischen März und Juni auf das Vorliegen einer Corona-Infektion getestet wurden, waren 317 (27%) positiv. 56,7% hatten im Verlauf des Jahres eine aktive Krebstherapie erhalten – eine Assoziation mit einem erhöhten Erkrankungsrisiko konnte nicht gefunden werden.5

Prognostische Faktoren

Die spanische Studie GRAVID versuchte, prognostische Faktoren für eine erhöhte Covid-19-Mortalität zu identifizieren. In die retrospektive Studie wurden die Krankengeschichten von 447 Lungenkrebspatienten mit Covid-19 aus 65 spanischen Krankenhäusern eingeschlossen. Die Mortalitätsrate betrug 32,7%. Einen prädiktiven Wert für die Mortalität hatten Hospitalisierung, fortgeschrittenes/terminales Krankheitsstadium, eine laufende Behandlung mit nichtsteroidalen Antirheumatika sowie eine Kortikosteroid-Therapie bei stationärer Aufnahme. Auch eine schwere Covid-Erkrankung – definiert als Vorliegen von Hypoxämie, Tachypnoe oder respiratorischem Versagen – ging mit einer signifikant erhöhten Mortalität einher. Des Weiteren hatten Patienten, die stationär aufgenommen werden mussten, nicht im terminalen Stadium erkrankt waren und eine Lymphozytopenie, niedriges Albumin und hohe Laktat-Dehydrogenase aufgewiesen, ein erhöhtes Mortalitätsrisiko.6

Krebs-Screening in der Pandemie

In vielen Ländern wurden etablierte Früherkennungsprogramme und elektive Eingriffe aufgrund der Pandemie im Frühjahr 2020 ausgesetzt. Damit sollten medizinische Ressourcen eingespart und Ansteckungen bei Untersuchungen verhindert werden. Wie sich dies auf die Inzidenzraten auswirkte, untersuchten zwei Studien mit Hinblick zum einen auf das niederländische Brustkrebs-Screeningprogramm, zum anderen auf die Diagnosezahlen von ösophagealem Krebs in Nordirland.

In den Niederlanden werden Frauen im Alter zwischen 50 und 74 üblicherweise alle zwei Jahre zu einer Screening-Mammografie eingeladen. 2020 wurde das Brustkrebs-Screeningprogramm ab Kalenderwoche 12 ausgesetzt und erst in Kalenderwoche 25 wiederaufgenommen. Die Studie untersuchte die Inzidenz, Tumor- und T-Stadium von durch Screenings und unabhängig von Screenings festgestelltem duktalem Carcinoma in situ (DCIS) sowie invasivem Brustkrebs (IBC) im Zeitraum von Kalenderwoche 2 bis 35 mittels der im National Cancer Registry verfügbaren Daten. Als historische Kontrolle wurden Daten der Jahre 2018 und 2019 herangezogen.

In diesem Zeitraum wurden 2020 bei 5300 Patientinnen DCIS bzw. IBC diagnostiziert, während dies 2018 bei 7250 Patientinnen und 2019 bei 7299 Patientinnen der Fall war. In den ersten drei Monaten von 2020 betrug die Inzidenz an durch Screening entdeckten Mammakarzinomen 42/1000000 Millionen Frauen, in den Wochen 14–25 lag sie bei 0. Bis Woche 35 stieg sie aufgrund der sukzessiven Wiederaufnahme des Programms auf einen wöchentlichen Durchschnitt von 24/1000000. Die Inzidenz von unabhängig von Screenings festgestellten Mammakarzinomen sank zwar in Woche 12–16, ab Woche 17 beliefen sich Inzidenz und Verteilung jedoch auf vergleichbare Zahlen wie in den Vorjahren (Abb. 2).

Abb. 2: Inzidenz von durch Screening und unabhängig von Screenings festgestellten Mammakarzinomen von Kalenderwoche 2 bis 35 in den Jahren 2018 bis 2020 (nach Siesling et al.)7

Da sich trotz gesunkener Inzidenz aufgrund der Unterbrechung des Screeningprogramms keine im historischen Vergleich erhöhte Inzidenz nach Wiederufnahme feststellen ließ, gehen die Autoren davon aus, dass die Anzahl der Neudiagnosen in den kommenden Monaten steigen wird. Das Screeningprogramm sollte daher ausgeweitet werden und Ärzte sollten ihre Patienten anhalten, bei Beschwerden unbedingt eine Kontrolluntersuchung durchführen zu lassen. Die bisherigen Resultate zeigen keine Veränderung hin zu höheren Tumor- oder T-Stadien.7

Großbritannien verzeichnete zu Beginn der Pandemie eine drastische Abnahme der Zahl von endoskopischen Untersuchungen: um 95%. In einer nordirischen Studie wurden daher die Diagnosezahlen von ösophagogastrischem Krebs (EG) und Barrett-Ösophagus (BE) von 2020 mit denen der drei Vorjahre verglichen. Es zeigte sich ein Diagnoserückgang um 26,6% (EG) bzw. 59,3% (BE). Bis September hatte sich die EG-Inzidenzrate wieder auf das Level der Vorjahre eingependelt, die BE-Inzidenzrate blieb jedoch um etwa 20% vermindert. Die Autoren schätzen, dass diese Verringerung etwa 53 verpassten EG-Diagnosen und 236 verpassten BE-Diagnosen gleichkommt.8

AACR Virtual Event: Covid-19 and Cancer, 3.–5. Februar 2021

1 Au L et al.: Adaptive immunity to SARS-CoV-2 in cancer patients: The CAPTURE study. AACR Covid-19 and Cancer Virtual Event; Abstr. #S03-02 2 Del Vecchio Fitz C et al.: Comprehensive meta-analysis of COVID-19 mortality rates for 22 cancer subtypes from the Reboot: COVID-Cancer Project, an interactive resource with aggregated data from 21,839 cancer patients. AACR Covid-19 and Cancer Virtual Event; Abstr. #S12-02 3 Monroy-Iglesias MJ et al.: Clinical and demographic characteristics associated with shorter time to COVID-19 death. AACR Covid-19 and Cancer Virtual Event; Abstr. #S12-03 4 Karampera C et al.: Real-world data analysis of patients with genitourinary cancers receiving systemic anticancer treatment during the COVID-19 pandemic at Guy’s Cancer Centre: a single-center retrospective study in the UK. AACR Covid-19 and Cancer Virtual Event; Abstr. #S09-03 5 Chen M et al.: Factors associated with developing COVID-19 among cancer patients in New York City. AACR Covid-19 and Cancer Virtual Event; Abstr. #S11-02 6 Mazarico Gallego JM et al.: Covid-19 disease in patients with lung cancer in Spain: GRAVID Lung Cancer Patients Disease (GRAVID study). AACR Covid-19 and Cancer Virtual Event; Abstr. #S12-04 7 Siesling S et al.: The impact of resuming the breast cancer screening program in the Netherlands on breast cancer incidence and stage after its discontinuation due to the COVID-19 pandemic. AACR Covid-19 and Cancer Virtual Event; Abstr. #S02-02 8 Lavery A et al.: The impact of the COVID-19 pandemic on Barrett’s esophagus and esophago-gastric cancer. AACR Covid-19 and Cancer Virtual Event; Abstr. #S02-03

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