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«Die Therapie hat sich extrem gewandelt»
Leading Opinions
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08.09.2016
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<p class="article-intro">Euphorisch diskutierten Onkologen die Ergebnisse der CASTOR-Studie am ASCO-Kongress: Der Antikörper Daratumumab senkte in einer Kombinationstherapie die Rückfallrate dramatisch. <em>LEADING OPINIONS Hämatologie & Onkologie</em> fragte bei PD Dr. med. Ulrich Mey vom Kantonsspital Graubünden nach, warum die Kombination erfolgreicher als andere zu sein scheint und in welchen Situationen er den Antikörper einsetzen würde.</p>
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<p class="article-content"><p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Onko_1604_Weblinks_Seite56.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <p><strong>Herr Dr. Mey, Paul Richardson vom Dana-Farber Cancer Institute in Boston bezeichnete auf dem ASCO-Kongress die Ergebnisse der CASTOR-Studie als «dramatisch», «noch nie dagewesen» und «eindrucksvoll». Finden Sie das auch?</strong><br /> <br /> <strong>U. Mey:</strong> In der Studie reduzierte der Antikörper Daratumumab in Kombination mit Bortezomib und Dexamethason bei Patienten mit multiplem Myelom die Rückfallrate um 60 % .<sup>1</sup> Es war bereits seit Längerem abzusehen, dass monoklonale Antikörper zukünftig einen hohen Stellenwert in der Behandlung des multiplen Myeloms gewinnen würden. Ganz vorne in der Entwicklung sind die Substanzen Elotuzumab und Daratumumab, aber verschiedene Forschergruppen arbeiten auch mit anderen monoklonalen Antikörpern. Die CASTOR-Studie zeigt nun einen beeindruckenden Vorteil für Daratumumab in Kombination mit Bortezomib und Dexamethason gegenüber einer Standardtherapie mit Bortezomib und Dexamethason bei Myelompatienten, bei denen die Krankheit nach mindestens einer Vortherapie weiter vorangeschritten ist.<br /> <br /><strong> Ist so eine Kombinationstherapie beim multiplen Myelom neu?</strong><br /> <br /> <strong>U. Mey:</strong> Die Kombination Daratumumab und Bortezomib schon. Es gab aber schon andere, ähnlich intensive Kombinationstherapien. In den vergangenen anderthalb Jahren wurden in drei grossen Phase-III-Studien verschiedene solcher Kombinationstherapien für diese Patientenpopulation evaluiert. Die Kombinationstherapien zeigten auch hier einen eindeutigen Vorteil hinsichtlich des progressionsfreien Überlebens. Und zwar wurde erstens die Kombination aus Carfilzomib, Lenalidomid und Dexamethason (KRd) versus Lenalidomid und Dexamethason alleine (Rd) untersucht, zweitens Elotuzumab-Rd versus Rd und drittens Ixazomib-Rd im Vergleich zu Rd.<br /> Anders als in diesen früheren Studien wurde in der CASTOR-Studie aber der Antikörper, also Daratumumab, mit einer Proteasominhibitor-basierten Basistherapie (Bortezomib/Dexamethason) kombiniert. Besonders beeindruckt an der CASTOR-Studie hat mich die unerwartet grosse Verbesserung der Rate des progressionsfreien Überlebens mit einer Hazard-Ratio von 0,39. Das bedeutet, dass mit der Kombinationstherapie das Risiko der Krankheitsprogression gegenüber der Vergleichsgruppe um mehr als 60 % gesenkt werden konnte.<br /> <br /><strong> Wie hoch ist der Effekt bei den anderen Kombinationen?</strong><br /> <br /> <strong>U. Mey:</strong> Bei Carfilzomib/Lenalidomid/Dexamethason beträgt die Hazard-Ratio 0,69 und bei Elotuzumab/Lenalidomid/Dexamethason 0,74. Auch in der POLLUX-Studie<sup>2</sup> mit Dara­tumumab/Lenalidomid/Dexamethason war die Hazard-Ratio ähnlich niedrig wie in der CASTOR-Studie, nämlich 0,37. Das zeigt, dass man Kombinationstherapien mit Daratumumab tatsächlich als herausragend bewerten kann. <br /> <br /><strong> Warum scheint Daratumumab so effektiv zu sein?</strong><br /> <br /> <strong>U. Mey:</strong> Im Gegensatz zu Elotuzumab zeigt Daratumumab auch als Monotherapie Ansprechraten um 30 % , dies auch bei Patienten mit extensiver Vorbehandlung. Während Elotuzumab eine Antikörper-abhängige zelluläre Zytotoxizität zeigt («antibody-dependent cellular cytotoxicity», ADCC), die Interaktion zwischen Myelom- und Umgebungszellen hemmt sowie über eine direkte Steigerung der NK-Zell-Zytotoxizität antikanzerogen wirkt, üben Antikörper wie Daratumumab, Isatuximab und MOR202 ihren antikanzerogenen Effekt aus, indem sie an CD38 binden.<br /> Myelomzellen exprimieren auf ihrer Oberfläche viel CD38. Die gegen CD38 gerichteten Antikörper wirken mittels komplementabhängiger Zytotoxizität («complement-dependent cytotoxicity», CDC), ADCC über eine Antikörper-abhängige zelluläre Phagozytose («antibody-dependent cellular phagocytosis», ADCP) und durch direkte Apoptoseinduktion. Diese Mechanismen scheinen der Grund dafür zu sein, dass Daratumumab so gut wirkt. CASTOR und POLLUX zeigten, dass die Kombination von Daratumumab mit Bortezomib beziehungsweise Lenalidomid die Ansprechraten noch einmal deutlich erhöhen kann: Die Raten der sehr guten partiellen Remission («very good partial remission», VGPR) und der kompletten Remission («complete remission», CR) waren etwa doppelt so hoch im Kombinationsarm, und die MRD(«minimal residual disease»)-Negativitätsrate war sogar fast fünfmal höher.<br /> <br /><strong> Warum wirkt Daratumumab in der Kombinationstherapie noch besser als alleine?</strong><br /> <br /><strong> U. Mey:</strong> Wie von Paul Richardson in seiner Diskussion der CASTOR-Studie erklärt, konnte für die Kombination von Daratumumab und Bortezomib wie auch für jene von Daratumumab und Lenalidomid bereits in präklinischen Modellen ein Synergismus nachgewiesen werden, der die Wirkungsverstärkung gegenüber der Monotherapie erklärt. Interessanterweise deuten diese präklinischen Ergebnisse darauf hin, dass die Substanzklassen noch besser wirken, wenn man alle drei kombiniert.<br /> <br /><strong> Werden Sie jetzt auch bei bestimmten Patienten Daratumumab zur Therapie hinzufügen?</strong><br /> <br /> <strong>U. Mey:</strong> Diese Daten werden zweifelsohne auch in der Schweiz grossen Einfluss auf die Behandlung von Myelompatienten haben. Daratumumab wurde bereits im November 2015 in den USA von der FDA zugelassen für Patienten, die bereits mindestens drei vorausgegangene Therapielinien erhalten hatten, und wird dort in der klinischen Routine bereits sehr häufig eingesetzt.<br /> Kürzlich erhielt Daratumumab von der Europäischen Kommission die bedingte Zulassung für die Monotherapie erwachsener Patienten mit rezidiviertem und refraktärem multiplem Myelom, bei deren vorangegangener Therapie Proteasominhibitoren und ein immunmodulatorischer Wirkstoff zum Einsatz gelangten und deren letzte Therapie durch einen progressiven Krankheitsverlauf gekennzeichnet war. In der Schweiz ist Daratumumab derzeit noch nicht zugelassen, sodass der Einsatz der Substanz nur sehr individualisiert erfolgen kann.<br /> <br /><strong> Wem geben Sie den Antikörper?</strong><br /> <br /> <strong>U. Mey:</strong> Daratumumab ist wie gesagt in der Schweiz noch nicht zugelassen; deshalb können wir den Antikörper nur bei einzelnen Patienten im Rahmen eines individuellen Therapieversuches einsetzen. Und zwar bei denen, die bereits mehrere Therapielinien erhalten haben und die auf eine IMiDs- und Proteasominhibitor-basierte Therapie nicht angesprochen haben. Aufgrund der Ergebnisse, die am ASCO-Meeting präsentiert worden sind, kann ich mir aber vorstellen, dass Daratumumab bald zugelassen wird.<br /> <br /><strong> Die Ergebnisse sind beeindruckend. Aber dass das Gesamtüberleben verlängert wird, wurde in der CASTOR-Studie nicht gezeigt!</strong><br /> <br /> <strong>U. Mey:</strong> Dafür ist das Follow-up auch noch zu kurz. Mich würde aber nicht überraschen, wenn die Patienten mit der Daratumumab-Kombination länger leben, weil sich bereits jetzt ein so deutlicher Effekt beim progressionsfreien Überleben gezeigt hat. In der POLLUX-Studie betrug die Hazard-Ratio bezüglich des Gesamtüberlebens bereits 0,64 bei einem p-Wert von 0,0534, was bereits einem deutlichen Trend für einen Gesamtüberlebensvorteil entspricht. Die Behandlung des multiplen Myeloms hat sich in den letzten zehn Jahren deutlich gewandelt, und der Krebs kann heute mehr oder weniger als chronische Krankheit bezeichnet werden. Jetzt geht es darum, die optimale Kombination und Sequenz dieser vielen Substanzen zu erforschen.<br /> <br /><strong> Wie beurteilen Sie das Nebenwirkungsprofil?</strong><br /> <br /> <strong>U. Mey:</strong> Die CASTOR-Studie zeigte das, was wir aus den Daratumumab-Monotherapie-Studien schon kennen: infusionsassoziierte Reaktionen, fast immer im Rahmen der ersten Applikation, leicht bis allenfalls moderat ausgeprägte Zytopenien, etwas häufiger auch Infektionen des oberen Respirationstraktes. Neue, unerwartete Nebenwirkungen traten nicht auf. In beiden Therapiearmen traten ähnlich häufig schwerere Infektionen (Grad 3 oder 4) oder andere schwere Nebenwirkungen auf. Weniger als 10 % der Patienten mussten die Therapie wegen Nebenwirkungen abbrechen, auch hier fand sich kein Unterschied zwischen den Behandlungsarmen.<br /> <br /><strong> Antonio Palumbo aus Turin forderte, dass solche wirksamen Kombinationstherapien früher im Verlauf der Therapie eingesetzt werden sollten. Sehen Sie das auch so?</strong><br /> <br /> <strong>U. Mey:</strong> Die hohe Wirksamkeit von Daratumumab wurde zunächst in Studien mit extensiv vorbehandelten beziehungsweise in hohem Masse therapierefraktären Patienten nachgewiesen. In der CASTOR-Studie hatten diejenigen Patienten einen besonders hohen Benefit, die zuvor nur mit einer einzigen Therapielinie behandelt worden waren. Bei dieser Patientensubgruppe zeigte sich eine fast 70 % ige Risikoreduktion hinsichtlich des progressionsfreien Überlebens. Bei vielen dieser Patienten ist der Tumor nach einem Jahr noch nicht weiter fortgeschritten. Dies ist in der Rezidivsituation in der Tat ein bemerkenswertes Ergebnis und ich stimme Antonio Palumbo zu, dass es ein starkes Argument dafür ist, die Substanz zukünftig bereits früher im Verlauf einzusetzen, um den maximalen Benefit für die Patienten zu gewinnen. Entsprechende Studien sind bereits im Gange.<br /> <br /> <strong>Die Studie wurde vom Hersteller gesponsert, unter anderem zeigte Paul Richardson Interessenkonflikte im Zusammenhang mit der Firma. Meinen Sie, die Kollegen sind deshalb so begeistert, weil sie von der Firma unterstützt werden?</strong><br /> <br /> <strong>U. Mey:</strong> Natürlich müssen Interessenkonflikte ernst genommen werden. Andererseits sprechen die Daten der CASTOR- und der POLLUX-Studie für sich und ich glaube nicht, dass die Begeisterung der Autoren und Kommentatoren über diese hervorragenden Daten in besonderem Masse von Interessenkonflikten gefärbt sind.<br /> <br /><strong> Vielen Dank für das Gespräch!</strong></p></p>
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<p><strong>1</strong> <a href="http://www.ascopost.com/issues/june-10-2016/daratumumab-hits-the-mark-in-early-relapsed-multiple-myeloma" target="_blank">http://www.ascopost.com/issues/june-10-2016/daratumumab-hits-the-mark-in-early-relapsed-multiple-myeloma</a><br /><strong>2</strong> <a href="http://learningcenter.ehaweb.org/eha/2016/21st/135349/meletios.a.dimopoulos.an.open-label.randomised.phase.3.study.of.daratumumab.html?f=p16m3l11456/" target="_blank">http://learningcenter.ehaweb.org/eha/2016/21st/135349/meletios.a.dimopoulos.an.open-label.randomised.phase.3.study.of.daratumumab.html?f=p16m3l11456/</a></p>
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