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Die Suche nach der Nadel im Heuhaufen
Jatros
Autor:
Priv-Doz. Mag. Dr. Otto Zach
Ordensklinikum Linz, Elisabethinen<br> Labor für Molekulargenetische Diagnostik<br> E-Mail: otto.zach@ordensklinikum.at
30
Min. Lesezeit
11.07.2019
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<p class="article-intro">Der Nachweis residualer Tumorzellen bei Krebspatienten erlangt immer mehr Bedeutung. Vor allem bei Leukämiepatienten hat die MRD-Messung bereits den klinischen Alltag erreicht. Mit der Anwendung bei onkologischen Erkrankungen ist in naher Zukunft zu rechnen.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Durch MRD-Messung kann bei Leukämien das Therapieansprechen überwacht und ein Rückfall frühzeitig erkannt werden.</li> <li>Bei ALL verlängert eine MRDgesteuerte Therapieplanung das Überleben der Patienten.</li> <li>Neue Technologien werden künftig den Einsatz von MRDMessungen bei soliden Tumoren ermöglichen.</li> </ul> </div> <p>Als minimale Resterkrankung („measurable residual disease“, MRD) bezeichnet man maligne Zellen in Patienten, die durch therapeutische Intervention eine komplette Remission (CR) erreicht haben.<sup>1</sup> Dafür sind höchst sensitive Methoden erforderlich. Durch die MRD-Messung werden im Wesentlichen zwei Ziele verfolgt: Kontrolle des Therapieansprechens mit Reevaluierung des Risikos und Früherkennung von Rezidiven mit der Möglichkeit einer präemptiven Therapie. <br />Grundsätzlich gewinnt MRD bei allen malignen Entitäten immer mehr an Bedeutung, deren Messung wird aber derzeit meist nur im Rahmen von klinischen Studien durchgeführt. Bei akuten Leukämien hat die MRD-Bestimmung aus Blut und Knochenmark allerdings bereits Einzug in den klinischen Alltag gehalten.</p> <h2>Nachweismethoden</h2> <p>Bei akuten lymphatischen (ALL) und myeloischen Leukämien (AML) stellt sich die Situation wie in Abbildung 1 (Seite 30) dar: Bei Diagnose sind bis zu 10<sup>12</sup> leukämische Blasten im Knochenmark vorhanden, die durch die Therapie reduziert werden. Die Nachweisgrenze der Zytomorphologie liegt bei 5 % Blasten, dies entspricht dem Erreichen der hämatologischen CR. Bei weiterer Reduktion der leukämischen Zellen beginnt der MRD-Bereich: Bis etwa 10<sup>–4</sup> kann mit den derzeit verfügbaren Methoden zuverlässig quantifiziert werden, die Nachweisgrenze selbst liegt bei 10<sup>–6</sup> bis 10<sup>–7</sup>. Aus der Abbildung ist ersichtlich, dass ein MRD-negatives Ergebnis bedeutet, dass die Sensitivitätsgrenze des Testsystems unterschritten wurde, aber durchaus noch MRD vorhanden sein kann. Weiters ist zu beachten, dass bei einer Sensitivität von 10<sup>–6</sup> zumindest eine Million Zellen analysiert werden müssen. <br />Alle Nachweismethoden haben ein Kriterium gemeinsam: Es wird ein spezifischer Marker benötigt, um die leukämischen Zellen von den normalen Zellen des hämatopoetischen Systems unterscheiden zu können. Dies können Proteine sein, die auf der Zelloberfläche vorhanden sind und die mittels Durchflusszytometrie nachgewiesen werden können. Es handelt sich dabei um eine aberrante Kombination der Oberflächenmarker, die auf normalen Zellen nicht vorkommt und als Leukämie-assoziierter Immunphänotyp (LAIP) bezeichnet wird. Die Vorteile dieser Analyse sind die breite Verfügbarkeit in vielen Laboren, die Anwendbarkeit auf viele Leukämieformen sowie die rasche und kostengünstige Durchführung. Allerdings ist mit den gängigen Geräten (3–4 Farben) eine nur geringe Sensitivität von ca. 10<sup>–3</sup> erreichbar. <br />Die höchste Sensitivität für die MRD-Analyse wird mit molekularbiologischen Methoden erreicht, in erster Linie mit der Polymerasekettenreaktion (PCR). Meist werden genetische Veränderungen in der Leukämiezelle als Marker verwendet. Dabei handelt es sich vorwiegend um Genfusionen, die durch chromosomale Translokationen entstanden sind. Dadurch schränkt sich die Anwendbarkeit auf jene Patienten ein, deren Leukämie von entsprechenden Veränderungen getragen ist. Bei Patienten mit ALL können klonale Immunglobulin- und T-Zellrezeptor-Gene mittels PCR nachgewiesen werden, indem für jeden Patienten spezifische Assays entwickelt werden. Insgesamt wird mit PCR eine Sensitivität von bis zu 10<sup>–6</sup> erreicht, allerdings sind diese Analysen nur in speziellen und erfahrenen Laboren möglich. <br />Neue Technologien wie „next generation flow“ (Durchflusszytometrie mit 8–12 Farben, NGF) und „next generation sequencing“ (Hoch-Durchsatz-DNA-Sequenzierung, NGS) versprechen zwar bessere Sensitivitäten, die Anwendbarkeit muss aber erst noch in der klinischen Praxis gezeigt werden.</p> <p> </p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Onko_1904_Weblinks_jatros_onko_1904_s30_abb1.jpg" alt="" width="1458" height="1133" /></p> <p> </p> <h2>Klinische Relevanz</h2> <p>In zahlreichen retrospektiven Analysen konnte gezeigt werden, dass das Maß an Reduktion der MRD durch die Therapie bei akuten Leukämien prognostisch relevant ist. Man kann daher erwarten, dass bei Patienten mit gutem MRD-Ansprechen und einem geringen Rezidivrisiko die Standardtherapie für die Heilung ausreicht. Bei jenen Patienten aber, die aufgrund der MRD ein hohes Risiko haben, ist eine Therapieintensivierung, vor allem mit allogener Stammzelltransplantation, indiziert. Bei Patienten mit ALL wurde von mehreren Studientruppen in prospektiven Studien gezeigt, dass eine MRD-gesteuerte Therapieplanung das Überleben verlängert, daher wird dies mittlerweile in der klinischen Routine angewandt. Bei AML sind nur wenige prospektive Daten publiziert, allerdings gibt es aktuell eine Vielzahl an klinischen Studien, die MRD-Messungen im Studienprotokoll aufweisen. Dies hat dazu geführt, dass das Europäische Leukämienetzwerk 2018 eine klare Empfehlung von MRD-Messungen bei Patienten mit AML, auch außerhalb von klinischen Studien, abgegeben hat.<sup>3</sup><br />Nach Ende der Therapie sollten zumindest in den ersten beiden Jahren regelmäßig MRD-Messungen erfolgen. Je nach Leukämieform und Marker kann ein molekulares Rezidiv bis zu 4 Monate vor dem hämatologischen Rückfall entdeckt werden. Dies ermöglicht den Klinikern, noch zu einem Zeitpunkt therapeutisch zu intervenieren, an dem die Tumorlast gering ist. Allerdings fehlen auch zu diesem Punkt noch prospektive Daten, die einen Vorteil dieser Strategie im Vergleich zur Therapie des hämatologischen Rezidivs beweisen.</p> <h2>Ausblick</h2> <p>Bei Leukämien ist der MRD-Nachweis naturgemäß relativ einfach, da sich die residualen Tumorzellen meist im Blut und Knochenmark nachweisen lassen und diese Proben leicht zu gewinnen sind. Schwieriger gestaltet sich die Situation bei soliden Tumoren: Zwar ist schon lange bekannt, dass einzelne Tumorzellen („circulating tumor cells“, CTC) über das Blutund Lymphgefäßsystem im Körper verteilt werden können, da deren Zahl aber gering und die Lebensdauer äußerst kurz ist, gestaltet sich deren Nachweis als sehr schwierig. <br />Ebenso bekannt ist die Tatsache, dass die DNA von abgestorbenen Tumorzellen („cell-free DNA“, cfDNA) im Blutplasma nachweisbar ist. Sind genetische Veränderungen des Tumors bekannt, dann können diese als Marker für einen PCR-Nachweis verwendet werden. Da jedoch die Genetik von soliden Tumoren in der Regel äußerst komplex ist, müssten zahlreiche PCR-Tests parallel durchgeführt werden, um die einzelnen Mutationen zu detektieren. Dies ist zu aufwendig für einen Einsatz außerhalb von klinischen Studien. <br />In den vergangenen Jahren hat die Technologie der DNA-Sequenzierung einen rasanten Fortschritt gemacht. Mit NGS können gleichzeitig zahlreiche Mutationen mit hoher Sensitivität nachgewiesen werden. Dies eröffnet erstmals die Möglichkeit, MRD auch bei soliden Tumoren in der klinischen Routine einzusetzen. Denkbar ist, analog zu den Leukämien, mit „liquid biopsy“ (Abb. 2) aus dem Blut den genetischen Hintergrund des Tumors zu bestimmen, therapeutische Ziele zu erfassen und schließlich das Ansprechen auf die Therapie zu überwachen. Zahlreiche Publikationen haben die Durchführbarkeit dieses Ansatzes bereits gezeigt, und es ist nur noch ein kleiner Schritt bis zur breiten Anwendung der „liquid biopsy“ in der Onkologie.</p> <p> </p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Onko_1904_Weblinks_jatros_onko_1904_s30_abb2.jpg" alt="" width="1417" height="1005" /></p></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Luskin MR et al.: Nat Rev Cancer 2018; 18: 255-63 <strong>2</strong> Brüggemann M et al.: Blood Adv 2017; 1(25): 2456-66 <strong>3</strong> Schuurhuis GJ et al.: Blood 2018; 131(12): 1275-91 <strong>4</strong> Bardelli A et al.: Cancer Cell 2017; 31(2): 172-9</p>
</div>
</p>
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