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Pathologie

„Der Aufschneider ist eigentlich ein schlechter Film“

Prim. Dr. Alexander Nader, MSc, Vorstand des Instituts für Pathologie und Mikrobiologie, hat mit uns über Gegenwart und Zukunft der Pathologie gesprochen. Seit 1. Jänner 2023 ist er Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Pathologie. Nicht nur veraltete Strukturen und zunehmend personalisierte Medizin stellen Hürden dar, die es zu überkommen gilt – auch das Bild der Pathologie in der Öffentlichkeit entspricht nicht der Realität.

Wo sehen Sie die aktuellen Herausforderungen für die Pathologie?

A. Nader: Tatsache ist, dass das Bild der Pathologie in den Medien und das Bild der Pathologie in der Realität immer weiter auseinanderklaffen.

Die Pathologie beschäftigt sich heute zu über 99% mit der Tätigkeit an Lebenden. In vielen Fällen sind das nicht nur lebende, sondern meist auch gesunde Menschen. Frauen zum Beispiel gehen zur jährlichen gynäkologischen Kontrolluntersuchung mit Zellabstrich. Die Befundung dieses Abstrichs erfolgt durch Patholog*innen.

Aber auch die Entscheidung, welche Chemotherapie Menschen mit Krebserkrankungen bekommen, wird von Patholog*innen mitbestimmt – ob nun bei Östrogentherapien beim Brustkrebs oder Immuntherapien bei Lymphomen.

Und da liegt ein großes Problem: Die Beschäftigung mit einem Tabu – und der Tod ist ein Tabu – ist unheimlich interessant. Alle möchten gerne einen Toten sehen, alle möchten wissen, wie das so ist mit dem Sterben. Aber als Pathologe ist man damit zu ungefähr 0,2% der Berufszeit beschäftigt.

Welche Bemühungen gibt es, das Bild der Pathologie zu ändern?

A. Nader: Martin Klimpfinger, einer meiner Vorgänger als Präsident der Fachgesellschaft, hat vor 15 oder 20 Jahren einen Folder aufgelegt: „Was macht ein Pathologe bzw. eine Pathologin eigentlich?“ Der war so erfolgreich, dass ihn die Deutsche Gesellschaft für Pathologie übernommen und nach einer Minimaladaptation ebenfalls verteilt hat. Das war ein erster Versuch, und es müssen weitere Versuche folgen, dieses Bild, das wir ja nach außen tragen, zu ändern.

Gibt es den Folder „Was macht ein Pathologe bzw. eine Pathologin eigentlich?“ noch?

A. Nader: Eine neue, überarbeitete Version gibt es auf folgender Website .

Die tatsächliche Arbeit der Pathologie ist von Kliniker*innen und Patient*innen den pathologischen Befunden zu entnehmen?

A. Nader: Ja – aber ich erwarte mir in den nächsten Jahren ein komplettes Umdenken in der Art der Befunde, die wir derzeit abgeben. Die aktuellen Befunde sind in einer Fachsprache formuliert, die größtenteils aus lateinischen und griechischen Wörtern mit einigen englischen Einsprengseln funktioniert. Das wird von den Kliniker*innen verstanden, die Patient*innen können das aber nicht lesen. Was ist zum Beispiel ein „negatives“ Ergebnis und warum sollte man sich als Patient*in darüber freuen? Und außerdem sind die Befunde nicht nachvollziehbar, weil sie unstrukturiert sind.

Die Befunde sind zu lang. Diese „Romane“ sind für klinische Kolleg*innen formuliert. Hier hat in einigen Ländern schon ein Umdenken begonnen. Es gibt große Bestrebungen, strukturiertere Befunde zu erzeugen. Die Österreichische Gesellschaft für Pathologie hat sich als eine der ersten europäischen Gesellschaften bei der ICCR, einem internationalen Konsortium für strukturierte Befunde, beteiligt. In Zukunft soll ein pathologischer Befund ausschauen wie das Ergebnis einer Laboruntersuchung. Er wird so auch lesbarer sein.

Die Frage ist noch, inwieweit man bei manchen Befunden nicht zusätzlich einen automatisch generierten, leichter verständlichen Textbefund für die Patient*innen oder die gesunden Frauen, z.B. bei der Gyn-Zytologie, mitgibt.

Zeitgemäß wäre es, einfach auszudrücken, was wirklich vorliegt: zum Beispiel „kein Hinweis auf maligne oder prämaligne Veränderungen an der Zervix uteri der Frau“. Das sollte man als Diagnose hinschreiben. Entweder es ist nichts – oder es ist etwas, und dann muss man es genau definieren.

Es ist gescheiter, ich sage: „Es ist eine niedriggradige intraepitheliale Neoplasie“, als dass ich es mit „PAP IIId“ klassifiziere. Dann kann gemäß den nationalen oder internationalen Leitlinien gehandelt werden. Und genau das kann man ausformulieren, das muss man nicht hinter Zahlen verstecken. Aufgabe der Pathologie wird es sein, hervorzutreten und klarer zu werden. Das ist ein neues Selbstbild der Pathologie.

Gibt es weitere Entwicklungen, die die Pathologie zugänglicher machen?

A. Nader: Anstatt Bilddaten mitzuschicken, sind wir derzeit noch bei der alten Variante: Wir besingen das Geschehene poetisch. Das macht uns zum Teil große Probleme, denn wir haben weder die Zeit dazu noch die Kapazität der Schreibkräfte. In einigen Häusern und bei wenigen Niedergelassenen wird bereits digital diktiert. Das funktioniert ganz gut, wir sind alle in unseren eigenen kleinen Befundungsräumen, ganz selten gibt es Patholog*innen in Großraumbüros. Das heißt, wir haben unsere Ruhe und können alles digital diktieren. Aber ich glaube, dass bald auch fotografische Daten mit der Beschreibung mitgeliefert werden.

Denn: Wir sind das Fachgebiet für Bilder, gemeinsam mit der Radiologie. Die Radiologie hat vor mehr als zehn Jahren die digitale Radiologie eingeführt und seither hat sich die radiologische Befundung deutlich geändert. Das Gleiche wird in der Pathologie passieren: Wir werden in Tumorboards die Sachen herzeigen und diskutieren, aber auch molekularpathologische Ergebnisse grafisch aufbereiten. Da reichen diese Lösungen, die wir bisher hatten, nicht mehr aus.

Wenn Sie einen Bericht abschicken, passiert es dann, dass Sie angerufen und gefragt werden: „Was steht da eigentlich drin“?

A. Nader: Die wesentlichste Errungenschaft der letzten 20 Jahre ist, dass Patholog*innen im Tumorboard sitzen. Die Kliniker*innen wissen das mittlerweile, und einige Kliniker*innen wissen das auch zu schätzen und fragen in den Tumorboards aktiv auch molekularpathologische Ergebnisse nach: Es gibt mittlerweile im AKH und hoffentlich bald im Hanusch-Krankenhaus auch molekulare Tumorboards.

Wo „personalierte Medizin“ draufsteht, ist immer klinische und molekulare Pathologie drinnen! Vielleicht wird auch bald diskutiert werden, welche Therapien für Patient*innen geeignet sind. Darüber fangen wir in der Hämatopathologie ganz langsam an nachzudenken, weil es einige Therapieformen gibt, deren Wirksamkeit wir zwar am Schnitt nachweisen können, bei denen mir aber die Kliniker*innen im Tumorboard sagen: Der Patient ist 84 Jahre und das ist klinisch keine Option.

© Jacob Lund – stock.adobe.com

Molekularpathologische Ergebnisse gewinnen in Tumorboards an Bedeutung

Wie ist dieser zusätzliche Aufwand eigentlich bewältigbar? Die personalisierten Therapien werden ja immer mehr.

A. Nader: Das ist ein riesengroßes Problem. Einiges geht automatisiert. Das ärztliche Personalproblem ist noch beherrschbar, es gibt erfreulicherweise junge Kolleg*innen, die sich für die Pathologie interessieren.

Problematisch ist es bei den biomedizinischen Analytiker*innen. Das geht von der Bezahlung über die Wertschätzung bis hin zu einem neuen Berufsbild. Hier wurde aus einem hochspezialisierten Handwerk ein Universitätsstudium gemacht. Und diese Umstiegsphase dauert. Sie dauert aber meiner Meinung nach viel zu lang.

Auch die Dichotomie ist schwierig: Ich habe hier Mediziner*innen, und da habe ich „Helfer*innen“, obwohl biomedizinisch hochspezialisierte Analytiker*innen in vielen Fällen mehr können als ich selber als Pathologe. Und zusätzlich habe ich noch medizinische Informatiker*innen, Biolog*innen, Genetiker*innen, medizinische Physiker*innen …

<< Pathologie ist kein statisches Fach.>>

Mit den neuen Fachrichtungen fallen auch unheimlich viele zusätzliche Daten an, die derzeit noch nicht analysiert werden. Auch das wird total spannend werden. Ich nehme an, wir werden zukünftig eigene Informatikabteilungen haben, die diese gewaltigen Datenmengen aufbereiten.

Pathologie ist kein statisches Fach. Und das macht es auch für viele junge Kolleg*innen spannend. Es wird sich zum Beispiel in den nächsten Jahren ein unheimlicher Boom der digitalen Mikroskopie ergeben. Wir sitzen alle derzeit acht Stunden täglich in gekrümmter Position am Mikroskop, haben alle unsere Bandscheibenschäden in der Halswirbelsäule … Das, was die Radiolog*innen vor ungefähr 20 Jahren gehabt haben, dieser Umstieg vom Film auf digitale Befundung, der steht uns jetzt unmittelbar bevor.

Das ist etwas, was die gesamte Pathologie entscheidend verändern wird. Warum? Einerseits, weil ich dann zeitlich unabhängiger bin, weil Auszählungen digital unterstützt werden können. Die exakte Quantifizierung therapeutisch relevanter Antikörper, sogenannte „theranostischer“, das ist ein Mischwort aus Therapie und Diagnostik, wird aber in Zukunft wichtiger.

Andererseits, weil diese Bilder ganz einfach mit anderen Kolleg*innen ausgetauscht werden können und eine Zweitmeinung viel einfacher eingeholt werden kann.

Wo spielt die Pathologie noch eine Rolle?

A. Nader: Bei der Mikrobiologie, und das ist auch ganz wesentlich: Ungefähr 80–85% der mikrobiologischen Untersuchungen in Österreich finden auf Pathologien statt, vor allem die Routinemikrobiologie. Die High-End-Mikrobiologie überlassen wir gerne spezialisierten mikrobiologischen Instituten. Exotische Keime, z.B. Viren oder Tularämie. Aber der normale Uricult des jungen Patienten mit Brennen beim Urinieren wird weiterhin zu 99% von Patholog*innen befundet.

Ein anderer Ort, an dem Patholog*innen wichtig sind, sind Morbidity and Mortality Conferences für seltene Fälle.

Und hier liegt wieder ein Problem: All diese Dinge, von denen ich geredet habe, sind im Personalmanagement derzeit nicht abgebildet. Bezahlung und Personalbedarf werden an der Diagnostik von Schnitten, am Obduzieren und der zytologischen Befundung orientiert. Meine Mitarbeiter*innen und ich verbringen pro Woche 16 Stunden in Tumorboards, bereiten Morbidity and Mortality Conferences vor. Dass wir Fälle mit anderen und untereinander diskutieren, das wird nicht be- und verrechnet.

<< Pathologie ist in Wirklichkeit eine Diskussion.>>
Zitatquelle mit Foto

Und um den Kreis zu schließen: Das sehen Sie auch nie irgendwo im Fernsehen. Sie sehen kein Tumorboard, keine Diskussion mit Kliniker*innen. Sie sehen Patholog*innen als Einzelkämpfer*innen. Eine völlig absurde Präsentation, das macht niemand mehr. Die gelungene Komödie „Der Aufschneider“ ist deshalb eigentlich ein schlechter Film, weil der Hader niemanden neben sich erträgt bis auf eine leicht neurotisch-bizarre Kollegin, die weitgehend sprachlos bleibt. Das ist das genaue Gegenteil von dem, wie Pathologie wirklich funktioniert. Klinische Pathologie ist in Wirklichkeit eine fortgesetzte Diskussion mit anderen klinisch tätigen Kolleg*innen.

Wenn es mir in den nächsten zwei Jahren gelingt, das Bild der Pathologie ein bisschen in diese Richtung zu bringen, dann habe ich, glaube ich, sehr viel erreicht. Und mehr will ich nicht.

Vielen Dank für das Gespräch!
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