
Chronische myeloische Leukämie – Aktuelles vom ASH-Meeting 2020
Autor:
Prim. Univ.-Prof. Dr. Andreas Petzer
Vorstand der Abteilungen Interne I für Hämatologie mit Stammzelltransplantation, Hämostaseologie und Medizinische Onkologie
am Ordensklinikum Linz
Past-Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie
E-Mail: andreas.petzer@ordensklinikum.at
Auch auf dem diesjährigen Meeting der American Society of Hematology (ASH) wurden einige interessante Studien zur chronischen myeloischen Leukämie (CML) vorgestellt. Themen waren unter anderem der Vergleich von Nilotinib und Dasatinib in der Erstlinientherapie der chronischen Phase, finale Resultate der BFORE-Studie sowie Therapieoptionen in der Drittlinie.
Erstlinientherapie der chronischen Phase
Besonderes Interesse weckten zwei Studien zur Erstlinientherapie von CML-Patienten in der chronischen Phase. Zum einen die JALSG-CML212-Studie, die die Tyrosinkinase-Inhibitoren Nilotinib und Dasatinib hinsichtlich ihrer Effektivität verglich. Zum anderen wurden zur BFORE-Studie, die Bosutinib im Vergleich mit Imatinib untersuchte, die finalen 5-Jahres-Resultate vorgestellt.
Nilotinib vs. Dasatinib
Erstmals wurde eine Phase-III-Studie in der Erstlinienbehandlung vorgestellt, in der zwei Zweitgenerations-Tyrosinkinasehemmer (2ndG-TKI) hinsichtlich ihrer Effektivität (der kumulativen Rate des Erreichens einer tiefen molekularen Remission in Form einer MR4,5 innerhalb der ersten 18 Monate) verglichen wurden. Neu mit CML in chronischer Phase (CP) diagnostizierte Patienten erhielten entweder Nilotinib 300mg 2x täglich oder Dasatinib 100mg 1x täglich (jeweils 227 Patienten). Hinsichtlich des primären Endpunktes gab es dabei keinen Unterschied zwischen Nilotinib und Dasatinib: 75 Patienten erreichten eine MR4,5 innerhalb von 18 Monaten unter Nilotinib und 70 Patienten unter Dasatinib in der Intention-to-treat-Population. Bezüglich des progressionsfreien Überlebens konnten ebenfalls keine Unterschiede gefunden werden, auch nicht in verschiedenen Sokal-Risikogruppen. Das Gesamtüberleben war nach 36 Monaten mit 100% für Nilotinib und 98,8% für Dasatinib ebenfalls nicht signifikant unterschiedlich. Bezüglich Toxizität gab es ebenso keine neuen Erkenntnisse. Dasatinib war in Hinsicht auf Ereignisse ≥Grad 3 führend bei Neutropenie, Lymphopenie, Hämoglobinerniedrigung, Thrombozytopenie und Pleuraergüssen; Nilotinib hinsichtlich erhöhter Lipasewerte, erhöhter Bilirubin-, AST- und ALT-Werte. Die Kontinuität der Nilotinib- bzw. Dasatinib-Applikation war ebenfalls nahezu ident nach 36 Monaten (65% Nilotinib vs. 63,9% Dasatinib). Wichtig ist dabei zu erwähnen, dass Patienten mit Anamnese einer kardialen Dysfunktion (u.a. Myokardinfarkt, instabile Angina pectoris, atrioventrikuläre Arrythmien/Tachykardien, Linksschenkelblock etc.) exkludiert waren. Ingesamt konnte kein Unterschied in der Effektivität für die beiden 2ndG-TKI gezeigt werden.
5-Jahres-Resultate der BFORE-Studie
Die BFORE-Studie vergleicht Bosutinib 400mg 1x täglich mit Imatinib 400mg 1x täglich bei CML-Patienten in 1. CP. Der primäre Endpunkt, das Erreichen einer MMR nach 12 Monaten, war signifikant höher unter Bosutinib (47,2%) im Vergleich zu Imatinib (36,9%; p=0,02) und führte bereits zur Zulassung von Bosutinib in der Erstlinientherapie der CML. Am diesjährigen ASH-Meeting wurden die finalen 5-Jahres-Daten präsentiert. Dabei zeigte sich eine anhaltende Überlegenheit von Bosutinib im Vergleich zu Imatinib hinsichtlich höherer Raten an tiefen molekularen Remissionen, die zudem rascher erzielt wurden. Die größte Verbesserung hinsichtlich des Erzielens einer molekularen Remission wurde dabei für Hochrisiko-Sokal-Patienten gezeigt (≥MMR 69,6% vs. 50,9%, MR4,5 46,4% vs. 24,6%). Die Rate an Patienten mit einer dauerhaften, über zwei Jahre anhaltenden MR4 war unter Bosutinib mit 32,5% ebenfalls höher als unter Imatinib (26,5%). Hinsichtlich des Erreichens einer dauerhaft anhaltenden MR4 konnten ein ECOG-Performance Status von 0 (vs. >0) und das Erreichen eines BCR-ABL1-Transkriptlevels <10% (vs. >10%) nach drei Monaten als prädiktive Faktoren detektiert werden. Bei 6 (Bosutinib) vs. 7 Patienten (Imatinib) kam es während der Behandlung zu einer Transformation in eine akzelerierte Phase oder Blastenkrise, nach 24 Monaten traten keine weiteren Transformationen auf. Was die Nebenwirkungen betrifft, waren gastrointestinale Nebenwirkungen, Ausschläge und Lebertoxizität unter Bosutinib häufiger, Pleuraergüsse waren bei 16 Patienten (6%) nachweisbar. Imatinib führte vor allem zu muskuloskelettalen Nebenwirkungen sowie Ödemneigung. Die Rate des Gesamtüberlebens nach 60 Monaten war mit 94,5% vs. 94,6% ident. Damit bestätigt die Studie, dass Bosutinib eine Therapieoption in der Erstlinienbehandlung der CML darstellt.
Therapieoptionen in der Drittlinie
Im Drittliniensetting analysiert die OPTIC-Studie unterschiedliche initiale Dosierungen von Ponatinib hinsichtlich Effizienz und Tolerabilität. Des Weiteren wurden Daten zu Asciminb vorgestellt, einem neuen Inhibitor, durch den sich zukünftig neue Therapieoptionen zur Behandlung von refraktärer CML ergeben werden.
Ponatinib in der OPTIC-Studie
Ponatinib ist aktuell sicherlich der potenteste zugelassene TKI bei Versagen von zwei vorangegangenen TKI-Behandlungen. Das Problem bei Ponatinib liegt in der Tatsache, dass bei einer Dosierung von 45mg täglich häufig klinisch relevante arteriellokklusive Ereignisse auftreten können. Die OPTIC-Studie versucht zu analysieren, inwieweit auch niedrigere Dosierungen von 30mg oder 15mg ähnlich potent sind bzw. inwiefern nach dem Erreichen eines initialen Ansprechens mit BCR-ABL1IS-Werten ≤1% auf eine Dosis von 15mg 1x täglich reduziert werden kann. Der primäre Endpunkt dieser Studie war das Erreichen eines BCR-ABL1IS-Werts ≤1% nach 12 Monaten. Insgesamt wurden 376 Patienten evaluiert, 94 Patienten in jeder Dosisgruppe (Wechsel von 45mg auf 15mg nach Erreichen eines BCR-ABL1IS-Wertes ≤1%, von 30mg auf 15mg bzw. initial 15mg). Dabei zeigte sich eine initiale Dosierung von 45mg bei Patienten mit Vorliegen einer T315I-Mutation oder einer anderen Mutation überlegen im Vergleich zu initial niedrigeren Dosierungen. Kein Unterschied war jedoch für diejenigen Patienten zu detektieren, bei denen zum Zeitpunkt des Wechsels auf Ponatinib keine Mutation gefunden werden konnte. Hier war eine initiale 30-mg-Dosierung mit 38% der Patienten, die nach 12 Monaten einen Wert von ≤1% BCR-ABL1IS erreichten, ident mit der Patientengruppe mit 45mg (40%). Patienten, die zwei oder weniger TKI in der Vorbehandlung hatten, sowie diejenigen Patienten, die unter der vorangegangenen TKI-Therapie zumindest ein Ansprechen besser als eine komplette hämatologische Remission erzielten, waren mit einer Initialdosis von 30mg ebenfalls nahezu gleich effizient hinsichtlich des Erreichens des primären Endpunktes (≤1% BCR-ABL1IS nach 12 Monaten) wie unter der 45-mg-Dosierung. Die Raten an Nebenwirkungen waren erfreulicherweise nur geringfügig höher in der 45-mg-Gruppe, die Rate an arteriellokklusiven Events war in allen drei Kohorten gering. Es gab einen Trend zu höheren Raten an schweren behandlungsbezogenen Adverse Events bei Patienten die mit ≥3 TKI vorbehandelt waren. Auch hier ist aus meiner Sicht allerdings erwähnenswert, dass die Anzahl der eingeschlossenen Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren wie Hypercholesterinämie (15–20%), arterieller Hypertension (23–28%) oder Diabetes mellitus (3–7%) gering war. Auch der mediane Body-Mass-Index war mit 26–27kg/m2 nur leicht erhöht.
Von Kantarjian und Kollegen wurden die Daten der initialen Phase-II-PACE-Studie mit einer fixen Dosierung von 45mg und des OPTIC-Trials mit der Kohorte von 45mg und Reduktion auf 15mg kombiniert dargestellt. Diese Analyse stellt die größte Patientenpopulation im Setting nach 2ndG-TKI-Behandlung dar. Dabei zeigen sich Ansprechraten bezüglich BCR-ABL1IS ≤1% von ca. 50% innerhalb von 24 Monaten, die Rate des progressionsfreien Überlebens verbessert sich nach zwei Jahren von 67% (PACE) auf 81% (OPTIC), das Gesamtüberleben nach zwei Jahren von 85% auf 91%. Das Auftreten von arteriellokklusiven Ereignissen und schwerwiegenden behandlungsbezogenen Adverse Events während der ersten beiden Jahre war in der OPTIC-Studie infolge der Dosisadaptierungen (und wohl auch der besseren Patientenselektion) niedriger als in der ursprünglichen PACE-Studie. Ponatinib zeigt somit ein günstiges Benefit-Risikoprofil bei resistenten Patienten in CP, die auf vorangegangene 2ndG-TKI progredient waren.
Asciminib
Erfreulicherweise steht mit Asciminib eine neue Substanz zur Behandlung der CML im refraktären Setting demnächst zur Verfügung. Es handelt sich dabei um einen sogenannten STAMP(„specifically targeting the ABL myristoyl pocket“)-Inhibitor.
Asciminib ist ein neuer Inhibitor, der im Gegensatz zu allen bisher verfügbaren TKI nicht die ATP-Bindungsstelle blockiert, sondern die ABL-Myristoyl-Bindungsstelle. Asciminib wurde in einer Phase-III-Studie nach Versagen von mindestens zwei TKI mit Bosutinib verglichen. Für Bosutinib lagen bis dato die meisten Daten nach Versagen von mindestens zwei TKI vor. Bosutinib wurde in dieser Studie in der ursprünglich zugelassenen Dosierung von 500mg verwendet, Asciminib in einer Dosierung von 40mg 2x täglich. Patienten mit einer T315I-Mutation bzw. einer V299L-Mutation waren aufgrund der bekannten Wirkungslosigkeit von Bosutinib hinsichtlich dieser Mutationen nicht zugelassen. Bei Intoleranz gegenüber dem zuletzt verwendeten TKI mussten BCR-ABL1IS-Werte von >0,1% bei Einschluss in die Studie vorliegen. Die MMR-Rate nach 24 Wochen Behandlung (primärer Endpunkt) war mit 25,5% signifikant höher unter Asciminib im Vergleich zu Bosutinib (13,2%; p=0,029). Auch die erzielten MR4- bzw. MR4,5-Raten waren unter Asciminib mit 10% bzw. 8,9% deutlich höher als unter Bositinib (5,3% und 1,3%). Hinsichtlich der Nebenwirkungsraten scheint Asciminib gut verträglich zu sein. Lediglich die Rate an Thrombozytopenien war unter Asciminib mit 28,8% höher als unter Bosutinib mit 18,4%. Diarrhö, Übelkeit, Ausschläge, Erbrechen, erhöhte Transaminasewerte waren unter Bosutinib deutlich häufiger als unter Asciminib. Die Zahl arteriellokklusiver Ereignisse war mit 3,2% unter Asciminib erfreulicherweise niedrig, Patienten mit arteriellokklusiven Ereignissen unter Asciminib hatten zuvor alle Imatinib und Nilotinib erhalten, drei von fünf hatten auch Dasatinib und zwei von fünf vorab Ponatinib erhalten. Somit scheint Asciminib zukünftig eine gut wirksame und gut verträgliche Therapieoption für vorbehandelte, refraktäre Patienten zu sein. In einer weiteren Phase-I-Studie konnte zudem gezeigt werden, dass Asciminib auch bei Vorliegen einer T315I-Mutation hochwirksam ist. Nach 24 Wochen erzielten 58% der Ponatinib-naiven Patienten mit T315I-Mutation bzw. auch 29% der Patienten nach Ponatininb-Vorbehandlung eine „major molecular remission“ (MMR, MR3) nach 24 Wochen. Die mediane Zeit bis zum Erreichen einer MMR betrug lediglich 12,1 Wochen.
Literatur:
beim Verfasser
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