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Biomarker-gelenkte Therapie gewinnt enorm an Stellenwert
Jatros
30
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11.07.2019
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<p class="article-intro">Zielgerichtete Therapien sind aus der Onkologie nicht mehr wegzudenken. Auf der Frühjahrstagung der OeGHO (der Österreichischen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie) war eine eigene Session dem Thema „Biomarker“ gewidmet, in der anhand von konkreten Beispielen der Stellenwert der personalisierten Medizin erläutert wurde. Dabei wurde auch untermauert, dass die molekulare Diagnostik nicht nur bei Diagnose ein „Must“, sondern auch bei Rezidivierung relevant ist.</p>
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<p class="article-content"><p>PD Dr. Thomas Winder, Universitäres Lehrkrankenhaus Feldkirch, fasste die Entwicklung in der Onkologie innerhalb der vergangenen Jahre folgendermaßen zusammen: „Während wir vor nicht allzu vielen Jahren ausgehend vom Organ eine Chemotherapie verabreicht haben, später eine histologische Differenzierung vorgenommen und unsere Therapien dahingehend adaptiert haben, sind wir im nächsten Schritt durch die zunehmende Möglichkeit der molekularen Charakterisierung in Richtung einer individualisierten Therapie gegangen.“</p> <h2><em>BRCA</em>-Mutationsstatus</h2> <p>Beim Ovarialkarzinom ist das Vorliegen einer <em>Breast-cancer(BRCA)</em>-Mutation als Prädiktor für das Ansprechen auf einen Poly(ADP-Ribose)-Polymerase(PARP)-Inhibitor schon seit Längerem bekannt, und mit Olaparib ist der erste PARP-Inhibitor als Erhaltungstherapie bei Ovarialkarzinompatientinnen mit BRCA-Mutation in die Erstlinie vorgerückt.<sup>1</sup> Mittlerweile wurde der Stellenwert des BRCA-Mutations- Status als Basis für eine zielgerichtete Therapie auch bei anderen Tumorentitäten erkannt. So konnte beim Mammakarzinom gezeigt werden, dass durch die Gabe eines PARP-Inhibitors im Vergleich mit einer Standardchemotherapie eine signifikante Verlängerung des progressionsfreien Überlebens („progression-free survival“, PFS) erzielt werden kann.<sup>2</sup><br />Beim Prostatakarzinom wurde neben BRCA ein breites Spektrum an DNA-Reparaturgenen untersucht (Biomarker-positiv vs. -negativ) – bei PARP-Inhibitor-Therapie zeichnete sich eine klare Separierung der Kurven mit einer signifikanten Überlegenheit des PARP-Inhibitors hinsichtlich des radiografischen PFS und des Gesamtüberlebens („overall survival“, OS) in der Biomarker- positiven gegenüber der -negativen Gruppe ab (p < 0,001 bzw. p = 0,05) ab.<sup>3</sup><br />Ziemlich sicher ist davon auszugehen, dass der <em>BRCA</em>-Mutations-Status als Selektionskriterium in die Therapie des Pankreaskarzinoms einziehen wird: Das Pankreaskarzinom ist ein Tumor, der häufig Defekte in Genen aufweist, die mit der DNA-Reparatur assoziiert sind. Wie beim Ovarialkarzinom wurde herausgefunden, dass davon betroffene Patienten in signifikant höherem Ausmaß einen OS-Benefit von einer platinbasierten Therapie haben als Patienten ohne Gendefekte.<sup>4</sup> In Analogie zum Ovarialkarzinom wurde im Rahmen einer Phase-III-Studie bereits eine PARP-Inhibitor-Erhaltungstherapie bei <em>BRCA</em>-Mutations-Patienten untersucht, die unter einer platinbasierten Erstlinientherapie keine Progredienz entwickelt haben. Auch in dieser Studie konnte die signifikante Überlegenheit des PARP-Inhibitors vs. Placebo nachgewiesen werden (7,4 vs. 3,8 Monate; p = 0,004).<sup>5</sup></p> <h2>Mikrosatelliteninstabilität</h2> <p>Das metastasierte Kolorektalkarzinom war der erste Tumor, bei dem der Nachweis einer Mikrosatelliteninstabilität (MSI-high) als Prädiktor für das Ansprechen auf eine Immuntherapie identifiziert wurde. Dies konnte u.a. in der Phase-II-Studie CheckMate-142 zur neoadjuvanten Therapie mit Ipilimumab und Nivolumab bestätigt werden, in der eine Gesamtansprechrate („objective response rate“, ORR) von > 80 % verzeichnet wurde.<sup>6</sup><br />Auch beim Magenkarzinom dürfte die Immuntherapie eine vielversprechende Option sein: Kim et al. führten eine Studie zu 61 Patienten mit metastasiertem Magenkarzinom durch und nahmen dabei eine Stratifizierung nach MSI-high vs. -low und Epstein-Barr-Virus(EBV)-Positivität vs. -Negativität vor. Bei Patienten, die die Kriterien MSI-high bzw. EBV-Positivität aufwiesen, wurden unter Pembrolizumab beeindruckende ORR im Ausmaß von 85,7 bzw. 100 % erzielt.<sup>7</sup><br />Wenn auch erst einige Fallberichte vorliegen, könnte sich die Immuntherapie auch bei Prostatakarzinompatienten mit MSI-high-Nachweis als effektive Therapieoption erweisen: Zum Zeitpunkt des Data- Cut-off im Mai 2018 standen 5 von 11 Patienten bereits seit 89 Monaten erfolgreich unter Pembrolizumab.<sup>8</sup></p> <h2>Biomarker beim NSCLC</h2> <p>Das nicht kleinzellige Bronchialkarzinom („non-small cell lung cancer“, NSCLC) ist eine Tumorentität, die hinsichtlich der molekularen Charakterisierung eine Vorreiterrolle spielt: Sowohl bei Vorliegen von Mutationen im epidermalen Wachstumsfaktorrezeptor („epidermal growth factor receptor“, EGFR) als auch von Aberrationen in der anaplastischen Lymphomkinase (ALK) sind bereits Tyrosinkinaseinhibitoren (TKI) verfügbar. Mit Erlotinib und Gefitinib wurden in den Jahren 2005 bzw. 2009 die TKI der ersten Generation zugelassen. Afatinib ist ein TKI der zweiten Generation, der ebenfalls als Erstlinientherapie bei EGFR-mutiertem NSCLC indiziert ist. Der raschen Entwicklung muss auch in den Guidelines Rechnung getragen werden: Osimertinib, ein TKI der dritten Generation, war initial bei Auftreten der Resistenz- Mutation T790M unter der Erstlinientherapie zugelassen.<sup>9</sup> Nachdem in der Head-to-Head-Studie FLAURA<sup>10</sup> zur First- Line-Therapy vs. Erlotinib bzw. Gefitinib eine signifikante Überlegenheit im PFS gegenüber dem Kontrollarm nachgewiesen werden konnte (18,9 vs. 10,2 Monate; p < 0,001), ist die Substanz seit Mitte 2018 auch für die Erstlinie beim EGFR-mutierten NSCLC zugelassen.<sup>9</sup> Dementsprechend wurden die aktuellen Onkopedia-Guidelines dahingehend adaptiert, dass Osimertinib neben anderen TKI als mögliche Erstlinientherapie angeführt wird.<sup>11</sup> <br />Unter ALK-Positivität werden ALK-Punkt- Mutationen und eine ALK-Überexpression subsumiert. Crizotinib war der erste TKI, der neben ALK auch ROS1 und Met inhibiert. Die Substanz ist zwar für die Erstlinie zugelassen,<sup>9</sup> wurde jedoch hinsichtlich der PFS-Dauer inzwischen u. a. durch Alectinib, einen TKI der zweiten Generation, übertroffen, wie in der Studie ALEX<sup>12</sup> gezeigt werden konnte. Die Tatsache, dass die 4-Jahres- OS-Rate der Studie PROFILE 101413 unter Crizotinib vs. Chemotherapie bei einem vergleichbaren Prozentsatz von 56,6 vs. 49,1 liegt, führte OA Dr. Georg Pall, Medizinische Universität Innsbruck, auf die weiteren TKI zurück, die bei diesen Patienten inzwischen zum Einsatz kamen. Im Zusammenhang mit der Verfügbarkeit einer beachtlichen Zahl an TKI – erst kürzlich wurde Lorlatinib, ein TKI der dritten Generation, zugelassen9 – merkte Pall an: „Die klinische Herausforderung liegt heute eher darin, den ‚richtigen‘ ALKInhibitor in der ‚richtigen‘ Situation einzusetzen: Das Konzept der klonalen Tumorevolution wird immer wichtiger. Einer der wesentlichen Resistenzmechanismen bei ALK-positiven Tumoren ist das Auftreten sekundärer ALK-Mutationen. Die Sensitivität der Subklone gegenüber spezifischen TKI der Zweit- und Drittgeneration ist unterschiedlich.“ In diesem Zusammenhang betonte er: „Die molekulare Diagnostik, auch zum Zeitpunkt einer erworbenen Resistenz, gewinnt immer mehr an Bedeutung, um für die Patienten eine möglichst lange Zeit des Benefits einer TKI-Therapie zu generieren.“</p> <p>Generell äußerte sich Pall zur molekularen Testung beim NSCLC folgendermaßen: „Wir führen das Screening meist mittels Immunhistochemie (IHC) durch und verwenden Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH) nur in unklaren Fällen als Reservediagnostik. Natürlich kann auch primär FISH und bei grenzwertig negativen bzw. positiven Fällen IHC als Zweitmaßnahme zur Anwendung kommen – FISH ist jedoch zeitaufwendiger und kostenintensiver.“</p> <h2>Neurotrophinrezeptor-Tyrosinkinase (NTRK)</h2> <p>NTRK-Fusionsgene sind onkogene Driver, die in einer Reihe von pädiatrischen und adulten Tumorentitäten vorkommen. Bei häufigen Tumoren wie dem NSCLC werden sie in < 5 % nachgewiesen, bei sehr seltenen Karzinomen wie dem Speicheldrüsenkarzinom hingegen in > 90 % der Fälle. Dies impliziert, dass Hoffnung auf die Verfügbarkeit von effektiven zielgerichteten Substanzen auch bei bislang schwer behandelbaren Karzinomen besteht.<sup>14</sup> <br />Bezüglich der Detektion berichtete Pall, dass eine Validierung von Methoden für den Nachweis der NTRK-Rearrangements noch ausstehe, und nannte die IHC als zurzeit praktikabelste Methode für den Nachweis; jedoch sei es notwendig, suspekte Befunde mittels „Next Generation Sequencing“ (NGS) zu bestätigen. <br />Welche klinische Relevanz hat das Vorliegen von NTRK-Rearrangements? Aktuell befinden sich zwei NTRK-Inhibitoren der ersten Generation (Larotrectinib, Entrectinib) und ein NTRK-Inhibitor der zweiten Generation (LOXO-195) in klinischer Prüfung. Für Larotrectinib wurden am Kongress der ESMO (European Society for Medical Oncology) 2018 die Ergebnisse einer Basket-Studie (Phase II) zu verschiedenen NTRK-positiven Tumoren präsentiert: Dabei wurde eine exzellente Wirksamkeit in Form einer ORR von 81 % nachgewiesen, die unabhängig vom Tumortyp war (Abb. 1).<sup>15</sup> Eine vergleichbare Wirksamkeit wurde auch in einer aktualisierten Analyse eines Basket-Trials zu Entrectinib festgestellt, die ebenfalls über alle untersuchten Tumortypen hinweg bestätigt werden konnte. „Larotrectinib und Entrectinib sind bereits im Rahmen von ‚named-patient programs‘ verfügbar. Ich denke, dass es nicht lange dauern wird, bis TKI für NTRK-positive Tumoren unmittelbar in unsere therapeutischen Algorithmen einfließen werden“, resümierte Pall.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Onko_1904_Weblinks_jatros_onko_1904_s33_abb1.jpg" alt="" width="800" height="432" /></p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: „10 Biomarker, die jeder Hämatologe und Onkologe kennen sollte“, Vortrag am 11. April im Rahmen der OeGHOFrühjahrstagung, 11.–13. April, Linz
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Fachinformation Olaparib, Stand: Mai 2019 <strong>2</strong> Litton JK et al.: N Engl J Med 2018; 379: 753-63 <strong>3</strong> Matteo J et al.: N Engl J Med 2015; 373: 1697-1708 <strong>4</strong> Pishvaian M et al.: ASCO GI 2019; Abstract #191 <strong>5</strong> Golan T et al.: N Engl J Med 2019; doi: 10.1056/NEJMoa1903387 <strong>6</strong> Lenz H-J et al.: ESMO 2018; Abstract #LBA18_PR <strong>7</strong> Kim ST et al.: Nat Med 2018; 24: 1449-58 <strong>8</strong> Abida W et al.: JAMA Oncol 2018; doi: 10.1001/jamaoncol.2018.5801 <strong>9</strong> European Medicine Agency: Online abgerufen unter https://www.ema.europa. eu/en; 19. Juni 2019 <strong>10</strong> Soria J-C et al.: N Engl J Med 2018; 378: 1261-63 <strong>11</strong> DGHO: Onkopedia Leitlinien. Online abegrufen unter https://www.onkopedia.com/de/onkopedia/guidelines/lungenkarzinom-nicht-kleinzellignsclc/@@view/pdf/index.pdf; 19. Juni 2019 <strong>12</strong> Shaw AT et al.: ASCO 2017; Abstract #LBA9008 <strong>13</strong> Mok T et al.: ESMO 2017; Abstract #LBA50 <strong>14</strong> Cocco E et al.: Nat Rev Clon Oncol 2018; 15: 731 <strong>15</strong> Larssen UN et al.: ESMO 2018; Abstract #409O</p>
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