© Ludwig Schedl

Selbsthilfe Darmkrebs

Begleiten – unter die Arme greifen– Tabus brechen

Der Verein Selbsthilfe Darmkrebs ist bestens vernetzt – kein Wunder, besteht er doch bereits seit 18 Jahren. Die Selbsthilfe bietet zahlreiche Angebote für Betroffene, u.a. Gesprächsgruppen zum Austausch und heitere gemeinsame Ausflüge, und informiert in Online- und Offline-Veranstaltungen alle Interessierten über Therapiemöglichkeiten und Vorsorge. Dies ist umso wichtiger, als Darmkrebs leider noch immer ein Tabuthema darstellt. Präsidentin Helga Thurnher im Gespräch.

Bitte umreißen Sie kurz, wie es zur Gründung der Selbsthilfe Darmkrebs kam.

H. Thurnher: Als mein Mann an Darmkrebs erkrankte, wurde ihm gesagt, dass er maximal ein weiteres Jahr leben wird. Jedoch sprach er dankenswerterweise gut auf die ersten Therapien an und am Horizont tauchte zudem der Hoffnungsschimmer der baldigen Zulassung eines vielversprechenden Wirkstoffs auf. Bevacizumab sollte im Herbst 2004 zugelassen werden, aber es war schon abzusehen, dass das Spital meinem Mann diese wahrscheinlich lebensverlängernde Therapie nicht bezahlen würde.

Diese große Ungerechtigkeit war für mich ein Schlüsselmoment in der Gründung der Selbsthilfe Darmkrebs. Prof. Dr. Heinz Ludwig, der betreuende Onkologe meines Mannes, war ebenso eine treibende Kraft und unterstützte uns auf ganzer Linie. Mit einer Pressekonferenz im September 2004 konnten wir auf jenen Missstand aufmerksam machen und in weiterer Folge erreichen, dass in allen Spitälern Österreichs Patient*innen Bevacizumab erhalten konnten – ebenso mein Mann.

Er hat im Endeffekt fünf weitere Jahre gelebt. Nach seinem Tod 2006 habe ich den Vorstand des Vereins übernommen.

Ein wichtiges Anliegen ist Ihnen die Darmkrebsvorsorge. Wo sehen Sie noch Verbesserungsbedarf?

H. Thurnher: Zum Glück ist das Bewusstsein für die Wichtigkeit der Darmkrebsvorsorge österreichweit gestiegen. Darmkrebs ist immerhin die einzige Krebsart, die zu verhindern ist, wenn sie rechtzeitig erkannt wird.

Leider haben nach wie vor viele Menschen Angst vor der Untersuchung und der vorhergehenden Darmreinigung. Sicherlich ist Letztere nicht besonders angenehm. Von der Untersuchung selbst bekommt man auf Wunsch dank moderner Anästhetika aber gar nichts mehr mit. Den Menschen sollte immer vor Augen gehalten werden, dass das Unwohlsein während der Darmreinigung im Vergleich zu den Beschwerlichkeiten einer mehrjährigen Chemotherapie eine absolute Lappalie ist.

Weiters braucht es noch ein stärkeres Bewusstsein dafür, dass Darmkrebs erblich ist. Wenn ein Elternteil mit 50 Jahren erkrankt ist, müssen die Kinder daran denken, ab dem Alter von 40 Jahren regelmäßig zur Vorsorge zu gehen. Also bereits 10 Jahre vorher! Dieses Wissen ist leider auch noch nicht bei allen Allgemeinärzt*innen verankert. Aus diesem Grund organisieren wir seit 2021 jährlich eine Info-Veranstaltung für Hausärzt*innen mit, da diese die ersten Ansprechpartner*innen für die Vorsorgeuntersuchungen sind. Dieses Jahr wird sie am 30. September in Kooperation mit der Ärztekammer im Billrothhaus stattfinden.

Welche Angebote bietet die Selbsthilfe Darmkrebs Patient*innen, Angehörigen und Interessierten?

H. Thurnher: Dadurch, dass wir mittlerweile bereits 18 Jahre tätig sind, können wir Betroffenen und am Thema Interessierten schon mit einer großen Bandbreite an Angeboten zur Seite stehen. Da wären natürlich einerseits Infoveranstaltungen, z.B. jährlich im Darmkrebsmonat März. Dieses Jahr haben wir ein Online-Symposium organisiert, welches sehr gut angenommen wurde.

Andererseits darf auch die Lebensfreude nicht zu kurz kommen. Am 10. September etwa unternehmen wir einen gemeinsamen Ausflug ins Stift Zwettl und zur Firma Sonnentor. Bei einem Heurigen in Wienlassenwir den Tag ausklingen. Wir kommen für die Fahrtkosten und Eintrittspreise auf, da viele Menschen, die von der Krankheit gebeutelt sind, oft auch finanziell kämpfen. Da ist es uns ein wichtiges Anliegen, Betroffenenunter die Arme zu greifen und ihnen ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Meistens sind wir bei unseren Ausflügen eine Truppe von 50–60 Menschen. Vielen bleiben unsere Ausflugstage sehr lang in schöner Erinnerung.

Vor Beginn der Covid-19-Pandemie haben wir zudem monatliche Gruppentreffen in Wien und Linz organisiert, bei welchen sich Betroffene untereinander austauschen können. Darmkrebs ist eine Erkrankung, die oftmals mit vielen Schamgefühlen verbunden ist, da tut es gut, ohne Scheu darüber sprechen zu können. Seit der Covid-19-Pandemie finden die Treffen leider etwas unregelmäßiger statt, aber doch zumindest meist alle zwei Monate.

Hat die Covid-19-Pandemie auch manche Ihrer Angebote verändert?

H. Thurnher: Natürlich haben wir uns auch dem Trend angepasst, Veranstaltungen online abzuhalten. Viele unserer Betroffenen sind aber in der Altersgruppe 65+ und manche dadurch wenig vertraut mit den Möglichkeiten, die Computer und Smartphone bieten können.

Unsere jährliche Charity-Veranstaltung im Herbst musste leider wegen der Pandemie bereits zweimal ausfallen. Man darf nicht vergessen, dass es sich bei Darmkrebs-Betroffenen um eine Covid-Risikogruppe handelt. Dennoch hoffe ich von Herzen, dass die Veranstaltung dieses Jahr bei niedrigen Infektionszahlen mit einem entsprechenden Sicherheitskonzept stattfinden kann.

Welche Art der Unterstützung Betroffener liegt Ihnen persönlich besonders am Herzen?

H. Thurnher: Durch meine langjährige Tätigkeit als Präsidentin des Vereins bin ich bestens vernetzt mit tollen Onkolog*innen und Spitälern. Dadurch kann ich den Menschen, die sich an uns wenden, als kompetente Ansprechpartnerin dienen und Empfehlungen geben, wo sie meiner Meinung nach mit ihrer Krankheit besonders gut aufgehoben sind.

Eines Ihrer neueren Projekte ist der Darmkrebs-Nachsorge-Pass am Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern Wien. Welche Vorteile bietet dieser?

H. Thurnher: Der Darmkrebs-Nachsorge-Pass ist ein analoges Dokument, welches die Betroffenen dabei unterstützt, einen Überblick darüber zu bewahren, wo und wann ihre nächste Nachsorgeuntersuchung stattfindet. Zusätzlich ist in diesem genau vermerkt, welche Therapien der/die Patient*in zur Behandlung der Darmkrebs-Erkrankung erhalten hat. Dies kann auch hilfreich sein, wenn sich die Patient*innen – z.B. auf Urlaubsreisen – an Ärzt*innen wenden, die ihre Geschichte nicht kennen. Außerdem bietet der Pass Platz, Symptome einzutragen, die bei einer Nachsorgeuntersuchung relevant sein könnten, beispielsweise das vermehrte Auftreten von Durchfall. Somit können Betroffene sichergehen, dass sie nichts potenziell Wichtiges zu berichten vergessen.

Alles in allem soll der Pass einen Leitfaden nach der Erkrankung bieten, der die Patient*innen begleitet, ihnen Struktur bietet und die Nachsorge erleichtert. Bislang wird der Pass von den Menschen sehr gut angenommen, was uns natürlich freut. Gerne hätten wir das Angebot noch in vielen anderen Spitälern österreichweit, jedoch ist dies nicht so leicht, da jedes Krankenhaus ein wenig anders arbeitet und die Mühlen der Bürokratie beschwerlich sein können. Aber wir arbeiten daran.

Ein weiteres Kooperationsprojekt mit den Krankenhäusern der Barmherzigen Schwestern Wien und Linz – und dem Fahrtendienst Hallermobil – ist übrigens das Anbieten eines kostenloses Heimtransports für Patient*innen nach einer ambulanten Chemotherapie. Sie wissen, nach einer bis zu 5-stündigen Therapie in der Ambulanz sind die Patient*innen natürlich sehr erschöpft und froh, wenn sie nicht allzu lange warten müssen, bis sie sich zu Hause wieder erholen können. Gern organisieren wir den Patient*innen einen Fahrtendienst direkt nach ihrem Termin im Spital und übernehmen auch die Kosten dafür.

Sie bieten auch ein Magazin an, das „Forum Darmkrebs“. Welche Themen decken Sie damit ab?

H. Thurnher: Unser Magazin erscheint jedes Jahr mit anderen Schwerpunkten. Heuer werden wir künstliche Intelligenzen behandeln, die Polypen im Darm noch besser als das menschliche Auge erkennen können. Außerdem berichten wir u.a. über neu zugelassene Darmkrebsmedikamente und geben einen Überblick über Palliativstationen in Österreich. Immer wieder berichten wir auch über Neuigkeiten von Spitälern und Darmkrebszentren in den verschiedenen Bundesländern.

Mit einer Auflage von 7000 Stück versenden wir das Magazin an Patient*innen, Ärzt*innen, Spitäler und Ordinationen in ganz Österreich. Das Magazin ist kostenlos und kann z.B. über unsere Homepage abonniert werden.

Abschließend vielleicht noch: Was würden Sie sich für Darmkrebsbetroffene in Zukunft wünschen?

H. Thurnher: Meine Vision wäre natürlich ein darmkrebsfreies Österreich. Leider wird das wohl ein Traum bleiben.

Also würde ich mir wünschen, dass die Menschen in Österreich alles tun, um die Krankheit Darmkrebs zu vermeiden. Und sollten sie erkranken, dass sie die zahlreichen Angebote annehmen, die es bereits gibt – von psychologischer Betreuung bis zu onkologischer Rehabilitation. Darmkrebs sollte kein Tabuthema mehr sein, denn es kann jede/n von uns treffen. Gott sei Dank sind hier bereits Veränderungen zu spüren.

Vielen Dank für das Gespräch!

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