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Psychoonkologische Betreuung

„Authentizität und Empathie sind essenziell“

Dr.in Sabina Schmid, MSc, leitet die psychoonkologische Ambulanz am Ordensklinikum Linz Elisabethinen seit mehr als drei Jahren. Anfang des Jahres wurde sie zur Oberärztin ernannt. Wir nutzten diese Gelegenheit, um mit ihr über vergangene und zukünftige Herausforderungen der Psychoonkologie allgemein und auf ihrer Abteilung im Speziellen zu sprechen. Erfahren Sie außerdem, warum extracurriculare Kompetenzen wie Empathie in diesem Fachbereich von besonderer Bedeutung sind.

Die Leitung der psychoonkologischen Ambulanz am Ordensklinikum haben Sie bereits seit 2019 inne. Was hat sich in den letzten Jahren verändert?

S. Schmid: Die psychoonkologische Ambulanz existiert schon seit vielen Jahren, und sie war eigentlich der Grund, warum ich hier ins Haus gekommen bin. Es war der Wunsch des damaligen Primarius der Onkologie, Prim. Weltermann, und das klare Bekenntnis des Spitalsträgers, eine qualitätsgesicherte psychoonkologische Betreuung von Krebspatient*innen zu implementieren.

Dafür habe ich dann ein Konzept erstellt und die psychoonkologische Ambulanz ist so schrittweise gewachsen. Am Anfang war sie in der Klinik noch der Onkologie zugeordnet, jetzt ist sie ein eigenständiger Bereich.

War es Ihnen denn wichtig, dass die Psychoonkologie ein eigenständiger Bereich wird?

S. Schmid: Es ging weniger darum, dass es mir wichtig war, sondern eher darum, dass es einfach Sinn gemacht hat, weil wir nicht nur die Patient*innen der internen Onkologie begleiten, sondern auch die aller anderen Abteilungen. So gesehen war das ein logischer Schritt.

Die Psychoonkologie ist eigentlich ein Arbeitsbereich, der von der klinischen Psychologie abgedeckt ist. In meinem Team arbeiten insgesamt fünf klinische Psychologinnen in der Ambulanz sowie eine ganzheitliche Kunsttherapeutin. In größeren Häusern ist so ein Team primär Teil der klinischen Psychologie. Darum ist das sicherlich von Anfang an ein Alleinstellungsmerkmal gewesen, dass ich als Ärztin in diesem Bereich arbeite. Dementsprechend hat es bei vielen auch lange gebraucht, um meine Rolle einordnen zu können.

Was hat Sie in den Bereich der Psychoonkologie gezogen?

S. Schmid: In dieser Ausbildung zur Allgemeinärztin – ebenfalls bereits am Ordensklinikum Barmherzige Schwestern – habe ich vieles erlebt, was mich sehr geprägt hat. Ich habe im Klinikum in der radioonkologischen Abteilung gearbeitet und dort sehr klar wahrgenommen, was gefehlt hat. Natürlich war der medizinische Ansatz damals noch ein anderer, er war viel paternalistischer. Aber vor allem wurde wenig kommuniziert, viele Menschen wurden nicht klar über ihre Diagnose und Prognose informiert. Das war oft sehr erdrückend zu erleben. Es war spürbar, dass das, was fehlte, die Zuwendung und das Gespräch waren. Ich habe mich auf diesen Mangel eingelassen und dann das Angebot bekommen, die Palliativstation bei den Barmherzigen Schwestern mit aufzubauen – was ich auch getan habe. Das war eine der ersten Palliativstationen in Oberösterreich, ich war rund zehn Jahre dort tätig. Nebenbei habe ich noch den Master der Palliative Care in Salzburg gemacht.

Schon damals war es mir wichtig, die Ganzheitlichkeit im Blick zu haben – auch wenn der Begriff sicherlich manchmal überstrapaziert wird. Ich habe immer schon befunden, dass es neben dem naturwissenschaftlich-technischen Teil der Medizin für eine gute Betreuung der Patient*innen noch viel mehr braucht. Nachdem ich die Palliativstation verlassen habe, hat es sich gefügt, dass hier im Haus der Wunsch da war, ein Konzept zur Etablierung der Psychoonkologie zu erstellen.

Was sind die schönen Seiten Ihrer Tätigkeit, was die herausfordernden?

S. Schmid: Im Vergleich zur Palliativmedizin sehe ich es bei der Psychoonkologie als sehr positiv an, Patient*innen von der Diagnosestellung über den Verlauf der Erkrankung hinweg begleiten zu können. Es ist schön, zu sehen, wenn Menschen trotz aller Herausforderungen auch wieder gesund werden. Generell sehe ich die Patient*innen als meine allergrößten Lehrmeister*innen. Man kann den Menschen mit viel Demut begegnen und dankbar sein für vieles, was man aus dem Beruf fürs eigene Leben mitnehmen kann. Solange man es sieht und zulässt, natürlich.

Aber dennoch ist die Arbeit fordernd, weil sie natürlich eine intensive Auseinandersetzung mit existenziellen Themen notwendig macht: Ob es um den Sinn des Lebens geht, darum, was Leben bedeutet, oder um einen anderen wesentlichen Teil der täglichen Arbeit, das Mithelfen, dass Patient*innen immer wieder Hoffnung für sich generieren können. All das ist fordernd.

Wie hat sich der Bereich der Psychoonkologie in den letzten Jahrzehnten verändert?

S. Schmid: Mit der Vielzahl an neuen onkologischen Therapien haben auch die Geschwindigkeit und die Komplexität der Behandlung der Patient*innen zugenommen. Nach ihrer Diagnose fallen die Patient*innen quasi aus ihrer Realität und finden sich urplötzlich in der Maschinerie eines Krankenhauses wieder. Dabei benötigt die Psyche meist viel mehr Zeit, um mit den veränderten Lebensumständen zurechtzukommen. Da braucht es oftmals unsere Anwesenheit und Begleitung. Bei all dem, was die Patient*innen in kurzer Zeit verstehen sollten, haben sie manchmal gar nicht die Möglichkeit, bewusst wahrzunehmen, was Kranksein überhaupt bedeutet. Allen Verlusten, die damit einhergehen, muss Platz eingeräumt werden. Dies zu würdigen ist ein ganz wichtiger Teil der Psychoonkologie.

Die neue Schnelllebigkeit ist auch im ambulanten Setting fordernd – bei allen Vorteilen, das dieses mit sich bringt. Wenn Patient*innen nur noch kurz stationär betreut werden, muss gut achtgegeben werden, sie nicht völlig aus dem Blick zu verlieren und weiterhin gut zu begleiten. Das fordert viel Flexibilität von uns, aber auch kontinuierliche Fortbildung, um die Wirkungen und Nebenwirkungen neuer onkologischer Therapien zu verstehen und einordnen zu können, da dies auch in die Kommunikation mit den Patient*innen einfließen muss.

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Eine fundierte psychoonkologische Betreuung kann Patient*innen oft auch in schwierigen Situationen neuen Lebensmut vermitteln

Den Verlusten einen Platz einräumen – was ist noch wichtig im Rahmen einer fundierten psychoonkologischen Betreuung?

S. Schmid: Von immenser Bedeutung ist es, gemeinsam mit den Patient*innen Hoffnung zu generieren – weil der Mensch ein zukunftsverwiesenes Wesen ist. Das Vergegenwärtigen dessen, was morgen sein soll, ist lebenswichtig für das Gestalten des Heute. Wenn das nicht mehr gelingt, wird es für Menschen schwer, die Gegenwart zu gestalten und all das zu ertragen, was ihnen von ihrem Leben aufgebürdet worden ist. Und das sehe ich als eine der wesentlichsten Aufgaben in der Begleitung unserer Patient*innen: die Kontinuität zu wahren, ihnen Raum und Zeit zu geben für Erzählungen, Ängste und Sorgen. Und das geht natürlich nicht, ohne dass man sich selbst darauf einlässt. Ist man nicht offen, leidet die Qualität der Arbeit.

Nach all den Jahren kann ich also ganz klar sagen: Es geht bei uns nicht um die Methoden, es geht um das ehrliche Da- sein, das Offensein, um die Beziehungsarbeit. Authentisches Handeln und Empathie sind einfach essenziell. Das möchte ich auch den neuen Kolleg*innen vermitteln. Die Ausbildung ist wichtig, keine Frage, aber es braucht auch viele Sozialkompetenzen. In der Psychoonkologie gibt es keine Schemata und Algorithmen wie in so vielen anderen Bereichen der Medizin. Jeder Mensch ist etwas ganz Besonderes, und das müssen wir erkennen und fördern. Dieser Prozess benötigt jedoch Raum und Zeit, damit man lösungs-und ressourcenorientiert arbeiten kann.

Haben Sie denn genug zeitliche Ressourcen und Kapazitäten?

S. Schmid:Es ist wichtig, dass in allen Abteilungen ein strukturiertes Screening zum Einsatz kommt, um die Qualität der psychoonkologischen Versorgung zu stärken. Wenn dies umgesetzt wird, gehe ich davon aus, dass unsere derzeitigen Ressourcen nicht ausreichen werden. Auch der interdisziplinäre Austausch, ob bei stationären Besprechungen, Qualitätszirkeln oder fallweise bei Tumorboards, erfordert Zeitressourcen. Dafür wollen wir kämpfen.

Zum Glück arbeiten wir auch mit externen Partner*innen zusammen, wie der Krebshilfe oder niedergelassenen Psycholog*innen, die einen wesentlichen Anteil an der Versorgung onkologischer Patient*innen haben.

Es braucht auch österreichweit ein klares Bekenntnis dazu, dass die Psychoonkologie ein unverzichtbarer Teil der Onkologie ist. Die Psychoonkologie soll ja nicht ausgelagert werden, sondern als fixer Bestandteil in die onkologische Behandlung einfließen. Das funktioniert bislang vor allem in größeren Häusern und in Kliniken und erfordert Strukturen zum interdisziplinären Austausch.

An welchen Faktoren erkennt man, dass Patient*innen eine psychoonkologische Betreuung benötigen?

S. Schmid: Oft haben gerade Patient*innen in jüngerem Alter, mit jüngeren Kindern oder ohne soziale Unterstützung einen großen Bedarf. Auch bei Menschen mit niedrigem sozioökonomischem Status oder psychischen Schwierigkeiten, wie zum Beispiel Depressionen, ist es wichtig, rechtzeitig zu reagieren.

Wenn bei einer Krebstherapie viele Nebenwirkungen oder etwa chronische Schmerzen auftreten, sind dies auch Herausforderungen, die mit einer psychoonkologischen Betreuung aufgefangen werden können. Auch wenn Therapieziele geändert werden, zum Beispiel am Übergang von einer kurativen zu einer palliativen Behandlung oder beim Auftreten eines Rezidivs, ist die Zuweisung zu einem/einer Psychoonkolog*in sinnvoll. Das behandelnde Team sollte diese Risikofaktoren im Blick haben und uns die Patient*innen frühzeitig zuweisen.

Wie wollen Sie die psychoonkologische Ambulanz in den nächsten Jahren weiterentwickeln?

S. Schmid:Die Psychoonkologie ist Teil des Tumorzentrums Oberösterreich und damit in allen Zentren, die mit onkologischen Patient*innen zu tun haben, vertreten. Dies erfordert eine laufende Anpassung an neue Prozesse sowie eine kontinuierliche Entwicklung unserer Expertise, da neue Therapien Veränderungen mit sich bringen.

<< Wenn bei einer Krebstherapie viele Nebenwirkungen oder etwa chronische Schmerzen auftreten, sind dies auch Herausforderungen, die mit einer psychoonkologischen Betreuung aufgefangen werden können.>>

In absehbarer Zeit werden wir auch über ein innovatives digitales Tool, das im Tumorzentrum zum Einsatz kommen wird, die Möglichkeit haben, ein strukturiertes Screening zu implementieren. Ich denke, dass damit in Zukunft noch weitere Möglichkeiten bestehen, um die Versorgung der Patient*innen verbessern zu können.

Die Struktur der anderen Abteilungen wollen wir dabei stets im Blick behalten und uns als Teil des onkologischen Qualitätszirkels weiter einbringen. Wie erwähnt bemühen wir uns außerdem, weitere Ressourcen zu schaffen und auch Ansprechpartner*innen für die jüngeren Kolleg*innen zu sein.

Mein Wunsch ist, dass die Psychoonkologie als unverzichtbarer Bestandteil einer onkologischen Therapie angesehen wird. Und dass sie das ist, bekomme ich immer wieder von Patient*innen bestätigt, die ausdrücken, dass sie ohne unsere psychoonkologische Betreuung ihre Erkrankung schlechter oder gar nicht durchgestanden hätten.

Worin finden Sie bei dieser herausfordernden Tätigkeit Kraft?

S. Schmid: Es ist natürlich ein ganz wesentlicher Teil unserer Arbeit, dass wir als Begleiter*innen schwerkranker Patient*innen die Hoffnung behalten. Dazu braucht es viel Selbstreflexion, um die eigenen Ressourcen zu kennen, zu stärken und sich bewusst Energie zu holen. Die im Laufe der Jahre gesammelten Erfahrungen, das angeeignete Wissen und die Fortbildungen sind da natürlich wesentlich.

Auch sollte man das eigene Lebensende nicht ausblenden und sich dem bewusst stellen. Es ist natürlich fordernd, wenn man sieht, was Patient*innen, die man länger begleitet, alles ertragen und erleiden müssen. Aber auch das Lebensende gemeinsam zu gestalten kann gut gelingen und damit tröstend und stärkend wirken. Auf der anderen Seite ist es wunderbar, wenn Menschen wieder zurück ins Leben gehen können. Gerade bei jungen Patient*innen tut es gut, zu sehen, wie sie ihre Erkrankung gemeistert haben und vielleicht sogar daran gewachsen sind. Als besonderes Geschenk empfinde ich das positive Feedback ehemaliger Patient*innen. Dieses würde ich mir auch vermehrt für die Pflegenden wünschen. Denn es zeigt auch: Was wir tun, macht Sinn.

Vielen Dank für das Gespräch!
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