
Parvovirus B19 in der Schwangerschaft
Autorin:
Priv.-Doz. Dr. med. Sofia Amylidi-Mohr
Zentrum für Pränataldiagnostik
Inselspital Bern
E-Mail: sofia.mohr@insel.ch
Parvovirus B19 ist ein oft unterschätzter Erreger mit potenziell gravierenden Folgen für Mutter und Kind. Während viele Infektionen symptomlos verlaufen, kann das Virus in der Schwangerschaft zu fetaler Anämie, Hydrops fetalis oder intrauterinem Fruchttod führen. Der aktuelle internationale Ausbruch unterstreicht die Notwendigkeit erhöhter Wachsamkeit in der Schwangerschaftsvorsorge.
Das humane Parvovirus B19 (B19V) ist ein einzelsträngiges DNA-Virus aus der Familie Parvoviridae, Gattung Erythrovirus, das erstmals 1975 beschrieben wurde.1 Das Virus ist weltweit verbreitet und wird überwiegend über Tröpfcheninfektion übertragen. Die Infektion kann ein breites klinisches Spektrum verursachen – von asymptomatischen Verläufen über milde Erkrankungen bis hin zu schweren, potenziell lebensbedrohlichen Komplikationen. Der Verlauf ist massgeblich abhängig vom Alter, Immunstatus und davon, ob eine Schwangerschaft besteht.2
In der Allgemeinbevölkerung verläuft die Infektion häufig mild und selbstlimitierend, bei Schwangeren kann sie jedoch dramatische Konsequenzen für den Feten haben.3 Aufgrund zyklischer Ausbrüche alle 3–4 Jahre4 und einer aktuell bestehenden internationalen Warnung vor einem andauernden Ausbruch5 ist die Relevanz für die Schwangerenbetreuung hoch.
Epidemiologie und Übertragung
Parvovirus B19 zirkuliert weltweit und verursacht periodische Epidemien,4 die vor allem in den Winter- und Frühjahrsmonaten auftreten. Die Übertragung erfolgt in erster Linie über respiratorische Sekrete (Husten, Niesen), seltener über Blutprodukte oder transplazentar.6 Die Seroprävalenz steigt mit dem Alter: Etwa 50–60% der Erwachsenen in Mitteleuropa weisen Antikörper gegen B19 auf.7 In Ausbruchsjahren kann die Inzidenz in bestimmten Altersgruppen (z.B. Vorschul- und Grundschulkinder) stark ansteigen – mit erhöhter Expositionsgefahr für Schwangere. Der Anteil der Personen mit IgM-Antikörpern, einem Marker für eine kürzlich erfolgte Infektion, stieg in allen Altersgruppen von unter 3% in den Jahren 2022–2024 auf 10% im Juni 2024 an; der grösste Anstieg wurde bei Kindern im Alter von 5–9 Jahren beobachtet, von 15 % in den Jahren 2022–2024 auf 40% im Juni 2024.8
Klinisches Bild
Bei Kindern zeigt sich Parvovirus B19 klassischerweise als Erythema infectiosum («fünfte Krankheit»).9 Der Verlauf ist meist biphasisch: Zunächst tritt eine virämische Phase mit unspezifischen Symptomen wie Fieber, Schüttelfrost, Kopfschmerzen, Myalgien und Abgeschlagenheit auf. Darauf folgt die immunreaktive Phase mit dem typischen «Slapped cheek»-Exanthem im Gesicht sowie makulopapulösen Hautveränderungen an Stamm und Extremitäten. Bei Erwachsenen ist das charakteristische Exanthem deutlich seltener. Stattdessen stehen Arthralgien und Arthritis im Vordergrund, insbesondere bei Frauen.10 Betroffen sind vor allem Handgelenke, Knie und kleine Gelenke der Hände; die Beschwerden können über Wochen bis Monate persistieren.
Während viele Infektionen in der Allgemeinbevölkerung mild verlaufen, kann eine B19-Infektion in der Schwangerschaft zu schweren fetalen Komplikationen führen:3,11 Frühabort (v.a. im 1. Trimenon), intrauteriner Fruchttod, nichtimmuner Hydrops fetalis und schwere fetale Anämie.
Pathophysiologisch befällt das Virus bevorzugt erythrozytäre Vorläuferzellen, was eine aplastische Krise auslösen kann.12 Nach plazentarer Übertragung infiziert das Virus diese Zellen im fetalen Knochenmark und unterbricht die Erythropoese, was zu schwerer Anämie, Hypoxie und einer High-Output-Herzinsuffizienz führt.1–3 Das P-Antigen, der zelluläre Rezeptor für Parvovirus B19, wurde nicht nur auf Erythroblasten, sondern auch auf fetalen Kardiomyozyten nachgewiesen.1,4,7 Dies erklärt das Auftreten einer virusinduzierten Myokarditis, die zusätzlich zur fetalen Herzinsuffizienz beiträgt.4 Darüber hinaus kann es zu einer Leberfunktionsstörung kommen – sowohl durch direkte virale Schädigung als auch sekundär infolge von Hämosiderinablagerungen nach intrauterinen Transfusionen.6 Besonders vulnerabel ist der Fetus im zweiten Trimenon, da in dieser Phase die Leber das zentrale hämatopoetische Organ ist und die Lebensdauer fetaler Erythrozyten nur 45–70 Tage beträgt.9,10 Im dritten Trimenon verlagert sich die Hämatopoese ins Knochenmark, wodurch das Risiko für schwere Komplikationen deutlich abnimmt. Klinisch manifestiert sich die Infektion in diesem Stadium häufig als nichtimmuner Hydrops fetalis.5,9
Diagnostik
Die Diagnostik einer Parvovirus-B19-Infektion in der Schwangerschaft umfasst sowohl maternale als auch fetale Untersuchungen (Abb.1).
Maternale Diagnostik
Der erste Schritt ist der serologische Nachweis spezifischer Antikörper (Tab. 1):11
-
IgM positiv: akute oder kürzlich durchgemachte Infektion
-
IgG positiv, IgM negativ: Immunität nach früherer Infektion
-
Beide negativ: keine Immunität; bei Exposition wird eine serologische Kontrolle nach 2–4 Wochen empfohlen.
Bei unklaren Befunden oder in der Frühphase der Infektion kann zusätzlich eine B19V-DNA-PCR aus Blut oder Serum durchgeführt werden.12 Dort muss man jedoch die kurze Virämie bei Parvovirus-B19-Infektionen beachten.
Fetale Diagnostik
Bei bestätigter maternaler Infektion ist ein engmaschiges Ultraschallmonitoring erforderlich, in der Regel über einen Zeitraum von mindestens 12 Wochen.13 Zentrale Bedeutung hat die Dopplersonografie der mittleren zerebralen Arterie (MCA-PSV): Werte >1,5 MoM gelten als hochsensitiv für das Vorliegen einer moderaten bis schweren fetalen Anämie.14 Besteht der Verdacht auf eine relevante Anämie, wird eine Cordozentese mit direkter Hb-Bestimmung durchgeführt.15 Diese Untersuchung erlaubt gleichzeitig die Einleitung einer intrauterinen Transfusion im selben Eingriff, falls notwendig.16
Management
Intrauterine Transfusion (IUT)
Bei schwerer fetaler Anämie kann eine IUT über die Nabelschnurvene durchgeführt werden.16,17 Oft sind mehrere Transfusionen im Abstand von 1–2 Wochen erforderlich, bis die eigene Erythropoese wieder einsetzt.
Postnatale Betreuung
Neugeborene mit intrauteriner B19V-Exposition benötigen eine hämatologische Nachsorge, da späte Anämien oder rezidivierende Infektionen auftreten können.18
Prävention
Eine Impfung gegen Parvovirus B19 existiert bislang nicht.19 Präventive Maßnahmen beruhen auf der Vermeidung von Exposition – insbesondere für seronegative Schwangere. Hygienemassnahmen wie häufiges Händewaschen, Meiden enger Kontakte zu erkrankten Personen und das Tragen von Masken in Ausbruchssituationen können das Risiko reduzieren.20
Fazit
Parvovirus B19 ist in der Schwangerschaft ein seltener, aber potenziell gefährlicher Erreger. Der aktuelle Ausbruch verdeutlicht die Notwendigkeit, bei ungeklärten maternalen Symptomen und entsprechenden Ultraschallbefunden gezielt an Parvovirus B19 zu denken. Eine frühzeitige Diagnostik und das konsequente Management können das Risiko für schwere fetale Komplikationen deutlich senken.
Literatur:
1 Cossart YE et al.: Parvovirus-like particles in human sera. Lancet 1975; 1(7898): 72-3 2 Heegaard ED, Brown KE: Human parvovirus B19. Clin Microbiol Rev 2002; 15(3): 485-505 3 Lamont RF et al.: The epidemiology, diagnosis and management of human parvovirus B19 infection in pregnancy: a review. BJOG 2011; 118(2): 175-86 4 Cohen BJ, Buckley MM: The prevalence of antibody to human parvovirus B19 in England and Wales. J Med Microbiol 1988; 25(2): 151-3 5 ECDC. Rapid Risk Assessment: Ongoing outbreak of Parvovirus B19 in Europe. 2025 6 Young NS, Brown KE: Parvovirus B19. N Engl J Med 2004; 350(6): 586-97 7 Brown KE et al.: Erythrocyte P antigen: cellular receptor for B19 parvovirus. Science 1993; 262(5130): 114-7 8 Nordholm AC et al.: Epidemic of parvovirus B19 and disease severity in pregnant people, Denmark, January to March 2024. Euro Surveill 2024; 29(24): 2400299 9 Jordan JA, DeLoia JA: Globoside expression within the human placenta. Placenta 1999; 20(2-3): 103-8 10 Yaegashi N et al.: Human parvovirus B19 infection during pregnancy and hydrops fetalis: relationship to gestational age and maternal immune status. J Infect Dis 1998; 178(6): 1783-6 11 Soderlund M et al.: Diagnosis of primary B19 infection by detection of specific IgM antibodies. J Infect Dis 1995; 171(2): 262-6 12 Aberham C et al.: Real-time PCR detection of B19 DNA in blood donors. J Clin Microbiol 2001; 39(11): 4412-4 13 Enders M et al.: Prenatal diagnosis of fetal parvovirus B19 infection: value of ultrasound and Doppler findings. Ultrasound Obstet Gynecol 2004; 23(5): 512-8 14 Mari G et al.: Noninvasive diagnosis by Doppler ultrasonography of fetal anemia. N Engl J Med 2000; 342(1): 9-14 15 Daffos F et al.: Fetal blood sampling via umbilical cord puncture. N Engl J Med 1983; 308(21): 1322-4 16 Ville Y et al.: Intrauterine transfusion for non-immune fetal hydrops. Fetal Diagn Ther 1990; 5(1): 19-27 17 Rodis JF et al.: Management of parvovirus infection in pregnancy and outcomes of hydrops: a prospective study. Am J Obstet Gynecol 1998; 179(5): 1250-3 18 Porter HJ et al.: Long-term follow-up of children with intrauterine transfusion for parvovirus B19 infection. Prenat Diagn 2014; 34(7): 664-8 19 Young NS, Brown KE: Parvovirus B19 vaccines. Hum Vaccin Immunother 2013; 9(1): 74-9 20 Public Health England, Guidance: Parvovirus B19 infection and pregnancy. 2023
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