Chirurgische Behandlung von Infekten
Autor:innen:
Univ.-Prof. Dr. Lars-Peter Kamolz, MSc.
Univ.-Prof. Dr. Michael Schintler
OÄ Dr. Anna Vasilyeva
Klinische Abteilung für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie
Universitätsklinik für Chirurgie
Medizinische Universität Graz
E-Mail: lars.kamolz@medunigraz.at
Vielen Dank für Ihr Interesse!
Einige Inhalte sind aufgrund rechtlicher Bestimmungen nur für registrierte Nutzer bzw. medizinisches Fachpersonal zugänglich.
Sie sind bereits registriert?
Loggen Sie sich mit Ihrem Universimed-Benutzerkonto ein:
Sie sind noch nicht registriert?
Registrieren Sie sich jetzt kostenlos auf universimed.com und erhalten Sie Zugang zu allen Artikeln, bewerten Sie Inhalte und speichern Sie interessante Beiträge in Ihrem persönlichen Bereich
zum späteren Lesen. Ihre Registrierung ist für alle Unversimed-Portale gültig. (inkl. allgemeineplus.at & med-Diplom.at)
Infektionen zählen weltweit zu den häufigsten Ursachen für Morbidität und Mortalität – auch in hochentwickelten Gesundheitssystemen. Neben der konservativen antibiotischen Therapie spielt die chirurgische Sanierung eine zentrale Rolle im interdisziplinären Management schwerer Infekte.
Keypoints
-
Eine effektive Behandlung, insbesondere von schwerwiegenden oder chronischen Infekten, ist ein hochkomplexerProzess, der neben Erfahrung und operativer Expertise vor allem interdisziplinäres Denken verlangt.
-
Ein sorgfälltiges Débridement ist essenziell, um die Infektquelle zu eliminieren und die Ausbreitung und Einschwemmung von Toxinen zu verhindern.
-
Die frühzeitige Einbindung der plastischen Chirurgie kann die Rate an Komplikationen, Revisionsoperationen und prolongierten Heilungs-verläufen deutlich senken.
In diesem Zusammenhang kommt der plastischen, ästhetischen und rekonstruktiven Chirurgie eine entscheidende Funktion zu: Sie trägt nicht nur zur akuten Infektsanierung bei, sondern auch zur funktionellen und ästhetischen Wiederherstellung nach ausgedehnten Débridements und dabei entstehenden Defekten.
Das chirurgische Débridement stellt eine essenzielle Säule der Infektbehandlung dar, insbesondere wenn konservative Maßnahmen allein nicht ausreichen oder wenn eine rasche Kontrolle der Infektionsquelle notwendig ist. Ziel ist es, die Infektquelle zu eliminieren, die Ausbreitung und Einschwemmung von Toxinen zu verhindern und die Bedingungen für eine effektive Antibiotikatherapie zu verbessern.
Indikationen zur chirurgischen Intervention
Eine chirurgische Therapie ist insbesondere in folgenden Situationen indiziert:
-
Abszessbildungen (z.B. Haut-, Weichteilabszesse)
-
Empyeme
-
Infizierte Fremdkörper (z.B. infizierte Implantate, freiliegendes Osteosynthesematerial)
-
Weichteilinfektionen mit rascher Ausbreitung (z.B. nekrotisierende Fasziitis, Fournier-Gangrän, Gasbrand)
-
Infektionen mit drohender oder bestehender Sepsis
Abb. 1: Komplexer Defekt (Haut, Weichteilgewebe und Knochen) – Unterschenkel, nach ausgiebigem Débridement und Vorkonditionierung mittels Unterdrucktherapie
Abb. 2: Kombinierter Lappen aus der medialen Knieregion (Knochen/ Periost plus Haut)
Abb. 3: Lappen bereits mikrochirurgisch angeschlossen im Bereich des Unterschenkels
Grundprinzipien der chirurgischen Infektbehandlung
Die chirurgische Behandlung infektiöser Prozesse folgt klaren Grundprinzipien: frühzeitige Erkennung, adäquate Entfernung nekrotischen Gewebes (Débridement), dies auch wiederholt, wenn erforderlich, oder ausreichende Drainage, Infektionskontrolle („source control“) und – je nach Ausmaß – Wiederherstellung der anatomischen und funktionellen Integrität (Tab. 1).
Typische Indikationen für chirurgische Eingriffe sind:
-
Haut- und Weichteilinfektionen (z. B. Phlegmonen, Abszesse, nekrotisierende Fasziitis)
-
infizierte Wunden nach Operationen oder Traumata
-
Infektionen bei chronischen Wunden (z.B. Ulcera cruris, diabetischer Fuß)
-
Infektionen bei Implantaten (z.B. infizierte Prothesen, Osteosynthesematerial)
-
Osteomyelitiden
-
infektionsbedingte Gewebsverluste, die rekonstruktive Maßnahmen erfordern
Rolle der plastischen Chirurgie im Konzept der infektiologischen Behandlung
Die Aufgaben der plastischen Chirurgie umfassen insbesondere:
-
Radikales, aber gewebeschonendes Débridement: Nekrotisches Gewebe bietet einen idealen Nährboden für Bakterien. Ein sorgfältiges Débridement ist essenziell. Ein zu großflächiger Gewebeverlust kann funktionelle Defizite bedingen, ein zu zurückhaltendes Vorgehen birgt aber das Risiko für Infektionspersistenz.
-
Temporäre Wundabdeckung und Infektionskontrolle: Nach initialer chirurgischer Sanierung wird die Wunde oft temporär „offen“ belassen, z.B. unter Anwendung der Vakuumtherapie (VAC). Diese fördert die Granulation, reduziert das Infektmilieu und bereitet die Wunde auf eine spätere Deckung vor.
-
Definitive Weichteildeckung: Die plastisch-chirurgische Wiederherstellung erfolgt unter Berücksichtigung von Größe, Lokalisation und Expositionsrisiko. Zur Anwendung kommen Hauttransplantationen, lokale Lappenplastiken oder mikrovaskuläre freie Gewebetransfers (freie Lappenplastiken).
-
Wiederherstellung von Funktion und Ästhetik: Besonders bei infektiösen Prozessen im Gesichts- oder Handbereich ist eine anatomisch präzise Wiederherstellung mit funktioneller Rekonstruktion (z.B. Sehnen-, Nerven-, Muskeltransfers) von hoher Relevanz. Sehr häufig erfolgt dann die defintive funktionelle Rekonstruktion erst sekundär nach Infektsanierung und Wundverschluss.
Spezielle infektiöse Krankheitsbilder mit plastisch-chirurgischer Relevanz
Nekrotisierende Weichteilinfektionen (z.B. nekrotisierende Fasziitis, Fournier-Gangrän)
Diese potenziell letalen Infektionen erfordern eine sofortige chirurgische Intervention. Das Débridement ist häufig radikal mit erheblichen Gewebeverlusten. Wiederholte Revisionen sind notwendig, ergänzt durch eine systemische Antibiotikatherapie und intensivmedizinische Betreuung. Die plastische Chirurgie übernimmt hier die Infektsanierung inkl. Defektdeckung häufig mit Lappenplastiken– insbesondere im perinealen, abdominalen oder Extremitätenbereich (Tab. 2–4).
Chronische Wunden mit Infektion (z.B. diabetisches Fußsyndrom, Dekubitalgeschwüre)
Bei diesen Patienten ist nicht nur das Infektionsmanagement komplex, auch die gestörte Wundheilung bedingt durch Durchblutungsstörungen, Polyneuropathien oder Druckbelastungen stellt eine Herausforderung dar. Die plastisch-chirurgische Versorgung umfasst hier neben dem Débridement auch die Rekonstruktion (Tab.2, 3).
Osteomyelitis und infizierte Osteosynthese
In der Behandlung der Osteomyelitis ist eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit der Infektiologie und Orthopädie bzw. Traumatologie erforderlich. Nach Resektion infizierter Knochenanteile ist oftmals ein zweizeitiges Vorgehen notwendig. Dabei kommen lokale Antibiotika und die temporäre Einbringung von Knochenzement (Spacer) zum Einsatz. Eine langfristige gezielte systemische Antibiose ist unumgänglich. In einem zweiten Schritt kommen ein Segmenttransfer mittels Ilizarov-Fixateur oder auch beschichtete Transportmarknägel und andere Verfahren zum Einsatz. Auch eine Rekonstruktion durch mikrochirurgische Transplantation vaskularisierten Knochens kombiniert mit einer adäquaten Weichteildeckung kommt zum Einsatz (Tab.2,3).
VAC-Therapie als Brücke zur plastischen Rekonstruktion
Die VAC-Therapie („negative pressure wound therapy“, NPWT) hat sich als effektives Verfahren zur temporären Wundbehandlung etabliert. Sie reduziert Ödeme, verbessert die lokale Perfusion, fördert die Granulation und vermindert die Keimlast. In der plastischen Infektchirurgie wird sie häufig zur Stabilisierung der Wunde zwischen den operativen Eingriffen eingesetzt– sei es als Vorbereitung auf eine Transplantation oder als Intervalltherapie vor einer definitiven Lappenplastik. Auch eine intermittierende Spülung mit antiseptischen Substanzen wie Lavasorb oder auch nur 0,9-%-NaCl-Lösung kann nützlich sein, bevor ein Wundverschluss erfolgt.
Multidisziplinärer Therapieansatz
Eine effektive Behandlung von Infekten, insbesondere bei schwerwiegenden oder chronischen Verläufen, erfordert eine enge Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen:
-
Chirurgie/plastische Chirurgie: Wund-sanierung, Rekonstruktion
-
Infektiologie/Mikrobiologie: Erregerdiagnostik, gezielte Antibiotikatherapie
-
Radiologie: Bildgebung zur Ausdehnungsdiagnostik und Lokalisation von Infektherden
-
Anästhesie/Intensivmedizin: Stabilisierung bei systemischer Infektion
-
Diabetologie/Gefäßchirurgie/Angiologie: Optimierung der Wundheilung bei Grunderkrankungen
Gerade die frühzeitige Einbindung der plastischen Chirurgie – oft bereits im Rahmen der initialen chirurgischen Planung und Behandlung – kann die Rate an Komplikationen, Revisionsoperationen und prolongierten Heilungsverläufen deutlich senken.
Fazit
Die chirurgische Behandlung von Infekten ist weit mehr als das bloße „Schneiden von Abszessen“. Sie ist ein hochkomplexer, dynamischer Prozess, der neben Erfahrung und operativer Expertise vor allem interdisziplinäres Denken verlangt. Gerade die Gewebebeurteilung und die Abgrenzung von geschädigtem zu gesundem, gut durchblutetem Gewebe sind manchmal schwierig und bedürfen ausreichender Erfahrung. Der Beitrag der plastischen Chirurgie geht dabei weit über die rein rekonstruktive Funktion hinaus: Sie ist integraler Bestandteil des infektchirurgischen Gesamtkonzepts– von der Erstversorgung bis zur Wiederherstellung von Funktion, Form und Lebensqualität.
Literatur:
● Anaya DA, Dellinger EP: Necrotizing soft-tissue infection: diagnosis and management. Clin Infect Dis 2007; 44(5): 705-10 ● Calori GM et al.: Management of chronic osteomyelitis: current strategies and future directions. Injury 2019; 50(2): 21-7 ● Mathes SJ, Nahai F: Classification of the vascular anatomy of muscles: experimental and clinical correlation. Plast Reconstr Surg 1981; 67(2): 177-87 ● Morbach S et al.: Diabetisches Fußsyndrom. Diabetologie 2020; 15(1): S206-S215 ● Orgill DP, Bayer LR: Update on negative-pressure wound therapy. Plast Reconstr Surg 2011; 127(1): 105-15 ● Rhodes A et al.: Surviving sepsis campaign: international guidelines for management of sepsis and septic shock 2021. Intensive Care Med 2021; 47(11): 1181-247● Wilkes RP et al.: The science behind negative pressure wound therapy: mechanisms of action. Wound Repair Regen 2022; 30(3): 372-80 ● Yanar H et al.: Fournier’s gangrene: risk factors and strategies for management. World J Emerg Surg 2006; 1: 6 ● Zimmerli W et al.: Prosthetic-joint infections. N Engl J Med 2004; 351(16): 1645-54
Das könnte Sie auch interessieren:
Komorbiditäten bei atopischer Dermatitis
Atopische Dermatitis (AD) ist häufig mit atopischen und nicht atopischen Komorbiditäten assoziiert. Das Auftreten von Begleiterkrankungen bzw. das Risiko dafür kann in vielerlei Hinsicht ...
Dermatologie im Wandel der Zeit – eine Erfolgsgeschichte mit Zukunft
Anlässlich des 135-Jahre-Jubiläums der Österreichischen Gesellschaft für Dermatologie und Venerologie beleuchteten Expert:innen des Faches Entwicklungen der vergangenen Jahre, aktuelle ...
Tattoo-Trends 2025
Tätowierungen haben sich in den letzten Jahrzehnten von einem Subkulturphänomen zu einem breiten gesellschaftlichen Ausdrucksmittel entwickelt. In Österreich ist das Gewerbe „Tätowieren ...