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15. Österreichischer Infektionskongress

Maximale Hygienemaßnahmen: Pro und Kontra

Zwar hat der hygienische Rundumschlag – also das Durchführen maximaler Isolations- und sonstiger Hygienemaßnahmen bei allen Patient*innen – durchaus etwas für sich. Allerdings scheint es in vielen Fällen schon viel früher, etwa bei der basalen Händehygiene, zu hapern. Ein spannendes Match zweier Hygienikerinnen.

Pro

„Es ist eigentlich interessant, dass es zwar sehr viele Leit- und Richtlinien gibt, in denen maximale Hygienemaßnahmen für alle Patient*innen gefordert werden, dass aber die wissenschaftlichen Daten dazu in vielen Fällen eher spärlich sind“, berichtete Univ.-Prof. Dr. Cornelia Lass-Flörl, Institut für Hygiene und Medizinische Mikrobiologie, Medizinische Universität Innsbruck. „Im klinischen Alltag würde man ja meinen, dass es im Krankenhaus gewisse Standardhygienemaßnahmen gibt – Kontakt-, Tröpfchen- und Aerosolisolation –, die alle verstehen, einhalten und umsetzen“, fuhr die Expertin fort. Welche dieser drei Maßnahmen zum Tragen kommt, würde dann davon abhängen, auf welche Weise ein Erreger den menschlichen Körper verlässt. Leider wird diese „personalisierte Hygiene“ nicht immer und überall umgesetzt. „De facto ist es so, dass aus diversesten Gründen vielfach ‚strenge Hygienemaßnahmen immer und überall‘ praktiziert werden“, schränkte Lass-Flörl ein. „Das entspricht wohl einem derzeitigen hygienischen Mainstream.“

Die Expertin nannte drei Beispiele für Infektionen aus dem klinischen Alltag, bei denen eine Isolation oft praktiziert wird, aber nicht in jedem Fall erforderlich ist: E. coli mit 3MRGN im Harn, Salmonella enterica und Clostridium difficile.

Faktum ist auch, dass unsere moderne Lebensweise über eine Vielzahl von Kreisläufen und Wechselwirkungen die Verbreitung von Erregern und die Entstehung von Resistenzen fördert. Dies reicht von Viren über Bakterien bis hin zu Pilzen. Ein Beispiel ist Candida auris. Dieser Pilz war ursprünglich ein Pflanzensaprophyt, der in Feuchtgebieten zu Hause war. Durch den Klimawandel und die damit verbundene Temperaturerhöhung werden Pilzkladen selektiert, die imstande sind, sich bei Körpertemperaturen von Säugetieren und Vögeln zu reproduzieren (Thermotoleranz) und eine salzige Umgebung zu tolerieren (Salinitätstoleranz). Thermotolerante Stämme von C. auris wurden wahrscheinlich durch Vögel in menschliche Wohngebiete gebracht, wo Menschen und Vögel in Kontakt treten. Durch landwirtschaftliche Aktivitäten entsteht die Gelegenheit zur Übertragung von Pathogenen wie C. auris auf den Menschen. Durch menschliche Migration in städtische Gebiete gelangte C. auris schließlich in Gesundheitseinrichtungen.

„Warum also maximale Hygiene?“, so Lass-Flörls rhetorisch gemeinte Frage. „Zum einen, weil dann niemand nachdenken muss, welche Hygienemaßnahme gerade notwendig ist und welche nicht. Dies reduziert gewisse Diskussionen, die eher den Betrieb lähmen. Und es führt auch zu dem Bewusstsein, dass man alles nur Mögliche tut, um Infektionen zu verhindern“, so die Hygienikerin. „Es ist auch wirklich so, dass gerade unsichere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dankbar für klare und umfassende Hygienerichtlinien sind. Und zumeist sind auch die Patient*innen damit zufrieden“, fasste Lass-Flörl zusammen. Hier zählt mehr die Expertenmeinung als evidenzbasiertes Hygienemanagement. Übertriebene Schutzmaßnahmen können allerdings auch eine falsche Sicherheit vortäuschen.

Kontra

„Isolierung ist nicht gleich Isolierung. Es kommt auf die Keime und den Übertragungsweg an. Dementsprechend sind Isolationsmaßnahmen individuell je nach Patien-t*in bzw. Keimflora durchzuführen“, so Univ.-Prof. Dr. Andrea Grisold, Diagnostik- und Forschungsinstitut für Hygiene, Mikrobiologie und Umweltmedizin, Medizinische Universität Graz, in ihrem Kontra-Statement. „Isolationsmaßnahmen sind oft aber gar nicht notwendig.“

Ein Argument gegen maximale Hygienemaßnahmen für alle sei zweifellos der fehlende Nutzen bei damit verbundenen doch deutlich höheren Kosten, wie die Hygienikerin weiter argumentierte.

Das Grundprinzip einer effektiven Hygiene sind die fünf Momente der Händehygiene:

  1. Vor Patient*innenkontakt

  2. Vor einer aseptischen Tätigkeit

  3. Nach Kontakt mit potenziell infektiösem Material

  4. Nach Patient*innenkontakt

  5. Nach Kontakt mit der unmittelbaren Patient*innenumgebung

„Würden wir uns immer an diese Basisvorgaben halten, so könnten wir die Inzidenz nosokomialer Infektionen zweifellos senken“, betonte Grisold. Auf der einen Seite ist aber die Compliance dazu nicht die beste, das Ganze aggraviert durch das Problem, dass sowohl Viren als auch Bakterien auf bestimmten Oberflächen zum Teil sehr lang überleben können. So persistieren Influenzaviren zwischen 24 und 48 Stunden auf glatten Oberflächen, auf Banknoten sogar mehrere Tage. Adenoviren überleben auf Kunststoffoberflächen bis zu einer Woche. Noch erheblich widerstandsfähiger sind manche Bakterien-spezies. So können einzelne Stämme von E. coli oder P. aeruginosa auf Oberflächen bis zu 16 Monate überleben, Enterokokken (einschließlich VRE) und M. tuberculosis bis zu vier Monate, S. aureus (inkl. MRSA) bis zu sieben Monate.

„Studien haben gezeigt, dass die durchschnittliche Compliance zur Händehygiene selbst auf Intensivstationen nur bei 60% liegt. Das heißt, wir müssen hier vor allem an der Steigerung der Compliance arbeiten bzw. das Ganze auch in der Ausbildung besser verankern“, konstatierte Grisold. So zeigte eine Studie, dass fast ein Drittel der Medizinstudent*innen auch nach entsprechender Instruktion die Händehygiene nicht richtig durchführt. Andere Studien zum Thema Händehygiene haben z.B. Feedbacksysteme ausprobiert. Leider zeigte sich, dass diese oft nur funktionieren, solange sie auch aktiv durchgeführt werden. „Hört man damit auf, so fallen leider viele sofort wieder in alte, schlechtere Gewohnheiten zurück“, so Grisold.

Das nächste Problem ist die zum Teil fehlende Effektivität von Desinfektionsmaßnahmen. „Es gibt Studien, die zeigen, dass die im Krankenhaus routinemäßig, aber ggf. nicht umfassend durchgeführte Flächendesinfektion nicht immer imstande ist, die Quelle nosokomialer Ausbrüche zu stoppen“, erläuterte die Expertin. Als Beispiel angeführt wurde eine Studie, die die Verteilung von identischen Erregern sowohl Patient*innenzimmer-übergreifend darstellte als auch im zeitlichen Ablauf zeigte, dass Erreger von bereits entlassenen Patient*innen noch Wochen später weiter nachweisbar waren. „Deshalb sollten wir in jedem Fall an der Steigerung der Basismaßnahmen arbeiten, anstatt maximale Hygienemaßnahmen – gemeint ist hier Isolierung für alle – einzufordern“, so Grisold abschließend.

„Isolation bei Infektion (maximale Hygienemaßnahmen für alle?)“, Pro/Contra-Sitzung 2 im Rahmen des ÖIK am 23. März 2023 in Saalfelden

bei den Vortragenden

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