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19. Münchner AIDS & Infektiologie Tage

PrEP: State of the ART (auch bei Frauen!)

Die Zielgruppen der HIV-Präexpositionsprophylaxe (PrEP) sind klar definiert, bislang nutzen aber vor allem MSM (Männer, die Sex mit Männern haben) diese Möglichkeit, sich vor einer HIV-Infektion zu schützen. Die Deutsch-Österreichischen Leitlinie zur HIV-Präexpositionsprophylaxe mit klaren Empfehlungen zur Umsetzung wurde kürzlich überarbeitet.

Keypoints

  • In Deutschland wenden etwa 30000 Personen – vor allem MSM – die PrEP an, verlässliche Zahlen aus Österreich liegen (noch) nicht vor.

  • Trotz der breiten Zielgruppe wird die PrEP im klinischen Alltag kaum von Frauen genützt.

  • Wichtige Faktoren der Umsetzung sind gute Beratung, gutes Follow-up und die korrekte Indikationsstellung.

  • Zu beachten sind Substanzkombinationen, die z.B. in den USA,nicht aberin Europa zugelassen sind.

  • Die situative Anwendung der PrEP ist weder durch Zulassung noch durch Studiendaten gedeckt.

Die HIV-Präexpositionsprophylaxe (PrEP) hat sich seit ihrer Einführung im Jahr 2012 neben der Nutzung von Kondomen und der Behandlung der HIV-Infektion mit Erreichen der Nichtnachweisbarkeit („treatment as prevention“) zu den Grundpfeilern der Prävention einer HIV-Infektion entwickelt.

Derzeit wird geschätzt, dass es in Deutschland etwa 30000 PrEP-Nutzende gibt, wobei die Zahlen aufgrund der teilweise unregelmäßigen Nutzung sehr schwanken. Verlässliche Zahlen aus Österreich liegen aufgrund der bisherigen Erstattungssituation leider nicht vor. PrEP-Nutzende sind nahezu ausschließlich Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), häufig weiß, gut gebildet,in stabilen finanziellen Verhältnissen und mit bestehender Krankenversicherung. Zwar wird hiermit eine vulnerable Gruppe erreicht, dennoch hat die PrEP ihr Ziel, auch andere marginalisierte, vulnerable Gruppen (PointofCare, Sexarbeitende, Unversicherte, Frauen mit vielen wechselnden Partnern) zu erreichen, deutlich verfehlt – wie auch in anderen Ländern (Beispiel USA). Obwohl der präventive Effekt der PrEP in Studien gut belegt werden konnte, bleibt der Einfluss auf die epidemiologische Situation auch aufgrund statistischer Ungenauigkeiten durch die SARS-CoV-2-Pandemie wenig übersichtlich. Das Spektrum reicht von beeindruckenden Effekten, wie in Australien, über unklare Bilder, wie in Deutschland, bis hin zu deutlichem Versagen, wie in den USA.

HIV-Infektionsrisiko

Die kürzlich veröffentlichteaktualisierte Deutsch-Österreichische Leitlinie zur HIV-Präexpositionsprophylaxe definiert ein substanzielles HIV-Infektionsrisiko klar bei folgenden Personen:

  • MSM oder Transpersonen mit der Angabe von analem Sex ohne Kondom innerhalb der letzten 3 bis 6 Monate und/oder voraussichtlich in den nächsten Monaten bzw. einer sexuell übertragbaren Infektion (STI) in den letzten 12 Monaten

  • Serodiskordante Konstellationen mit virämischen HIV-positiven Sexpartner:innen ohne antiretrovirale Therapie (ART), mit einer nicht suppressiven ART oder in der Anfangsphase einer ART

  • Sexarbeitende

  • Menschen, diekondomlosen Sexualkontakte mit Partner:innen haben, bei denen eine undiagnostizierte HIV-Infektion anzunehmen ist

  • Drogen injizierende Personen,die keinesterilen Injektionsmaterialien gebrauchen

Frauen und PrEP

Trotz dieser beabsichtigt breiten Definition zeigen sich im klinischen Alltag kaum weibliche Personen mit Interessefür die Nutzung einer HIV-PrEP. Gründe hierfür sind:

  • fehlendes Wissen über die Möglichkeit,eine PrEP anzuwenden, und über deren Schutzwirkung

  • vermeintlich fehlendes Risiko

  • fehlende Aufmerksamkeit und fehlendes Wissen z.B. bei Gynäkolog:innen

  • fehlende Aufmerksamkeit auch bei HIV-Behandler:innen

  • Angst vor der Einnahme einer (zusätzlichen) Pille und möglichen (Langzeit-)Nebenwirkungen

  • Angst vor Inakzeptanz des Kondoms

  • Scham

  • Kostengründe

Angesichts der sich deutlich ändernden (sexuellen) Lebenswelten, der Verfügbarkeit von Dating-Apps und des zwanglosen Umgangs mit Sexualität auch mit mehreren Partnern („sex positivism“) sowie einer hierdurch stetigen Zunahme anderer sexuell übertragener Erkrankungen ist dringender Handlungsbedarf gegeben. Auch dem Einwand hinsichtlich einer möglicherweise während einer PrEP auftretenden Schwangerschaft stellt die neue PrEP-Leitlinie eine klare Empfehlung der Anwendung und Fortführung während der Schwangerschaft bei weiterbestehendem HIV-Infektionsrisiko entgegen.

Umsetzung der PrEP

Während in den USA neben der Substanzkombination Tenofovirdisoproxilfumarat/Emtricitabin (TDF/FTC) auch Tenofoviralafenamid/Emtricitabin (TAF/FTC) und Cabotegravir zur PrEP eingesetzt werden, sind diese Optionen in Europa aus Gründen der Zulassung und der teils immensen Kosten in der Realität nicht verfügbar. Es sollte aber bedacht werden, dass aufgrund der hohen Mobilität der Nutzenden auch hier Patient:innen vorstellig werden, die diese Substanzen verwenden. Gerade bei möglichen Interaktionen, aber auch bei Fragen eines möglichen PrEP-Versagens müssen diese Substanzen bedacht werden.

Auch wenn wie zuvor erwähnt die PrEP-Nutzung häufig unregelmäßig oder auch situativ erfolgt, sollte bedacht werden, dass die Substanzkombination TDF/FTC ausschließlich für die kontinuierliche Einnahme zugelassen ist. Situativer Gebrauch, wie die aus der IPERGAY-Studie bekannte Nutzung nach dem Schema 2–1–1, ist durch keine Zulassung abgedeckt. Es existieren auch keine belastbaren Daten, die eine Effektivität nach diesem Schema belegen würden, wenn die Kombination, anders als in der IPERGAY-Studie, nicht sehr häufig, sondern wirklich nur sehr selten situativ angewandt wird. Dies ist auch in der notwendigen Aufklärung der Patient:innen wichtig – nicht selten ist die Wahrnehmung auch durch entsprechende Kommunikation in den sozialen Medien eine andere.

Der Konflikt, dass eine kontinuierliche PrEP nach pharmakokinetischen Daten und Simulationen bei Männern ab dem 3. Tag der Anwendung, bei Frauen erst ab dem 7. Tag der Anwendung effektiv ist, gleichzeitig aber Empfehlungen für die o.g. situative PrEP mit einer Einnahme einer doppelten Dosis TDF/FTC 2 bis 24 Stunden vor dem geplanten Sex empfohlen wird, verbleibt wissenschaftlich ungelöst. In der Kommunikation ist aber zu bedenken, dass die Angabe „2 bis 24 Stunden davor“ vermutlich häufig als „bis zu 2Stunden vorher“ verstanden wird.

PrEP und HIV-Infektion

Das Auftreten einer HIV-Infektion unter einer PrEP ist zum Glück selten. Welche Rolle dabei die Effektivität der Kombination oder auch die geringe Übertragbarkeit von HIV sowie die epidemiologische Situation spielen, bleibt unklar. In jedem Fall spielt die Adhärenz eine wesentliche Rolle, was auch die Unterschiede in der Effektivität von TDF/FTC im Vergleich mit deminjizierbaren Cabotegravir erklärt. In jedem Fall stellt die Einnahme einer HIV-PrEP nicht selten diagnostische Herausforderungen bei der Anwendung unterschiedlicher Testverfahren (Suchtest, Western Blot, PCR) für den Nachweis oder Ausschluss einer HIV-Infektion. Hier ist der Einfluss einer (suboptimalen) antiretroviralen Therapie durch eine PrEP auf die Serokonversion zu bedenken. Die aktuelle Leitlinie gibt hier ausführliche Hinweise zum sinnvollen diagnostischen Vorgehen.

PrEP und andere STI

Auch der Einfluss der HIV-PrEP auf das Auftreten anderer sexuell übertragbarer Erkrankungen wurde in der Vergangenheit teils erbittert diskutiert. Während der klinische Eindruck und die Kenntnis des Verhaltens eine deutliche Zunahme anzeigten, konnten viele Beobachtungsstudien einen solchen Zusammenhang nicht klar darlegen. Die Frage der „Risikokompensation“ blieb unklar. Umso interessanter ist nun, dass bei der Diskussion um die Anwendung von Doxycyclin als „Doxy-PEP“ zur Verhinderung insbesondere von Syphilis- und Chlamydieninfektionen gerade die Gruppe der HIV-PrEP-Nutzenden als Hauptindikationsgruppe für die „Off-label“-Anwendung dieser Präventionsmethode genannt wird. Die Diskussion hat gerade erst begonnen und wird aufgrund der geringen Datenbasis und des hohen Erwartungsdrucks der Nutzenden mindestes genauso emotional geführt wie die Diskussionen um die HIV-PrEP und den Anstieg der Zahl sexuell übertragbarer Infektionen. Klar ist aber, dass zumindest derzeit die Mehrzahl der Leitlinien eine breite Anwendung der Doxy-PEP auch bei HIV-PrEP-Nutzenden nicht empfiehlt und diese wenigen, ausgewählten Sondersituationen vorbehält.

Der klinische Alltag mit einer auch illegalen, einfachen Verfügbarkeit von Doxycyclin und einem recht unkritischen Gebrauch sowohl von Substanzen als auch Pharmaka bei den Nutzenden wird aber in der Realität auch hier Herausforderungen schaffen, die auch Einfluss auf den Gebrauch der HIV-PrEP haben werden. Die Frage, ob alles, was machbar ist, auch wünschenswert ist und im klinischen Alltag implementiert werden soll, bleibt derzeit offen.

Resümee

Für die HIV-PrEP gilt zusammenfassend:

  • Die HIV-PrEP hat sich als Instrument zur Präventioneiner HIV-Infektion bewährt.

  • Gute Beratung, gutes Follow-up und die korrekte Indikationsstellung sind bedeutend.

  • Nicht alles, was geht – und im Internet diskutiert wird –, ist im Label, wissenschaftlich fundiert und sinnvoll.

  • Man darf die Indikation zur PrEP im Sinne des Patienten auch hinterfragen.

  • Schwuler Sex geht auch ohne PrEP.

  • PrEP ist nicht nur für schwule Männer – viele von uns sollten ihren (nachvollziehbaren) Bias hinterfragen.

  • Es bleiben Fragen (anlassbezogen, was zählt, Plasma oder Gewebe, unklare Infektionssituationen, neue Substanzen).

● Deutsch-Österreichische Leitlinie zur HIV-Präexpositionsprophylaxe. https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/055-008 ; zuletzt aufgerufen am 16.5.2024

Weitere Literatur beim Autor

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