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UEG Week 2023

Ernährung bei Leberzirrhose: ein essenzieller Bestandteil der Therapie?

In den letzten Jahren hat die steigende Prävalenz von Fettleibigkeit zu einer Zunahme von Zirrhosefällen geführt, die auf eine metabolisch-dysfunktionsassoziierte Steatohepatitis (MASH) zurückzuführen sind. Die Rolle der Ernährung bei chronischen Lebererkrankungen ist von großer Bedeutung, da Mangelernährung, Sarkopenie und Fettleibigkeit signifikante Auswirkungen auf den Verlauf und die Prognose haben.

Keypoints

  • Mangelernährung tritt bei ca. 20% der Betroffenen mit einer kompensierten Leberzirrhose auf und bei mehr als 50% mit einer dekompensierten Zirrhose.

  • Eine Ernährungstherapie durch spezialisierte Diätolog:innen kann die Lebensqualität der Betroffenen verbessern und die Überlebenschancen erhöhen.

  • Allen Personen mit fortgeschrittener chronischer Lebererkrankung sollte daher zu einer Ernährungsberatung geraten werden.

Einleitung

Insbesondere bei Leberzirrhose ist die Mangelernährung eine häufig auftretende Komplikation, die nicht nur das Fortschreiten des Leberversagens beschleunigen kann, sondern auch das Risiko für Komplikationen wie Infektionen, hepatische Enzephalopathie und Aszites erhöht. Auch die sarkopene Adipositas, ein Zustand, der den Verlust von Muskelmasse und die vermehrte Ansammlung von Fett im Körper umfasst, kann die Prognose von Personen mit Leberzirrhose weiter verschlechtern, weil somit die Mangelernährung verschleiert bleibt.

Screening und Bewertung des Risikos für Mangelernährung

Während Mangelernährung bei Personen mit kompensierter Zirrhose weniger offensichtlich sein mag, ist sie bei einer dekompensierten Zirrhose leicht zu erkennen. Das Vorliegen einer Mangelernährung ist bei circa 20% der Betroffenen mit einer kompensierten Leberzirrhose und bei mehr als 50% der Personen mit einer dekompensierten Zirrhosezu verzeichnen.

Aufgrund der schlechteren Prognose, die mit einer Mangelernährung einhergeht, sollte allen Personen mit fortgeschrittener chronischer Lebererkrankung, insbesondere beim Vorliegen einer dekompensierten Zirrhose, geraten werden, rasch eine Ernährungsberatung von spezialisierten Diätolog:innen zu erhalten.

Messinstrumente zur Feststellung einer Mangelernährung

  • Gewichtsverlauf (ungewollter Gewichtsverlust, Vorliegen von Ödemen und/oder Aszites)

  • Body-Mass-Index: als Verlaufsparameter, jedoch nicht als alleiniger Parameter zur Feststellung einer Mangelernährung geeignet. Cave: sarkopene Adipositas.

  • Scores wie Child-Pugh, MELD (MELD-Sarkopenie-Score), Nutritional Risk Screening (NRS-2002), Subjective Global Assessment (SGA), Royal Free Hospital-Nutritional Prioritizing Tool (RFH-NPT), Liver Frailty Index

  • Laborwerte wie Albumin und Präalbumin dienen als wichtige Indikatoren für die Beurteilung des Ernährungszustandes.

  • Bioelektrische Impedanzanalyse (BIA): nichtinvasive Messmethode zur Ermittlung der Körperzusammensetzung. Bestenfalls findet die Messung nach der Parazentese statt.

  • Messung der Handkraft: Diese Messung liefert Hinweise darauf, ob die Griffstärkeabgenommen hat, was wiederum auf eine verminderte Muskelmasse hindeutet.

  • Zusätzlich können folgende Instrumente und Methoden eingesetzt werden: DEXA (Dual-Röntgen-Absorptiometrie), CT (Beurteilung L3), Anthropometrie (z.B. Messung des Oberarmmuskels oder der Trizepshautfalte) sowie die Bewertung der globalen körperlichen Leistungsfähigkeit (SPPB).

Es ist nicht ratsam, sich ausschließlich auf das Körpergewicht oder den Body-Mass-Index zu verlassen.

Ernährungstherapeutische Herangehensweise

Nach der Ermittlung der Körperzusammensetzung und des Ernährungszustandes erfolgt eine detaillierte Ernährungsanamnese vonseiten der Diätologin/des Diätologen gemeinsam mit den Betroffenen und ggf. deren Angehörigen. Es wird zudem erhoben, ob Hindernisse bei der Nahrungsaufnahme wie beispielsweise Übelkeit, Erbrechen, Aversionen gegen bestimmte Lebensmittel, Bauchschmerzen, Appetitlosigkeit, frühzeitige Sättigung, Diarrhö oder Obstipation bestehen. Auf Grundlage dieser Anamnese können zielgerichtete Ernährungsempfehlungen gegeben werden, um eine Mangelernährung und/oder Sarkopenie zu verhindern oder, falls diese schon bestehen,sie zu verbessern (Abb. 1).

Abb. 1: Einschätzung der Ernährungssituation

Es ist wichtig zu betonen, dass Leberfunktionsstörungen zu einer verringerten Energieverfügbarkeit und einem Zustand des „beschleunigten Fastens“ führen, bei dem die Energie hauptsächlich aus dem Katabolismus von Fett- und Muskelgewebe gewonnen wird. Im Allgemeinen wird eine gesunde Ernährung mit einer Vielfalt von Lebensmitteln für alle Betroffenen empfohlen. Praktisch kein Lebensmittel außer Alkohol schädigt tatsächlich die Leber und ist bei Personen mit chronischer Lebererkrankung wirklich kontraindiziert.

Für die meisten Betroffenen mit Leberzirrhose ist es viel wichtiger, ausreichend Kalorien und Proteine zu sich zu nehmen, als bestimmte Arten von Lebensmitteln zu vermeiden. Daher ist es wesentlich, eine abwechslungsreiche Mischkost zu konsumieren, die schmeckt.

Auf Basis des errechneten idealen Körpergewichts (ohne Aszites, ohne Ödeme) sollte eine Kalorienzufuhr von 30–35 kcal pro Kilogramm Körpergewicht pro Tag erfolgen. Die tägliche Proteinzufuhr beläuft sich auf 1,2–1,5g pro Kilogramm Körpergewicht auf Basis des Idealgewichts.

Eine angemessene Mahlzeitenverteilung ist einer der wichtigsten Faktoren der Ernährungstherapie (Abb. 2). Es sollten idealerweise mehrere Mahlzeiten über den Tag verteilt gegessen werden. Bestenfalls in Form von drei Hauptmahlzeiten und drei Zwischenmahlzeiten. Eine eiweißreiche und kohlenhydratbetonte Spätmahlzeit ist gemeinsam mit dem Frühstück am wichtigsten, um den Abbau der Muskelmasse aufgrund von langen Fastenperioden zu verhindern.Eine 12-stündige Fastenperiode entspricht bei einer Person mit Leberzirrhose einem Fasten von 3 Tagen bei gesunden Individuen.

Abb. 2: Optimale Mahlzeitenverteilung

Eine begrenzte Aufnahme von Kochsalz kann hilfreich sein, um Flüssigkeitsansammlungen wie Aszites und Ödeme zu reduzieren. Allerdings kann dies den Geschmack der Mahlzeiten stark verändern und somit eine adäquate Energie- und Proteinzufuhr beeinträchtigen. Somit ist eine Einschränkung der Kochsalzzufuhr unter Umständen zu überdenken.

Bewegung

Die Muskelmasse kann nicht alleinig durch eine proteinreiche Ernährung verbessert werden. Um die vorhandene Muskelmasse zu erhalten und um Defizite auszugleichen, ist regelmäßige Bewegung wichtig. Ein moderates Übungsprogramm zur Kräftigung unter physio- oder sporttherapeutischer Begleitung ist daher ratsam.

Hepatische Enzephalopathie und Anlage eines TIPS

Eine hepatische Enzephalopathie (HE) tritt häufiger bei mangelernährten Personen mit Zirrhose auf. Darüber hinaus ist die Sarkopenie ein unabhängiger Risikofaktor für die Entwicklung dieser Komplikation nach der Platzierung eines transjugulären intrahepatischen portosystemischen Shunts (TIPS). In der Vergangenheit wurde Personen mit HE empfohlen, eine proteinarme Diät einzuhalten, um sowohl die Synthese von Ammoniak als auch die Desaminierung von Proteinen zu aromatischen Aminosäuren zu begrenzen. Gegenwärtig sind sich internationale Leitlinien jedoch einig, dass die allgemeine Empfehlung für die optimale tägliche Proteinzufuhr und Energiezufuhr bei HE nicht niedriger sein sollte als die allgemeine Empfehlung bei Zirrhose. Tatsächlich wurde gezeigt, dass eine proteinarme Diät den Proteinabbau erhöht, was wiederum eine Stickstoffbelastung verursacht, die Ammoniak erzeugt.

Conclusio

Angesichts dieser Herausforderungen sind die Durchführung von ernährungstherapeutischen Maßnahmen und deren Monitoring von entscheidender Bedeutung für die Behandlung von Personen mit chronischen Lebererkrankungen. Eine fundierte Ernährungstherapie durch spezialisierte Diätolog:innen kann die Lebensqualität der Betroffenen verbessern und ihre Überlebenschancen können so erhöht werden.

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