<p class="article-intro">Die Conference on Retroviruses and Opportunistic Infections (CROI) ist sicherlich der wissenschaftlich bedeutsamste HIV-Kongress weltweit. Er feierte dieses Frühjahr in Boston sein 25-jähriges Bestehen. Zu Beginn der Konferenz gab Dr. Harold Jaffe von den Centers for Disease Control and Prevention (CDC) einen Einblick in die selbst erlebten Anfänge der Aids-Pandemie.</p>
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<p class="article-content"><p>Bereits in den späten 1970er-Jahren war in San Francisco ein Anstieg der Syphilisraten bei Männern zu verzeichnen. Zwischen Oktober 1980 und Mai 1981 traten bei 5 jungen homosexuellen Männern ungewöhnliche Fälle einer Pneumocystis-Pneumonie auf. Kurze Zeit später erreichten die CDC Berichte von zahlreichen Fällen von Kaposi-Sarkomen bei Männern aus New York. 1983 wurden zunächst „Poppers“, eine kurz wirksame inhalative Droge, als Ursache der epidemischen Immundefizienz angenommen, da fast alle Patienten mit opportunistischen Infektionen in einer Fallkontrollstudie berichtet hatten, diese zu benutzen. In rasch etablierten Mausmodellen konnte dieser Zusammenhang allerdings nicht nachgewiesen werden, wodurch erheblicher Zweifel entstand.</p> <p>Kurze Zeit später wurde von Francoise Barré-Sinousi und Luc Montagnier in Frankreich ein neues Retrovirus nachgewiesen. Beinahe zeitgleich wurde im Labor von Robert Gallo in den USA ein erster Test entwickelt. Zu diesem Zeitpunkt war noch nichts über Aids in Afrika bekannt, außer von Afrikanern, die in den USA lebten. Die erste epidemiologische Studie erschien 1984 im „Lancet“: Darin wurde gezeigt, dass Aids im Kongo vorkam und dort Drogengebrauch und Homosexualität keine Risikofaktoren darstellten (die Mann/Frau-Ratio war annähernd 1:1). Klar wurde somit immer mehr, dass es sich bei HIV um eine vor allem sexuell übertragene Infektion handeln musste. Eine Studie unter operierenden Orthopäden bewies, dass Ansteckungen mit HIV im Gesundheitswesen extrem selten sind. Die 2/191 Ärzte, die HIV-positiv getestet wurden, hatten sich durch sexuelle Risikokontakte im privaten Umfeld infiziert.</p> <p>Später kam der Siegeszug der antiretroviralen Therapie (ART). Aktuell sind weltweit 20,9 Millionen Menschen auf eine ART eingestellt, was rund der Hälfte aller Infizierten entspricht.</p> <p>Heute weiß man übrigens, dass HIV in den späten 1960er-Jahren aus Zentralafrika über die Karibik nach New York eingeschleppt wurde. Von dort erfolgte die Ausbreitung an die Westküste. Patient Zero, ein Airline-Steward, dem man nachsagte, HIV von der West- zur Ostküste gebracht zu haben, ist damit entschuldet.</p> <h2>Tbc im Überblick</h2> <p>Eine anderer spannender Schwerpunkt auf der CROI 2018 gab einen Überblick über den aktuellen Stand des Wissens zur Tuberkulose (Tbc). Vor 1900 starb 1 von 7 Amerikanern an Tuberkulose. Heute ist ein Viertel der Menschheit mit Tbc infiziert. Jedes Jahr sterben 1,5 Millionen Menschen an Tbc. Nur 30 % der Exponierten werden mit Tbc infiziert. Davon entwickeln fast alle (90 % ) eine latente Infektion. In Gegenwart einer HIV-Infektion sind Ansteckungs- und Erkrankungswahrscheinlichkeit erhöht. Bereits ab 1920 setzte man die BCG-Impfung, bestehend aus einem abgeschwächten Mycobakterium-bovis-Stamm, flächendeckend ein. Bald darauf zeigte sich aber eine sehr variable Schutzwirkung (0–80 % ), die auf der Nordhalbkugel durchwegs besser war. Die Schutzwirkung war aber insgesamt zu schwach, da fast alle Patienten mit aktiver Tbc als Kind eine Impfung erhalten hatten.</p> <p>Der Körper reagiert auf eine Infektion mit Tbc mit der Bildung von Granulomen, die einerseits die Immunantwort auf die Infektion bilden, andererseits die Mikroumgebung für M. tuberculosis darstellen. Im Affenmodell ist vor allem TNF-α ein für die Kontrolle der Tbc wichtiges Zytokin, da eine Blockade eine Tbc-Reaktivierung auslösen kann. Es gilt: Je höher die Bakterienlast, desto höher die Wahrscheinlichkeit einer Reaktivierung. Es gibt aber unter TNF-Behandlung auch stabile Granulome, die sich nicht veränderten. Größere Granulome und im PET-CT aktivere Granulome reaktivieren häufiger und in der Praxis kann ein Granulom ausreichen, um eine Reaktivierung der Tbc auszulösen. Interessant ist, dass eine bestehende Tbc-Infektion bei Exposition vor der Ausbildung weiterer Granulome schützt, sich also eine robuste kurzzeitige Immunität ausbildet. So könnte in Zukunft eine CMV-basierte Vakzine eine aktuelle Infektion vortäuschen und somit vor einer Ansteckung bzw. einer klinischen Reaktivierung der Tbc schützen.</p> <h2>Neue Studiendaten zur ART</h2> <p>Neben den exzellenten Übersichtsvorträgen sind vor allem die Präsentationen aktueller Studienergebnisse einer der Gründe, warum die CROI so gut besucht ist.</p> <p>In der doppelblinden GILEAD-380-Studie wurden über 560 Patienten, die unter Triumeq voll supprimiert waren, entweder zur Fortführung der Therapie oder zum Wechsel auf die neue Kombinationstablette Bictegravir/Tenofovir-Alafenamid/Emtricitabin randomisiert. Es zeigte sich eine Nichtunterlegenheit des Wechsels mit >93 % Suppressionsrate in beiden Armen und keinen neu aufgetretenen Resistenzen. Nebenwirkungen traten in beiden Gruppen ähnlich häufig auf, in einer Post-hoc-Analyse zeigten sich unter dem Bictegravir-Regime etwas weniger Nebenwirkungen, die auf die Studienmedikamente zurückzuführen waren. Ein Kritikpunkt an der Studie war, dass Patienten mit Niereninsuffizienz aufgrund der schon einige Jahre zurückliegenden Studienplanung primär ausgeschlossen waren.</p> <p>In der afrikanischen REALITY-Studie an 1805 Erwachsenen wurde trotz Vorliegen eines schweren Immundefektes keine erhöhte Inzidenz eines Immunrekonstitutionssyndroms (IRIS) beobachtet, wenn zur Intensivierung Raltegravir zu einem ART-Regime bestehend aus zwei NRTI und einem NNRTI hinzugefügt wurde. Zwei frühere Observationsstudien hatten hier einen Zusammenhang, ausgelöst durch die rasche Viruslastsuppression von Integrasehemmern, vermuten lassen, was nicht bestätigt werden konnte. Problematisch war in dieser Studie jedenfalls, dass es keine standardisierte Definition für ein IRIS gab.</p> <p>Neue Daten gab es auch zu dem sich in Entwicklung befindlichen NRT(T)I MK8591 mit der extrem langen Halbwertszeit von ca. 120 Stunden. Bei einem Aufdosieren mit 0,25mg konnte das PK-Ziel bereits nach einem Tag erreicht werden, es zeigten sich kaum Nebenwirkungen, und die wirksame Hemmkonzentration (IC50) war bis zu 30 Tage nach Absetzen der Substanz überschritten. Zur Behandlung der HIV-Infektion wird diese vielversprechende Substanz in Kombination mit Doravirin und zunächst 3TC untersucht werden. Eine weitere Studie zeigte im Affenmodell in rektalem (und vaginalem) Gewebe ausreichende Substanzspiegel. So konnten Rhesusmakaken durch eine Gabe von MK8591 einmal wöchentlich wirksam vor einer (rektalen) HIV-Infektion geschützt werden.</p> <h2>Studien zu Pharmakokinetik und Resistenzsituation</h2> <p>Interessant waren auch Untersuchungen zum Gewebespiegel von unterschiedlichen antiretroviral wirksamen Substanzen. Anders als in Immunzellen im Blut (PBMC), wo für alle Integrasehemmer Spiegel weit jenseits der minimalen Hemmkonzentration erreicht werden, zeigten sich im lymphatischen Gewebe doch deutliche Unterschiede. Die höchsten Konzentrationen konnten mit Elvitegravir erreicht werden, gefolgt von Dolutegravir, und die geringsten mit Raltegravir. Möglicherweise sind die unterschiedlichen Spiegel in diversen Körperkompartimenten die Ursache dafür, warum eine Integrasehemmer-Monotherapie bei fortgeschrittener HIV-Infektion nicht gut funktioniert.</p> <p>Die neuen Substanzen unterscheiden sich auch hinsichtlich einer möglichen Koadministration mit Rifampicin zur Behandlung der Tuberkulose. Rifampicin ist ein starker Enzyminduktor und kann bekanntermaßen Plasmaspiegel von antiretroviralen Medikamenten massiv beeinflussen. So wird in Gegenwart von Rifampicin beispielsweise der Plasmaspiegel von Tenofovir-Alafenamid (TAF) um ca. 50 % abgesenkt, wobei der für die Suppression wirksame intrazelluläre Spiegel ausreichend hoch bleibt und noch immer deutlich über dem liegt, was mit Tenofovir-Disoproxilfumarat (TDF) erreicht werden kann.</p> <p>In der Interimsanalyse einer laufenden Studie konnte gezeigt werden, dass bei Patienten, die eine Tuberkulose-Therapie mit Rifampicin erhalten, zweimal täglich Dolutegravir 50mg + 2 NRTI gleich gut wirksam ist wie das sonst häufig eingesetzte Kombinationsregime mit Efavirenz 600mg o.d. + 2 NRTI. Das Dolutegravir-Regime wurde gut vertragen, die Raten von IRIS waren zudem niedrig.</p> <p>Anders die Situation bei dem kurz bei uns vor der Zulassung stehenden Bictegravir, das in Gegenwart von Rifampicin selbst dann keine ausreichenden Spiegel zu erreichen scheint, wenn es zweimal täglich gegeben wird.</p> <p>Interessantes gab es auf der Konferenz auch hinsichtlich viraler Resistenzen zu berichten.</p> <p>Botswana ist das erste afrikanische Land, in dem Dolutegravir (DTG) breit eingesetzt wird; dort wird es momentan gerade einem „Stresstest“ ausgesetzt. Derzeit erhalten in Botswana mehrere Tausend HIV-positive Menschen die Substanz als Erstlinienregime. In einer ersten Sequenzanalyse zeigte sich bei ART-naiven Patienten eine Integraseresistenzrate von 2,7 % , wobei durchaus auch die problematischen Mutationen R263K, T97A, L74M, E138A detektiert wurden.</p> <p>Die akzessorische Mutation T97A kann, wenn sie zusammen mit der Q148- und der G140-Mutation auftritt, zu einem viralen Rebound unter DTG führen, wie in einer anderen Präsentation anhand von 2 Patientenfällen gezeigt wurde. Daher ist beim Vorliegen der Q140- und der G140-Mutation Vorsicht angeraten und DTG sollte möglicherweise nicht oder nur unter engmaschiger Kontrolle angewandt werden. Ein weiterer Anlass, um ein Plädoyer für die flächendeckende Durchführung und Erstattung von Integraseresistenztests abzugeben.</p> <p>Resistenz gegenüber Integrasehemmern scheint aber auch durch Veränderungen außerhalb des Integrasegens aufzutreten, wofür es erste Hinweise gab und was weiter beobachtet wird.</p> <h2>Mikrobiom und Patienten „lost to follow-up“</h2> <p>Ein hervorragender Übersichtsvortrag widmete sich dem Thema HIV und vaginales Mikrobiom. Bei gesunden Frauen ist das Vaginalepithel eine Barriere. Sie ist besiedelt mit einem von Lactobazillen dominierten Mikrobiom. Die Verschiebung des Mikrobioms hin zu anaeroben Keimen wie Gardnerella oder Prevotella führt zum klinischen Bild einer bakteriellen Vaginose, die die häufigste Ursache einer Vaginitis ist. Typischerweise ist eine antibiotische Behandlung in diesem Fall nicht notwendig/sinnvoll, sondern der Aufbau eines gesunden Mikrobioms ist das Ziel. Aus epidemiologischen Beobachtungen weiß man, dass es in Ländern mit einer höheren HIV-Prävalenz (d.h. vor allem in Afrika) auch mehr vaginale Dysbiosen gibt. Die vaginale Dysbiose erhöht das Risiko für eine HIV-Transmission in beide Richtungen, d.h., auch der Mann steckt sich leichter an. Es zeigt sich eine stärkere vaginale Inflammation, wenn eine Dysbiose vorliegt (d.h., es gibt mehr zervikovaginale neutrophile Zellen) und die epitheliale Barriere geschwächt ist. Zudem ist eine präexpositionelle Prophylaxe (PrEP) bei Vorliegen einer Dysbiose weniger wirksam, was der Grund für die durchwegs schlechteren Ergebnisse der PrEP-Studien bei Frauen ist. In der CAPRISA-004-Studie zeigte sich ein um nur 39 % reduziertes HIV-Transmissionsrisiko mit Tenofovir-Gel. Die PrEP war deutlich effektiver (61 % vs. 18 % ), wenn mehr als die Hälfte des Mikrobioms aus Laktobazillus bestand. Man hat gesehen, dass Tenofovir anscheinend in Gegenwart von Gardnerella einer erhöhten Biodegradation unterworfen ist. Dies scheint auch prinzipiell auf andere Substanzen zuzutreffen, die in der PrEP (z.B. Dapivirin) bzw. in Vaginalringen eingesetzt werden, dazu sind aber weitere Untersuchungen erforderlich. Interessanterweise scheint TAF nicht degradiert zu werden.</p> <p>In einem weiteren Übersichtsvortrag über die Errungenschaften der letzten 25 Jahre wurde klar, dass ein Fokus auf den Patienten liegen sollte, die aus den verschiedensten Gründen eine Therapie innerhalb und außerhalb von Studien abbrechen oder aus den Kontrollen verschwinden. Es darf nicht vergessen werden, dass trotz aller Bemühungen und der durchwegs gut verträglichen ART sich in den großen Studien durchwegs immer 5–10 % Patienten zeigen, die zum gewählten Studienendpunkt nicht unter der Nachweisgrenze liegen. Hier muss mehr getan werden, um Stigmatisierung zu reduzieren, andere Einnahmemodalitäten und andere Verhaltensinterventionen müssen studiert werden. Auch Peer-Mentoring könnte helfen, Patienten zu ermutigen, ihre Therapie konsequent anzuwenden und Kontrollen wahrzunehmen.</p></p>