
Biomarker sind kein Ersatz für den klinischen Hausverstand
Bericht:
Reno Barth
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Inflammatorische Biomarker sollen Diagnose und Prognoseabschätzung bei Patient:innen mit systemischen Infektionen erleichtern. Eingelöst wird dieses Versprechen allerdings nur zum Teil. Als bislang einziger Point-of-Care-Test mit akzeptabler Zuverlässigkeit in der Unterscheidung zwischen bakterieller und viraler Infektion konnte das C-reaktive Protein (CRP) etabliert werden. Doch auch dieser Parameter kann die klinische Diagnostik und Verlaufskontrolle nicht ersetzen.
Wozu brauchen wir inflammatorische Biomarker? Meistens haben unsere Patienten Fieber und es gilt abzuklären, was die Ursache ist und welche Prognose zu erwarten ist“, so Univ.-Prof. Dr. Günter Weiss, Direktor der Universitätsklinik für Innere Medizin II in Innsbruck. Er verweist auf die gängigen Diagnoseempfehlungen mit Anamnese, (wiederholter) klinischer Untersuchung, Mikrobiologie, Serologie, molekularer Diagnostik, der Bildgebung (Sonografie, CT, MR, PET etc.), dem Differenzialblutbild, sowie dem Labor, das unter anderem inflammatorische Biomarker bestimmt. Dabei handelt es sich in der aktuellen Situation in der Regel um Akute-Phase-Proteine. Diese werden vom Körper, zumeist von der Leber, produziert, um bestimmte Funktionen im Rahmen der Infektabwehr wahrzunehmen. C-reaktives Protein, Serum-Amyloid A, PTX-3, Fibrinogen und Haptoglobin sind nur eine kleine Auswahl der Proteine, die in den ersten Tagen nach einem inflammatorischen Stimulus vermehrt exprimiert werden. In der Eiweiß-Elektrophorese zeigen sie einen charakteristischen Verlauf über die Zeit.
C-reaktives Protein (CRP)
C-reaktives Protein (CRP) wird in der Leber nach Stimulation durch Zytokine, vor allem Interleukin 1 und 6, produziert und trägt zur Komplementbindung, zur Opsonisierung von Keimen sowie zur Aktivierung von Makrophagen und Monozyten bei. Aufgrund der indirekten Stimulierung vergehen von der Induktion bis zur nachweisbaren Erhöhung im Blut mindestens 4 bis 6, maximal jedoch 24 bis 36 Stunden. Daher wird bei akutem Krankheitsbeginn initial oft niedriges CRP gemessen. Der Normalwert liegt unter 0,5– 0,7mg/dl.
Auf mehr als das Zehnfache des Normalwerts erhöht ist CRP v.a. bei bakteriellen Infekten, Pilzinfektionen, Malaria, aber auch bei Autoimmunerkrankungen oder Malignomen. Bei Virusinfektionen ist CRP hingegen normal oder liegt nur leicht über dem Normalwert. Ein normaler CRP-Wert nach mehr als 24 Stunden Erkrankungsdauer macht eine systemische bakterielle Infektion unwahrscheinlich. Eine Ausnahme bildet die Hyperinflammation bei Covid-19. Mit dem Alter und bei Leberinsuffizienz nimmt die Akutphasereaktion ab. CRP ist dann auch bei schweren Infektionen niedriger.
CRP soll die klassische klinische Therapiekontrolle nicht ersetzen
Aufgrund des verzögerten Verlaufs reagiert CRP auch verzögert auf die Therapie, was zu falschen Entscheidungen führen kann. Daher empfiehlt Weiss, bei bakteriellen Infektionen die klassische klinische Therapiekontrolle anhand von Leukozyten und Fieber – die beide sehr schnell auf eine wirksame Therapie reagieren – nicht zu vergessen (Abb. 1). CRP ist der einzige Biomarker, der in einem Cochrane-Review als geeignet für den Point-of-Care-Test bei akuten Atemwegsinfektionen identifiziert wurde. Die Autoren gelangten auch zu dem Ergebnis, dass der Antibiotikaverbrauch durch geeigneten Einsatz von CRP-Tests um rund 30% gesenkt werden kann.1 Weiss: „CRP ist bisher der einzige Biomarker, der sich zur Steuerung einer antibiotischen Therapie eignet.“ Eine dänische Studie ergab, dass die höchsten Zahlen an Antibiotikaverschreibungen in allgemeinmedizinischen Praxen mit hohen Patient:innenzahlen erfolgen, in denen keine CRP-Tests gemacht werden.2 Dazu Weiss: „Speed kills.“
Abb. 1: Verlauf von CRP, Leukozyten und Fieber bei bakterieller Infektion (modifiziert nach Weiss G 2024)
Suboptimale Datenlage zur Aussagekraft von Procalcitonin
Im Gegensatz zu CRP sei die Verwendung von Procalcitonin „fast schon eine Glaubensfrage“, so Weiss. Bei Procalcitonin handelt es sich um eine Vorstufe des Hormons Calcitonin, die bei der Früherkennung von bakteriellen Infektionen hilfreich sein soll. Physiologisch wird Procalcitonin in den Nebenschilddrüsen produziert. Im Falle einer bakteriellen Infektion kommt es jedoch auch in anderen Organen, wie dem Gehirn oder dem Darm, zur Procalcitoninexpression.
Der Anstieg erfolgt nach ca. 3 Stunden, also schneller als bei CRP. Wie gut sich Procalcitonin zur Differenzialdiagnose eignet bzw. ob das Ausbleiben des Anstiegs eine bakterielle Infektion ausschließt, ist fraglich, zumal Procalcitonin eher mit der Krankheitsschwere als mit dem kausalen Erreger korreliert. Weiss: „Procalcitonin ist mitunter hilfreich hinsichtlich Indikation und Dauer einer antibiotischen Therapie und mitunter hilfreich für Infektionsdiagnostik bei Patienten mit Autoimmunerkrankungen.“ Ein vor mehreren Jahren publizierter Review gelangt zu dem Schluss, dass bei Symptomen einer Sepsis und hohem Procalcitonin Antibiotika gegeben werden sollten, bei niedrigem Procalcitonin hingegen nicht.3
Ein Fall aus der Praxis
Wie dies in der Praxis aussehen kann, erläutert Weiss am Beispiel eines 46-jährigen Patienten, der vier Wochen Urlaub in Mexiko verbrachte und dort zwei Tage vor der Abreise Fieber bis 40°C, Gelenks- und Muskelschmerzen und leichte Diarrhö entwickelte. Nach Einnahme eines Antibiotikums (AMOX-Clav) zeigte sich keine Besserung. Sowohl ein Malaria-Ausstrich als auch ein Test auf Dengue-Antigen waren negativ, das Blutbild zeigte eine leichte Leukozytose. Das CRP war mit 19,39mg/dl (Normalwert 0,00–0,50mg/dl) deutlich erhöht, Procalcitonin lag mit 0,08μg/l im niedrigen Normalbereich. Schließlich wurde der Patient positiv auf Legionellen-Antigen getestet und damit eine Legionellose diagnostiziert. Weiss: „Hätte man die Therapie nur nach dem Procalcitonin gerichtet, hätte der Patient kein Antibiotikum bekommen.“ Dass Procalcitonin bei Legionellen-Infektionen nicht zwingend erhöht ist, wurde mittlerweile auch in Studien gezeigt.4 Die Behauptung, niedriges Procalcitonin schließe eine bakterielle Infektion aus, sei daher „schlicht und einfach falsch“, so Weiss. Generell solle ein einzelner Biomarker nicht therapieentscheidend sein. Zu einem ganz ähnlichen Ergebnis, nämlich „do not use CRP or PCT levels as the sole criteria to initiate antibiotic therapy“, gelangte auch eine Studie, die die Aussagekraft dieser Biomarker bei Verschlechterung einer Sepsis untersuchte.5
Kürzere Behandlungsdauer bei Einsatz von Biomarkern?
Eine 2023 publizierte retrospektive Analyse von 100 ICU-Patient:innen evaluierte CRP, Procalcitonin und Presepsin als frühe Indikatoren/Prognoseprädiktoren für Sepsis. Presepsin ist das lösliche Fragment des CD14-Rezeptors von Monozyten. Dabei zeigte sich für CRP hohe Sensitivität bei geringer Spezifität sowohl hinsichtlich Sepsis als auch ICU-Mortalität. Procalcitonin und Presepsin erwiesen sich als spezifischer bei geringerer Sensitivität. Letztlich war keiner der drei Marker ein geeigneter Prädiktor für die Sterblichkeit auf der Intensivstation.6
Ebenfalls gesucht wird nach Biomarkern, die eine Reduktion der Behandlungsdauer mit Antibiotika steuern können. In einer großen, prominent publizierten Studie schnitt Procalcitonin in dieser Hinsicht schlecht ab. Die Autoren gelangten zu dem Schluss, dass in der Behandlung von Infektionen des unteren Respirationstraktes der Einsatz von Procalcitonin-Assays nicht zu einer Reduktion des Antibiotikaverbrauchs führt. Auch die Dauer des Krankenhausaufenthalts wurde durch Procalcitonin-Bestimmungen nicht reduziert.7 Eine weitere Studie zeigte, dass in der Unterscheidung zwischen bakteriellen und viralen Infektionen sowohl die diagnostische Sensitivität als auch die Spezifität der Procalcitonin-Spiegel sehr schwach sind.8
Neue, spezielle Biomarker und künstliche Intelligenz am Horizont
Calprotectin ist ein in der Gastroenterologie eingesetzter Biomarker, der sich, ebenso wie CRP, bei der Unterscheidung zwischen einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung und einem Reizdarmsyndrom bewährt hat. Allerdings ist auch in diesem Fall eine Unterscheidung alleine anhand der chemischen Biomarker nicht möglich.9
Ein Biomarker, der in Zukunft klinische Bedeutung erlangen könnte, ist suPAR („soluble urokinase plasminogen activator receptor“), der sich bei systemischer chronischer Inflammation als erhöht erwiesen hat und sich möglicherweise als Marker für Morbiditäts- und Mortalitätsprädiktion eignen könnte.10 Ein weiterer innovativer Marker mit Potenzial ist die Verteilungsbreite der Monozyten („monocyte distribution width“; MDW) um das mittlere Volumen der Monozytenpopulation. Die Frühphase einer Sepsis fällt durch eine ausgeprägt heterogene Monozytenpopulation auf. Eine Metaanalyse zahlreicher Studien zur MDW zeigt jedoch überschaubare Sensitivität und Spezifität.11 „Also nichts, das besser wäre als das, was wir bereits haben“, so Weiss.
Auch das Potenzial künstlicher Intelligenz im Erkennen von Risiko wird aktuell in Studien ermittelt. Weiss verweist auf eine Arbeit zum Auftreten von beatmungs-assoziierten Pneumonien („ventilator-associated pneumonia“; VAP) auf Intensivstationen, die zeigte, dass künstliche Intelligenz in der Lage ist, das Auftreten von VAP anhand von Patient:innendaten zu erkennen. Allerdings erwiesen sich klinisches Follow-up und konstante Betreuung als ebenso gut.12 In Zeiten häufig wechselnder Teams am Krankenbett könne es allerdings hilfreich sein, wenn KI Alarm schlagen und die Behandler auf potenzielle Probleme und Verschlechterungen aufmerksam machen kann, so Weiss.
Künstliche Intelligenz kann auch im Rahmen von Frühwarnsystemen Anwendung finden, mit denen frühzeitig erkannt werden soll, dass Patient:innen Sepsis entwickeln. Die Auswertung von Daten von 590000 Patient:innen mit Fokus auf Sepsis mithilfe eines „targeted real-time early warning system“ (TREWS) zeigte, dass dies möglich ist. Das System identifizierte Patient:innen mit möglichen Symptomen einer Sepsis und schickte innerhalb von drei Stunden eine Warnung an die Behandler:innen, die diese bestätigen oder falsifizieren konnten. Patient:innen, bei denen die Warnung durch die Behandler bestätigt wurde, wiesen eine reduzierte Mortalität auf.13 Weiss: „Wenn ich den Patienten nicht dauernd sehe, ist es hilfreich, wenn mir das System mitteilt, wenn es zu relevanten Veränderungen kommt.“
Zusammenfassung
Zusammenfassend hält Weiss fest, dass bei Infektabwehr und pathologischer Inflammation ähnliche Immunmechanismen relevant sind. Entzündungsbiomarker sind daher oft nicht diagnostisch – jedoch wichtig für den Verlauf. Bislang wurde nur CRP als Point-of-Care-Marker bei respiratorischen Infektionen hinreichend untersucht. „Differenzialdiagnostische“ Biomarker sind hingegen nicht ausreichend spezifisch. In der Klinik zählen Vortestwahrscheinlichkeit, gezielte Testanforderungen, Kenntnis der Tests und Interpretation des Ergebnisses. Weiss: „Diagnostische Rundumschläge enden oft in falschen therapeutischen Konsequenzen. Die Interpretation der Befunde muss immer in Zusammenhang mit der Klinik, der Anamnese, der Bildgebung, dem Verlauf und dem therapeutischen Ansprechen erfolgen. Künstliche Intelligenz kann eine unterstützende Rolle übernehmen. Ein klinischer Zugang und der Einsatz von Hausverstand sind jedoch besser.“
Quelle:
„Inflammationsparameter – hilfreich oder verwirrend“; Vortrag von Univ.-Prof. Dr. Günter Weiss, Innsbruck, im Rahmen des ÖIK am 11.April 2024 in Saalfelden
Literatur:
1 Smedemark SA et al.: Cochrane Database Syst Rev 2022; 10(10): CD010130 2 Aabenhus R et al.: J Antimicrob Chemother 2017; 72(8): 2385-91 3 Vijajan AL et al.: J Intensive Care 2017; 5: 51 4 Bellmann-Weiler R et al.: J Clin Microbiol 2010; 48(5): 1915-7 5 Nielsen ND et al.: Antibiotics 2024; 13(3): 272 6 Juneja D et al.:J Anaesthesiol Clin Pharmacol 2023; 39(3): 458-62 7 Huang DT et al.: N Engl J Med 2018; 379: 236-49 8 Kamat IS et al.: Clin Infect Dis 2020; 70(3): 538-42 9 Jukic A et al.: Gut 2021; 70(10): 1978-88 10 Reisinger AC et al.: Infection 2024; 52(1): 249-252 11 Huang YH et al.: Crit Care Med 2023; 51(5): e106-e114 12 Gao CA et al.: J Clin Invest 2023; 133(12): e170682 13 Adams R et al.: Nat Med 2022; 28(7): 1455-60
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