
Was ein Fellowship im Ausland bedeutet
Autor:
Priv.-Doz. DDr. Georg Haymerle
ehemaliger HNO-Facharzt,
Kopf- und Hals-Chirurg
Gründer von The Nature Conversations GmbH
Küssnacht am Rigi, Schweiz
Fellowships gelten als Meisterschule der chirurgischen Ausbildung. Sie bieten eine operative Spezialisierung, Intensität und Fallzahl, die viele europäische Programme nicht abbilden können. Am Beispiel eines Kopf-Hals-Fellowships in Sydney wird deutlich, was diese Form der Weiterbildung leisten kann – und warum wir in Europa dringend umdenken sollten.
Keypoints
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Ein Fellowship ist eine Vertiefung der klinisch operativen Fähigkeiten, das nach der Facharztausbildung absolviert werden kann.
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Fellowships dauern meist ein bis zwei Jahre und werden in hochspezialisierten Zentren angeboten.
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Die Bewerbung sollte drei bis fünf Jahre im Voraus erfolgen und genau geplant werden.
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Neben der Erweiterung des medizinischen/handwerklichen Könnens erlernen Fellows selbstständiges Arbeiten in einem interdisziplinären und internationalen Umfeld.
Was ist ein Fellowship?
Ein Fellowship ist eine klinisch-operative Spezialisierung nach der Facharztausbildung. In Australien, den USA oder Kanada dauert es meist ein bis zwei Jahre und findet in hochspezialisierten Zentren mit klarer Supervision statt. Fellows stehen fünf bis sechs Tage pro Woche im OP, betreuen Patient:innen auf der Station und in der Ambulanz – und übernehmen Schritt für Schritt mehr Verantwortung.
Ziel ist, nach dem Fellowship eigenständig komplexe Eingriffe durchführen zu können – inklusive Komplikationsmanagement.
Wie bekommt man ein Fellowship?
Fellowships werden international ausgeschrieben und stehen prinzipiell allen offen, die sich in fortgeschrittener Ausbildung befinden. Die Bewerbung erfolgt oft drei bis fünf Jahre im Voraus. Ein entscheidender Schritt ist das sogenannte Observership – ein ein- bis zweiwöchiger Besuch vor Ort. Dabei begleitet man das Team im klinischen Alltag und lernt Abläufe und Kultur kennen.
Die eigentliche Bewerbung umfasst Lebenslauf, Motivations- und Empfehlungsschreiben – aber entscheidend ist etwas anderes: die persönliche Kompatibilität.Die Frage ist: Passe ich menschlich ins Team? Kann ich mir vorstellen, dass mir Patient:innen anvertraut werden? Und bringe ich eine Haltung mit, die nicht nur „nehmen“, sondern auch „geben“ will?
Kopf-Hals-Chirurgie in Sydney
2018 war ich Fellow am Chris O’Brien Lifehouse, einem auf Tumorerkrankungen spezialisierten gemeinnützigen Spital in Sydney (Abb.1). Die ersten sechs Monate rotierte ich zwischen fünf verschiedenen Spitälern in Sydney und Wollongong. Besonders in Wollongong war das Team multidisziplinär: Allgemeinchirurg:innen, plastische Chirurg:innen, HNO- und Kieferchirurg:innen – alle fokussiert auf Kopf-Hals-Chirurgie. Unter der Woche führten sie Tumorchirurgie durch, nachts auch Appendektomien oder einmal wöchentlich Mammachirurgie.
Die zweite Hälfte des Fellowships verbrachte ich ausschließlich mit Prof. Jonathan Clark, einem führenden Experten für Knochentumoren und rekonstruktive Chirurgie. Die Zusammenarbeit war eng, präzise und fordernd – auf einem Niveau, das ich so vorher nie erlebt hatte.
Zahlen, die für sich sprechen
Im Laufe des Jahres habe ich an 379 Operationen mitgewirkt – darunter 79 freie Lappenplastiken in folgenden Bereichen:
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33x ALT („anterolateral thigh“)
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19x RFFF („radial forearm free flap“)
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10x Fibula
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3x Iliac Crest
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2x Groin Flap
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3x Latissimus dorsi
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2x Scapula
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1x Gracilis
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1x ulnar
Im selben Jahr wurden am Chris O’BrienLifehouse insgesamt 7487 Operationen durchgeführt – eine Zahl, die die operative Dichte und Spezialisierung eindrucksvoll unterstreicht.
Was mir dieses Jahr gebracht hat:
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operative Routine in komplexen Tumorfällen
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Sicherheit in mikrochirurgischen Rekonstruktionen
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Selbstständigkeit im Komplikationsmanagement
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interdisziplinäre Zusammenarbeit auf Augenhöhe
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internationale chirurgische Standards und Perspektiven
Rückkehr mit klarem Zielbild und chirurgischer Reife
Die Rückkehr nach einem solchen Jahr verändert alles: die eigene chirurgische Sicherheit, das Verständnis für Verantwortung, die interdisziplinäre Perspektive – und die persönliche Haltung gegenüber Ausbildung. Man lernt nicht nur Techniken, sondern auch Haltungen.
Heute bin ich überzeugt: Ein Fellowship ist das beste Instrument, um chirurgische Reife zu beschleunigen. Es ist aber auch ein Test für das System – ob es bereit ist, seine besten Leute loszuschicken, damit sie stärker zurückkommen.
Hürden statt Unterstützung
Meine Bewerbung begann 2014 – mit viel Vorlauf. Die Rückmeldung meiner Heimatuniversität lautete: „nicht im Sinne der Institution“. Es gab keine finanzielle Unterstützung, keine Anerkennung.
Das Fellowship-Gehalt lag bei etwa der Hälfte des heimischen Niveaus, sämtliche Kosten (Visum, Anreise, Unterkunft) trug ich selbst. Und dennoch war es die wertvollste Ausbildungserfahrung meiner Karriere.
Fazit: Förderung statt Frustration
Fellowships sind kein Luxus – sie sind ein essenzieller Baustein chirurgischer Ausbildung.
Es braucht:
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strukturelle Förderung für Bewerbungen, Freistellung und Rückkehr
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Bewusstsein für den Mehrwert, den Rückkehrer:innen in die Abteilungen bringen
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eine Kultur der Wertschätzung für Ärzt:innen, die den Mut haben, für ihre Weiterbildung neue Wege zu gehen
Denn wer ein Jahr lang chirurgisch wächst, bringt mehr mit zurück als Technik: Perspektive, Exzellenz – und die Bereitschaft, dieses Wissen weiterzugeben.
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