
Neues zur Therapie des Zervixkarzinoms
Autor:
Assoz. Prof. Priv.-Doz. Dr. Christoph Grimm
Leiter Gynäkologische Onkologie, Universitätsklinik für Frauenheilkunde, Medizinische Universität Wien
E-Mail: christoph.grimm@meduniwien.ac.at
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Die Therapie des Zervixkarzinoms hat sich sowohl operativ als auch insbesondere im Bereich der Systemtherapie kontinuierlich weiterentwickelt. Im Bereich der operativen Therapie hat sich speziell die Sentinel-Technik durch die Einführung von Indozyanin-Grün (ICG) zunehmend etabliert. Im Bereich der Systemtherapie hat vor allem die Immuntherapie, die teilweise bereits neuer Standard ist, rasanten Einzug gehalten.
Neuerungen in der operativen Therapie
Die größten Änderungen in der operativen Therapie des lokalen Zervixkarzinoms beziehen sich einerseits auf die Etablierung der Sentinel-Technik und andererseits auf den operativen Zugangsweg.
Sentinel-Lymphknoten-Technik
Die Etablierung der Sentinel-Technik begann im Wesentlichen mit der Einführung von Indozyanin-Grün (ICG). Die FILM-Studie zeigte als erste randomisiert kontrollierte Studie die Überlegenheit in der Detektion von SNL-Lymphknoten gegenüber anderen Techniken wie z.B. Patentblau.1 Weitere Studien zeigten die Sicherheit dieser Technik insbesondere bei Tumoren <2cm und mit Abstrichen auch bei Tumoren <4cm. Essenziell ist hierbei die strikte Einhaltung eines SNL-Protokolls. Das heißt: Wenn unilateral kein eindeutiger SNL-Lymphknoten dargestellt werden kann, wird einerseits eine unilaterale systematische Lymphadenektomie durchgeführt und andererseits nach aberranten Lymphbahnen gesucht, die z.B. weiter medial verlaufen und direkt präsakral bzw. in weiterer Folge paraaortal münden können.2 Die Einführung dieser Technik führt zu einer deutlichen Reduktion der Morbidität der pelvinen Lymphadenektomie.
Zugangsweg
Die operative Schlüsselstudie beim Zervixkarzinom ist sicherlich die LACC-Studie.3 Diese Studie schloss 631Patientinnen mit einem lokalen Zervixkarzinom zwischen FIGO 1a1 mit Risikofaktoren und FIGO 1b1 ein. Die Patientinnen wurden 1:1 in einen laparoskopischen und einen offenen OP-Zugang randomisiert. Die OP zeichnete sich durch eine besonders hohe operative Qualitätssicherung und strenge Kriterien für die teilnehmenden Zentren aus. Die Studie zeigte ein eindeutiges schlechteres krankheitsfreies Überleben (HR: 3,74 [1,63–8,58]), schlechteres progressionsfreies Überleben (HR: 3,88 [1,79–8,41]) und sogar Gesamtüberleben (HR: 6,00 [1,77–20,3]) für den laparoskopischen Zugangsweg. Dies bestätigte sich für praktisch alle Subgruppenanalysen. Die einzige Subgruppe, bei der sich dieses schlechtere Outcome nicht bestätigte, waren Tumoren, die vorab komplett durch eine Konisation entfernt wurden. Dass dieses Ergebnisse eventuell durch die kleine Anzahl an Patientinnen in dieser Gruppe oder andere Confounder verursacht wurde, kann nicht ganz ausgeschlossen werden. Zahlreiche retrospektive Studien beschäftigen sich seitdem mit diesem Thema und führten zu kontroversiellen Ergebnissen, sodass aktuell zwei große multinationale Studien initiiert werden, die die Ergebnisse der LACC-Studie überprüfen werden. Aktuell führte diese Studie dazu, dass die meisten Zentren weltweit die (modifiziert) radikale Hysterektomie mit offenem Zugang durchführen.
Komplettierungsoperation bei Lymphknoten-positivem Zervixkarzinom
Im Rahmen der multizentrischen, retrospektiven ABRAX-Studie wurden 515 Patientinnen mit primärem Zervixkarzinom und intraoperativ detektiertem positivem Lymphknoten untersucht.4Alle Patientinnen zeigten präoperativ keinen Hinweis auf suspekte Lymphknoten in der Bildgebung. Somit erhielt die erste Gruppe eine pelvine Lymphonodektomie, keine weitere Operation des Uterus und eine primäre Radiochemotherapie (Standardtherapie) und die zweite Gruppe eine pelvine Lymphonodektomie, eine radikale Hysterektomie und eine zusätzliche adjuvante Radio(chemo)therapie (experimentelle Therapie). In dieser Studie zeigte sich kein Unterschied zwischen den zwei Gruppen bezüglich Rezidivrisiko (HR: 1,15, p=0,45), Lokalrezidiv (HR: 0,84, p=0,56) und Tod (HR: 1,06, p=0,78). Die Daten bezüglich der Toxizität der jeweiligen Therapien sind aufgrund des retrospektiven Designs der Studie eher limitiert und nur sehr eingeschränkt beurteilbar.
Aufgrund dieser Ergebnisse ist eine weitere sehr große randomisierte Non-Inferiority-Studie zu dieser Fragestellung extrem unwahrscheinlich. Die ABRAX-Studie zeigt keinen Vorteil einer komplettierenden radikalen Hysterektomie bei positiven Lymphknoten vor primärer Radiochemotherapie. Somit sollte bei Patientinnen mit intraoperativ detektierten positiven Lymphknoten die Operation abgebrochen und direkt eine primäre Radiochemotherapie durchgeführt werden.
Neuerungen in der Systemtherapie
Adjuvante Chemotherapie nach primärer Radiochemotherapie
In die Phase-III-Studie OUTBACK wurden 900 Patientinnen mit lokal fortgeschrittenem Zervixkarzinom und geplanter kurativer Radiochemotherapie (RCT) eingeschlossen.5 Die Studie untersuchte die alleinige Radiochemotherapie vs. Radiochemotherapie und anschließende Gabe von 4 Zyklen Carboplatin (AUC5)/Paclitaxel (155mg/m2) (RCT+ADC). Dabei zeigte sich kein signifikanter Unterschied im primären Endpunkt Gesamtüberleben (5-Jahres-OS RCT: 71% vs. RCT+ADC: 72%, HR: 0,90 [0,70–1,17]), auch nicht beim sekundären Endpunkt progressionsfreies Überleben (5-Jahres-PFS RCT: 61% vs. RCT+ADC: 63%, HR: 0,86 [0,69–1,07]). Darüber hinaus zeigte sich in den ersten 6Monaten eine etwas schlechtere Lebensqualität in der RCT+ADC-Gruppe, die ab dem 12.Monat jedoch wieder vergleichbar mit der RCT-Gruppe war. Die adjuvante Gabe von 4 Zyklen Carboplatin/Paclitaxel kann somit bei Patientinnen mit lokal fortgeschrittenem Zervixkarzinom nach kurativer Radiochemotherapie nicht empfohlen werden.
Therapie des primär metastasierten, progredienten bzw. rezidivierten Zervixkarzinoms
Hier gibt es insbesondere zwei Studien, die sich sehr schnell in der klinischen Praxis etablierten:
Die KEYNOTE-826-Studie verglich Pembrolizumab mit Placebo – in beiden Gruppen in Verbindung mit einer platinhaltigen Kombinationschemotherapie.6, 1 In dieser Phase-III-Studie wurden 617 Patientinnen mit persistentem/rezidiviertem/metastasiertem Zervixkarzinom eingeschlossen, die bisher keine Chemotherapie – außer konkomitante Radiochemotherapie – erhalten hatten. Die Patientinnen wurden 1:1 in Paclitaxel+Carboplatin/Cisplatin (max. 6 Zyklen)±Bevacizumab+Pembrolizumab (200mg q3w, max. 35 Zyklen) oder Paclitaxel+Carboplatin/Cisplatin±Bevacizumab+Placebo randomisiert. Dabei zeigte sich ein signifikanter Unterschied für den primären Ko-Endpunkt Gesamtüberleben für die Kohorte CPS >1 (medianes OS Pembro: nicht erreicht vs. Placebo: 16,3 Monate, HR: 0,64 [0,50–0,81]) und für die unselektionierte Kohorte (medianes OS Pembro: 24,4 Monate vs. Placebo: 16,5 Monate, HR: 0,67 [0,54–0,84]). Diese signifikanten Unterschiede zeigten sich auch für den primären Ko-Endpunkt progressionsfreies Überleben. In den Subgruppenanalysen zeigte sich einzig für die Kohorte CPS <1 kein PFS- und OS-Benefit.
Die vorliegende Studie zeigte eine Verbesserung des Gesamtüberlebens durch die Kombination von Pembrolizumab mit der Standardtherapie (platinhaltige Kombinationschemotherapie ± Bevacizumab). Diese Vierfachtherapie stellt somit den neuen Standard in diesem Setting dar. Lediglich die Kohorte mit negativem CPS dürfte eher nicht von der zusätzlichen Verabreichung von Pembrolizumab profitieren.
In die Phase-III-Studie EMPOWER-cervical1 wurden 608 Patientinnen mit rezidiviertem/metastasiertem Zervixkarzinom eingeschlossen.7 Alle Patientinnen hatten zumindest eine Linie Chemotherapie erhalten, 49% Patientinnen eine Vortherapie inkl. Bevacizumab. Sie wurden 1:1 in Cemiplimab 350mg Fixdosis oder einer Monochemotherapie für maximal 96Wochen randomisiert. Dabei zeigte sich ein signifikanter Unterschied im primären Endpunkt Gesamtüberleben (medianes OS Cemiplimab: 12,0 Monate vs. Placebo: 8,5 Monate, HR: 0,69 [0,56–0,84]) zwischen den beiden Gruppen in der ITT-Population (unselektioniert für Biomarker). Auch in der prädefinierten PD-L1-positiven Subgruppe (Immunzellen >1% PD-L1-positiv) zeigte sich ein signifikanter Unterschied im Gesamtüberleben. Das Nebenwirkungsprofil zeigte keine neuen Sicherheitssignale für Cemiplimab. Die vorliegende Studie zeigte eine Verbesserung des Gesamtüberlebens durch Cemiplimab im Vergleich zu einer Standard-Monochemotherapie bei stark vortherapierten Patientinnen mit Zervixkarzinom. Diese Studie belegt eine wirksame und gut verträgliche Therapiealternative für Patientinnen, die aktuell praktisch keine wirksame Therapieoption haben.
Zukünftige Entwicklung
Eine sehr interessante Medikamentengruppe, die in der nahen Zukunft ihren Einzug in die gynäkologische Onkologie im Allgemeinen und beim Zervixkarzinom im Speziellen halten wird, sind die sogenannten ADC („antibody-drug conjugates“). Dieser Begriff bezeichnet Medikamente, die einerseits aus einem Antikörper bestehen, der möglichst gezielt an Tumorzellen binden kann, und andererseits aus einem Wirkstoff, der die Tumorzellen zerstören kann. Im Bezug auf das Zervixkarzinom ist Tisotumab-Vedotin (TV) eine der am weitesten entwickelten Substanzen. In einer kombinierten Phase-I-/Phase-II-Studie zeigte diese Substanz in unterschiedlichen Therapielinien und unterschiedlichen Kombinationen durchaus hohe Ansprechraten und vielversprechende Therapiedauern: Erstlinie TV plus Pembrolizumab objektives Ansprechen (ORR) 40,6%, mediane Dauer des Ansprechens (DOR in Monaten) nicht erreicht (2,8–21,9); Zweitlinie und Drittlinie TV plus Pembrolizumab ORR 38,2%, mediane DOR 14,0 (2,8-NR); Erstlinie TV plus Carboplatin ORR 54,5%, mediane DOR 8,6 (4,2–11,5).1,7,8 Eine randomisierte Phase-III-Studie mit TV beim Zervixkarzinom läuft aktuell bereits an.
Zusammenfassung
Im Bereich der operativen Therapie kam es einerseits zu einer Deeskalation der Operation durch den Einsatz von ICG im Bereich des Sentinel-Lymphknotens. Dies führt zu einer deutlichen Reduktion der operativen Belastung für Patientinnen mit lokalem Zervixkarzinom. Andererseits zeigten sich ein erhöhtes Rezidivrisiko und sogar schlechteres Gesamtüberleben durch den Einsatz der Laparoskopie bei der (modifiziert) radikalen Hysterektomie. Dies führte zu einem kompletten Umstieg auf einen offenen operativen Zugang.
Im Bereich der Systemtherapie konnte eine Eskalation der Therapie bei Patientinnen mit primärer Radiochemotherapie und zusätzlicher anschließender Chemotherapie wegen tumorbedingter Risikofaktoren keinen Vorteil für diese Patientinnen zeigen und wird daher in der klinischen Praxis nicht mehr eingesetzt. Die Checkpointinhibitoren haben die systemische Therapie des Zervixkarzinoms – sowohl in der Primärtherapie als auch in der Rezidivtherapie – ganz wesentlich bereichert und zählen teilweise bereits zur Standardtherapie in diesen Therapielinien. In den nächsten Jahren werden ADC das Therapiespektrum des Zervixkarzinoms bereichern.
Literatur:
1 Frumovitz M et al.: Near-infrared fluorescence for detection of sentinel lymph nodes in women with cervical and uterine cancers (FILM). Lancet Oncol 2018; 19(10): 1394-403 2 NCCN Guidelines Version 1.2022 “Cervical Cancer” www.nccn.org 3 Ramirez PT et al.: Minimally Invasive versus Abdominal Radical Hysterectomy for Cervical Cancer. N Engl J Med. 2018; 379(20):1 895-1904 4 Cibula D et al.: Completion of radical hysterectomy does not improve survival of patients with cervical cancer and intraoperatively detected lymph node involvement.Eur J Cancer 2021; 143: 88-100 5 Mileshkin L et al.: Adjuvant chemotherapy following chemoradiation as primary treatment for locally advanced cervical cancer compared to chemoradiation alone: The randomized phase III OUTBACK Trial (ANZGOG 0902, RTOG 1174, NRG 0274). LBA3 – ASCO 2021 6 Colombo N et al.: KEYNOTE-826 Investigators. Pembrolizumab for persistent, recurrent, or metastatic cervical cancer. N Engl J Med 2021; 385(20): 1856-67 7 Tewari KS et al.: Investigators for GOG Protocol 3016 and ENGOT Protocol En-Cx9. Survival with Cemiplimab in Recurrent Cervical Cancer. N Engl J Med. 2022 10; 386(6): 544-555 8 Lorusso D et al.: Tisotumab vedotin (TV) + pembrolizumab (pembro) in first-line (1L) recurrent or metastatic cervical cancer (r/mCC). J Clin Oncol 2022 40:16_suppl, 5507-5507
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