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„Die Kostenexplosion muss dringend gebremst werden“

„Das Gesundheitssystem fährt an die Wand“ – das las ich Mitte Jänner in der „Kronen Zeitung“. Zitiert wurde unser Gesundheitsminister Johannes Rauch. Er wolle das System reformieren, hieß es, auch wenn er sich „den Schädel einrenne“. Ein hehres Vorhaben, aber ich frage mich, ob sich unser lieber Minister daran nicht die Zähne ausbeißen wird.

2019 gab Österreich 10,4% seines Bruttosozialproduktes für die Gesundheit aus. Damit standen wir an dritter Stelle der 27 EU-Länder, getoppt nur noch von Deutschland und Frankreich. Seit 2005 ist der Anteil stetig gestiegen. 2021 waren es 12,2% – was 49 Milliarden Euro entspricht – und 2005 waren es nur knapp die Hälfte. Wenn wir so weitermachen, fehlt uns bald das Geld, um wirklich kranke Menschen behandeln zu können. Unsere Politiker vermitteln oft, wir hätten das beste Gesundheitssystem der Welt, aber das stimmt nicht. Gemäß dem Europäischen Gesundheitskonsumenten-Index stand Österreich im Jahr 2018 nur an neunter Stelle von insgesamt 35. Warum schafft es unser Gesundheitssystem nicht unter die ersten drei, wo wir so viel Geld dafür ausgeben?

Die Gründe für die Kostensteigerung sind vielfältig. Zum einen steigt die Lebenserwartung stetig, und die Menschen haben quasi mehr Zeit, Gesundheitsleistungen zu konsumieren. Zum anderen ist unsere Medizin so gut, dass viele Patienten an ihrer Krankheit nicht zeitnah sterben, sondern oft noch Jahre oder gar Jahrzehnte leben. Aber moderne, gezielte Therapien kosten enorm. Abgesehen davon stehen uns heute viel mehr Möglichkeiten zur Verfügung, bestimmte Probleme zu behandeln, die wir früher nicht behandeln konnten und ergo auch kein Geld dafür ausgeben mussten. Nur ein paar Beispiele: künstliche Befruchtung, Betreuung von extrem untergewichtigen Frühgeborenen, prophylaktische Mastektomie bei Brustkrebsgen-Positivität oder pränatale Operationen im Uterus. Das Problem liegt aber auch in den Bedürfnissen von Arzt und Patient. Beide gehen von einer „bestmöglichen Medizin“ aus. Der Patient will, dass für jegliche seiner Beschwerden umgehend ein Arzt und Diagnostik zur Verfügung stehen, die er kostenlos in Anspruch nehmen kann. Der Arzt will nicht nur eine gute Behandlung anbieten, sondern sich auch gegen Haftungsfehler rechtlich absichern. Es ist klar, dass er hierfür ein Maximum an Diagnostik und Therapie wählt, die vielleicht in dem Umfang nicht notwendig wären.

Die Kostenexplosion muss dringend gebremst werden, und hierfür braucht es keine leeren Versprechungen, sondern innovative neue Ansätze. Schritt eins, der im Gegensatz zu späteren Schritten ethisch unproblematisch ist: rationalisieren. Im Moment lässt die Sozialversicherung, die vor allem für den niedergelassenen Bereich zuständig ist, diesen „verhungern“ und drängt darauf, dass möglichst viele Patienten stationär behandelt werden. Dort muss sie nur einen bestimmten Teil der Behandlungskosten zahlen und den Rest übernimmt der Spitalträger. Die Spitäler dürfen sich das nicht gefallen lassen. Zusätzlich könnte das Gesundheitssystem aus einer Hand finanziert werden. Gibt es nur einen Zahler, wird der sich gut überlegen, wo er sein Geld investieren soll, um eine exzellente gesundheitliche Versorgung mit möglichst wenig finanziellem Aufwand zu erreichen.

Nur zu rationalisieren, wird aber nicht genügen, wir müssen auch rationieren. Es darf nicht mehr unreflektiert jede Behandlung und jede Diagnostik zu jeder Zeit für jeden zur Verfügung stehen. Besteht der Patient weiterhin darauf, unbedingt sofort eine Maximalmedizin zu bekommen, und bietet der Arzt weiterhin das Bestmögliche an, um ein Geschäft zu machen und sich rechtlich abzusichern, führt das unweigerlich zu stetig steigenden Kosten. Um diese Spirale zu durchbrechen, stehen uns verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung. Erstens könnten wir einen Selbstbehalt einführen wie in der Schweiz, zum Beispiel 10%. Der Patient wird sich dann sehr gut überlegen, ob er wegen jeder Kleinigkeit einen Arzt aufsuchen will. Zweitens kann man das Angebot reduzieren. Dadurch entstehen dem Patienten Wartezeiten, sodass er sich auch hier wieder fragen wird, ob sein Problem so gravierend ist, dass er zum Arzt muss. Doch Vorsicht: Hier muss natürlich ein Triagesystem gewährleisten, dass Patienten mit ernsten Beschwerden zeitnah einen Termin bekommen. Eine dritte Möglichkeit wäre ein duales Finanzierungssystem, wie es auch in Deutschland der Fall ist, mit den individuellen Gesundheitsleistungen. Die Basismedizin, also Behandlungen, bei denen ein Nutzen wissenschaftlich belegt ist, müsste durch detaillierte, strikt einzuhaltende Leitlinien definiert werden. Aber Maßnahmen, deren Wirksamkeit nicht nachgewiesen ist, sollte der Patient selbst zahlen.

Jede Strategie hat natürlich ihre Schwächen. Beim Selbstbehalt besteht die Gefahr, dass ökonomisch schwächere Bevölkerungsgruppen gesundheitliche Nachteile erleiden. Sie verzichten womöglich lieber auf den eigentlich dringenden Arztbesuch, weil sie ja etwas dazuzahlen müssten. Führt man flächendeckend Leitlinien ein, muss dafür die wissenschaftliche Evidenz sorgsam recherchiert werden und die Leitlinien müssen laufend an den Stand des Wissens angepasst werden. Hält man das Angebot knapp und bietet beispielsweise nur an bestimmten Tagen Sprechstunden an, stellt sich die Frage, ob parallel dazu eine Privatmedizin erlaubt sein darf, was den Weg in eine Zweiklassenmedizin oder in Medizintourismus ebnen würde.

Welche der vorgeschlagenen Strategien sich am besten eignen, bleibt abzuwarten. Erst einmal müssen unsere Politiker – aber auch Ärzte und Patienten – handeln und dürfen das Problem nicht weiter ignorieren.

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