
Schwangere Ärztinnen: „Schutz ja, Verbot nein“
Bericht: Mag. Christine Lindengrün
Bei der Jahrestagung der OEGGG im Juni in Linz wurden nicht nur aktuelle medizinische Fragen aufgegriffen. Es wurde auch in eigener Sache diskutiert, etwa darüber, ob schwangere Ärztinnen operieren dürfen.
Das österreichische Mutterschutzgesetz (MSchG) aus dem Jahr 1979 ist „wichtig und sinnvoll“, wie Dr. Alexandra Ciresa-König (Innsbruck) betonte. Allerdings kann es für klinisch tätige Ärztinnen zum Karrierehindernis werden. Denn ab Bekanntgabe der Schwangerschaft ist der Dienstgeber verpflichtet, die schwangere Dienstnehmerin vor potenziell gesundheitsgefährdenden Situationen zu schützen. Im Krankenhausbetrieb wird das oft so interpretiert, dass die Mitarbeiterin von jeglichem Kontakt mit Patienten befreit wird. Das wiederum steht im Konflikt mit den in der Ausbildungsordnung der Ärztekammer festgelegten Obergrenzen von Fehltagen für Basis-, Grund- und Sonderfachausbildung sowie mit den für die Ausbildung notwendigen Fallzahlen für Operationen.
Durch schwangerschaftsbedingte Nichtbeschäftigung entsteht nicht nur eine Lücke in der individuellen Aus- und Fortbildung, sie bringt auch finanzielle Nachteile, wenn für die Berechnung des Wochengeldes der Verdienst der letzten 3 Monate herangezogen wird. Wenn dieser keine Überstunden und Sonn- und Feiertagsentgelte enthält, ist das Wochengeld bei Ärztinnen deutlich geringer als ihr normaler Verdienst. „Inzwischen gibt es allerdings die Möglichkeit, nicht die letzten 3 Monate, sondern die 3 Monate vor Meldung der Schwangerschaft zur Berechnung des Mutterschutzgeldes heranzuziehen“, erklärt Ciresa-König. „Dies ist aber noch nicht allgemein bekannt und es muss aktiv darum angesucht werden.“
Fakt ist, dass viele klinisch tätige Ärztinnen ihre Schwangerschaft so lange wie möglich nicht bekanntgeben. Das ist natürlich keine gute Lösung, weil sie dann ja auch nicht von den vorteilhaften Bestimmungen des Mutterschutzgesetzes profitieren können.
Mag. Dr. Karin Windsperger (Wien) präsentierte die Ergebnisse einer Umfrage unter 503 chirurgisch tätigen Ärzt*innen in Österreich, 70% davon Frauen. Demnach besteht bei der großen Mehrheit der Befragten (93,2%) der ausdrückliche Wunsch, auch in der Schwangerschaft – unter Einhaltung von Schutzbestimmungen – operativ tätig sein zu dürfen, um das Vorankommen in der operativen Ausbildung nicht zu gefährden. „Die Karrierechancen für Ärztinnen in chirurgischen Fachdisziplinen könnten damit deutlich gesteigert werden“, so Windsperger.
In der Umfrage wurde auch nach Komplikationen und Beschwerden in vorangegangenen Schwangerschaften gefragt. „Die Raten waren bei operierenden und nichtoperierenden Kolleginnen in etwa gleich hoch“, berichtete Windsperger.
Ein Vorzeigeprojekt aus Deutschland präsentierte Prof. Dr. Bettina Toth (Innsbruck): OPidS (Operieren in der Schwangerschaft) hat 2018 eine Novellierung des deutschen Mutterschutzgesetzes bewirkt, indem ein Beschäftigungsverbot für Schwangere nur bei „unverantwortbarer Gefährdung“ in Kraft tritt. Die Tätigkeit im OP-Saal gilt per se nicht als solche. Die Gefährdung am Arbeitsplatz wird individuell beurteilt. Im Positionspapier „Operieren in der Schwangerschaft“ gibt es für Arbeitgeber Handlungsempfehlungen dazu (www.opids.de).
Österreichischen Arbeitnehmerinnen rät Toth, gemeinsam mit den Vorgesetzten Konzepte für die individuelle Karriereplanung zu besprechen, damit Schwangerschaft und Kinder nicht zur Karrierebremse werden.
Schwangeren Ärztinnen sollte die Möglichkeit des Operierens und der Arbeit am Patienten geboten werden, wenn sie das wünschen – so die einhellige Meinung bei der anschließenden Podiumsdiskussion. Es sollte aber daraus kein Druck entstehen, wie betont wurde. Eine Lockerung des MSchG dürfe nicht dazu führen, dass werdende Mütter sich gezwungen sehen, alle Arbeiten im Klinikbetrieb wie gewohnt durchzuführen. Die Entscheidung müsse individuell frei getroffen werden können. Wer Schutz benötigt, soll diesen auch weiterhin bekommen. Das österreichische MSchG erfülle sehr hohe Standards, und das sei auch gut so. Aber seit 1979 haben sich die Arbeits- und Sicherheitsbedingungen in der ärztlichen Tätigkeit sehr verbessert. Eine zeitgemäße Regelung wäre wünschenswert, um die Chancengleichheit für Frauen in chirurgischen Fächern zu gewährleisten.
Quelle:
Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (OEGGG), 15.–18. Juni 2022, Linz
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