Das Aufklärungsgespräch: Was ist aus rechtlicher Sicht wichtig?
Autor:
HR Doz. (FH) Dr. Lukas Stärker
Kammeramtsdirektor
Österreichische Ärztekammer
Wien
E-Mail: l.staerker@aerztekammer.at
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Jeder Patient hat das Recht, vom Arzt über den eigenen Gesundheitszustand, mögliche Diagnose- und Behandlungsarten, die Risiken und Folgen dieser Diagnose- und Behandlungsarten und voraussichtlich anfallende Kosten aufgeklärt zu werden. Erfolgen soll all dies in einer Art, die den Umständen angemessen ist. Dabei lauern so einige Fallstricke, die zu langwierigen Schadenersatzklagen führen können.
Keypoints
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Die Wirksamkeit der Einwilligung des Patienten setzt eine umfassende Aufklärung voraus, erforderlich sind Diagnose-, Behandlungs- und Risikoaufklärung.
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Die Aufklärung hat zeitlich so zu erfolgen, dass der Patient eine ausreichende Überlegungsfrist hat.
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Was zugesagt wurde, ist einzuhalten.
Aufklärungspflicht – Eckpunkte
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Grundlage für eine Haftung wegen Verletzung der Aufklärungspflicht ist in erster Linie das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, in dessen körperliche Integrität durch den ärztlichen Eingriff eingegriffen wird (s. a. Art 3 [2] lit a EU-Grundrechtecharta, Art 6 EuV).
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Der Patient muss in die jeweilige konkrete Behandlungsmaßnahme einwilligen.
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Fehlt es daran, so ist die Behandlung grundsätzlich rechtswidrig, auch wenn der Eingriff selbst medizinisch indiziert und lege artis durchgeführt wurde.
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Die Wirksamkeit der Einwilligung des Patienten setzt eine umfassende Aufklärung voraus, erforderlich sind Diagnose-, Behandlungs- und Risikoaufklärung.
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Aufzuklären ist nicht nur über allfällige alternative Behandlungsmethoden, sondern vor allem auch über die Art und Schwere sowie die möglichen Gefahren und die schädlichen Folgen einer Behandlung (vgl. OGH 17. 5. 2020, 7 Ob 51/20f) sowie über typische Risiken, wie etwa über Unsicherheiten beim Schnellschnittverfahren gegenüber einem endgültigen histologischen Befund (OGH 18. 12. 2017, 9 Ob 72/17d).
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Wie sind Patienten aufzuklären?
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So, dass der Patient es versteht
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Über „Op-immanente“ Risiken
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Über Nebenwirkungen und Therapieverhalten
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Darüber, was zu tun ist, sowie auch über das Risiko einer Unterlassung
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Über Behandlungsalternativen
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Ist der Umfang abhängig von der Dringlichkeit der Behandlung, sollte die Aufklärung zeitgerecht erfolgen – d.h. so, dass der Patient eine ausreichende Überlegungsfrist hat; dies inkludiert eine Orientierung an Schwere und Dringlichkeit des Eingriffs.
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Am besten sollte der behandelnde Arzt aufklären, denn er kennt die geplanten Abläufe am besten.
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Tipp 1:
Individualisieren Sie den Aufklärungsbogen und konkretisieren Sie ihn hinsichtlich des konkreten Patienten, dessen Alter, Gewicht, dessen Fragen etc. Ein bloßes Unterschreiben reicht nicht (u.a. OGH 18.7.2018 5 Ob 75/18t)!
Tipp 2:
Sagen Sie beim Aufklärungsgespräch lieber einen Satz mehr als einen zu wenig!
Verlagerung der Haftungsfälle
Haftungsfälle verlagern sich. Der Trend geht dahin, Schadenersatz wegen angeblicher Aufklärungsmängel zu verlangen. Dies liegt daran, dass das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch (ABGB) die idente Sanktion vorsieht, egal, ob es sich um einen massiven Behandlungsfehler oder um einen Aufklärungsmangel handelt. Dabei wird von den Gerichten in bestimmten Fällen leider die Eigenverantwortlichkeit der Patienten wenig bis kaum berücksichtigt. Beispiele hierfür sind …
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die Aufforderung an einen Patienten nach einer Knie-OP, sein Knie zu bewegen, auch wenn es wehtue. Diesfalls hätte der Patient wohl 2 Handlungsalternativen gehabt: entweder sein Knie zu bewegen, auch wenn es wehtut, wie vom Arzt angekündigt; oder: Wenn er dies schmerzbedingt nicht schafft, dann wäre eine Rückmeldung beim Arzt fällig gewesen. In diesem Fall wählte der Patient Variante 3: nicht bewegen, nicht melden und dann Schadenersatz verlangen. Der Oberste Gerichtshof (OGH) gab ihm leider recht, denn laut OGH fehlte die Info über das Risiko bei Unterlassung der Bewegung.
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Die Aufforderung „Sie gehen mir in die Risikoambulanz“ an eine schwangere Akademikerin: Der Gynäkologe hat vollkommen lege artis gehandelt, er hatte einen Verdacht, aber laut OGH fehlten Begründung und Info über das Risiko der Unterlassung.
Wie aufzuklären ist
Ganz allgemein hält der OGH jedoch fest, dass Patienten so aufzuklären sind, dass sie ihr Selbstbestimmungsrecht ausüben können, wobei es vollkommen in Ordnung sei, Anforderungen an den natürlichen Menschenverstand zu stellen. Ebenso gibt es natürlich auch eine Vielzahl an erfolgten Aufklärungen, die auch einer gerichtlichen Überprüfung standhielten, sprich vom OGH als vollkommen in Ordnung bezeichnet wurden (vgl. OGH 4.8.2009, 9 Ob 64/08i=ASok 2010,57 [Stärker]).
Zur Rechtzeitigkeit der Aufklärung – „Überlegungsfrist“
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Konkrete Vorgaben bestehen z.B. bei Schönheitsoperationen (2 Wochen, §6 ÄsthOpG, siehe dazu u.a. OGH 6 Ob 120/18t).
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Eine Aufklärung 1 Tag vor einer Magenbypass-Operation, einem komplizierten Eingriff, wurde als zu spät beurteilt (OGH 3 Ob 179/23d).
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Ebenso wurde eine Aufklärung 1 Tag vor einer Umstellungsosteotomie des Beckens, einem komplexen Eingriff, als zu spät qualifiziert (OGH 1 Ob 252/15p).
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Bei leichten Eingriffen, z.B. einer „herkömmlichen Hüftgelenks-OP“, wurde in bestimmten Fällen auch eine Aufklärung am Tag vor der Operation als zeitgerecht beurteilt (OGH 7 Ob 64/11d), vor allem dann, wenn ein Ersatztermin in Aussicht gestellt wurde (OGH 1 Ob 107/20x).
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Bei einer dringenden unfallbedingten Bänderrissoperation wurde eine 10 Stunden vor dem Eingriff erfolgte Aufklärung als ausreichend beurteilt (OGH 7 Ob 46/00s).
Facette „Erinnerungsvermögen“
Aufgrund der langen Verfahrensdauer und der Vielzahl an Aufklärungsgesprächen, die Ärzte durchführen, ist es nachvollziehbar, dass man sich nicht an jedes erfolgte Aufklärungsgespräch im Detail erinnern kann. Ganz anders ist dies bei Patienten, die sich an das eine Aufklärungsgespräch – da für sie logischerweise ein Ausnahmefall – besser erinnern können. „Moderne“ Richter sind sich dessen bewusst und erwarten daher auch keine direkte Erinnerung von Ärzten an ein bestimmtes, teilweise Jahre zurückliegendes Aufklärungsgespräch, sondern erkundigen sind im Verfahren nach dem Ablauf des üblichen Aufklärungsprozedere und werten dieses dann in ihrer freien Beweiswürdigung.
Weitere Facetten
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Ein Patient muss seinen Arzt für eine Befundbesprechung zurückrufen, wenn dieser ihn kontaktiert (OGH 20.2.2020, 6 Ob 17/20y).
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Sofern relevant, ist im Zuge des Aufklärungsgesprächs auch die Möglichkeit zu besprechen, dass sich während der OP die Notwendigkeit eines weiteren Eingriffs ergibt.
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Was zugesagt wurde, ist einzuhalten. Es ist daher nicht zielführend, die Durchführung einer Operation zuzusagen und diese dann nicht durchzuführen. Selbst „nur“ dabei gewesen zu sein, ist diesfalls zu wenig (vgl. OGH 15.9.2021, 7 Ob 124/21t).
Tipp 3:
Sagen Sie im Zuge der Aufklärung nichts zu, was Sie dann im weiteren Verlauf nicht einhalten!
Zu den Gerichtsprozessen
Leider ist eine lange Verfahrensdauer Realität, sowohl bei zivilrechtlichen als auch bei strafrechtlichen Verfahren. Dies ist eine massive Zusatzbelastung für Betroffene. Auch kennen die Prozessordnungen für die Zivil- und Strafverfahren keine Vorgaben, wie lange ein Verfahren maximal dauern darf. Mittlerweile ist es so, dass die lange Verfahrensdauer auch prozessstrategisch mitzudenken ist. Tendenziell hilft sie eher der Klägerseite, denn diese will den Prozess ja. Mitzubedenken ist weiters, dass ein Verfahren Zeit, Geld und Nerven kostet. Die lange Verfahrensdauer widerspricht weiters nicht nur Art 6 Abs 1 EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention), der von einer „angemessenen Verfahrensdauer“ spricht, sondern untergräbt den Rechtsstaat und führt bei den Betroffenen zu Gefühlen des „Ausgeliefertseins“ und der „Ohnmacht“. In diesem Zusammenhang kommen auch die Richter ins Spiel: Sind diese Entscheider oder Verwalter des Verfahrens und damit bloße Streit- bzw. Verfahrensadministratoren?
Conclusio
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Kleiner Unterschied – große Wirkung: besser eine um einen Satz umfangreichere Aufklärung als ein Satz zu wenig.
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Machen Sie keine „billigen“ Fehler.
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Individualisieren Sie den Aufklärungsbogen.
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Klären Sie so auf, dass Ihr Patient es versteht.
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