Arzthaftung: Vorgehen bei haftungsrechtlichen Konflikten
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Die meisten haftungsrechtliche Konflikte kündigen sich schleichend an. Ärzte sollten typische Frühwarnsignale erkennen, um rechtzeitig reagieren zu können. Durch besonnenes Vorgehen werden viele Beschwerdefälle im Vorfeld geklärt bzw. beigelegt.
Keypoints
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Ein Behandlungsfehler betrifft die nicht ordnungsgemäße fachlicheDurchführung, der Aufklärungsfehler die fehlende Autonomieentscheidung des Patienten.
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Ein fehlerhaftes medizinisches Ergebnis allein führt nicht zwingend zur Klage – entscheidend ist, wie der Arzt mit der Situation umgeht.
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Sobald ein möglicher Schadensfall erkennbar ist, muss die Haftpflichtversicherung vom Arzt informiert werden.
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Wird der Vorwurf formal erhoben, sollte ein auf Medizinrecht spezialisierter Rechtsanwalt kontaktiert werden.
Grundlagen und Begriffe
Die ärztliche Behandlung erfolgt in Österreich in der Regel auf Basis eines Behandlungsvertrags zwischen Arzt und Patient. Dieser kann ausdrücklich oder konkludent – etwa durch die Inanspruchnahme einer Untersuchung – zustande kommen. Aus diesem Vertrag ergeben sich beiderseitige Rechte und Pflichten: Der Arzt schuldet eine Behandlung nach den anerkannten Regeln der medizinischen Wissenschaft, der Patient schuldet die Mitwirkung und Zahlung der vereinbarten Honorare, soweit sie nicht durch Sozialversicherungsträger übernommen werden.
Rechtlich ist der Behandlungsvertrag ein Werkvertrag eigener Art, der Elemente des Dienstvertrags in sich trägt, da der Arzt keinen konkreten Heilungserfolg schuldet, sondern eine fachgerechte Bemühung um diesen Erfolg. Maßgebend ist §1299 ABGB (Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch), wonach ein Arzt jene Sorgfalt anzuwenden hat, die von einem Angehörigen seines Berufes mit durchschnittlicher Qualifikation erwartet werden kann.
Abgrenzung Behandlungsfehler – Aufklärungsfehler
Ein Behandlungsfehler liegt vor, wenn der Arzt bei der Diagnose, Therapie oder Nachsorge gegen den aktuellen fachärztlichen Standard verstößt. Der medizinische Standard ergibt sich aus der anerkannten medizinischen Wissenschaft, klinischen Leitlinien, Fachliteratur und der herrschenden Praxis unter vergleichbaren Umständen. Der Behandlungsfehler kann verschiedene Formen annehmen:
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Diagnosefehler: Fehlinterpretation von Symptomen oder Laborwerten, unzureichende Differenzialdiagnose;
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Therapiefehler: Anwendung einer falschen oder überholten Methode, Dosierungsfehler, unterlassene Kontrolluntersuchungen;
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Organisationsfehler: mangelhafte Praxisorganisation, fehlende Abstimmung im Team, unklare Verantwortlichkeiten;
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Befunderhebungsfehler: Unterlassene Anamnese, nicht durchgeführte Untersuchungen oder unzureichende Dokumentation.
Rechtlich relevant ist der Behandlungsfehler nur, wenn er kausal für einen Gesundheitsschaden des Patienten war. Zwischen dem Behandlungsfehler und dem Gesundheitsschaden muss also ein ursächlicher Zusammenhang bestehen.
Ein Aufklärungsfehler liegt vor, wenn der Arzt den Patienten nicht ausreichend über die Diagnose, Behandlung, Risiken, Erfolgsaussichten oder geeignete im Sinne von gleichwertigen Behandlungsalternativen informiert hat. Die ärztliche Aufklärungspflicht dient der Selbstbestimmung des Patienten und ist Voraussetzung für dessen wirksame Einwilligung in den Eingriff. Wird der Patient unzureichend aufgeklärt, fehlt es an einer rechtmäßigen Einwilligung – der Eingriff ist dann selbst rechtswidrig, wenn medizinisch korrekt behandelt wurde.
Behandlungsfehler und Aufklärungsfehler haben unterschiedliche Schutzzwecke. Der Behandlungsfehler betrifft die ordnungsgemäße fachliche Durchführung, der Aufklärungsfehler die Autonomieentscheidung des Patienten. Ein Arzt kann beides zugleich verwirklichen – etwa wenn er sowohl falsch behandelt als auch unzureichend aufgeklärt hat.
Im Streitfall muss der Patient zunächst behaupten und beweisen, dass ein Fehler (Behandlungs- und/oder Aufklärungsfehler) vorliegt. Bei der Aufklärungspflicht besteht jedoch eine Beweislastumkehr: Der Arzt muss nachweisen, dass er ordnungsgemäß aufgeklärt hat, in der Regel durch Dokumentation und Aufklärungsbogen.
Der Vorwurf
Warum Patienten klagen – psychologische und kommunikative Faktoren
Die Entscheidung eines Patienten, rechtliche Schritte zu setzen, ist selten ausschließlich medizinisch motiviert. Häufig stehen Kommunikationsdefizite, enttäuschte Erwartungen oder das Gefühl, nicht ernst genommen worden zu sein, im Vordergrund. Ein fehlerhaftes medizinisches Ergebnis allein führt selten zur Klage – entscheidend ist, wie der Arzt mit der Situation umgeht. Unzureichende Information, mangelnde Transparenz oder abweisendes Verhalten wirken konfliktverschärfend. Eine sachliche, empathische Kommunikation hingegen kann viele Auseinandersetzungen vermeiden.
Frühwarnsignale – wie sich ein drohender Konflikt ankündigt
Viele haftungsrechtliche Konflikte kündigen sich schleichend an. Ärzte sollten typische Frühwarnsignale erkennen, um rechtzeitig reagieren zu können. Dazu zählt, dass der Patient plötzlich die komplette Krankengeschichte anfordert, es eine ungewöhnlich detaillierte Nachfrage zu Behandlungsabläufen oder verwendeten Materialien gibt, ein Angehöriger oder eine Begleitperson die Kommunikation übernimmt, der Patient seine Unzufriedenheit in emotionaler oder konfrontativer Weise äußert oder der Patient „zur Sicherheit“ Befunde kopieren oder Zweitmeinungen einholen läßt. Diese Verhaltensweisen bedeuten nicht zwingend, dass eine Klage bevorsteht – sie sollten aber den Arzt sensibilisieren.
Die Anforderung der Krankengeschichte
Wenn ein Patient die Herausgabe seiner Krankengeschichte verlangt, ist dies sein legitimes Recht und jeder Patient hat Anspruch auf Einsicht und kostenlose Kopie seiner Krankenunterlagen. Das umfasst alle relevanten medizinischen Dokumente, nicht aber interne Aufzeichnungen oder persönliche Notizen, die nur für den Arzt bestimmt sind. Die Herausgabe sollte zeitnah, vollständig und nachvollziehbar erfolgen. Verzögerungen oder selektive Übermittlungen können Misstrauen verstärken und als Versuch gewertet werden, etwas zu verbergen. In der Praxis empfiehlt es sich, eine Kopie der übermittelten Unterlagen in der eigenen Akte zu behalten, um spätere Nachfragen oder Missverständnisse nachvollziehen zu können.
Der Oberste Gerichtshof (OGH) hat in mehreren Entscheidungen klargestellt, dass die Übermittlung der Krankengeschichte unentgeltlich zu erfolgen hat. In der Entscheidung 6Ob233/23t führte der OGH aus, dass das Einsichts- und Kopierrecht Teil des verfassungsrechtlich geschützten Selbstbestimmungsrechts des Patienten ist. Zudem ergibt sich dieses Recht aus Art. 15 DSGVO (Datenschutz-Grundverordnung), wonach jede betroffene Person Anspruch auf kostenlose Auskunft über ihre personenbezogenen Daten hat. Die Rechtsprechung ist hier eindeutig: Die Herausgabe darf nicht als lästige Pflicht, sondern als gesetzlich verbrieftes Patientenrecht verstanden werden. Nur in Ausnahmefällen, etwa bei wiederholter Anforderung oder besonders aufwendiger Reproduktion, dürfen Kostenersätze verlangt werden.
Der erste Kontakt mit dem unzufriedenen Patienten
Kommt es zu einer direkten Konfrontation, etwa am Telefon oder in der Ordination, ist Ruhe und Professionalität oberstes Gebot. Viele Konflikte eskalieren, weil der Arzt überrascht oder defensiv reagiert. Der Patient sollte ernst genommen werden, ohne dass sofort eine rechtliche Bewertung vorgenommen wird.
Das Ziel ist nicht, den Patienten zu überzeugen, sondern die Situation zu stabilisieren. Der Arzt darf Verständnis zeigen, ohne ein Fehlverhalten einzuräumen. Zwischen Empathie und Schuldeingeständnis besteht ein deutlicher Unterschied. Der Arzt sollte jedoch keinen Fehler anerkennen, da dies zu einer Obliegenheitsverletzung gegenüber seiner Haftpflichtversicherung führen kann. Stattdessen sollte er verständnisvoll auf die Beschwerde reagieren und dem Patienten – sofern tatsächlich ein Fehler vorliegt – mitteilen, dass er seine Haftpflichtversicherung informiert und allenfalls auch einen Kollegen für die weitere medizinische Versorgung des Patienten empfiehlt, damit dieser sich mit seinen Gesundheitsproblemen nicht alleine zurückgelassen fühlt. Jedes empathische Gespräch ist empfehlenswerter als die totale Zurückweisung des Patienten.
In der Praxis neigen Ärzte manchmal dazu, unangenehme Konflikte zu ignorieren oder zu vermeiden. Diese Strategie – bildlich als „Vogel-Strauß-Taktik“ bezeichnet – ist juristisch und psychologisch kontraproduktiv. Meine persönlichen Erfahrungen zeigen, dass mindestens etwa 30 bis 50% aller Konflikte beigelegt werden könnten, wenn der Beschwerdefall professionell und empathisch abgewickelt wird.
Sobald ein möglicher Schadenfall erkennbar ist – also bereits bei einer Beschwerde, Anforderung von Unterlagen oder anwaltlichem Schreiben –, muss die Haftpflichtversicherung vom Arzt sofort informiert werden. Zudem empfiehlt sich die Kontaktaufnahme mit einem Rechtsanwalt, welcher auf Medizinrecht spezialisiert ist, zur Abwehr von (ungerechtfertigten) Ansprüchen.
Der Umgang mit anwaltlichen Schreiben
Erhält der Arzt ein Schreiben von einem Anwalt, einer Patientenanwaltschaft oder einer anderen Institution, ist dies ein formelles Signal, dass die Situation in eine rechtliche Phase übergegangen ist. Ab diesem Zeitpunkt sollte der Arzt nicht mehr eigenständig agieren. Das wichtigste Prinzip lautet, Ruhe zu bewahren und keine Selbstverteidigung vornehmen. Jede unbedachte Äußerung oder schriftliche Antwort kann im späteren Verfahren gegen den Arzt verwendet werden. Auch „klarstellende“ Schreiben, die gut gemeint sind, können in einem Verfahren ein Problem darstellen.
Sobald ein anwaltliches Schreiben eingeht, besteht die Pflicht zur unverzüglichen Meldung an die Haftpflichtversicherung. In der Regel schlägt die Haftpflichtversicherung einen Rechtsanwalt vor, welcher die weitere Vertretung übernimmt. Sobald der Vorwurf formal erhoben wird, sollte zeitnahe ein auf Medizinrecht spezialisierter Rechtsanwalt kontaktiert bzw. beauftragt werden. Dieser kennt nicht nur die juristischen Grundlagen, sondern auch die medizinischen Abläufe und die besondere Beweisführung im Arzthaftungsrecht. Der Rechtsanwalt übernimmt die Kommunikation mit dem Patienten oder dessen Rechtsvertreter, die rechtliche Bewertung des Falls, die Koordination mit der Haftpflichtversicherung und – falls notwendig – die Vertretung in einem Zivilverfahren und im schlimmsten Fall die Verteidigung im Ermittlungsverfahren, bevor es zu einer Anklageerhebung kommt.
Sobald ein Schriftstück oder eine Ladung von der Polizei oder Staatsanwaltschaft bei einem Arzt einlangt, ist unverzüglich ein Rechtsanwalt zu kontaktieren. Von einer Einvernahme – auch als Zeuge – ohne vorangegangene Rechtsberatung ist dringend abzuraten, da vielfach aus der Position „Zeuge“ plötzlich ein „Beschuldigter“ wird. Des Weiteren ist im Ermittlungsverfahren eine Einstellung des Strafverfahrens anzustreben, da ein Strafverfahren und insbesondere eine strafrechtliche Verurteilung eine enorme Belastung mit mitunter weitreichenden Folgen darstellt.
Die außergerichtliche Lösung
Haftpflichtversicherungen bzw Rechtsanwälte schlagen in manchen Fällen Schlichtungsverfahren vor, um eine außergerichtliche Lösung zu erreichen und ein Gerichtsverfahren hintanzuhalten. Dabei wird meist ein Gutachten zur objektiven Prüfung eines möglichen Arztfehlers eingeholt. In den meisten Fällen übernimmt die Haftpflichtversicherung die Kosten. Dennoch führen Schlichtungsverfahren nicht immer zu einem endgültigen Ergebnis.
Kommt es zur Klage, trägt grundsätzlich der Patient die Beweislast für das Vorliegen eines Behandlungsfehlers, eines Schadens und des ursächlichen Zusammenhangs. Bei Aufklärungsfehlern ist die Beweislast jedoch umgekehrt – der Arzt muss nachweisen, dass er korrekt aufgeklärt hat.
Neben der zivilrechtlichen Haftung kann ein Behandlungsfehler auch strafrechtliche Folgen haben – insbesondere als fahrlässige Körperverletzung oder fahrlässige Tötung. Solche Verfahren sind selten, da die Schwelle für die strafrechtliche Fahrlässigkeit hoch ist: Es muss eine grobe Sorgfaltsverletzung vorliegen. In der Praxis werden Strafverfahren häufiger eingestellt, da der Nachweis der groben Pflichtverletzung und der zwingende Nachweis der dadurch eingetretenen Gesundheitsschädigung nicht erfolgen.
Grundsätzlich ist eine außergerichtliche Schadensregulierung zu empfehlen – durch Einholung eines Sachverständigengutachtens in Absprache mit dem Patienten oder dessen Rechtsvertreter – um ein Gerichtsverfahren und damit einhergehend zeitaufwendige Termine beim Rechtsanwalt und auch vor Gericht zu vermeiden.
Literatur:
bei der Verfasserin
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