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Auf dem Holzweg in die Sackgasse
DAM
Autor:
Ihr Dr. Christian Euler
Präsident des ÖHV<br> E-Mail: ch.euler@a1business.at
30
Min. Lesezeit
08.09.2016
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<p class="article-intro">Über eine Schande, die sich endlich nicht mehr wegreden lässt.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>In der ersten Hälfte des Jahres 2010 trat der Hausärzteverband mit drei Veranstaltungen im Radiokulturhaus an die Öffentlichkeit. Die „Auf dem Holzweg in die Sackgasse“ benannte Trilogie machte für uns vorhersehbare soziale, wissenschaftliche und datenrechtliche Folgen der Gesundheitsreform zum Thema. Hochkarätige und vor allem unabhängige bis ärztekritische Experten waren unsere Gäste. Es ist alles andere als ein Erfolgserlebnis, zu sehen, wie berechtigt unsere Bedenken waren.<br /> <br /> Erster Abend: Sozialabbau durch Gesundheitsreform. Gäste: Martin Rümmele, Mag. Martin Schenk. Die Zweiklassenmedizin, Zuzahlungs- und Wahlarztmedizin sind in der Tagespresse angekommen. Nicht thematisiert werden bisher die durch das Forcieren der Gesundheitselektronik Zurückgelassenen. Es sind vor allem die älteren Menschen, denen man mehr und mehr ihre gewohnten Kommunikationsmöglichkeiten entzieht und die man dafür mit Möglichkeiten entschädigt, die ihnen noch nie abgegangen sind. Der renommierte Sozialwissenschaftler Prof. Ernst Gehmacher, oft Gast unserer Veranstaltungen, nennt die Voraus­setzungen für ein als sicher empfundenes Leben „Sozialkapital“ und sieht die Hausärzteschaft als wesentlichen Teil davon. Je älter der Mensch, desto wichtiger sei dies für ihn. Diese eine Vertrauensperson kann ihm keine Institution jemals ersetzen.<br /> <br /> Zweiter Abend: medizinische Erkenntnisse – erforscht oder erkauft. Gäste: Doz.in Claudia Wild, Dr.in Susanne Rabady. Die von den medizinisch ahnungslosen Gesundheitsreformern so kritiklos forcierte evidenzbasierte Medizin ist in Kritik geraten. Die Leitlinien- und „Best practice“-Manie übersieht geflissentlich die ökonomische Bedeutung dieser Vorgaben. Der um evidenzbasierte Medizin (EBM) seit Jahrzehnten engagiert bemühte Prof. Dr. John P. Ioannidis schreibt fast resignierend, dass die evidenzbasierte von der „finance“-basierten Medizin abgelöst wurde. Auch auf diesem Auge blieb die Sehkraft der Reformer in all den Jahren schwach. Dafür beschert uns der Umgang des Hauptverbandes mit der Pharmaindustrie Medikamentenkontingentierungen, Lieferengpässe, zunehmende ganz konkrete Mangelversorgung.<br /><br /> <br /> Dritter Abend: E-Medikation. Ein Schritt zu mehr Transparenz und Sicherheit oder in die Überwachungsmedizin. Gäste: Mag.a pharm Martina Anditsch, Mag. jur. Markus Lechner. Seit der völlig substanzlose Arzneimittelsicherheitsgurt 2009 in Salzburg von allen und jedem, der sich als Reformkraft profilieren wollte, in bedauernswerter Ahnungslosigkeit hochgejubelt worden ist, geistert die E-Medikation durch die Medien. Bei diesem Geisterdasein ist es bis heute geblieben. Im Echtversuch konnte dieses „Reformliebkind“ bisher keine Bewährungsprobe bestehen. Wenn auch, wie ich selbst im Rahmen einer Diskussionsveranstaltung hören konnte, der 2013 gescheiterte Pilotversuch rund um das SMZ Ost in Wien in der verklärenden Erinnerung der schon damals Mitverantwortlichen als Erfolg kommuniziert wird, war er doch ein Totalflop. Nach einer 3-jährigen Nachdenkpause läuft derzeit der Probebetrieb in und um Deutschlandsberg und wieder zeichnet sich ein Totalschaden ab. Aber: Wenn einmal ein Weg eingeschlagen wurde, dann wird er starrsinnig gegangen – auch wenn er in eine Sackgasse führt. Wohlgesinnte, freiwillige Teilnehmer an diesem Probebetrieb steigen aus, auch teilnehmende Apotheken bestätigen den dringenden Verbesserungsbedarf, die Verantwortlichen vermelden über Medien positive Rückmeldungen. Interessenvertreter von Seniorenbund bis Arbeiterkammer werden vergattert eine Pro-E-Medikation-Stellungnahme abzugeben, durch jeden Satz blitzt ihre Ahnungslosigkeit. Oberflächlich „gebrieft“ durch das Akzeptanzmanagement fordern justament Seniorenvertreter nachdrücklich ein, was ihrer Klientel zum Schaden gereichen wird.<br /> <br /> Die Wirklichkeit holt die leeren Versprechungen ein. Zuzahlungsmedizin, Medikamentenlieferengpässe, unbesetzte Hausarztstellen sind die Realität, ELGA, im Beson­deren E-Medikation und Primärversorgungszentren, sind das Rezept dagegen. Trotz lauter Lobpreisungen durch Patientenanwaltschaft und andere politisch Ermächtigte nimmt nichts davon Gestalt an. Der Mut und der Wille fehlen, die dringend nötigen Reformschritte des Gesundheitssystems jene planen und durchführen zu lassen, die dieses System tragen. Und sie tragen es nach wie vor, allerdings unter immer schwierigeren Rahmenbedin­gungen.</p></p>
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