
Wie gefährlich ist Covid-19 für Menschen mit Diabetes?
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Die pauschale Klassifizierung von Menschen mit Diabetes als Hochrisikogruppe in verschiedenen Stellungnahmen und Medienberichten hat in der Community zu einiger Verunsicherung geführt. Noch ist vieles unklar, aber von Woche zu Woche werden mehr Daten verfügbar, die eine differenzierte Sicht auf das Gefährdungspotenzial von Covid-19 für Menschen mit Diabetes und anderen chronischen Erkrankungen ermöglichen.
Menschen mit Diabetes mellitus haben im Vergleich zu Stoffwechselgesunden generell ein erhöhtes Risiko für Infektionen und für schwerere Verläufe von Infektionskrankheiten. Schwerwiegende „Signalinfektionen“ wie nekrotisierende Fasziitis, Fournier-Gangrän, nekrotisierende maligne Otitis externa oder Mukormykose betreffen praktisch ausschließlich Menschen mit Diabetes. Darüberhinaus treten vor allem Infektionen des Urogenitaltrakts, der Haut und respiratorische Infekte bei Menschen mit Diabetes gehäuft auf und haben häufiger eine Hospitalisierung oder Notfallbehandlung zur Folge.1, 2
Der Zusammenhang zwischen Hyperglykämie und erhöhter Infektanfälligkeit, insbesondere für Harnwegsinfektionen, Pilzinfektionen und respiratorische Infekte, ist gut belegt. Dabei sind neben glukotoxischen Effekten auf die Immunabwehr unter anderem Veränderungen der Hautbarriere sowie Neuropathien, die das Auftreten von Ulzerationen begünstigen, von Bedeutung.1 Eine konsequente Blutzuckerkontrolle gilt daher als Schlüsselmaßnahme zur Prävention von Infektionen bei Menschen mit Diabetes. Des Weiteren gelten, unabhängig von der Diabeteseinstellung, explizite Impfempfehlungen. So sieht der österreichische Impfplan für Personen mit Diabetes mellitus die Impfung gegen Pneumokokken (PNC13) mit Auffrischungen nach 6 Jahren sowie die jährliche Influenzaimpfung vor.3
Covid-19 bei Menschen mit Diabetes
Die US-amerikanische Seuchenüberwachungsbehörde (CDC) listet höheres Alter (ab dem 65. Lebensjahr), institutionalisierte Pflege, chronische bzw. schwerwiegende Erkrankungen der Lunge, des Herzens, der Nieren oder der Leber, krankheits- oder therapiebedingt reduzierte Immunabwehr, Adipositas (Body- Mass-Index [BMI] >40kg/m2), die Zugehörigkeit zu ethnischen Minderheiten und eben Diabetes als Hauptkriterien für ein erhöhtes Gesundheitsrisiko im Zusammenhang mit Covid-19.4
Trotz intensivster Publikationstätigkeit in den letzten Monaten gibt es zur Frage, welche Patientengruppen in welchem Ausmaß gefährdet sind, noch wenige belastbare Daten. Ein Grundproblem ist der Selektionsbias, der sich aus der Dunkelziffer der nicht erfassten Covid-19-Erkrankungen ergibt, ein weiteres Problem sind demografische Unterschiede zwischen Ländern wie China oder Korea, aus denen die ersten Erfahrungen berichtet wurden, und Europa, und nicht zuletzt die Unterschiede im medizinischen und gesundheitspolitischen Management der Pandemie in den einzelnen Staaten.
Mit großen regionalen Unterschieden gibt esunter Covid-19-Erkrankten eine Diabetesprävalenz von 20–50%.5 In einer US-amerikanischen Auswertung vom April hatten 28% der wegen Covid-19 stationär aufgenommenen Personen Diabetes, ebenso viele eine kardiovaskuläre Erkrankung und 35% eine chronische Lungenerkrankung; bei rund 50% lagen eine Hypertonie sowie eine Adipositas vor.6
Erste Hinweise darauf, dass Covid-19-Erkrankungen bei Menschen mit Diabetes einen schwereren Verlauf nehmen könnten, lieferte eine Auswertung von 70000 vermuteten oder bestätigten Fällen in China bis Februar 2020. Demnach war die Covid-19-bedingte Mortalität bei Menschen mit Diabetes um 7% erhöht – fast so stark wie bei Personen mit kardiovaskulärer Erkrankung, die bei 11% lag, und ähnlich stark wie bei respiratorischen Erkrankungen, Hypertonie sowie Tumorerkrankungen (jeweils rund 6%).7 Zudem weisen weitere Publikationen aus China, den USA und auch Europa in dieselbe Richtung.5, 8, 9
Stärkster Risikofaktor ist das Alter
Relativiert wird die Rolle von Diabetes mellitus als unabhängiger Covid-19-Risikofaktor allerdings dadurch, dass Diabetes mit zunehmendem Alter prävalenter wird und häufig mit Adipositas, Hypertonie und Herz-Kreislauf-Erkrankungen assoziiert ist. Beispielsweise ergab eine Auswertung von rund 5300 Patienten mit schwerer Covid-19-Erkrankung aus dem US-Bundestaat New York, in der die Interaktionen möglicher Einflussfaktoren statistisch berücksichtigt wurden, für Personen mit Diabetes ein um den Faktor 2,8 signifikant erhöhtes Hospitalisierungsrisiko. Diabetes trug damit zum Hospitalisierungsrisiko nicht stärker bei als Adipositas, Herzinsuffizienz oder eine chronische Nierenerkrankung. Der mit Abstand stärkste Risikofaktor für Hospitalisierung und kritischen Covid-19-Verlauf war das Alter.10 In Übereinstimmung zeigt eine aktuelle chinesische Publikation, dass Menschen mit Diabetes häufiger Covid-19-bedingt sterben als Infizierte ohne Diabetes, dass aber insbesondere Alter und Hypertonie unabhängige Determinanten des Mortalitätsrisikos darstellen11 (vergleiche dazu die Altersverteilung der Covid-19-assoziierten Todesfälle in Österreich; Abb. 1).
Abb. 1:Covid-19-assoziierte Todesfälle in Österreich nach Altersgruppen (Stand: 22. Juni 2020, Quelle: Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz)
In der Ende Mai publizierten französischen CORONADO-Studie (1317 Personen mit überwiegend Typ-2-Diabetes) waren Alter, BMI, das Vorliegen von mikro- oder makrovaskulären Komplikationen, obstruktive Schlafapnoe sowie erniedrigte glomeruläre Filtrationsrate unabhängige Risikofaktoren für die Studienendpunkte Tod oder Intubation innerhalb von 7 Tagen nach Spitalsaufnahme. Keine Rolle spielte in dieser Analyse die HbA1c-Einstellung.12
Das in der „Covid-19-Risikogruppe-Verordnung“ des Gesundheitsministeriums13 enthaltene Kriterium eines regelmäßig erhöhten HbA1c-Werts (Typ-1-Diabetes: >7,5%; Typ-2-Diabetes: >8,5%) zur arbeitsrechtlichen Einstufung als Covid-19-Risikopersonen ist aus medizinischer Sicht daher zu hinterfragen; in Summe deckt sich der Kriterienkatalog in der Verordnung (Diabetes mit Endorganschädigung; fortgeschrittene chronische Niereninsuffizienz; chronische Herzerkrankungen mit Endorganschädigung, die dauerhaft therapiebedürftig sind; arterielle Hypertonie mit bestehenden Endorganschädigung oder nicht kontrollierbarer Blutdruckeinstellung; Adipositas mit BMI ≥40kg/m2) aber gut mit dem aktuellen Erkenntnisstand.
Bericht:
Dr. Albert Brugger
Quelle:
Nach Vorträgen von H. Brath, H. Sourij und S. Kaser im Rahmen des Webinars „Praktische Aspekte bei Covid-19 und anderen Infektionen“ (19. Mai 2020; organisiert von Novo Nordisk Österreich)
Literatur:
1 Pearson-Stuttard J et al.: Lancet Diab Endocrinol 2016; 4: 148-58 2 Korbel L, Spencer JD: J Diabetes Complications 2015; 29: 192-95 3 Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz, Impfplan Österreich 2020 4 Centers for Disease Control and Prevention, https://www.cdc.gov/coronavirus/2019-ncov/need-extra-precautions/people-at-higher-risk.html 5 Bornstein SR et al.: Lancet Diab Endocrinol 2020; 8: 546-50 6 Garg S et al.: CDC Weekly 2020; 69: 458-64 8 Wu Z et al.: JAMA 2020; 323: 1239-42 8 Yang J et al.: Int J Infect Dis 2020; 94: 91-5 9 Remuzzi A, Remuzzi G: Lancet 2020; 395: 1225-8
10 Petrilli CM et al.: BMJ 2020; 369: m1966 11 Shi Q et al.: Diabetes Care 2020; 43: 1382-91 12 Cariou B et al.: Diabetologia 2020 May 29; online ahead of print 13 Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz: Verordnung über die Definition der allgemeinen COVID-19-Risikogruppe (COVID-19-Risikogruppe-Verordnung). Ausgegeben am 7. Mai 2020
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