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ÖDG-Pressekonferenz

Weltdiabetestag 2022 – Stellenwert von Lebenszeit und Lebensqualität

Am 10. November 2022, wenige Tage vor dem Weltdiabetestag am 14.11.2022, veranstaltete die Österreichische Diabetes Gesellschaft (ÖDG) eine Pressekonferenz. Die Fachgesellschaft hat sich als oberstes Ziel gesetzt, immer wieder auf die Erkrankung Diabetes mellitus aufmerksam zu machen und aufzuzeigen, dass die Erkrankung für Betroffene noch besser managebar sein kann.

Keypoints

  • Die steigende Anzahl an Menschen mit Diabetes ist u. a. durch die demografisch immer älter werdende Bevölkerung bedingt.

  • 2 von 3 Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankung leiden an einem Diabetes mellitus.

  • Die HbA1c-Bestimmung wird seit 2021 von der Kasse übernommen.

  • Die Therapieadhärenz von Menschen mit Diabetes ist für den Therapieerfolg besonders entscheidend.

  • Im therapeutischen Management des T1D gilt es BZ-Werte in einem gewissen Blutzuckerzielbereich zu halten, wozu Hybrid-Closed-Loop-Systeme eine besondere Erleichterung für Betroffene und Familien gebracht haben.

  • Stigmatisierungen zeigen, dass das Allgemeinwissen über Diabetes in der Bevölkerung noch zu gering ist.

Die stetig ansteigende Anzahl an Menschen mit Diabetes zeigt: Diabetes mellitus ist vergleichbar mit einer Epidemie – manche sprechen sogar von einer Pandemie. „Die Sterbedaten in Österreich liegen bei 79436 Todesfällen, und sie sindin ganz Europa ähnlich. Jeder Zehnte ist betroffen, jeder Achte stirbt an den Folgen des Diabetes“, so die einleitenden Worte von Prim. Univ.-Prof. Dr. Martin Clodi, Präsident der ÖDG und Abteilungsvorstand der Inneren Medizin im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder Linz. Diabetes mellitus gilt mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Karzinomen als führende Todesursache in Europa. Daten aus den USA zeigen, dass die Anzahl an Menschen mit Diabetes von 9,9% (im Jahr 2000) auf 14,3% im Jahr 2018 angestiegen ist, was nahezu einem Anstieg um 45% entspricht.1 In Europa liegen wir diesbezüglich noch 5 Jahre weiter zurück.

Clodi spricht von dramatischen Zahlen: „In den USA sind 30% aller über 65-Jährigen betroffen, während jeder Fünfte der 45-Jährigen betroffen ist – in Österreich sind es noch ein bisschen weniger.“ Die Gesundheit Österreich GmbH (GÖK) hat im Jahr 2020 eine Zahl von ca. 730000 bis 880000 an Diabetes betroffenen Versicherten bei den österreichischen Gesundheitskassen erhoben, was mehr als bisher angenommen ist.

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Abb. 1: Die Österreichische Diabetes Gesellschaft am Weltdiabetestag (von links nach rechts: OA Dr. Michael Resl, Univ. Priv-Doz. Dr. Maria Fritsch,Prim. Univ.-Prof. Dr. Martin Clodi, Thomas Führer)

Diabetes mellitus – eine Pandemie?

Die Diabetespandemie ist u.a. auch durch die demografische Entwicklung der Gesellschaft bedingt. Übergewicht und Adipositas sind Risikofaktoren für die Entstehung eines Diabetes mellitus. 50% der über 70-Jährigen sind übergewichtig, 20% adipös und jeder Dritte hat Diabetes. Und im Jahr 2030 werden die geburtenstärksten Jahrgänge Österreichs, also jene Menschen die um dasJahr herum 1963 geboren wurden, fast dieses Alter erreicht haben. Die Diabetespandemie wird zusätzlich aber auch durch die zunehmende Bewegungsfaulheit bedingt. Das Bewegungsausmaß hat seit 1965 um 40% abgenommen. „Die sitzende Tätigkeit nahm von 25 Wochenstunden auf 38 Wochenstunden zu“, so Clodi.

Diabetes mellitus ist eine dramatische Erkrankung, die durch die direkten Schäden an den Gefäßen und an den Zellen zu vielen Komplikationen führen kann. 60% aller Patienten, die mit einem akuten Herzinfarkt ins Krankenhaus kommen, haben Diabetes oder Prädiabetes. 63% sind es bei Schlaganfallpatienten und 83% bei Herzinsuffizienzpatienten. Zusammengefasst leiden 2 von 3 Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankung an einem Diabetes mellitus.

Frühe Diagnose

„Durch die HbA1c-Bestimmung beim Hausarzt, die seit 2021 von der Kasse übernommen wird, ist ein Diabetes relativ gut und leicht zu entdecken. Im Schnitt wird er jedoch 5 bis 8 Jahre zu spät diagnostiziert“, so Clodi. Er betont einmal mehr die Relevanz von Diabetestestungen ab dem 45. Lebensjahr und vielleicht sogar schon früher, wenn es eine familiäre Belastung gibt bzw. wenn andere Risikofaktoren vorliegen (Übergewicht, körperliche Inaktivität, kardiovaskuläre oder sonstige Erkrankungen, Bluthochdruck).

Therapieadhärenz und kardiovaskuläre Prognose

Die Therapieadhärenz ist etwas, das alle Ärzte Menschen mit chronischen Erkrankungen dringend nahelegen – so auch Menschen mit Diabetes. „Es ist ganz wichtig, zu begreifen, dass nicht nur eine Schachtel Medikamenteeingenommen werden muss, sondern dass die meisten Medikamente jahrelang – über 10 bis 30 Jahre – eingenommen werden müssen“, betont Clodi. Die Adhärenz von Menschen mit Diabetes zur Therapieihrer Erkrankung ist besonders entscheidend – auch in puncto Bewegungstherapie und Gewichtsreduktion.

Studien zeigen, dass bereits bei der Vorstufe zu Diabetes (Prädiabetes) das Herzinfarktrisiko, das kardiovaskuläre (CV) Risiko und auch die Sterblichkeit erhöht sein können. OA Dr. Michael Resl, Vizepräsident der ÖDG, verweist auf die Wichtigkeit, Prädiabetes zu diagnostizieren und bereits in diesem Stadium zu therapieren. Vorrangig ist hier die Lebensstiltherapie, die über den Zeitraum von 15 Jahren zeigen konnte, dass sie das Auftreten von Diabetes melliltus Typ 2 um 27% reduzieren kann. Durch die UKPDS-Studie wissen wir, dass auch bei erst kürzlich diagnostiziertem Diabetes mellitus Typ 2 noch viele Jahre später Effekte einer frühen, intensiven Diabetestherapie nachweisbar sind („Legacy-Effect“). „Bei einer Therapie mit Metformin gab es damit eine Reduktion der Zahl der Myokardinfarkte um 30% und der Todesfälle um 25%“, so Resl.

Technische Neuerungen

Danach berichtete Univ. Priv-Doz. Dr. Maria Fritsch, Fachärztin für Pädiatrie an der Medizinischen Universität Graz und Vorstandsmitglied der ÖDG, über die neuesten Entwicklungen im Bereich des Typ-1-Diabetes. Über die gesamte Population gesehen ist dies die seltenere Form des Diabetes, aber sie macht 95% der Fälle von Diabetes im Kindesalter aus. In Österreich sind aktuell 1600 Kinder im Alter unter 15 Jahren betroffen. Weltweit ist die Anzahl der Neuerkrankungen an Typ-1-Diabetes pro Jahr seit 1989 von 22000 auf 100000 angestiegen. Genaue Ursachen der Erkrankung sind noch nicht bekannt.

Die therapeutische Herausforderung im Typ-1-Diabetes-Management liegt darin, Patienten in einem gewissen Blutzuckerzielbereich zu halten, um einerseits Komplikationen, die mit Unterzucker in Zusammenhang stehen, zu vermeiden (Bewusstlosigkeit, Krampfanfälle, …) und andererseits zu hohe Blutzuckerspiegel, die zu lebensgefährlichen diabetischen Ketoazidosen führen können, abzuwenden. Die Technologie der Hybrid-Closed-Loop-Systeme brachte hier nicht nur in medizinischer Hinsicht für dieBetroffenen, sondern auch für die Lebensqualität und in Hinsicht auf die psychosoziale Situation der betroffenen Familien eine deutliche Erleichterung.

Ein internationales Forschungsteam lieferte in einer multizentrischen Studie wissenschaftliche Daten zum Hybrid-Closed-Loop-System CamAPS FX. Die Zeit im Zielbereich konnte im Vergleich zur herkömmlichen Therapie von 62% auf 71% gesteigert werden. Umgerechnet sind das 2 Stunden pro Tag, in denen sich Kinder länger im Blutzuckerzielbereich befinden. „Zusammengefasst konnte mit dieser Studie unter österreichischer Beteiligung gezeigt werden, dass Hybrid-Closed-Loop-Systeme zu einer deutlichen Verbesserung des Glukosemanagements und zu einer deutlichen Verbesserung der psychosozialen Situation der Eltern führen“, so Fritsch.

Herausforderungen für junge Menschen mit Diabetes

Als Betroffener zu Gast war Thomas Führer, Sohn von DI Harald Führer, Präsident der Dachorganisation Diabetes Selbsthilfe Österreich. Thomas Führer ist selbst seit seinem 11. Lebensjahr von Typ-1-Diabetes betroffen und berichtet über Vorteile, die die Technologie der Closed-Loop-Systeme für ihn gebracht haben, aber auch von Stigmatisierungen (u.a. durch Lehrpersonen) und Herausforderungen in der Schule, die er als Kind bzw. Jugendlicher mit der Erkrankung erleben musste.

Im Rahmen des Projekts YLD (Young Leaders in Diabetes) der IDF (International Diabetes Foundation) bekam Thomas Führer die Gelegenheitzu einem Aufenthalt in Südkorea, bei dem er sich 5 Tage lang mit Betroffenen aus 60 anderen Nationen austauschen konnte. Seine Conclusio: „Es hat sich enorm viel getan in den letzten Jahren, aber vor allem im Bereich Schule und in Bezug auf das Allgemeinwissen über Diabetes in der Bevölkerung ist noch enorm viel zu tun.“ Im Zuge des YLD-Projekts und in Zusammenarbeit mit Karin Duderstadt ist die Plattform „Schüler für Schüler“ entstanden, die 6 Kurzvideos bereitstellt, in denen Betroffene online leicht und schnell mehr über die Basics des Lebens mit Typ-1-Diabetes erfahren können.

„Wir haben anscheinend noch sehr viel Aufklärungsarbeit zu leisten und noch viel zu tun“, fassten die Vortragenden der Pressekonferenz zusammen.

Pressekonferenz der Österreichischen Diabetes Gesellschaft am 10. November 2022

1 Wang et al.: JAMA 2021

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