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Positionspapier der Österreichischen Diabetesgesellschaft

Update: Diabetes mellitus & Straßenverkehr

Das Risiko für einen Verkehrsunfall ist für Menschen mit Diabetes nur 1,12- bis 1,19-fach höher als für die Allgemeinbevölkerung.Vergleichsweise ist das Risiko bei Schlafapnoesyndrom 2,4-fach und beim Vorliegen einer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) bis 4,4-fach erhöht.

Keypoints

  • Hypoglykämien und Hypoglykämiewahrnehmungsstörungen sind eine Gefahrenquelle für Verkehrsunfälle und das Vorgehen dahingehend ist gesetzlich geregelt.

  • Der Einfluss von Spätfolgen der Diabeteserkrankung auf den Straßenverkehr muss durch fachärztliche Stellungnahmen beurteilt werden.

  • Befristete Lenkerberechtigungen sind bei der Anwendung von Insulin, Sulfonylharnstoffen und Glinide obligat.

Prinzipiell sind Menschen mit Diabetes mellitus geeignet, ein Kraftfahrzeug zu lenken. Einige Besonderheiten, die die aktuelle Diabetestherapie und deren Nebenwirkungen sowie Spätfolgen der Erkrankung und ihre Ausprägung betreffen, sind jedoch zu beachten, um die Fahrsicherheit für Menschen mit Diabetes zu gewährleisten.Sie werden im Folgenden praxisnah erläutert.

RechtlicheGrundlagen

Da das Auftreten von schweren Hypoglykämien mit Bewusstseinstrübung oder -verlust bei Menschen mit Diabetes die häufigste Ursache von Unfällen ist, stehen schwere Hypoglykämien in der gesetzlichen Regelung im Fokus. Im Führerscheingesetz (FSG) Bundesgesetzblatt I (BGBl I) aus 1997 und in der Führerscheingesetz-Gesundheitsversorgung (FSG-GV, BGBI II 1997/322) sind für Menschen mit Diabetes wichtige Voraussetzungen für die Fahrsicherheit, die im Zusammenhang mit akuten und chronischen Komplikationen durch die Erkrankung auftreten können, geregelt. Bewusstseinsstörungen oder Bewusstseinsverlust, aber auch Augenerkrankungen mit Sehbeeinträchtigung sowie organische Erkrankungen des zentralen und peripheren Nervensystems, die das sichere Beherrschen des Kraftfahrzeuges beeinträchtigen können, werden gemäß §5 des FSG-GV als Gefahrenquelle bewertet. Im §11 des FSG-GV steht in 4 Absätzen die Hypoglykämie im Fokus. Wichtige Eckpfeiler sind hierbei, die Frequenz von schweren Hypoglykämien in den letzten 12 Monaten zu erheben und nach Hypoglykämiewahrnehmungsstörungen zu fragen. Weiters wird in diesem Paragrafen geregelt, wann die Notwendigkeit einer befürwortenden fachärztlichen Stellungnahme besteht, wobei das Einholen einer fachärztlichen Stellungnahme bei Diabetes mellitus nach dem Ablauf einer Lenkerbefristung gesetzlich immer vorgeschrieben wird. Für Lenker der Gruppe 1 heißt es wörtlich (§11 Abs. 4 FSG-GV):

(4) Zuckerkranken, bei denen innerhalb von 12 Monaten zwei Mal eine Hypogly-kämie aufgetreten ist, die eine Hilfe durch eine andere Person erforderlich macht (wiederholte schwere Hypoglykämien), sowie Zuckerkranken, die an Hypogly-kämie-Wahrnehmungsstörung leiden, darf eine Lenkberechtigung nur nach einer befürwortenden fachärztlichen Stellungnahme sowie unter der Auflage von Kontrolluntersuchungen und Nachuntersuchungen erteilt oder belassen werden. Bei wiederholten schweren Hypoglykämien im Wachzustand darf eine Lenkberechtigung erst drei Monate nach der letzten Episode erteilt oder verlängert werden.

Hypoglykämien und Hypoglykämie-wahrnehmungsstörung

Die gesetzlichen Regelungen betonen die enorme Bedeutung von Hypoglykämien mit Bewusstseinsstörung bzw. Bewusstseinsverlust, die unter Therapie mit bestimmten blutzuckersenkenden Medikamenten auftreten können. Zu diesen Medikamenten gehören Sulfonylharnstoffe, Glinide und Insulin, sodass eine Behandlung mit diesen Medikamenten immer eineBefristung der Lenkberechtigung nach sich zieht. In diesen Fällen ist der Führerschein zwingend auf maximal fünf Jahre (Gruppe1) bzw. 3 Jahre (Gruppe2) zu befristen (§ 11 Abs. 2 und 3 FSG-GV). In allen anderen Fällen – wenn keine Medikamente mit Hypoglykämierisiko zum Einsatz kommen – ist keine Befristung vorgeschrieben. Wäre im Einzelfall aus anderen Gründen eine Befristung erforderlich, muss dies genau begründet werden.

Die Tatsache, dass im Laufe der Zeit eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes nicht auszuschließen ist, wird laut Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (VwGH) als Befristungsbegründung nicht akzeptiert.

Wenn das Auftreten einer Hypoglykämie rechtzeitig durch Symptome wahrgenommen wird, kann zeitgerecht interveniert werden und in der Folge können neuroglukopenische Konsequenzen abgewendet werden. Daher ist das Vorkommen von Hypo-glykämien kein Ausschlussgrund für das Lenken eines Kraftfahrzeuges. Besteht jedoch eine Hypoglykämiewahrnehmungs-störung, sind besondere Maßnahmen erforderlich, um die Sicherheit beim Lenken eines KFZ zu gewährleisten. Kann der Betroffene durch eine Schulung (Hypoglykämiewahrnehmungstraining) oder die Therapieumstellung nachweisen, dass er die Symptome einer Hypoglykämie rechtzeitig erkennt, kann die Lenkberechtigung erneut erteilt bzw. belassen werden. In diesen Fällen empfiehlt sich unbedingt eine engmaschige Befristung mit einer Überprüfung der Hypoglykämiewahrnehmung injährlichen Abständen.

Spätfolgen des Diabetes und Fahrsicherheit

Inwieweit Spätfolgen des Diabetes mellitus Einfluss auf die Fahrsicherheit haben können, ist im Positionspapier ebenfalls beschrieben. Im Rahmen eines Diabetes mellitus kann es zu einer diabetischen Retinopathie, zu einer Makulopathie, zur Katarakt und in selteneren Fällen zu einer diabetischen Optikusneuropathie kommen. Auch in der Regel reversible Augenmuskellähmungen mit Doppelbildern können auftreten. Zumindest eine vorübergehende Einschränkung der Fahrsicherheit kann daraus resultieren. Augenuntersuchungen in regelmäßigen Abständen sind obligat, wobei eine fachärztliche Untersuchung und Befundung durch den Augenarzt nicht nur die Beurteilung des Augenhintergrundes beinhalten sollten, sondern zusätzlich eine Gesichtsfelduntersuchung und Prüfung des Dämmerungssehens.

Durch die Bestimmung des Serum-Kreatinins, der Albumin/Kreatinin-Ratio sowie der glomerulären Filtrationsrate kann das Stadium der Nierenfunktionsstörung bewertet werden. Folgen der chronischen fortgeschrittenen Nephropathie wie Anämie und Urämie können je nach Ausprägung das Fahrverhalten beeinträchtigen. Durch die Schädigung sensibler Nervenfasern kann eine Beeinträchtigung des Berührungsempfindens vorliegen, die Auswirkungen auf die Fahrsicherheit haben kann. Eine relativ aktuelle, jedoch kleine Studie zeigt eine signifikante Verlängerung der Bremspedalbedienungszeit bei Menschen mit Neuropathie. Die Untersuchung mit Monofilament und Stimmgabel gibt eine orientierende Information zur Neuropathie.

Fortgeschrittene koronare, zerebrale und periphere Makroangiopathien sind individuell zu beurteilen. Eine gute Grundlage dafür bieten die unter der Leitung des Kuratoriums für Verkehrssicherheit (KfV) und in Zusammenarbeit mit einer Expertengruppe erarbeiteten und mehrfach aktualisierten Leitlinien für die gesundheitliche Eignung von Kraftfahrzeuglenkern (Handbuch für Amts- und Fachärzte und die Verwaltung).

Umsetzung in der Praxis

In der Regel begründen Behörden ihre Entscheidung über die Fahreignung einer Person auf Basis einer fachärztlichen Stellungnahme. Diese wird von einem Facharzt des entsprechenden Sonderfaches Innere Medizin, Innere Medizin mit Endokrinologie und Stoffwechselerkrankungen oder Endokrinologie und Diabetologie oder mit dem Modul Endokrinologie (nach der neuen Ärzteausbildungsordnung 2015) oder Kinder- und Jugendheilkunde abgegeben. Grundsätzlich kann die Stellungnahme auch vom behandelnden Facharzt abgegeben werden. Sie enthält wichtige Bewertungen der aktuellen Stoffwechselsituation, des Auftretens von Hypoglykämien und deren Behandlung, des Patientenverständnisses für das Entstehen von Hypoglykämien und der Hypoglykämiewahrnehmung des Einzelnen. Um diese Ausführungen für die Fachärzte zu vereinfachen und eine gewisse Standardisierung zu erreichen, wurden im Positionspapier standardisierte Fragen im Sinne einer Formularvorlageentwickelt.

Wichtigste Punkte kurzgefasst

Abschließend wurden folgende wichtigen Voraussetzungen für ein sicheres Fahrverhalten im aktuellen Positionspapier zusammengefasst:

  1. Mitführen eines Blutzuckermessgerätes oder Tragen eines Glukosesensors.

  2. Messen des Blutzuckers oder Überprüfen der Sensorglukose vor Antritt einer Autofahrt.

  3. Wenn der Zuckerwert < 90 mg/dl liegt, vor Fahrtantritt Kohlenhydrate zu sich nehmen.

  4. Wenn der Zuckerwert < 70 mg/dl liegt, oder Symptome der Hypoglykämie auftreten, Autofahrt stoppen. Zufuhr von Kohlehydraten, anschließend Glukosemessung wiederholen. Die Autofahrt erst wieder aufnehmen, wenn der Glukosewert ≥ 90 mg/dl liegt und sich die Symptome der Hypoglykämie vollständig aufgelöst haben (i. d. R. nach 15–30 min).

  5. Mitführen von rasch resorbierbaren Kohlehydraten in unmittelbarer Reichweite.

  6. Bei Umstellung des Behandlungsschemas ist besondere Vorsicht geboten und es sollte eventuell bei instabiler Stoffwechsellage vorübergehend das Lenken eines Kfz ausgesetzt werden.

  7. Vorsicht nach sportlicher Betätigung. Eventuell häufigere Glukosemessungen empfohlen.

  8. Während einer längeren Autofahrt regel­mäßige Messpausen zur Kontrolle der Blutglukose oder Kontrolle der Sensor­glukose (im 2- bis 3-Stunden-Intervall) und Pausen für Mahlzeiten einlegen.

  9. Kein Alkohol vor und während Autofahrten.

Zusammenfassung

Praxistipp
Formularvorlagen für fachärztliche Stellungnahmen und etwaige Kontrolluntersuchungen sind unter https://www.oedg.at/formular­fuehrerscheinuntersuchung.html abrufbar.

Zusammenfassend wird festgehalten, dass Menschen mit Diabetes mellitus grundsätzlich geeignet sind, ein Kfz zu lenken. Bestimmte Diabetestherapien, wie Insulin, Sulfonylharnstoffe und Glinide, können unter ungünstigen Umständen zu Hypoglykämien führen. Das Vorgehen bei schweren Hypoglykämien und Hypoglykämiewahrnehmungsstörung ist gesetzlich geregelt. Daher ist die Befristung der Lenkberechtigung auf 5 Jahre bei Anwendung oben genannter Therapien obligat. Maßnahmen zur Prävention von schweren Hypoglykämien wie Medikationsauswahl, kontinuierliche Glukosemessung mit Warnfunktion, sensorgestützte Insulinpumpentherapie und Hypoglykämiewahrnehmungstrainings sind breit umzusetzen. Aktuelle Studienergebnisse haben jedenfalls gezeigt, dass Glukosesensoren das Hypoglykämierisiko nachhaltig reduzieren.

bei der Verfasserin

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