
Strukturprobleme könnten die Keimzellen der Verbesserung werden
Autor:
Univ.-Prof. Dr. Thomes C. Wascher
Präsident der Diabetes Initiative Österreich
E-Mail: thomas.wascher@oegk.at
Die Diabetes Initiative Österreich (DIÖ) ist ein gemeinnütziger Verein, dessen Ziel es ist, die Verbesserung der Versorgung und der gesellschaftlichen Akzeptanz von Menschen mit Diabetes in Österreich mitzugestalten. Die DIÖ sieht sich dabei als Plattform für Stakeholder aus allen Bereichen des Lebens, die mit Diabetes mellitus zu tun haben, um dadurch einen breiten, interdisziplinären Dialog zu fördern.
Das ist das Mission Statement der DIÖ. Die Verbesserung der Versorgung von Menschen mit Diabetes mitzugestalten, ist also ein zentrales Anliegen der DIÖ. Ist es aber möglich, einfach die bestehende Versorgung zu verbessern? Verhindern nicht die generellen, unübersehbaren Strukturprobleme der medizinischen Versorgung in Österreich eine Verbesserung? Müsste nicht Versorgung völlig neu gedacht werden?
Generelle Versorgungsprobleme:
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Lokaler Ärztemangel: Für Menschen in Ballungsräumen gibt es meist eine ausreichende Zahl an primärversorgenden Ärzten wie auch Spezialeinrichtungen. In abgelegenen, eventuell auch strukturschwachen Gemeinden finden sich keine Allgemeinmediziner mehr, die sich niederlassen wollen. Zudem finden vormals lokale Zentren immer seltener Spezialisten zur Schwerpunktversorgung.
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Fehlen strukturierter, abgestufter Versorgungsangebote für chronisch kranke Menschen in einem auf Akutversorgung ausgerichteten System. Einem System, das keine suffiziente Honorierung von „nicht apparativen“ Leistungen in der Versorgung chronisch Kranker vorsieht.
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Auch Ärzte sind Babyboomer: Diese Generation wird in den nächsten 10 Jahren in Pension gegangen sein.
Demgegenüber steht eine wachsende Zahl von Betroffenen. 600 000 bis 800 000 Erkrankte heute – 1 Million in 10–15 Jahren. Weniger Ärzte werden mehr Betroffene versorgen müssen, wenn sich nichts an den Strukturen ändert. Einerseits wird was jetzt nicht optimal ist, zusätzlich noch durch die Verknappung aggraviert, andererseits gilt auch in der Gesundheitsversorgung: Wer tut, was er immer tut, bekommt, was er immer bekommt.
Dieses Szenario einer sich kontinuierlich verschlechternden Versorgung sollte es leicht machen, Althergebrachtes zu verlassen und die Versorgung von Menschen mit Diabetes ohne Scheuklappen neu zu denken. Dabei drängen sich einige Themenfelder geradezu auf: E-Health, Telemedizin, digitale Gesundheitsanwendungen, aber auch Community/Diabetes Nurses.
E-Health ist in ihrer Anwendung für Menschen mit Diabetes bereits Realität. Daten von Insulinpumpen und Sensoren zur kontinuierlichen Glukosemessung, aber auch von blutigen Glukosemessungen und Insulinapplikationen per Pen werden auf elektronischem Weg gesammelt, aufbereitet und stehen Betroffenen wie auch betreuenden Ärzten zur Verfügung – ein immenser Schritt vorwärts in der Betreuungsqualität. Im breiten Einsatz von ärztlicher Seite scheitert es oft an der ärztlichen Kompetenz wie auch der Refundierung des zeitlichen Einsatzes.
Telemedizin hat in Österreich durch die Covid-Pandemie einen zaghaften Aufschwung erfahren und da und dort das „Projektstadium“ hinter sich gelassen. Betroffene müssen so seltenter in die medizinische Einrichtung, das „Diabeteszentrum“. Beschränkt ist das jedoch meist auf Zentren, die in Krankenanstalten angesiedelt sind. Der niedergelassene Bereich ist weitestgehend ausgespart. Dass das anders möglich wäre, zeigt uns Deutschland, wo telemedizinische Videovisiten verbreiterter angewendet und verrechnet werden können.
Digitale Gesundheitsanwendungen (DIGAs) stellen vielleicht die größte Chance dar, Ressourcen zu verbreitern, ohne dass medizinisches Personal notwendig wäre. Im Gegensatz zu E-Health-Anwendungen sind DIGAs selbst gesundheitswirksam im Sinne positiver Versorgungseffekte wie z.B. Schulung, psychologisches Coaching, Gewichtsmanagement, Insulinapplikation und Dosierung. Durch DIGAs kann, evidenzbasiert ohne Einsatz von humanen Ressourcen, die Versorgung von Menschen mit Diabetes verbessert und verbreitert werden. Auch dabei ist uns Deutschland deutlich voraus. Dort sind DIGAs quasi „auf Rezept“ per Kostenübernahme durch die Krankenversicherung bereits verfügbar.
Community/Diabetes Nurses sind in skandinavischen Ländern oder Großbritannien ein gelebtes Instrument der Gesundheitsversorgung. Nicht jede basale medizinische Leistung benötigt einen Arzt als Erbringer. Nicht jede Anpassung einer Insulindosis, nicht jedes Fußscreening muss von einem Arzt durchgeführt werden. Ausgebildetes und geschultes Pflegepersonal, Diabetesberater, könnten auch in Österreich, außerhalb der Diabeteszentren, die Primärversorgung auf breitere Beine stellen.
Eigentlich treffen diese Überlegungen auf alle chronischen Erkrankungen zu. Aber im Zentrum des Interesses der DIÖ stehen Menschen mit Diabetes mellitus. Deshalb: Diabetesversorgung neu denken.
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