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Weltadipositastag am 4. März 2023

Expert*innen alarmiert: Stigmatisierung verhindert effiziente Vorsorgemedizin

Menschen mit Adipositas nehmen Vorsorgeangebote spät oder gar nicht in Anspruch. Der Hauptgrund: Stigmatisierung, die den Betroffenen widerfährt. Die Österreichische Adipositas Allianz fordert mehr Fortbildung und möchte mit einem Video für Ärzt*innen und Gesundheitspersonal zu einem sensiblen Umgang mit Betroffenen ermutigen.

Keypoints

  • Leitliniengerechte Behandlung zögert Folge- und Begleiterkrankungen bei Adipositas hinaus.

  • Stigmatisierung ist der Hauptgrund, warum Vorsorgeprogramme nicht in Anspruch genommen werden.

Prävention und Vorsorgemedizin sind – in die Zukunft gedacht – die vermutlich wirksamste Lösung, um unser Gesundheitssystem leistungsfähig zu halten. Was nur, wenn gerade die Menschen Vorsorgeprogramme oder Screeninguntersuchungen meiden, für die die Angebote essenziell, vielleicht sogar lebensrettend wären und die langfristig dem Gesundheits- und Sozialsystem besonders teuer kommen?

Adipositas ist eine chronische Erkrankung, die gegenüber anderen chronischen Erkrankungen einen entscheidenden Nachteil für die Betroffenen hat: Sie ist für alle sichtbar. Das führt in unserer auf Ideale ausgerichteten Welt zu einer massiven Stigmatisierung der Betroffenen, einer gesellschaftlichen Abwertung durch die Zuschreibung von Attributen wie „faul“ oder „unmäßig“. „Die Betroffenen selbst verinnerlichen das Stigma, fühlen sich als Versager und als selbst schuld. Das führt wiederum dazu, dass sie mehr essen, und zum Entstehen psychischer Erkrankungen wie Ängste, Depressionen oder Suizidgedanken“, erklärt Mag. Barbara Andersen, Psychologin und Vertreterin der Betroffenen in der Österreichischen Adipositas Allianz.

Fachlich fundierte Behandlung der Erkrankung ist essenziell

So gehen Menschen mit Adipositas ungern und oft zu spät zu ärztlichen Untersuchungen, wie auch eine Reihe von Studien zeigt.1 Hinzu kommt die Angst, von Ärzt*innen nicht ernst genommen zu werden, oder dass das Gewicht als Begründung für jede Art von Beschwerden herangezogen wird. „Je früher Adipositas diagnostiziert und fachlich fundiert behandelt wird, desto höher sind die Chancen auf ein Rückführen in einen gesunden Gewichtsbereich“, appelliert Priv.-Doz. Dr. Johanna Brix, Internistin, Präsidentin der Österreichischen Adipositas Gesellschaft und Sprecherin der Österreichischen Adipositas Allianz. „Prävention meint oft nur gesunde Ernährung und Sport. Wichtige Faktoren, keine Frage. Genauso wichtig ist aber, wenn man bereits betroffen ist, die leitliniengerechte Behandlung der Erkrankung selbst, um im Sinne der Sekundärprävention die über 50 möglichen ernsten Folge- und Begleiterkrankungen von Diabetes über Herz-Kreislauf-Erkrankungen bis hin zu Krebs zu verhindern oder zumindest hinauszuzögern. In Österreich wird leider viel zu lange mit einer Behandlung gewartet, dadurch rutscht das Gesundheitswesen immer tiefer in die Reparaturmedizin.“

Behandlungsqualität steigern: Fortbildung und Awareness

Stigmatisierung führt nicht nur zur Verweigerung, Vorsorge in Anspruch zu nehmen, sondern auch zu tatsächlicher Diskriminierung in allen Bereichen des Lebens der Betroffenen: in der eigenen Familie, am Arbeitsmarkt und im öffentlichen Leben. Im Gesundheitswesen bedeutet dies etwa fehlende Barrierefreiheit oder das Fehlen einer adäquaten räumlichen, technischen und medizinischen Ausstattung, wie etwa ausreichend breiter Sessel im Warteraum oder ausreichend großer Blutdruckmanschetten. Studien zeigen zudem, dass Ärzt*innen und andere Gesundheitsdienstleister Menschen mit Adipositas eher als „nichtcompliant“, also weniger therapietreu, einstufen und sich für die Behandlung weniger Zeit nehmen als für Normalgewichtige.2

Eine Lösung sieht Brix in einem besseren Angebot für die Aus- und Fortbildung des medizinischen Personals und weiterer Gesundheitsberufe: „Adipositas weist ein komplexes Krankheitsbild auf, zudem steigen die Prävalenzzahlen stark an. Das erfordert, einerseits mehr Gesundheitspersonal für die Behandlung und Betreuung dieser Erkrankung auszubildenund andererseits auch eine Sensibilisierung für die psychologischen Aspekte und die Stigmatisierung der Betroffenen zu schaffen.“

Menschen mit Adipositas rät Brix, die Vorsorgemöglichkeiten unbedingt wahrzunehmen und ausreichend Behandlungszeit für zu klärende Fragen einzufordern sowie auch Spezialist*innen aufzusuchen, die mit der Komplexität der chronischen Erkrankung vertraut sind.

Presseinformation der Österreichischen Adipositas Allianz am 3. März 2023. Mehr Informationen unter: www.adipositas.at

1 Chrisler JC, Barney A: Sizeism is a health hazard. Fat Studies 2017; 6(1): 38-53 2 Hebl MR, Xu J: Weighing the care: physicians’ reactions to the size of a patient. Int J Obes Relat Metab Disord 2001; 25(8):1246-52

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