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ADA/EASD-Konsensus zum Management der Hyperglykämie bei Typ-2-Diabetes

Frühzeitige Risikoreduktion, glykämische Kontrolle und Gewichtsmanagement

Der aktualisierte ADA/EASD-Konsensus zum Management der Hyperglykämie bei Typ-2-Diabetes (T2D) legt angesichts einer immer besser werdenden Datenlage für die Gruppen der SGLT2-Hemmer und GLP-1-Rezeptoragonisten einen noch stärkeren Fokus auf Organprotektion. Zur glykämischen Zielerreichung sollen diese beiden Substanzgruppen, wenn erforderlich, auch kombiniert werden. Die Rolle des Gewichtsmanagements bei T2D wird ebenfalls betont.

Im Rahmen des EASD 2022 präsentierte eine Gruppe von Expertinnen und Experten der amerikanischen und europäischen Diabetesgesellschaften (ADA/EASD) das aktuelle Update zum „ADA/EASD Consensus on Management of Hyperglycemia in Type 2 Diabetes“. „Die Basis für das neue Dokument war eine umfassende Literatursuche, die mit der Publikation der Letztversion des Konsensus im Jahr 2019 begonnen hat und bis Juni 2022 fortgeführt wurde“, so Prof. Dr. Melanie J. Davies vom Leicester Diabetes Centre. Im aktuellen Konsensus wird nicht nur ein aktualisierter Therapiealgorithmus definiert, es wird auch stärker auf die Bedeutung des Gewichtsmanagements, auf soziale Determinanten und auf die Möglichkeiten einer holistisch-patientenzentrierten Therapie eingegangen.

Von Beginn an Fokus auf Risikoreduktion

Der neue Algorithmus rückt noch stärker das individuelle Risikoprofil der Patienten in den Mittelpunkt und ist nun in zwei Sektionen aufgeteilt. Eine Sektion ist für Hochrisikopatienten (Patienten mit kardiovaskulärer Erkrankung, Herzinsuffizienz, chronischer Nierenerkrankung), und legt den Schwerpunkt der Therapie auf kardiovaskuläre und/oder renale Risikoreduktion. In diesem Abschnitt liegt der Schwerpunkt der Empfehlungen auf den Substanzgruppen der SGLT2-Inhibitoren und GLP-1-Rezeptoragonisten, unabhängig von einer möglichen Verschreibung von Metformin. Dafür wird der Terminus Organprotektion verwendet. Dazu gibt der Konsensus einen aktualisierten Überblick über die kardiorenalen Outcome-Studien sowie die verfügbaren Daten über Kombinationen von SGLT2-Inhibitoren und GLP-1-RA. Bei kardiovaskulären Hochrisikopatienten kann initial ein SGLT2-Inhibitor oder GLP-1-RA eingesetzt werden. Wird damit das HbA1c-Ziel nicht erreicht, wird die Kombination dieser beiden Substanzgruppen empfohlen. Bei chronischer Nierenerkrankung steht der SGLT2-Inhibitor im Vordergrund. Nur bei Kontraindikation oder Unverträglichkeit kann stattdessen ein GLP1-RA verwendet werden. Wird damit keine ausreichende glykämische Kontrolle erreicht, besteht ebenfalls eine Empfehlung für die Kombination dieser Substanzgruppen.

Warnung vor verzögerten Therapieentscheidungen

In der zweiten Sektion des Algorithmus wird das Management von Patienten ohne besondere Risikofaktoren dargestellt. Hier liegt der Schwerpunkt auf glykämischer Kontrolle und Gewichtsmanagement. Dementsprechend werden anti­hypergly­kämische Therapien inklusive Metformin nach ihrer Wirksamkeit sowie nach ihren Effekten auf das Körpergewicht empfohlen. Grundsätzlich wird vor verzögerten oder zu konservativen Therapieentscheidungen („therapeutic inertia“) gewarnt. Bereits initial soll eine Kombinationstherapie zumindest in Erwägung gezogen werden, wenn das HbA1c über 8,6 % liegt. Dies gilt besonders bei jüngeren Patienten. Werden Kombinationstherapien gewählt, so sollten die Komponenten komplementäre Wirkmechanismen aufweisen. Fixkombinationen werden zur Reduktion der „pill burden“ empfohlen. Auch der Zugang zu kardio- und renoprotektiven Medikamenten darf nicht verzögert werden. Patientenverhalten, Adhärenz und Nebenwirkungen sind bei jeder Visite abzufragen. Wenn angebracht, sollen Therapien auch deeskaliert werden. Dies ist beispielsweise im hohen Alter oder bei Gefahr von Hypoglykämien der Fall. Die Gewichtsreduktion hat in den aktualisierten Empfehlungen den gleichen Stellenwert wie das Management des Blutzuckers. Explizit wird auf Daten hingewiesen, die zeigen, dass eine Reduktion des Körpergewichts um 10 % die Chance auf Remission eines Typ-2-Diabetes eröffnet. In der randomisierten, kontrollierten DIRect-Studie führte eine mittels stark kalorienreduzierter Diät erreichte Reduktion des Körpergewichts bei 64 % der Patienten zu einer über mindestens zwei Jahre stabilen Diabetesremission. Ähnliches konnte für die bariatrische Chirurgie gezeigt werden.

GLP-1-RA und Kombination mit GIP

Im Rahmen der Präsentation des Konsensus wiesen die Autoren auch auf die Effekte des GLP-1-RA Semaglutid und des kombinierten GIP- und GLP-1-Rezeptor­agonisten Tirzepatid hin, mit denen in Studien dosisabhängig eine deutliche Gewichtsabnahme, zum Teil jenseits der 10 %, gezeigt wurde.

Konsensus über Lifestyle

Empfehlungen zum Lebensstil und zu gesundem Verhalten werden detaillierter ausgeführt als in den Vorgängerversionen. Dabei werden auch unterschiedliche Diätmuster, Intervallfasten, körperliche Bewegung und Schlaf besprochen. Grundsätzlich soll ein für das Management des Typ-2-Diabetes geeigneter Lebensstil 24 Stunden des Tages abdecken. Die Empfehlung inkludiert, zwischen sechs und acht Stunden zu schlafen und idealerweise mindestens 150 Minuten pro Woche mit moderater Intensität zu trainieren. Das Training soll auf drei Tage in der Woche aufgeteilt werden, wobei zwischen den Trainingstagen nicht mehr als zwei Ruhetage liegen sollten.

Alter, Geschlecht und Ethnizität

Generell wird auf das Risiko für Sarkopenie und Gebrechlichkeit („frailty“) im Zusammenhang mit Typ-2-Diabetes hingewiesen. Betroffene Patienten befinden sich oft bereits im mittleren Lebensalter in einem Gesamtzustand, der jenem zehn Jahre älterer Gesunder entspricht. Nicht zuletzt wird spezifisch auf die Bedürfnisse unterschiedlicher Altersgruppen eingegangen und Differenzen zwischen Geschlechtern und unterschiedlichen Ethnizitäten werden beleuchtet. In diesem Zusammenhang verweist der Konsensus auf Evidenzlücken bei Patienten sowohl unter 40 als auch über 65 Jahre, da diese Altersgruppen in Studien unterrepräsentiert sind. Bei jüngeren Patienten wird eine stringente Kontrolle des HbA1c empfohlen, für die häufig Kombinationstherapien erforderlich sind.

Konsensusimplementierung in multidisziplinären Teams

Der Konsensus umfasst auch praktische Tipps für Kliniker und Strategien für die Implementierung. Gefordert wird eine integrierte Versorgung, die auch integrierte Teams unterschiedlicher Professionen erforderlich macht. Die lebenslange Natur der Erkrankung ist zu bedenken und dies soll Patienten auch vermittelt werden. Technologien sollten eingesetzt werden, wo immer dies sinnvoll erscheint. Die Kommunikation soll in einer wertschätzenden Sprache erfolgen, Termini wie Diabetiker oder Compliance werden abgelehnt. Die Individualisierung der Therapie erfordert auch die Einbeziehung des Patienten in die Entscheidungsfindung. Komorbiditäten müssen dabei berücksichtigt werden.

Edukation („diabetes self-management education and support“, DSMES) erhält ebenfalls einen höheren Stellenwert als in älteren Empfehlungen. Alle Betroffenen sollten DSMES in strukturierter Form und über mindestens zehn Stunden erhalten. Dies sollte nach der Diagnose sowie anlässlich größerer Therapieumstellungen (zum Beispiel vor Beginn einer Insulintherapie) erfolgen.

Vor einer Insulinisierung kann versucht werden, ob sich das angestrebte Ziel nicht auch mit einem GLP-1-RA erreichen lässt. Ist eine Insulintherapie unvermeidlich, wird mit einem Basalinsulin begonnen und die Therapie intensiviert, bis der angestrebte Nüchternzucker erreicht ist. Organ-protektive Antidiabetika und Metformin sollen weitergeführt werden und bei Patienten unter Insulintherapie soll eine kontinuierliche Glukosemessung in Erwägung gezogen werden.

„Management of hyperglycaemia in type 2 diabetes: ADA/EASD Consensus Report 2022“, präsentiert im Rahmen der Session S64 „Management of hyperglycaemia in type 2 diabetes: ADA/EASD Consensus Report 2022“, EASD 2022, 23. 9. 2022, Amsterdam

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