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Problemzone Fuß
Jatros
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19.09.2019
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<p class="article-intro">Das diabetische Fußsyndrom muss aus menschlichen und gesundheitsökonomischen Gründen mehr Beachtung bekommen. Die Österreichische Diabetes Gesellschaft (ÖDG) warnt vor dem diabetischen Fußsyndrom und seiner unzureichenden Versorgung im Gesundheitswesen. In Österreich ist es der Auslöser für rund 3000 Amputationen pro Jahr. Ein Großteil davon wäre vermeidbar, wenn Betroffene und Behandler mehr auf die Füße achten und therapeutische Maßnahmen, die längst zum wissenschaftlich belegten Standard gehören, entsprechend vom Gesundheitswesen übernommen würden.</p>
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<p class="article-content"><p>Univ.-Prof. Dr. Alexandra Kautzky-Willer, Endokrinologin an der Med Uni Wien und Präsidentin der ÖDG, appelliert: „Die Wahrscheinlichkeit, ein diabetisches Ulkus zu entwickeln, beträgt für die gesamte Lebensdauer eines Menschen mit Diabetes 19–34 %.<sup>1</sup> Wenn es einmal manifest ist, dann kehrt diese zusätzliche chronische Erkrankung immer wieder zurück. Zwei Drittel aller Amputationen weltweit werden aufgrund des diabetischen Fußsyndroms durchgeführt. Studien aus den USA zeigen, dass die Amputationen in den letzten Jahren sogar wieder ansteigen, und das insbesondere bei den Jüngeren (den unter 45-Jährigen) und vor allem bei Männern. Dieser erschreckende Befund gilt sowohl für Minor- als auch Majoramputationen! Durch die Amputationen ist das diabetische Fußsyndrom eine der teuersten Folgeerkrankungen des Diabetes und es beeinträchtigt die Lebensqualität der Betroffenen in einem erschreckenden Ausmaß.“</p> <h2>Hauptursache diabetische Polyneuropathie</h2> <p>Das diabetische Fußsyndrom betrifft sowohl Menschen mit Diabetes mellitus Typ 1 als auch Typ 2. Ein Hauptproblem ist die periphere diabetische Polyneuropathie. Diese bewirkt beim Patienten Körperwahrnehmungsstörungen und dadurch auch eine Vernachlässigung eventueller Symptome. Priv.-Doz. Dr. Gerd Köhler von der Klinischen Abteilung für Endokrinologie und Diabetologie der Med Uni Graz erklärt: „Für den Patienten fühlt sich der Fuß normal an, weil er in diesem Bereich nicht mehr richtig fühlen kann, und trotz optischer Zeichen, wie Druckstellen und offener Stellen, wird das Problem meist vom Patienten ignoriert, weil nichts wehtut. Die medizinischen Fachkräfte sehen diese Stellen oft erst spät, weil Füße leider in der Regel zu wenig kontrolliert werden.“ <br />Durch die Schädigung der Nerven fühlen Patienten nicht, wenn der Schuh nicht passt. Entstehende Druckstellen und Fußformveränderungen werden nicht bemerkt, die mit der Zeit zu offenen Stellen und Geschwüren an den Füßen führen. Auch falsche Fußpflege und Verletzungen können die Ursache sein, da die Schmerzwahrnehmung fehlt. Diese Geschwüre und offenen Stellen heilen nicht oder nur schwer, wenn nicht eine entsprechende Therapie durchgeführt wird. <br />Allerdings sind meist nicht nur Nervenschädigungen, sondern auch Durchblutungsstörungen mitbeteiligt, die eine Therapie zusätzlich erschweren und wenn möglich auch saniert werden müssen.</p> <h2>Nervenschädigung verhindern und kontrollieren</h2> <p>Kautzky-Willer berichtet: „Ein erhöhter Blutzuckerspiegel schädigt die Nerven und Gefäße. An erster Stelle steht somit die optimale Blutzuckereinstellung, um eine diabetische Polyneuropathie und Angiopathie zu verhindern. Zusätzlich sollte jeder Mensch mit Diabetes einmal jährlich ein Neuropathie- und Gefäß-Screening erhalten, bei dem mit einer schwingenden Stimmgabel oder einem sogenannten Monofilament die Wahrnehmungsfähigkeit in den Füßen getestet und die Durchblutung der Beine geprüft wird.“</p> <h2>Die Fußkontrolle schützt vor Amputationen</h2> <p>Wird eine Nervenschädigung festgestellt, sind der Patient beziehungsweise seine Angehörigen dazu aufgerufen, täglich die Füße nach Druckstellen oder Verletzungen zu untersuchen. Die Fußkontrolle ist auch eine wichtige Aufgabe des medizinischen Personals. Abhängig vom individuellen Risiko sollte monatlich, quartalsweise oder halbjährlich die Kontrolle durch Spezialisten stattfinden.</p> <h2>Fußpflege ist mehr als „Wellness“</h2> <p>„Eine regelmäßige, professionelle Fußpflege alle vier bis sechs Wochen ist keine ‚nette Beauty-Behandlung‘, sondern entscheidend für die zukünftige Lebensqualität. Idealerweise wird eine Fachkraft für medizinische Fußpflege mit Zusatzausbildung Diabetes aufgesucht. In Deutschland und der Schweiz gibt es sogar das Berufsbild des Podologen mit einer zwei- bis dreijährigen Ausbildung. Dies ist in Österreich leider noch nicht der Fall. Besonders problematisch ist, dass die Fußpflege bei Risikopatienten, bei der viele Probleme rechtzeitig entdeckt werden könnten, nicht von der Sozialversicherung bezahlt wird“, sagt Köhler. Die Haut der Füße sollte täglich mit einer Urea-haltigen Creme versorgt werden, um die Elastizität zu erhalten und dadurch Verletzungen vorzubeugen.</p> <h2>Barfuß leider keine Option</h2> <p>Auch das sonst so beworbene Barfußgehen ist für Menschen mit diabetischer Neuropathie keinesfalls zu empfehlen, da die Verletzungsgefahr zu hoch ist. Besonders im Sommer im Urlaub am Wasser wird die Verletzungsgefahr unterschätzt. Heißer Sand kann zu Verbrennungen führen und im Sand verborgene Gegenstände wie Muscheln oder Scherben verursachen Schnittwunden.</p> <h2>Orthopädietechnik für gesunde Füße</h2> <p>Geeignetes Schuhwerk vom Orthopädieschuhtechniker ist nötig und das gilt sowohl für Straßenschuhe als auch für Hausschuhe. Wenn Konfektionsschuhe getragen werden, dann sollten sie nur mit speziellen Einlagen verwendet werden. Die Kosten für die Einlagen werden meist von der Sozialversicherung übernommen.</p> <h2>Bei Geschwür: Druckentlastung und Wundbehandlung</h2> <p>Wenn trotzdem ein Ulkus entsteht, muss rasch und konsequent eine entsprechende Therapie einsetzen. Köhler führt aus: „Bei der offenen Stelle ist die lokale Druckentlastung wichtig. Das kann sich je nach Lokalisation des Ulkus mitunter schwierig gestalten, beispielsweise an der Fußsohle. Goldstandard ist die Druckentlastung durch einen Vollkontaktgips. Andere Möglichkeiten sind ein nicht abnehmbarer vorgefertigter Cast, abnehmbare Schienen oder spezielle Wundverbandsschuhe. Leider werden diese vier Therapiemöglichkeiten meistens nicht von der Sozialversicherung bezahlt. Bezahlt wird der sogenannte Vorfußentlastungsschuh, der für Diabetiker mit diabetischem Fußsyndrom jedoch ungeeignet ist, weil er zusätzlich die Sturzgefahr erhöht, die schon prinzipiell durch die Störung der Tiefensensibilität gegeben ist.“</p> <p>Kautzky-Willer ergänzt: „Die feuchte Wundbehandlung durch Hauskrankenpflege oder Hausarzt oder Angehörige funktioniert in Österreich in der Regel gut. Problematisch wird es bei der Hornhaut um die Geschwüre und Wundbeläge. Beide sollten regelmäßig entfernt werden. Das funktioniert in Österreich leider gar nicht gut: Der Hausarzt wird dafür nicht bezahlt, für den Chirurgen ist es eine zu einfache Aufgabe, für den Internisten meist zu aufwendig und Fußpfleger dürfen nicht bei offenen Wunden arbeiten. Somit bleiben nur die Diabetesfußambulanzen oder andere spezialisierte Wundzentren als Anlaufstelle. Da jeder Betroffene alle zwei bis vier Wochen diese Behandlung bekommen sollte, um die Wundheilung zu unterstützen, sind die Ambulanzen voll.“</p> <h2>Infektionen vermeiden, Durchblutungsstörungen beheben</h2> <p>Köhler erläutert: „Ein Ulkus kann sich infizieren. Dringt die Infektion bis zum Knochen vor, wird es sehr problematisch, da eine Knocheninfektion schwer zu behandeln ist. Die Amputation ist dann wahrscheinlich. Oft ist es nur eine Minoramputation eines Zehenglieds oder einer Zehe, wodurch jedoch häufig neue Druckstellen entstehen und der Kreislauf von Neuem beginnt. Liegt eine PAVK vor, ist diese grundsätzlich zu therapieren. Auf jeden Fall vor jedem chirurgischen Eingriff.“ Forderungen der ÖDG Kautzky-Willer fordert daher: „Wir sind alle aufgerufen, mehr Füße anzuschauen – das gilt für jeden Menschen mit Diabetes, aber auch für alle, die professionell mit Diabetes zu tun haben. Im Disease-Management- Programm Therapie Aktiv ist die Fußkontrolle zwingend vorgeschrieben, darum ist es wichtig, dass mehr Betroffene in diesem Programm betreut werden können. Adäquate Therapiemaßnahmen müssen von der SV bezahlt werden, um die teuren Folgekosten einer Amputation zu vermeiden und um die Lebensqualität von Menschen mit Diabetes zu verbessern. In diesem Zusammenhang ist es auch wieder wichtig, als medizinische Fachgesellschaft auf die Umsetzung der Österreichischen Diabetesstrategie zu pochen, die sowohl für den Bereich der Ausbildung als auch für die Diabetesversorgung klare Wege aufzeigt.“ (red)</p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: Presseaussendung der Österreichischen Diabetes Gesellschaft
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<p><strong>1</strong> Morbach S et al.: Diabetisches Fußsyndrom. Diabetologie 2017; 12(Suppl 2): S181-9</p>
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