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Zwischen Überfluss und Mangel

Ökologisch nachhaltiger, gesunder Lebensstil bei Übergewicht & Adipositas machbar?

Das Thema Nachhaltigkeit in der Ernährung ist von zunehmender Bedeutung. Unwetter, Überschwemmungen und Dürrekatastrophen als Folgen des Klimawandels, die Sicherstellung von Nahrung in Krisensituationen und für die wachsende Weltbevölkerung sowie Lebensmittelskandale zeigen einen großen Handlungsbedarf in unserem Ernährungssystem auf.

Keypoints

  • Nachhaltige Ernährungsweise berücksichtigt gleichrangig gesundheitliche, ökologische, ökonomische sowie soziale Dimensionen und beachtet kulturelle Aspekte.

  • Nachhaltige Ernährung stellt keine eigene Diät dar, sondern entspricht weitgehend den Empfehlungen der Ernährungsfachgesellschaften zu einer gesunden Ernährung.

  • Nachhaltige Ernährung ist: genussvolle und bekömmliche Speisen, Bevorzugen von pflanzlichen Lebensmitteln, gering verarbeiteten Lebensmitteln, ökologisch erzeugten Lebensmitteln, regionalen und saisonalen Lebensmitteln, umweltverträglich verpackten Produkten sowie fair gehandelten Produkten.

Die mediale Präsenz des Themas Nachhaltigkeit hat das Interesse vieler Konsumentinnen und Konsumenten geweckt. Was die Wissenschaftler Claus Leitzmann, Karl von Koerber und Thomas Männle in der „Gießener Konzeption der Vollwert-Ernährung“ bereits Anfang der 1980er-Jahre am Institut für Ernährungswissenschaft der Universität Gießen entwickelt haben, ist im Bewusstsein der Wissenschaft und Bevölkerung angekommen.2

In der Ernährungswissenschaft, Diätologie und Medizin wurden bis vor Kurzem vorwiegend rein gesundheitliche, nährstoffbezogene Aspekte der Ernährung erforscht und beachtet. Wobei jede Ernährungsweise direkt oder indirekt Einfluss auf unsere Umwelt und Gesellschaft ausübt. Globale Probleme wie Hunger, Armut und Umweltbelastungen stellen ein wachsendes Problem dar, Folgen des Klimawandels, Verlust der Biodiversität oder Hitzewellen sind weltweit spürbar. Zudem existieren eine Flächenkonkurrenz zwischen Nahrungs- und Futtermittel sowie eine soziale Ungleichheit bei der Verteilung von Lebensmitteln und Trinkwasser. Die Problematik ist sehr komplex. Die menschliche Ernährung hat z.B. einen großen Impact auf die weltweiten Treibhausgasemissionen. Die 20 reichsten Länder weltweit verursachen rund 80% der Treibhausgasemissionen, wovon mehr als 25% aus dem Bereich Ernährung resultieren. Ein Großteil entsteht hierbei im Sektor Landwirtschaft (Pestizide, Düngemittel, Futtermittelanbau, Tierhaltung u.a.).1 Die Fleischproduktion beansprucht global ca. 80% der gesamten Agrarflächen, ca. 70% aller produzierten Antibiotika und begünstigt die Entstehung (neuer) zoonotischer Krankheiten (z.B. SARS-CoV-2).

Nachhaltige Ernährungsweise

Eine nachhaltige Ernährungsweise berücksichtigt gleichrangig gesundheitliche, ökologische, ökonomische sowie soziale Dimensionen und beachtet kulturelle Aspekte, wobei diese in Wechselwirkung zueinanderstehen. Das vernetzte und komplexe Ernährungssystem erfordert es, positive Effekte zu fördern und negative Nebenwirkungen des jeweiligen Handelns auf das Gesamtsystem zu erkennen und zu vermeiden. Dies betrifft sämtliche Einflüsse entlang der Wertschöpfungskette eines Lebensmittels, von der landwirtschaftlichen Erzeugung über die Verarbeitung, Verpackung, den Transport und Handel bis hin zum Einkauf, der Zubereitung, dem Verzehr und der Abfallentsorgung.2,3

Eine nachhaltige Ernährungsform stellt keine eigene Diät dar, sondern entspricht weitgehend den Empfehlungen der Ernährungsfachgesellschaften zu einer gesunden Ernährung (Deutsche Gesellschaft für Ernährung, DGE; Österreichische Gesellschaft für Ernährung, ÖGE). Laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) besteht eine nachhaltige und gesunde Ernährung aus Ernährungsmustern, die alle Aspekte der Gesundheit und des Wohlbefindens einer Person fördern, geringe Auswirkungen auf die Umwelt haben, sicher, leistbar, verfügbar und fair sind sowie kulturell akzeptiert werden.

Ziele sind, das körperliche, psychische und soziale Wohlbefinden aller Personen und in allen Lebensphasen von gegenwärtigen und künftigen Generationen zu fördern, die Prävention aller Formen von Fehlernährung (d.h. Unterernährung, Mikronährstoffmangel, Übergewicht und Adipositas), das Risiko von ernährungs-mitbedingten chronischen Erkrankungen zu verringern sowie die Erhaltung der Biodiversität und die Gesundheit des Planeten zu unterstützen.4

Die Eat-Lancet-Kommission konzipierte die sogenannte Planetary Health Diet (PHD), mit der weltweit pro Jahr etwa 11 Millionen vorzeitige Todesfälle durch chronische ernährungsmitbedingte Krankheiten verhindert werden können und eine zukünftige Weltbevölkerung von 10 Milliarden Menschen im Jahr 2050 innerhalb der ökologischen Belastungsgrenzen der Erde mit einer gesundheitsfördernden Ernährung versorgt werden kann. Die PHD stimmt weitgehend mit den Empfehlungen und empfohlenen Lebensmittelmengen der DGE und ÖGE zur vollwertigen Ernährung überein. Eine Abweichung gibt es bei Milchprodukten, hier liegen die empfohlenen Mengen der PHD niedriger. Die PHD beinhaltet größtenteils pflanzliche Lebensmittel wie Gemüse, Obst, Vollkorngetreide, Hülsenfrüchte, Nüsse und hochwertiges Pflanzenöl. Sie enthält geringe bis moderate Mengen an Fisch und Geflügel sowie nur geringe Mengen an rotem und verarbeitetem Fleisch, zugesetztem Zucker und Auszugmehlprodukten. Der von der EAT-Lancet-Kommission erstellte Speiseplan ist national adaptierbar und soll die Gesundheit des Menschen sowie der Erde gleichermaßen schützen.

Der aktuelle Konsum von Obst und Gemüse, Hülsenfrüchten und Nüssen müsste hierzu ungefähr verdoppelt, der Verzehr von Fleisch und Zucker dagegen halbiert werden.5,6 Studien zeigen, dass allein durch die Umsetzung der Empfehlungen für eine gesunde Ernährung die aktuellen Treibhausgasemissionen um rund 20% reduziert werden können. Entscheidend hierbei ist die Reduktion tierischer Proteinquellen. Der Anteil tierischer Lebensmittel in der Ernährung hat den größten Einfluss auf nachhaltige Aspekte und macht einen größeren Unterschied aus als die Transportwege oder Verpackungen von Lebensmitteln. Trotz Unterschieden in den landwirtschaftlichen Praktiken weltweit haben pflanzliche Proteinquellen immer einen geringeren ökologischen Fußabdruck als die am wenigsten umweltschädlichen Fleischprodukte.7

Die ÖGE hat 2022 die „10 Regeln der ÖGE“ mit Empfehlungen für eine nachhaltigere Ernährungsweise ergänzt, wie die Bevorzugung saisonaler und lokaler bzw. regionaler Lebensmittel, wenn möglich aus biologischer Erzeugung, die Berücksichtigung von Tierwohlstandards, die Wahl von Fischen aus nachhaltiger Fischerei bzw. nachhaltig betriebener Aquakultur und nach Möglichkeit aus regionalen Gewässern, die Reduktion von Lebensmittelverschwendung sowie des Konsums hochverarbeiteter Lebensmittel. Es gibt Lebensmittelgruppen, wie Milch und Milchprodukte oder Fisch, die zwar gesundheitsfördernd, jedoch klimaintensiv sind. Hier gilt es einen Kompromiss zu finden, bei dem individuelle Faktoren abgewogen werden müssen.8

Grundsätze einer nachhaltigen Ernährungsweise nach von Koerber et al.2,3

  • Genussvolle und bekömmliche Speisen

  • Bevorzugung pflanzlicher Lebensmittel

  • Bevorzugung gering verarbeiteter Lebensmittel

  • Ökologisch erzeugte Lebensmittel

  • Regionale und saisonale Erzeugnisse

  • Umweltverträglich verpackte Produkte

  • Fair gehandelte Produkte

Was kostet eine nachhaltige, gesunde Ernährung?

Praxistipp
Expertinnen und Ex­perten in den Bereichen wie Diätologie, Ernährungswissenschaften, Medizin und Gemeinschafts­verpflegung sind gefragt, das wachsende Bewusstsein hin zu einem nachhaltigen Er­näh­rungsstil von Konsument­in­nen und Konsumenten zu unterstützen.

Aufgrund von Schwankungen bei Preisen im Lebensmittelsegment, regionalen Preisunterschieden und unterschiedlichen Berechnungsmethoden ist es schwierig, evidente Daten für die Kosten von verschiedenen Ernährungsweisen zu generieren. Die meisten Studien zeigen Mehrkosten einer nachhaltigen, gesunden Ernährung gegenüber einer derzeit in der Bevölkerung durchschnittlichen Ernährungsweise auf. Mehrkosten entstehen vor allem durch die größeren Mengen an Gemüse, Obst sowie an Milch-, Getreideprodukten und Fisch. Diese können teilweise durch eine Reduktion bei Fleisch, Wurst sowie bei Getränken und Süßigkeiten ausgeglichen werden.9 Entscheidender Kostenfaktor ist zudem der Anteil an Lebensmitteln aus biologischer Erzeugung, im Speziellen in der Lebensmittelgruppe Fleisch.

Für die Umsetzung einer Ernährungsweise ist unter anderem die Leistbarkeit entscheidend. Dies gilt vor allem für Personen mit sozioökonomischer Benachteiligung. In Österreich sind mehr als 1,5 Millionen Menschen (> 17 %) armuts- oder ausgrenzungsgefährdet. Besonders betroffen davon sind chronisch Kranke, Frauen im Alter, Kinder, Alleinerziehende, Langzeitarbeitslose, Singlehaushalte, Menschen mit maximal Pflichtschulabschluss, kinderreiche Familien und Personen mit nichteuropäischer Staatsbürgerschaft.10 Ernährungsempfehlungen müssen auf diese Anforderungen der Betroffenen individuell abgestimmt werden, der Kostenfaktor muss berücksichtigt werden.

Mögliche Maßnahmen für eine kostengünstige nachhaltige, gesunde Ernährung sind:
  • Hülsenfrüchte sind günstige Proteinlieferanten;

  • Leitungswasser als Getränk spart Kosten, Verpackungen, Transportwege und Zucker;

  • saisonales Obst und Gemüse ist meistens günstiger (Vorratshaltung);

  • nur benötigte Menge an Lebensmitteln kaufen (offene Ware);

  • die richtige Lagerung verhindert den frühzeitigen Verderb von Lebensmitteln;

  • die Resteküche wieder positiv beleben.9

Abb. 1: Fünf Dimensionen einer nachhaltigen Ernährung (weiterentwickelt nach von Koerber/Männle/Leitzmann 2012, S. 4)

Fazit

Expertinnen und Experten in den Bereichen wie Diätologie, Ernährungswissenschaften, Medizin und Gemeinschaftsverpflegung sind in ihrer Funktion als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren gefragt, dieses wachsende Bewusstsein in der Bevölkerung aufzugreifen und Konsumentinnen und Konsumenten zu einem nachhaltigen Ernährungsstil zu motivieren. Es gilt, neue Geschmackserlebnisse zu fördern (pflanzliche Proteine), kulturell-traditionelle fleischreduzierte Rezepte wiederaufzunehmen und mit Genuss eine nachhaltige gesunde Ernährung zu fördern. Änderungen in der Preispolitik sind gefragt – nachhaltige, gesunde Lebensmittel müssen die einfache und kostengünstige Wahl sein!

1 Ahrens S: Anteil der Ernährungsindustrie an den globalen Treibhausgasemissionen nach Bereich. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1325098/umfrage/klimarelevanz-weltweiter-ernaehrung/ 2022 2 von Koerber K et al.: Vollwert-Ernährung. Konzeption einer zeitgemäßen und nachhaltigen Ernährung. Stuttgart 2012 3 Koerber K et al.: Fünf Dimensionen der nachhaltigen Ernährung und weiterentwickelte Grundsätze – ein Update. In: Ernährung im Fokus 2014; 14; 260-6 4 FAO and WHO. Sustainable healthy diets – guiding principles. Rome 2019 5 DGE – Deutsche Gesellschaft für Ernährung. Nachhaltige Ernährung. www.dge.de/ernaehrungspraxis/nachhaltige-ernaehrung/ 6 BZfE – Bundeszentrum für Ernährung. 2020; Planetary Health Diet. www.bzfe.de/nachhaltiger-konsum/lagern-kochen-essen-teilen/planetary-health-diet/ 7 Ritchie H: Less meat is nearly always better than sustainable meat, to reduce your carbon footprint 2020; https://ourworldindata.org/less-meat-or-sustainable-meat 8 ÖGE – Österreichische Gesellschaft für Ernährung. Die 10 Regeln der ÖGE – Empfehlungen für eine nachhaltigere Ernährungsweise. 2022; www.oege.at/wissenschaft/10-ernaehrungsregeln-der-oege/#nachhaltigkeit 9 Arbeiterkammer Steiermark. Was kostet es, sich gesund zu ernähren? 2016; https://stmk.arbeiterkammer.at/beratung/konsumentenschutz/essenundtrinken/Was_kostet_es_sich_gesund_zu_ernaehren_.html 10 Die Armutskonferenz. Armut in Österreich. https://www.armutskonferenz.at/armut-in-oesterreich/aktuelle-armuts-und-verteilungszahlen.html

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