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Mit der Ernährungsbox auf dem richtigen Weg
Jatros
30
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06.07.2017
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<p class="article-intro">Die Österreichische Diabetes Gesellschaft hat kürzlich die Ernährungsbox vorgestellt, die von einer Arbeitsgruppe der ÖDG unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Bernhard Paulweber, Salzburg, erstellt worden ist. Wir sprachen für JATROS Diabetologie & Endokrinologie mit Prim. Priv.-Doz. Dr. Joakim Huber, Mitglied der Arbeitsgruppe und maßgeblich an der Zusammenstellung der Ernährungsbox beteiligt.</p>
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<p class="article-content"><p><strong>Herr Dozent Huber, Sie sind seit etwa einem halben Jahr als Primar im Franziskus-Spital in Wien tätig. Wo setzen Sie Ihre Schwerpunkte?</strong></p> <p><strong>J. Huber:</strong> Das Franziskus-Spital in dieser Form gibt es seit dem 1. Jänner 2017. Es ist ein Zusammenschluss von zwei Ordenshäusern, dem ehemaligen Hartmannspital und dem ehemaligen Krankenhaus St. Elisabeth, und besteht aus den Standorten Landstraße im 3. Bezirk und Margareten im 5. Bezirk. Als Leiter der internen Abteilung am Standort Landstraße habe ich die Verantwortung für 30 „akut-interne“ Betten sowie für die größte Palliativstation Österreichs mit 16 Betten und 24 Betten für Akutgeriatrie/Remobilisation. Darüber hinaus befindet sich in Margareten ein Department für Akutgeriatrie/Remobilisation unter meiner Leitung. Die interne Abteilung am Standort Margareten wird vom ärztlichen Direktor des Franziskus-Spitals Prim. Doz. DDr. Manfred Wonisch geführt. Diese Abteilung ist auf kardiovaskuläre Medizin, Pulmologie und Gastroenterologie spezialisiert. Am Standort Landstraße liegt der Schwerpunkt auf der Medizin für den alten Menschen, also auf einer breiten inneren Medizin. Wir bieten am Standort Landstraße eine kardiologische und pulmologische Diagnostik, Palliativmedizin und etablieren eine Medizin speziell für den alten Menschen inklusive Diabetestherapie im Alter.</p> <p><strong>Wie steht es um den Zusammenhang von Ernährung und Alter?</strong></p> <p><strong>J. Huber:</strong> Im Alter ist meist Mangelernährung – und nicht Überernährung – das Problem, da betagte Menschen oft zu wenig essen. Deshalb schauen wir in der Akutgeriatrie routinemäßig auf das Ernährungsverhalten im Rahmen des geriatrischen Assessments. Mithilfe des Mini Nutritional Assessment kann man gut evaluieren, ob jemand in Gefahr ist, mangelernährt zu sein. Diesen Test kann man aus dem Internet herunterladen.</p> <p><strong>Was war und ist Ihre Motivation, sich mit dem Thema Ernährung zu beschäftigen</strong></p> <p><strong>J. Huber:</strong> Ich habe bereits während meiner Ausbildung zum Facharzt im AKH vor allem Grundlagenforschung zum Thema Adipositas betrieben und das Fettgewebe bei Mäusen, aber auch bei übergewichtigen Menschen untersucht. Wir haben festgestellt, dass bei Übergewicht eine chronische Entzündung entsteht. In der Folge beschäftigt man sich natürlich mit den Ursachen für Überernährung. Später habe ich im Wilhelminenspital mehrere Jahre lang die Adipositasambulanz geleitet. Auch bei der Betreuung von Diabetikern spielt das Thema Ernährung immer eine zentrale Rolle.</p> <p><strong>Welche Auswirkungen einer gesünderen Ernährung auf einen Diabetes, auch Langzeitfolgen über Generationen hinweg, wären möglich, wenn man es richtig angeht?</strong></p> <p><strong>J. Huber:</strong> Die Ernährung ist in puncto Adipositas ein entscheidender Faktor. Unser Umfeld hat sich geändert. Anfang des letzten Jahrhunderts war Essen viel teurer als jetzt im Verhältnis zum Einkommen der Bevölkerung. Durch die Entwicklungen in der Lebensmittelindustrie haben wir heute ein großes Angebot an sehr energiedichten Nahrungsmitteln, die wir sehr günstig kaufen können. Es ist also sehr leicht, rasch viele Kalorien zu sich zu nehmen. Nahrung ist zudem immer und überall verfügbar. Das macht es für viele Menschen schwierig, sich gesund und hochwertig zu ernähren. Essen ist eine Herausforderung geworden. Einen Teil der Verantwortung dafür trägt die Nahrungsmittelindustrie, aber auch der Staat. Es wurde ein Umfeld geschaffen, das die Entstehung von Adipositas erleichtert. Man spricht in der Literatur von einer „obesogenic environment“. Es ist für den Einzelnen oft schwierig, die richtigen Entscheidungen hinsichtlich Nahrungsmittelauswahl zu treffen. Bei der „obesogenic environment“ müsste man ansetzen, um auf der Populationsebene etwas zu ändern.</p> <p><strong>Würden Sie bitte für uns präzisieren, was man ändern sollte? Welche positiven Auswirkungen wären zu erwarten?</strong></p> <p><strong>J. Huber:</strong> Wenn man nachhaltig etwas ändern möchte, dann muss man auf Populationsebene eingreifen. Kleine Ansätze dazu gibt es bereits: so etwa eine Verordnung zur Begrenzung von Transfettsäuren in der Nahrung. Beim Zucker- und Fettgehalt gibt es jedoch keine Einschränkungen. In einigen Ländern wurden Fett- bzw. Zuckersteuern eingeführt, doch davon ist man zum Teil wieder abgekommen. Ein erster Schritt wäre die Kennzeichnung der Lebensmittel, z.B. mit einer Ampel, um die Bewusstseinsbildung des Käufers zu schulen. Ganz wichtig ist die Wissensvermittlung, da muss man aber nicht nur bei den Kindern, sondern auch bei den Erwachsenen ansetzen – nur so kann man auf Populationsebene einen Erfolg erzielen und Adipositas und Diabetes bekämpfen. Die ÖDG verfolgt eine „Health in all policies“-Strategie, die darauf abzielt, Diabetes in jedem Lebensbereich mitzuberücksichtigen. Neben den Herausforderungen im Sinne langfristiger Veränderungen auf Populationsebene und gesetzlicher Regelungen muss man aber auch bei jedem Einzelnen ansetzen. Dafür hat die ÖDG nun die Ernährungsbox erstellt.</p> <p><strong>Wo liegt eigentlich der Knackpunkt bei der Ernährung und was hat das mit der Ernährungsbox zu tun?</strong></p> <p><strong>J. Huber:</strong> Ganz wichtig, wenn es um Ernährung geht, sind Genuss und Geschmack. Das ist auch die Idee hinter der Ernährungsbox: Es muss schmecken! Man muss das Essen genießen – auch der Diabetiker. Essen zwischen Tür und Angel, Essen in der U-Bahn oder Essen in einem Setting, wo man es nicht genießen kann, ist schlecht. Die Ernährungsbox hilft beim Reflektieren: Wie esse ich? Was schmeckt mir? Ist das, was ich esse, wirklich gut? Was kann man anderes essen, schmeckt das auch? Der Diabetiker soll Neues ausprobieren, neue Alternativen entdecken. Der Geschmack kann geschult und trainiert werden. Deshalb ist in der Box das Experimente-Kochbuch drin. Es soll zum aktiven Ausprobieren neuer Rezepte für gesunde Gerichte anregen. Kommt der Diabetiker dann drauf: „Das schmeckt mir!“, haben wir schon ein Ziel erreicht: ihn hin zu einer gesünderen Lebensweise zu führen.</p> <p><strong>Was ist noch drin in der Ernährungsbox?</strong></p> <p><strong>J. Huber:</strong> Die Ernährungsbox enthält ein Obstmesser, ein Brett, einen Dressingbecher, ein Info-Buch und das Experimente- Kochbuch. Die Box selbst ist als Jausenbox gedacht, damit man seine gesunde Jause darin einpacken kann. So kann man sich den Salat oder das zu Hause Gekochte mit in die Arbeit nehmen, anstatt zum nächsten Fastfood- Restaurant zu gehen.</p> <p><strong>Wissen die Menschen, was gesund ist?</strong></p> <p><strong>J. Huber:</strong> Grundsätzlich wissen die meisten, was gesunde Ernährung ist. Die Frage ist, warum stellen sie sich nicht um? Hier spielt das selbstständige Zubereiten von Speisen auch eine Rolle. Entweder haben sie nie kochen gelernt oder sind es gewohnt, ihre Speisen nicht selbst zuzubereiten. Dabei ist es ganz einfach, und das möchten wir mit der Ernährungsbox zeigen. Ich persönlich mache jeden Tag in der Früh einen Obstsalat für die ganze Familie. Zum Abendessen gibt es immer einen pikanten Salat, etwa mit Tomaten, Mozzarella oder Feta, Gurken, Frühlingszwiebel, Fenchel oder auch einen grünen Salat. Meine Familie hat sich daran gewöhnt, sodass es gar nicht mehr ohne geht. Wir möchten unsere Patienten mit der Ernährungsbox dazu bringen, gesunde Rituale, wie ich sie gerade beschrieben habe, beim Essen einzuführen. Das führt letztlich zu nachhaltigen Änderungen, die man z.B. als Elternteil aber vorgeben muss. Wir möchten mit der Ernährungsbox Wege zeigen, auf vielfältige Weise natürliche, möglichst unverarbeitete Lebensmittel in den täglichen Speiseplan einfließen zu lassen und dabei das Bewusstsein für die geschmackliche Vielfalt natürlicher Nahrungsmittel zu schärfen.<br /> Im Info-Buch wird jede Lebensmittelgruppe und die Rolle von Wasser besprochen; Kohlenhydrate und Fette sind ebenfalls ein Thema. Es gibt eine Darstellung des sogenannten „gesunden Tellers“: viele Beilagen, viel Gemüse und weniger Fleisch – so kann man sich leicht merken, wie der Mittagsteller ausschauen soll. Aber auch die mediterrane Ernährung wird genau erklärt. Dem wichtigen Thema Ernährungsmuster haben wir ein eigenes Kapitel gewidmet. Und es gibt einen Fragebogen zur Ernährung, mit dem das eigene Ernährungsverhalten abgefragt werden kann. So sieht man, wo man steht und wie man sich ernährt. Das kann die Basis dafür sein, dass man seine Ernährung umstellt.</p> <p><strong>Wie motiviert man die Menschen?</strong></p> <p><strong>J. Huber:</strong> Das ist immer schwierig. Ich versuche den Patienten dort abzuholen, wo er gerade steht. Ich frage ihn, welche Bewegung ihm Spaß macht, und versuche herauszufinden, welche gesunden Nahrungsmittel ihm schmecken. Meine Aufgabe ist es auch, ihn auf die Geschmacksvielfalt neugierig zu machen.<br /> Am Ende muss er selbst erkennen, welche Konzepte sich im persönlichen Lebensstil am besten umsetzen lassen. Dazu muss man das Gespräch darauf hinführen, dass er sagt: Das ist es! Das will ich machen! Nur wenn er das selbst will, wird er es auch langfristig machen. Dabei gibt es keine „One size fits all“- Diät. Aus Studien wissen wir, dass jede Diätform ausgewogen sein soll und hochwertige Nahrungsmittel enthalten muss. Bei der Gewichtung hat man aber freie Hand; man kann und muss die Vorlieben des Patienten berücksichtigen, damit es nachhaltig funktioniert.<br /> Für die Gesprächsführung kann man z.B. mit Aspekten des „motivational interview“ Erfolge erzielen. Es entspricht einem Gespräch mit Empathie, wobei zunächst Widerstände erkannt werden müssen. Der Patient muss selbst die Notwendigkeit einer Verhaltensänderung erkennen. Neben dem „Ich will“ ist es dann wichtig, mit dem Patienten ein „commitment“ zu bestimmten Zielen zu vereinbaren – etwa in der Form: Okay, das würden Sie gerne tun, dann machen wir uns das als Ziel aus. Fangen Sie an und steigern Sie es, und dann besprechen wir es nach einer gewissen Zeit. Das gilt für die Ernährung und die Bewegung. Nach spätestens drei Monaten prüfen wir die Zielerreichung. Es wäre zwar besser, dies öfter zu tun, damit der Patient bei der Stange bleibt, in den Ambulanzen ist dies oft aber nicht in kürzeren Intervallen möglich.<br /> Natürlich sage ich dem Patienten auch, dass gewisse Dinge möglichst gemieden werden sollten, zum Beispiel gesüßte Getränke, Gebäck aus Weißmehl oder auch Fast Food. Wichtig ist es auch, den Menschen klarzumachen, dass drei „richtige Mahlzeiten“ täglich gut für sie sind. Viele, die Gewichtsprobleme haben, essen nur eine große Mahlzeit am Tag, dann aber unkontrolliert und sehr große Mengen, und dazwischen kalorienreiche Snacks. Wenn man regelmäßig isst, hat man diese Heißhungerattacken nicht. Hier kann man beim Frühstück anfangen. Auch wenn man früher nicht gefrühstückt hat, sollte ein Versuch gestartet werden.<br /> Gut wäre es, wenn der Patient ein Ernährungsprotokoll führt, das man bespricht – idealerweise mit einer Diätologin. Es gibt dazu eine spannende Studie, die vor einigen Jahren publiziert worden ist. Es wurde Folgendes gesehen: Die Teilnehmer, die häufiger zur Ernährungsberatung gingen, nahmen „besser“ ab als die, die nur ein paar Mal dort waren. Die Motivierten, die regelmäßig in kürzeren Abständen kamen, setzten ihr Vorhaben besser um als jene, die nur sehr sporadisch Beratungen in Anspruch nahmen. Es ist eben schwierig, ein festgefahrenes Muster umzustellen. Im Disease-Management-Programm „Therapie Aktiv“ sind solche Beratungen enthalten.</p> <p><strong>Was ist aus gesundheitspolitischer Sicht zu tun?</strong></p> <p><strong>J. Huber:</strong> Da gibt es viel zu tun. Vor Kurzem ist die Diabetesstrategie verabschiedet worden: Die gilt es umzusetzen. Die Ressource Diätologie bzw. Diätberatung sollte öfter als Kassenleistung zur Verfügung stehen. Es gibt allerdings auch Patienten – ich kenne solche aus der Adipositas- und Diabetesambulanz –, die völlig beratungsresistent sind. Hier wird man die Ressourcen beschränken müssen und nur dann weiter anbieten, wenn ein Therapieerfolg zu verzeichnen ist.<br /> Nun zu den Kindern: Es sollte früh – schon im Kindergartenalter – begonnen werden, Kinder und Eltern ins Boot zu holen und ihnen zu vermitteln, wie eine gute und gesunde Ernährung aussieht; eine Möglichkeit bietet da der Ernährungspass. Auch SIPCAN ist sehr engagiert, was ein gutes Jausenbuffet betrifft; da geht um die „obesogenic environment“: Denn wenn es beim Schulbuffet nur ungesunde Snacks gibt, was sollen die Kinder dann kaufen? Selbiges gilt auch für die Getränkeautomaten. Es geht hier um Rahmenbedingungen, bei denen auch das System gefordert ist.</p> <p><strong>Vielen Dank für das Gespräch!</strong></p></p>