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Mit der Ernährungsbox auf dem richtigen Weg

<p class="article-intro">Die Österreichische Diabetes Gesellschaft hat kürzlich die Ernährungsbox vorgestellt, die von einer Arbeitsgruppe der ÖDG unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Bernhard Paulweber, Salzburg, erstellt worden ist. Wir sprachen für JATROS Diabetologie & Endokrinologie mit Prim. Priv.-Doz. Dr. Joakim Huber, Mitglied der Arbeitsgruppe und maßgeblich an der Zusammenstellung der Ernährungsbox beteiligt.</p> <hr /> <p class="article-content"><p><strong>Herr Dozent Huber, Sie sind seit etwa einem halben Jahr als Primar im Franziskus-Spital in Wien t&auml;tig. Wo setzen Sie Ihre Schwerpunkte?</strong></p> <p><strong>J. Huber:</strong> Das Franziskus-Spital in dieser Form gibt es seit dem 1. J&auml;nner 2017. Es ist ein Zusammenschluss von zwei Ordensh&auml;usern, dem ehemaligen Hartmannspital und dem ehemaligen Krankenhaus St. Elisabeth, und besteht aus den Standorten Landstra&szlig;e im 3. Bezirk und Margareten im 5. Bezirk. Als Leiter der internen Abteilung am Standort Landstra&szlig;e habe ich die Verantwortung f&uuml;r 30 &bdquo;akut-interne&ldquo; Betten sowie f&uuml;r die gr&ouml;&szlig;te Palliativstation &Ouml;sterreichs mit 16 Betten und 24 Betten f&uuml;r Akutgeriatrie/Remobilisation. Dar&uuml;ber hinaus befindet sich in Margareten ein Department f&uuml;r Akutgeriatrie/Remobilisation unter meiner Leitung. Die interne Abteilung am Standort Margareten wird vom &auml;rztlichen Direktor des Franziskus-Spitals Prim. Doz. DDr. Manfred Wonisch gef&uuml;hrt. Diese Abteilung ist auf kardiovaskul&auml;re Medizin, Pulmologie und Gastroenterologie spezialisiert. Am Standort Landstra&szlig;e liegt der Schwerpunkt auf der Medizin f&uuml;r den alten Menschen, also auf einer breiten inneren Medizin. Wir bieten am Standort Landstra&szlig;e eine kardiologische und pulmologische Diagnostik, Palliativmedizin und etablieren eine Medizin speziell f&uuml;r den alten Menschen inklusive Diabetestherapie im Alter.</p> <p><strong>Wie steht es um den Zusammenhang von Ern&auml;hrung und Alter?</strong></p> <p><strong>J. Huber:</strong> Im Alter ist meist Mangelern&auml;hrung &ndash; und nicht &Uuml;berern&auml;hrung &ndash; das Problem, da betagte Menschen oft zu wenig essen. Deshalb schauen wir in der Akutgeriatrie routinem&auml;&szlig;ig auf das Ern&auml;hrungsverhalten im Rahmen des geriatrischen Assessments. Mithilfe des Mini Nutritional Assessment kann man gut evaluieren, ob jemand in Gefahr ist, mangelern&auml;hrt zu sein. Diesen Test kann man aus dem Internet herunterladen.</p> <p><strong>Was war und ist Ihre Motivation, sich mit dem Thema Ern&auml;hrung zu besch&auml;ftigen</strong></p> <p><strong>J. Huber:</strong> Ich habe bereits w&auml;hrend meiner Ausbildung zum Facharzt im AKH vor allem Grundlagenforschung zum Thema Adipositas betrieben und das Fettgewebe bei M&auml;usen, aber auch bei &uuml;bergewichtigen Menschen untersucht. Wir haben festgestellt, dass bei &Uuml;bergewicht eine chronische Entz&uuml;ndung entsteht. In der Folge besch&auml;ftigt man sich nat&uuml;rlich mit den Ursachen f&uuml;r &Uuml;berern&auml;hrung. Sp&auml;ter habe ich im Wilhelminenspital mehrere Jahre lang die Adipositasambulanz geleitet. Auch bei der Betreuung von Diabetikern spielt das Thema Ern&auml;hrung immer eine zentrale Rolle.</p> <p><strong>Welche Auswirkungen einer ges&uuml;nderen Ern&auml;hrung auf einen Diabetes, auch Langzeitfolgen &uuml;ber Generationen hinweg, w&auml;ren m&ouml;glich, wenn man es richtig angeht?</strong></p> <p><strong>J. Huber:</strong> Die Ern&auml;hrung ist in puncto Adipositas ein entscheidender Faktor. Unser Umfeld hat sich ge&auml;ndert. Anfang des letzten Jahrhunderts war Essen viel teurer als jetzt im Verh&auml;ltnis zum Einkommen der Bev&ouml;lkerung. Durch die Entwicklungen in der Lebensmittelindustrie haben wir heute ein gro&szlig;es Angebot an sehr energiedichten Nahrungsmitteln, die wir sehr g&uuml;nstig kaufen k&ouml;nnen. Es ist also sehr leicht, rasch viele Kalorien zu sich zu nehmen. Nahrung ist zudem immer und &uuml;berall verf&uuml;gbar. Das macht es f&uuml;r viele Menschen schwierig, sich gesund und hochwertig zu ern&auml;hren. Essen ist eine Herausforderung geworden. Einen Teil der Verantwortung daf&uuml;r tr&auml;gt die Nahrungsmittelindustrie, aber auch der Staat. Es wurde ein Umfeld geschaffen, das die Entstehung von Adipositas erleichtert. Man spricht in der Literatur von einer &bdquo;obesogenic environment&ldquo;. Es ist f&uuml;r den Einzelnen oft schwierig, die richtigen Entscheidungen hinsichtlich Nahrungsmittelauswahl zu treffen. Bei der &bdquo;obesogenic environment&ldquo; m&uuml;sste man ansetzen, um auf der Populationsebene etwas zu &auml;ndern.</p> <p><strong>W&uuml;rden Sie bitte f&uuml;r uns pr&auml;zisieren, was man &auml;ndern sollte? Welche positiven Auswirkungen w&auml;ren zu erwarten?</strong></p> <p><strong>J. Huber:</strong> Wenn man nachhaltig etwas &auml;ndern m&ouml;chte, dann muss man auf Populationsebene eingreifen. Kleine Ans&auml;tze dazu gibt es bereits: so etwa eine Verordnung zur Begrenzung von Transfetts&auml;uren in der Nahrung. Beim Zucker- und Fettgehalt gibt es jedoch keine Einschr&auml;nkungen. In einigen L&auml;ndern wurden Fett- bzw. Zuckersteuern eingef&uuml;hrt, doch davon ist man zum Teil wieder abgekommen. Ein erster Schritt w&auml;re die Kennzeichnung der Lebensmittel, z.B. mit einer Ampel, um die Bewusstseinsbildung des K&auml;ufers zu schulen. Ganz wichtig ist die Wissensvermittlung, da muss man aber nicht nur bei den Kindern, sondern auch bei den Erwachsenen ansetzen &ndash; nur so kann man auf Populationsebene einen Erfolg erzielen und Adipositas und Diabetes bek&auml;mpfen. Die &Ouml;DG verfolgt eine &bdquo;Health in all policies&ldquo;-Strategie, die darauf abzielt, Diabetes in jedem Lebensbereich mitzuber&uuml;cksichtigen. Neben den Herausforderungen im Sinne langfristiger Ver&auml;nderungen auf Populationsebene und gesetzlicher Regelungen muss man aber auch bei jedem Einzelnen ansetzen. Daf&uuml;r hat die &Ouml;DG nun die Ern&auml;hrungsbox erstellt.</p> <p><strong>Wo liegt eigentlich der Knackpunkt bei der Ern&auml;hrung und was hat das mit der Ern&auml;hrungsbox zu tun?</strong></p> <p><strong>J. Huber:</strong> Ganz wichtig, wenn es um Ern&auml;hrung geht, sind Genuss und Geschmack. Das ist auch die Idee hinter der Ern&auml;hrungsbox: Es muss schmecken! Man muss das Essen genie&szlig;en &ndash; auch der Diabetiker. Essen zwischen T&uuml;r und Angel, Essen in der U-Bahn oder Essen in einem Setting, wo man es nicht genie&szlig;en kann, ist schlecht. Die Ern&auml;hrungsbox hilft beim Reflektieren: Wie esse ich? Was schmeckt mir? Ist das, was ich esse, wirklich gut? Was kann man anderes essen, schmeckt das auch? Der Diabetiker soll Neues ausprobieren, neue Alternativen entdecken. Der Geschmack kann geschult und trainiert werden. Deshalb ist in der Box das Experimente-Kochbuch drin. Es soll zum aktiven Ausprobieren neuer Rezepte f&uuml;r gesunde Gerichte anregen. Kommt der Diabetiker dann drauf: &bdquo;Das schmeckt mir!&ldquo;, haben wir schon ein Ziel erreicht: ihn hin zu einer ges&uuml;nderen Lebensweise zu f&uuml;hren.</p> <p><strong>Was ist noch drin in der Ern&auml;hrungsbox?</strong></p> <p><strong>J. Huber:</strong> Die Ern&auml;hrungsbox enth&auml;lt ein Obstmesser, ein Brett, einen Dressingbecher, ein Info-Buch und das Experimente- Kochbuch. Die Box selbst ist als Jausenbox gedacht, damit man seine gesunde Jause darin einpacken kann. So kann man sich den Salat oder das zu Hause Gekochte mit in die Arbeit nehmen, anstatt zum n&auml;chsten Fastfood- Restaurant zu gehen.</p> <p><strong>Wissen die Menschen, was gesund ist?</strong></p> <p><strong>J. Huber:</strong> Grunds&auml;tzlich wissen die meisten, was gesunde Ern&auml;hrung ist. Die Frage ist, warum stellen sie sich nicht um? Hier spielt das selbstst&auml;ndige Zubereiten von Speisen auch eine Rolle. Entweder haben sie nie kochen gelernt oder sind es gewohnt, ihre Speisen nicht selbst zuzubereiten. Dabei ist es ganz einfach, und das m&ouml;chten wir mit der Ern&auml;hrungsbox zeigen. Ich pers&ouml;nlich mache jeden Tag in der Fr&uuml;h einen Obstsalat f&uuml;r die ganze Familie. Zum Abendessen gibt es immer einen pikanten Salat, etwa mit Tomaten, Mozzarella oder Feta, Gurken, Fr&uuml;hlingszwiebel, Fenchel oder auch einen gr&uuml;nen Salat. Meine Familie hat sich daran gew&ouml;hnt, sodass es gar nicht mehr ohne geht. Wir m&ouml;chten unsere Patienten mit der Ern&auml;hrungsbox dazu bringen, gesunde Rituale, wie ich sie gerade beschrieben habe, beim Essen einzuf&uuml;hren. Das f&uuml;hrt letztlich zu nachhaltigen &Auml;nderungen, die man z.B. als Elternteil aber vorgeben muss. Wir m&ouml;chten mit der Ern&auml;hrungsbox Wege zeigen, auf vielf&auml;ltige Weise nat&uuml;rliche, m&ouml;glichst unverarbeitete Lebensmittel in den t&auml;glichen Speiseplan einflie&szlig;en zu lassen und dabei das Bewusstsein f&uuml;r die geschmackliche Vielfalt nat&uuml;rlicher Nahrungsmittel zu sch&auml;rfen.<br /> Im Info-Buch wird jede Lebensmittelgruppe und die Rolle von Wasser besprochen; Kohlenhydrate und Fette sind ebenfalls ein Thema. Es gibt eine Darstellung des sogenannten &bdquo;gesunden Tellers&ldquo;: viele Beilagen, viel Gem&uuml;se und weniger Fleisch &ndash; so kann man sich leicht merken, wie der Mittagsteller ausschauen soll. Aber auch die mediterrane Ern&auml;hrung wird genau erkl&auml;rt. Dem wichtigen Thema Ern&auml;hrungsmuster haben wir ein eigenes Kapitel gewidmet. Und es gibt einen Fragebogen zur Ern&auml;hrung, mit dem das eigene Ern&auml;hrungsverhalten abgefragt werden kann. So sieht man, wo man steht und wie man sich ern&auml;hrt. Das kann die Basis daf&uuml;r sein, dass man seine Ern&auml;hrung umstellt.</p> <p><strong>Wie motiviert man die Menschen?</strong></p> <p><strong>J. Huber:</strong> Das ist immer schwierig. Ich versuche den Patienten dort abzuholen, wo er gerade steht. Ich frage ihn, welche Bewegung ihm Spa&szlig; macht, und versuche herauszufinden, welche gesunden Nahrungsmittel ihm schmecken. Meine Aufgabe ist es auch, ihn auf die Geschmacksvielfalt neugierig zu machen.<br /> Am Ende muss er selbst erkennen, welche Konzepte sich im pers&ouml;nlichen Lebensstil am besten umsetzen lassen. Dazu muss man das Gespr&auml;ch darauf hinf&uuml;hren, dass er sagt: Das ist es! Das will ich machen! Nur wenn er das selbst will, wird er es auch langfristig machen. Dabei gibt es keine &bdquo;One size fits all&ldquo;- Di&auml;t. Aus Studien wissen wir, dass jede Di&auml;tform ausgewogen sein soll und hochwertige Nahrungsmittel enthalten muss. Bei der Gewichtung hat man aber freie Hand; man kann und muss die Vorlieben des Patienten ber&uuml;cksichtigen, damit es nachhaltig funktioniert.<br /> F&uuml;r die Gespr&auml;chsf&uuml;hrung kann man z.B. mit Aspekten des &bdquo;motivational interview&ldquo; Erfolge erzielen. Es entspricht einem Gespr&auml;ch mit Empathie, wobei zun&auml;chst Widerst&auml;nde erkannt werden m&uuml;ssen. Der Patient muss selbst die Notwendigkeit einer Verhaltens&auml;nderung erkennen. Neben dem &bdquo;Ich will&ldquo; ist es dann wichtig, mit dem Patienten ein &bdquo;commitment&ldquo; zu bestimmten Zielen zu vereinbaren &ndash; etwa in der Form: Okay, das w&uuml;rden Sie gerne tun, dann machen wir uns das als Ziel aus. Fangen Sie an und steigern Sie es, und dann besprechen wir es nach einer gewissen Zeit. Das gilt f&uuml;r die Ern&auml;hrung und die Bewegung. Nach sp&auml;testens drei Monaten pr&uuml;fen wir die Zielerreichung. Es w&auml;re zwar besser, dies &ouml;fter zu tun, damit der Patient bei der Stange bleibt, in den Ambulanzen ist dies oft aber nicht in k&uuml;rzeren Intervallen m&ouml;glich.<br /> Nat&uuml;rlich sage ich dem Patienten auch, dass gewisse Dinge m&ouml;glichst gemieden werden sollten, zum Beispiel ges&uuml;&szlig;te Getr&auml;nke, Geb&auml;ck aus Wei&szlig;mehl oder auch Fast Food. Wichtig ist es auch, den Menschen klarzumachen, dass drei &bdquo;richtige Mahlzeiten&ldquo; t&auml;glich gut f&uuml;r sie sind. Viele, die Gewichtsprobleme haben, essen nur eine gro&szlig;e Mahlzeit am Tag, dann aber unkontrolliert und sehr gro&szlig;e Mengen, und dazwischen kalorienreiche Snacks. Wenn man regelm&auml;&szlig;ig isst, hat man diese Hei&szlig;hungerattacken nicht. Hier kann man beim Fr&uuml;hst&uuml;ck anfangen. Auch wenn man fr&uuml;her nicht gefr&uuml;hst&uuml;ckt hat, sollte ein Versuch gestartet werden.<br /> Gut w&auml;re es, wenn der Patient ein Ern&auml;hrungsprotokoll f&uuml;hrt, das man bespricht &ndash; idealerweise mit einer Di&auml;tologin. Es gibt dazu eine spannende Studie, die vor einigen Jahren publiziert worden ist. Es wurde Folgendes gesehen: Die Teilnehmer, die h&auml;ufiger zur Ern&auml;hrungsberatung gingen, nahmen &bdquo;besser&ldquo; ab als die, die nur ein paar Mal dort waren. Die Motivierten, die regelm&auml;&szlig;ig in k&uuml;rzeren Abst&auml;nden kamen, setzten ihr Vorhaben besser um als jene, die nur sehr sporadisch Beratungen in Anspruch nahmen. Es ist eben schwierig, ein festgefahrenes Muster umzustellen. Im Disease-Management-Programm &bdquo;Therapie Aktiv&ldquo; sind solche Beratungen enthalten.</p> <p><strong>Was ist aus gesundheitspolitischer Sicht zu tun?</strong></p> <p><strong>J. Huber:</strong> Da gibt es viel zu tun. Vor Kurzem ist die Diabetesstrategie verabschiedet worden: Die gilt es umzusetzen. Die Ressource Di&auml;tologie bzw. Di&auml;tberatung sollte &ouml;fter als Kassenleistung zur Verf&uuml;gung stehen. Es gibt allerdings auch Patienten &ndash; ich kenne solche aus der Adipositas- und Diabetesambulanz &ndash;, die v&ouml;llig beratungsresistent sind. Hier wird man die Ressourcen beschr&auml;nken m&uuml;ssen und nur dann weiter anbieten, wenn ein Therapieerfolg zu verzeichnen ist.<br /> Nun zu den Kindern: Es sollte fr&uuml;h &ndash; schon im Kindergartenalter &ndash; begonnen werden, Kinder und Eltern ins Boot zu holen und ihnen zu vermitteln, wie eine gute und gesunde Ern&auml;hrung aussieht; eine M&ouml;glichkeit bietet da der Ern&auml;hrungspass. Auch SIPCAN ist sehr engagiert, was ein gutes Jausenbuffet betrifft; da geht um die &bdquo;obesogenic environment&ldquo;: Denn wenn es beim Schulbuffet nur ungesunde Snacks gibt, was sollen die Kinder dann kaufen? Selbiges gilt auch f&uuml;r die Getr&auml;nkeautomaten. Es geht hier um Rahmenbedingungen, bei denen auch das System gefordert ist.</p> <p><strong>Vielen Dank f&uuml;r das Gespr&auml;ch!</strong></p></p>
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