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Metformin – neue Einblicke in eine alte Substanz

<p class="article-intro">Der Einsatz von Metformin ist in der Diabetologie allgegenwärtig. Trotz der jahrzehntelangen Erfahrungen mit dieser Substanz wurden in den letzten Jahren nicht nur bisher unbekannte Wirkmechanismen, sondern auch neue klinische Einsatzbereiche beschrieben, die Metformin in neuem Glanz erstrahlen lassen.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Metformin ist, sofern keine Kontraindikationen bestehen, die erste Wahl in der Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2.</li> <li>Rezente Studien enth&uuml;llten bisher unbekannte Wirkmechanismen im Bereich des Inkretinsystems sowie des intestinalen Mikrobioms.</li> <li>Eine eingeschr&auml;nkte Nierenfunktion bleibt weiterhin die Hauptkontraindikation. Der Einsatz bei einer eGFR &lt;45ml/ min/1,73m&sup2; bis &gt;30ml/min/1,73m&sup2; wird von diversen Fachgesellschaften unterschiedlich betrachtet.</li> <li>Weitere Einsatzgebiete mit g&uuml;nstigen Effekten im Bereich des Pr&auml;diabetes sowie bei PCOS und NAFLD wurden k&uuml;rzlich beschrieben.</li> </ul> </div> <h2>Geschichtlicher R&uuml;ckblick</h2> <p>In der Volksmedizin sowie in der Diabetologie zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde ein Inhaltsstoff der Gei&szlig;raute (Galega officinalis; Abb. 1), das Alkaloid Galegin, verwendet, um eine blutzuckersenkende Wirkung zu erzielen. Der botanische Gattungsname leitet sich von den griechischen Begriffen g&aacute;la (Milch) und &aacute;gein (treiben) ab und deutet auf einen Wirkmechanismus hin, der sich f&ouml;rdernd auf die Milchproduktion von W&ouml;chnerinnen auswirken soll, weshalb der Wirkstoff auch heute noch in der Hom&ouml;opathie verwendet wird.<br /> Basierend auf der chemischen Struktur des Galegin wurde schlie&szlig;lich 1922 durch die Dubliner Chemiker Emil Werner und James Bell Metformin synthetisiert, welches zun&auml;chst Verwendung als Anti-Malaria- und Anti-Grippe-Mittel fand. 1929 wiesen Karl Heinrich Slotta und Rudolf Tschesche bei Kaninchen eine blutzuckersenkende Wirkung nach (Abb. 2). Schlie&szlig;lich konstatierte der philippinische Arzt Eusebio Francisco J. Garcia 1950, dass Metformin, im Rahmen der Behandlung von grippalen Infekten eingesetzt, &bdquo;den Blutzucker auf die physiologische Untergrenze&ldquo; senke und nicht toxisch sei. Basierend auf der Publikation von Garcia schlie&szlig;lich ersetzte der franz&ouml;sische Diabetologe Jean Sterne am H&ocirc;pital de la Piti&eacute; in Paris das bis dahin zur Behandlung des Diabetes verwendete Galegin durch Metformin und stellte fest, dass es wesentlich vertr&auml;glicher und wirksamer als das Naturprodukt war. Von Sterne wurde 1957 der Name &bdquo;Glucophage&ldquo; (&bdquo;Glukose-Esser&ldquo;) gepr&auml;gt. In der Folge wurden in den 1960ern mit Phenformin und Buformin weitere Biguanide eingesetzt, ihre Anwendung wurde allerdings in den 1970ern wegen des deutlich erh&ouml;hten Risikos f&uuml;r Laktatazidosen wieder aufgegeben. Beinahe h&auml;tte Metformin ein &auml;hnliches Schicksal ereilt, und sein Einsatz war unter Diabetologen noch lange Zeit heftig umstritten.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Diabetes_1704_Weblinks_jatros_diab_s23_abb1.jpg" alt="" width="1455" height="1013" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Diabetes_1704_Weblinks_jatros_diab_s24_abb2.jpg" alt="" width="686" height="1151" /></p> <h2>Aktuelle Studiendaten</h2> <p>In den aktuellen internationalen und nationalen Guidelines stellt Metformin, sofern keine Kontraindikationen vorliegen, die erste Wahl sowohl bei Monotherapie als auch bei Kombinationstherapien dar. Die bekanntesten Hauptwirkmechanismen beruhen auf einer verminderten hepatischen Glukoneogenese sowie einer verbesserten Insulin-mediierten Glukoseaufnahme im peripheren Gewebe (v.a. in der Leber und der Skelettmuskulatur). Zus&auml;tzlich kommt es durch antilipolytische Effekte auch zu einer Reduktion von freien Fetts&auml;uren (&bdquo;free fatty acids&ldquo;), was wiederum zu weniger verf&uuml;gbarem Substrat f&uuml;r die Glukoneogenese f&uuml;hrt.<br /> Einige rezente Studien zeigen zum Teil verbl&uuml;ffende neue Erkenntnisse hinsichtlich bisher unbekannter Wirkmechanismen dieser altbew&auml;hrten Substanz. So wurden zum Beispiel deutliche Einfl&uuml;sse im Bereich des Inkretinsystems beschrieben, was bisher als eine Dom&auml;ne der GLP-1-Rezeptor- Agonisten beziehungsweise der DPP4-Inhibitoren erachtet wurde. Metformin f&uuml;hrt dort zu einer vermehrten intestinalen GLP- 1-Produktion sowie zu einer verminderten Metabolisierung von GLP-1. Gleichzeitig konnte an den pankreatischen Inselzellen eine Steigerung der Inkretinrezeptoraktivit&auml;t beschrieben werden.<br /> Das intestinale Mikrobiom ist ein Bereich, der in den vergangenen Jahren ins Zentrum der Diabetesforschung ger&uuml;ckt ist. Vor einigen Jahren wurden bereits erste Daten pr&auml;sentiert, die einen Zusammenhang zwischen der intestinalen bakteriellen Diversit&auml;t einerseits und der Insulinresistenz andererseits beschrieben. Auch hier wurden unter Metformin Ver&auml;nderungen des Mikrobioms beobachtet, wie zum Beispiel ein signifikant h&auml;ufigeres Auftreten des Bakteriums Akkermansia muciniphila. Dies sowie einige weitere Modifikationen der bakteriellen Zusammensetzung waren wiederum mit einer Verbesserung der glyk&auml;mischen Kontrolle assoziiert (Abb. 3).<br /> Des Weiteren legen einige Obervationsstudien sowie Metaanalysen die Vermutung nahe, dass der Einsatz von Metformin bei Typ-2-Diabetikern mit einem geringeren Risiko f&uuml;r maligne Erkrankungen assoziiert ist (relatives Risiko [RR]: 0,61; 95 % CI: 0,54&ndash;0,70) sowie mit einer geringeren Krebsmortalit&auml;t (RR: 0,66; 95 % CI: 0,49&ndash;0,88). Einschr&auml;nkend muss angemerkt werden, dass der Gro&szlig;teil dieser Studien nicht zur Untersuchung dieser Fragestellung angelegt wurde. Erkl&auml;rungsans&auml;tze f&uuml;r diese inhibierenden Effekte auf das Tumorwachstum sind m&ouml;glicherweise eine Reduktion der Proteinsynthese sowie eine Induktion von Autophagie und Apoptose durch Metformin.<br /> Eine der gef&uuml;rchtetsten Nebenwirkungen einer Metformintherapie stellt nach wie vor aufgrund ihrer hohen Mortalit&auml;tsrate die Laktatazidose dar. Dass diese allerdings ein sehr seltenes Ereignis ist, konnte durch einen systematischen Review aus 347 Studien, in welchem sowohl in der Metformingruppe mit 70 490 Patientenjahren als auch in der Vergleichsgruppe mit 55 451 Patientenjahren kein einziges Ereignis nachgewiesen wurde, best&auml;tigt werden. Bemerkenswert ist auch, dass viele der in die Studien eingeschlossenen Patienten einen Serum-Kreatininwert von &lt;1,5mg/dl sowie weitere (relative) Kontraindikationen gegen eine Metformintherapie hatten. Dennoch gibt es eine klare Korrelation zwischen einer eingeschr&auml;nkten Nierenfunktion und dem Risiko einer Laktatazidose. Welcher Grenzwert nun allerdings f&uuml;r eine Dosisreduktion respektive ein Absetzen einer Metformintherapie herangezogen werden sollte, wird von den unterschiedlichen Fachgesellschaften uneinheitlich gehandhabt. Exemplarisch ist in Tabelle 1 eine Gegen&uuml;berstellung der Empfehlungen der FDA sowie des aktuellen Zulassungstexts f&uuml;r &Ouml;sterreich angef&uuml;hrt.<br /> Generell kann gesagt werden, dass die Hauptkontraindikationen f&uuml;r eine Metformintherapie die eingeschr&auml;nkte Nierenfunktion sowie Erkrankungen mit m&ouml;glichen hypoxischen Komplikationen darstellen. Diese sind in Tabelle 2 zusammengefasst. Die gastrointestinalen Nebenwirkungen, die vor allem zu Beginn einer Metformintherapie h&auml;ufig beobachtet werden, k&ouml;nnen durch eine schrittweise Dosissteigerung auf die Zieldosis minimiert werden. So lag in Studien die Zahl der Patienten, welche die Therapie tats&auml;chlich aufgrund von gastrointestinalen Nebenwirkungen beenden mussten, bei circa 5 % . Bei einer Langzeittherapie ist an die M&ouml;glichkeit eines sich sukzessive entwickelnden Vitamin- B12-Mangels zu denken.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Diabetes_1704_Weblinks_jatros_diab_s24_abb3.jpg" alt="" width="1473" height="1263" /></p> <h2>Metformin nicht nur bei Diabetes einsetzbar</h2> <p>Zus&auml;tzliche Einsatzm&ouml;glichkeiten einer Metformintherapie sind Erkrankungen, die mit einer erh&ouml;hten Insulinresistenz assoziiert sind. Bei diesen kann Metformin im Rahmen einer &bdquo;Off-Label&ldquo;-Verwendung erwogen werden. Dabei handelt es sich unter anderem um das polyzystische Ovarialsyndrom (PCOS) sowie die nichtalkoholische Fettlebererkrankung (NAFLD), bei welchen in entsprechenden Studien positive Entwicklungen auf den Krankheitsverlauf gezeigt werden konnten. Vielversprechende Daten f&uuml;r den Einsatz von Metformin liegen auch aus dem Bereich der Diabetespr&auml;vention vor, wo bei Patienten mit einer pr&auml;diabetischen Stoffwechsellage der &Uuml;bergang in einen manifesten Diabetes mellitus Typ 2 signifikant verz&ouml;gert werden konnte.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Diabetes_1704_Weblinks_jatros_diab_s24_tab1.jpg" alt="" width="1419" height="757" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Diabetes_1704_Weblinks_jatros_diab_s25_tab2.jpg" alt="" width="1419" height="847" /></p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Nathan DM et al.: Management of hyperglycemia in type 2 diabetes: A consensus algorithm for the initiation and adjustment of therapy: a consensus statement from the American Diabetes Association and the European Association for the Study of Diabetes. Diabetes Care 2006; 29: 1963 <strong>2</strong> Inzucchi SE et al.: Management of hyperglycemia in type 2 diabetes, 2015: a patient-centered approach: update to a position statement of the American Diabetes Association and the European Association for the Study of Diabetes. Diabetes Care 2015; 38: 140 <strong>3</strong> Wu H et al.: Metformin alters the gut microbiome of individuals with treatment-naive type 2 diabetes, contributing to the therapeutic effects of the drug. Nat Med 2017; 23: 850 <strong>4</strong> de la Cuesta-Zuluaga J et al.: Metformin is associated with higher relative abundance of mucin-degrading Akkermansia muciniphila and several short-chain fatty acid-producing microbiota in the gut. Diabetes Care: 2017; 40: 54 <strong>5</strong> Pernicova I et al.: Metformin--mode of action and clinical implications for diabetes and cancer. Nat Rev Endocrinol 2014; 10: 143 <strong>6</strong> Bailey CJ et al.: Metformin. N Engl J Med 1996; 334: 574 <strong>7</strong> Libby G et al.: New users of metformin are at low risk of incident cancer: a cohort study among people with type 2 diabetes. Diabetes Care 2009; 32: 1620 <strong>8</strong> Noto H et al.: Cancer risk in diabetic patients treated with metformin: a systematic review and meta-analysis. PLoS One 2012; 7: e33411 <strong>9</strong> Yin M et al.: Metformin is associated with survival benefit in cancer patients with concurrent type 2 diabetes: a systematic review and meta-analysis. Oncologist 2013; 18: 1248 <strong>10</strong> de Jager J et al.: Long term treatment with metformin in patients with type 2 diabetes and risk of vitamin B-12 deficiency: randomised placebo controlled trial. BMJ 2010; 340: c2181 <strong>11</strong> Salpeter SR et al.: Risk of fatal and nonfatal lactic acidosis with metformin use in type 2 diabetes mellitus. Cochrane Database Syst Rev 2010: CD002967 <strong>12</strong> Khurana R et al.: Metformin: safety in cardiac patients. Heart 2010; 96: 99 <strong>13</strong> Misbin RI et al.: Lactic acidosis in patients with diabetes treated with metformin. N Engl J Med 1998; 338: 265</p> </div> </p>
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