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Metformin – neue Einblicke in eine alte Substanz
Jatros
Autor:
Dr. Florian Höllerl
1. Medizinische Abteilung mit Diabetologie, Endokrinologie und Nephrologie<br> Krankenanstalt Rudolfstiftung, Wien<br> E-Mail: florian.hoellerl@wienkav.at
30
Min. Lesezeit
14.09.2017
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<p class="article-intro">Der Einsatz von Metformin ist in der Diabetologie allgegenwärtig. Trotz der jahrzehntelangen Erfahrungen mit dieser Substanz wurden in den letzten Jahren nicht nur bisher unbekannte Wirkmechanismen, sondern auch neue klinische Einsatzbereiche beschrieben, die Metformin in neuem Glanz erstrahlen lassen.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Metformin ist, sofern keine Kontraindikationen bestehen, die erste Wahl in der Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2.</li> <li>Rezente Studien enthüllten bisher unbekannte Wirkmechanismen im Bereich des Inkretinsystems sowie des intestinalen Mikrobioms.</li> <li>Eine eingeschränkte Nierenfunktion bleibt weiterhin die Hauptkontraindikation. Der Einsatz bei einer eGFR <45ml/ min/1,73m² bis >30ml/min/1,73m² wird von diversen Fachgesellschaften unterschiedlich betrachtet.</li> <li>Weitere Einsatzgebiete mit günstigen Effekten im Bereich des Prädiabetes sowie bei PCOS und NAFLD wurden kürzlich beschrieben.</li> </ul> </div> <h2>Geschichtlicher Rückblick</h2> <p>In der Volksmedizin sowie in der Diabetologie zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde ein Inhaltsstoff der Geißraute (Galega officinalis; Abb. 1), das Alkaloid Galegin, verwendet, um eine blutzuckersenkende Wirkung zu erzielen. Der botanische Gattungsname leitet sich von den griechischen Begriffen gála (Milch) und ágein (treiben) ab und deutet auf einen Wirkmechanismus hin, der sich fördernd auf die Milchproduktion von Wöchnerinnen auswirken soll, weshalb der Wirkstoff auch heute noch in der Homöopathie verwendet wird.<br /> Basierend auf der chemischen Struktur des Galegin wurde schließlich 1922 durch die Dubliner Chemiker Emil Werner und James Bell Metformin synthetisiert, welches zunächst Verwendung als Anti-Malaria- und Anti-Grippe-Mittel fand. 1929 wiesen Karl Heinrich Slotta und Rudolf Tschesche bei Kaninchen eine blutzuckersenkende Wirkung nach (Abb. 2). Schließlich konstatierte der philippinische Arzt Eusebio Francisco J. Garcia 1950, dass Metformin, im Rahmen der Behandlung von grippalen Infekten eingesetzt, „den Blutzucker auf die physiologische Untergrenze“ senke und nicht toxisch sei. Basierend auf der Publikation von Garcia schließlich ersetzte der französische Diabetologe Jean Sterne am Hôpital de la Pitié in Paris das bis dahin zur Behandlung des Diabetes verwendete Galegin durch Metformin und stellte fest, dass es wesentlich verträglicher und wirksamer als das Naturprodukt war. Von Sterne wurde 1957 der Name „Glucophage“ („Glukose-Esser“) geprägt. In der Folge wurden in den 1960ern mit Phenformin und Buformin weitere Biguanide eingesetzt, ihre Anwendung wurde allerdings in den 1970ern wegen des deutlich erhöhten Risikos für Laktatazidosen wieder aufgegeben. Beinahe hätte Metformin ein ähnliches Schicksal ereilt, und sein Einsatz war unter Diabetologen noch lange Zeit heftig umstritten.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Diabetes_1704_Weblinks_jatros_diab_s23_abb1.jpg" alt="" width="1455" height="1013" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Diabetes_1704_Weblinks_jatros_diab_s24_abb2.jpg" alt="" width="686" height="1151" /></p> <h2>Aktuelle Studiendaten</h2> <p>In den aktuellen internationalen und nationalen Guidelines stellt Metformin, sofern keine Kontraindikationen vorliegen, die erste Wahl sowohl bei Monotherapie als auch bei Kombinationstherapien dar. Die bekanntesten Hauptwirkmechanismen beruhen auf einer verminderten hepatischen Glukoneogenese sowie einer verbesserten Insulin-mediierten Glukoseaufnahme im peripheren Gewebe (v.a. in der Leber und der Skelettmuskulatur). Zusätzlich kommt es durch antilipolytische Effekte auch zu einer Reduktion von freien Fettsäuren („free fatty acids“), was wiederum zu weniger verfügbarem Substrat für die Glukoneogenese führt.<br /> Einige rezente Studien zeigen zum Teil verblüffende neue Erkenntnisse hinsichtlich bisher unbekannter Wirkmechanismen dieser altbewährten Substanz. So wurden zum Beispiel deutliche Einflüsse im Bereich des Inkretinsystems beschrieben, was bisher als eine Domäne der GLP-1-Rezeptor- Agonisten beziehungsweise der DPP4-Inhibitoren erachtet wurde. Metformin führt dort zu einer vermehrten intestinalen GLP- 1-Produktion sowie zu einer verminderten Metabolisierung von GLP-1. Gleichzeitig konnte an den pankreatischen Inselzellen eine Steigerung der Inkretinrezeptoraktivität beschrieben werden.<br /> Das intestinale Mikrobiom ist ein Bereich, der in den vergangenen Jahren ins Zentrum der Diabetesforschung gerückt ist. Vor einigen Jahren wurden bereits erste Daten präsentiert, die einen Zusammenhang zwischen der intestinalen bakteriellen Diversität einerseits und der Insulinresistenz andererseits beschrieben. Auch hier wurden unter Metformin Veränderungen des Mikrobioms beobachtet, wie zum Beispiel ein signifikant häufigeres Auftreten des Bakteriums Akkermansia muciniphila. Dies sowie einige weitere Modifikationen der bakteriellen Zusammensetzung waren wiederum mit einer Verbesserung der glykämischen Kontrolle assoziiert (Abb. 3).<br /> Des Weiteren legen einige Obervationsstudien sowie Metaanalysen die Vermutung nahe, dass der Einsatz von Metformin bei Typ-2-Diabetikern mit einem geringeren Risiko für maligne Erkrankungen assoziiert ist (relatives Risiko [RR]: 0,61; 95 % CI: 0,54–0,70) sowie mit einer geringeren Krebsmortalität (RR: 0,66; 95 % CI: 0,49–0,88). Einschränkend muss angemerkt werden, dass der Großteil dieser Studien nicht zur Untersuchung dieser Fragestellung angelegt wurde. Erklärungsansätze für diese inhibierenden Effekte auf das Tumorwachstum sind möglicherweise eine Reduktion der Proteinsynthese sowie eine Induktion von Autophagie und Apoptose durch Metformin.<br /> Eine der gefürchtetsten Nebenwirkungen einer Metformintherapie stellt nach wie vor aufgrund ihrer hohen Mortalitätsrate die Laktatazidose dar. Dass diese allerdings ein sehr seltenes Ereignis ist, konnte durch einen systematischen Review aus 347 Studien, in welchem sowohl in der Metformingruppe mit 70 490 Patientenjahren als auch in der Vergleichsgruppe mit 55 451 Patientenjahren kein einziges Ereignis nachgewiesen wurde, bestätigt werden. Bemerkenswert ist auch, dass viele der in die Studien eingeschlossenen Patienten einen Serum-Kreatininwert von <1,5mg/dl sowie weitere (relative) Kontraindikationen gegen eine Metformintherapie hatten. Dennoch gibt es eine klare Korrelation zwischen einer eingeschränkten Nierenfunktion und dem Risiko einer Laktatazidose. Welcher Grenzwert nun allerdings für eine Dosisreduktion respektive ein Absetzen einer Metformintherapie herangezogen werden sollte, wird von den unterschiedlichen Fachgesellschaften uneinheitlich gehandhabt. Exemplarisch ist in Tabelle 1 eine Gegenüberstellung der Empfehlungen der FDA sowie des aktuellen Zulassungstexts für Österreich angeführt.<br /> Generell kann gesagt werden, dass die Hauptkontraindikationen für eine Metformintherapie die eingeschränkte Nierenfunktion sowie Erkrankungen mit möglichen hypoxischen Komplikationen darstellen. Diese sind in Tabelle 2 zusammengefasst. Die gastrointestinalen Nebenwirkungen, die vor allem zu Beginn einer Metformintherapie häufig beobachtet werden, können durch eine schrittweise Dosissteigerung auf die Zieldosis minimiert werden. So lag in Studien die Zahl der Patienten, welche die Therapie tatsächlich aufgrund von gastrointestinalen Nebenwirkungen beenden mussten, bei circa 5 % . Bei einer Langzeittherapie ist an die Möglichkeit eines sich sukzessive entwickelnden Vitamin- B12-Mangels zu denken.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Diabetes_1704_Weblinks_jatros_diab_s24_abb3.jpg" alt="" width="1473" height="1263" /></p> <h2>Metformin nicht nur bei Diabetes einsetzbar</h2> <p>Zusätzliche Einsatzmöglichkeiten einer Metformintherapie sind Erkrankungen, die mit einer erhöhten Insulinresistenz assoziiert sind. Bei diesen kann Metformin im Rahmen einer „Off-Label“-Verwendung erwogen werden. Dabei handelt es sich unter anderem um das polyzystische Ovarialsyndrom (PCOS) sowie die nichtalkoholische Fettlebererkrankung (NAFLD), bei welchen in entsprechenden Studien positive Entwicklungen auf den Krankheitsverlauf gezeigt werden konnten. Vielversprechende Daten für den Einsatz von Metformin liegen auch aus dem Bereich der Diabetesprävention vor, wo bei Patienten mit einer prädiabetischen Stoffwechsellage der Übergang in einen manifesten Diabetes mellitus Typ 2 signifikant verzögert werden konnte.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Diabetes_1704_Weblinks_jatros_diab_s24_tab1.jpg" alt="" width="1419" height="757" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Diabetes_1704_Weblinks_jatros_diab_s25_tab2.jpg" alt="" width="1419" height="847" /></p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Nathan DM et al.: Management of hyperglycemia in type 2 diabetes: A consensus algorithm for the initiation and adjustment of therapy: a consensus statement from the American Diabetes Association and the European Association for the Study of Diabetes. Diabetes Care 2006; 29: 1963 <strong>2</strong> Inzucchi SE et al.: Management of hyperglycemia in type 2 diabetes, 2015: a patient-centered approach: update to a position statement of the American Diabetes Association and the European Association for the Study of Diabetes. Diabetes Care 2015; 38: 140 <strong>3</strong> Wu H et al.: Metformin alters the gut microbiome of individuals with treatment-naive type 2 diabetes, contributing to the therapeutic effects of the drug. Nat Med 2017; 23: 850 <strong>4</strong> de la Cuesta-Zuluaga J et al.: Metformin is associated with higher relative abundance of mucin-degrading Akkermansia muciniphila and several short-chain fatty acid-producing microbiota in the gut. Diabetes Care: 2017; 40: 54 <strong>5</strong> Pernicova I et al.: Metformin--mode of action and clinical implications for diabetes and cancer. Nat Rev Endocrinol 2014; 10: 143 <strong>6</strong> Bailey CJ et al.: Metformin. N Engl J Med 1996; 334: 574 <strong>7</strong> Libby G et al.: New users of metformin are at low risk of incident cancer: a cohort study among people with type 2 diabetes. Diabetes Care 2009; 32: 1620 <strong>8</strong> Noto H et al.: Cancer risk in diabetic patients treated with metformin: a systematic review and meta-analysis. PLoS One 2012; 7: e33411 <strong>9</strong> Yin M et al.: Metformin is associated with survival benefit in cancer patients with concurrent type 2 diabetes: a systematic review and meta-analysis. Oncologist 2013; 18: 1248 <strong>10</strong> de Jager J et al.: Long term treatment with metformin in patients with type 2 diabetes and risk of vitamin B-12 deficiency: randomised placebo controlled trial. BMJ 2010; 340: c2181 <strong>11</strong> Salpeter SR et al.: Risk of fatal and nonfatal lactic acidosis with metformin use in type 2 diabetes mellitus. Cochrane Database Syst Rev 2010: CD002967 <strong>12</strong> Khurana R et al.: Metformin: safety in cardiac patients. Heart 2010; 96: 99 <strong>13</strong> Misbin RI et al.: Lactic acidosis in patients with diabetes treated with metformin. N Engl J Med 1998; 338: 265</p>
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